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Kapitel 3
Оглавление18.06.2012, Montag !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Erster Schultag. Das Klingeln des Weckers heute Morgen war brutal und ich natürlich noch todmüde. Es gab kein Entkommen: Der Gang zum Schafott stand unmittelbar bevor. Wenn ich schon hingerichtet werden sollte, dann aber wenigstens im passenden Outfit. Höchste Zeit den Kleiderkarton auszuräumen - das ständige Suchen ging mir langsam auf die Nerven. Immerhin wurde ich fündig: ein uraltes, verblichenes Hemd mit Perlmuttknöpfen und meine moosgrüne Lieblings - Weste aus Samt; beides Flohmarktfunde aus dem letzten Jahr. In der Küche wirbelte meine Mutter bereits geschäftig herum und summte fröhlich eine Melodie.
»Guten Morgen, mein Schatz. Ausgeschlafen?«
Dämliche Frage, die ich nur mit einem Gähnen beantworten konnte. Ohne Appetit rührte ich in meiner Schüssel Cornflakes und schwieg. Unerträglich, diese gute Laune. Die Frau hatte außerdem gut lachen; sie musste sich auch nicht gleich von mindestens fünfundzwanzig Paar neugieriger Schüleraugen anstarren lassen.
»Du weißt schon, dass wir hier in einer merkwürdigen Gegend gelandet sind, oder?«, fragte ich sie daher und freute mich über ihr Stirnrunzeln.
»Wieso, wie kommst du denn darauf?«
»Unser Nachbar ist ein uralter, einäugiger Zwerg, der nachts auf unserem Dachboden herumschnüffelt. Herr Egon heißt er übrigens, und ich würde an eurer Stelle das Schloss austauschen lassen.«
Mit den Worten: »Ach, das ist ja interessant!«, betrat mein Vater die Küche und grinste breit. Er schenkte sich einen Becher Kaffee ein und setzte sich. »Ein Zwerg? Und wie sah er aus? Rote Mütze, grüne Schürze?«
»Nee, mit Gartenarbeit hatte der überhaupt nichts am Hut; er sah ein bisschen aus wie Rumpelstilzchen, aber eleganter - mit Anzug.«
»Gestern war Vollmond, da träumt man oft wirres Zeug. Weißt du eigentlich, dass das, was man in der ersten Nacht in einem neuen Haus träumt, eine besondere Bedeutung hat?«
Typisch Dad, dachte ich und verkniff mir eine Antwort. Stattdessen wünschte ich mir, nur einmal älter und klüger zu sein als er und für jede Gelegenheit einen Spruch auf Lager zu haben, der keine Widerrede zuließ. Da fiel mir ein, dass ich ja einen Beweis hatte. »Hier in der Stadt muss irgendwo ein Schatz versteckt sein. Dieser Herr Egon hat nach der Karte gesucht, und ich habe sie gefunden. Soll ich sie euch zeigen?«
Doch Dad winkte ab. »Später, mein Sohn. Ich muss los.« Er gab Mum einen Kuss und mir einen freundschaftlichen Knuff. Dann wünschte er mir viel Glück für den ersten Schultag und beglückwünschte mich zu meiner reichen Fantasie.
»Warte nur, bis ich den Schatz gefunden habe!«, rief ich ihm wütend hinterher, »keine einzige Goldmünze bekommst du dann ab. Ungläubige gehen leer aus!« Wütend schnappte ich mir meine Schultasche und verließ die Küche. Ich wollte unbedingt noch einmal auf den Speicher.
Eines war sicher: Das mit der Karte hatte ich nicht geträumt. Die lag oben in meinem Zimmer, neben der Sternenzeichnung, und auch die war kein Traum. Aber was war mit dem Zwerg? Im grauen Tageslicht, das durch zwei alte Dachlukenfenster fiel, machte der Raum einen ganz gewöhnlichen Eindruck: ein verstaubter Dachboden eben. Aber eine der Dielen in der Nähe des Kamins war zerbrochen. Und dahinter, gleich neben der Truhe, stand die kleine Petroleumlampe. Na, bitte, wenn das kein Beweis war.
Aber nun gab es kein Pardon mehr - wenn ich nicht gleich am ersten Tag zu spät kommen wollte, musste ich jetzt auf Warp-Antrieb höchste Geschwindigkeitsstufe schalten. Punkt 7.50 würde mich Herr Dr. von Duhn, der Direx meiner neuen Schule in seinem Büro erwarten.
7.52: Ein wenig verschwitzt von dem Sprint mit dem Rad, versuchte ich mein abstehendes rotes Haar zu bändigen, zog meinen Bauch ein und klopfte so forsch es mein dem Untergang entgegen sehender Gemütszustand zuließ, an die Tür des Büros.
»Herein spaziert!«, rief eine jovial klingende Stimme, die zu einem korpulenten, ebenfalls rothaarigen Herrn mittleren Alters gehörte. Er stellte sich mir als „der Chef“ vor, betrachtete mich mitfühlend durch seine runde Nickelbrille, begrüßte mich als neues Mitglied des Helenen -Gymnasiums und legte mir väterlich eine Hand auf die Schulter, während wir die Gänge entlang schritten, meiner neuen Klasse, dem eigentlichen Platz der Hinrichtung, entgegen. Ich atmete tief und gleichmäßig in meinen Solar Plexus (das ist der Punkt in der Magengrube, wo das Nervengeflecht zusammen läuft). Hilft super bei Stress.
»Leidest du an Asthma?«, fragte der Rektor besorgt, was ich kopfschüttelnd und weiter bewusst ein und aus schnaufend verneinte. Er öffnete die Tür und da waren sie: meine neuen Mitschüler. Fünfundzwanzig mehr oder weniger pubertierende Fremde. Und Frau Renander, die Klassen - und Lateinlehrerin.
»Das ist unser Neuankömmling, der Luis Lobster!«, Herr Dr. von Duhn schob mich vor sich her in die Klasse hinein. So wie sie mich anglotzten, hätte er mich auch als achtes Weltwunder vorstellen können; den Neuen, mit der roten Sturmfrisur und dem Schwimmring um die Hüften.
»Nomen est omen!«, kam es von einem schwarzhaarigen Typen in der ersten Reihe. Die Klasse brüllte vor Lachen; anscheinend waren sie alle sehr sprachbegabt und hatten sofort erfasst, das „Lobster“ das englische Wort für Hummer war. Und diese waren bekanntlich rot. Hummerrot, genauso wie meine Haare und vermutlich auch mein Gesicht. Frau Renander unterbrach den Trubel und schickte mich auf einen leeren Platz in der vorletzten Reihe neben Pamina, einem ernst blickenden Mädchen mit strengem Zopf. Sie lachte nicht, nickte mir nur kurz zu und rückte dann etwas zur Seite; so als hätte ich Aussatz oder würde streng riechen. Ich schnupperte unauffällig, konnte aber nicht fest stellen, dass mein Deo versagt hatte. O.k., dachte ich, vielleicht liegt es nicht an mir. Wer mit dem Namen Pamina gestraft ist, wird es sicher nicht so leicht haben im Leben. Die Tochter der Königin der Nacht aus Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ hieß so. (Schließlich war ich nicht umsonst der Sohn von kulturschaffenden Eltern.)
Die weiteren Stunden verliefen mehr oder minder ereignislos. Ich lernte noch drei andere Lehrer kennen und überstand auch die Pausen ohne Zwischenfälle. Niemand interessierte sich großartig für mich. Alle waren extrem mit ihren Handys beschäftigt und auch ich simste ein bisschen mit Max hin und her, so dass wir beide auf dem neuesten Stand waren.
Als ich nach Hause kam, strömte mir ein wunderbarer Duft aus der Küche entgegen. Mum hatte gekocht. Sie fing erst morgen wieder an zu arbeiten.
»Na, Luis, du lebst ja noch!«, begrüßte sie mich und füllte mir meinen Teller voll mit Fleischklößchen und Kartoffelpüree. Ich lieferte einen Kurzbericht meines ersten Schultags ab und versuchte sie dann auszufragen, wie und wann sie eigentlich Dad kennen gelernt hatte. Weder mein Vater noch meine Mutter waren rothaarig und meine Ähnlichkeit mit Herrn Dr. von Duhn hatte mir doch zu denken gegeben. Kinder von Schuldirektoren müssen auch nicht sehr oft umziehen. Glaube ich wenigstens. Aber sie leugnete standhaft jede Bekanntschaft mit ihm. Dafür hatte sie eine Nachbarin kennen gelernt.
»Frau Da Gamba, eine reizende alte Dame. Sie ist Klavierlehrerin und wohnt nur zwei Häuser weiter. Praktisch, nicht wahr? Du sollst heute Nachmittag gleich einmal vorbei kommen.«
Tolle Neuigkeiten. Heute Nachmittag wollte ich eigentlich meine beiden Dachbodenfundstücke etwas genauer unter die Lupe nehmen. Außerdem hatte ich gehofft, das „Nachmittags - Beschäftigungsprogramm“ für Einzelkinder berufstätiger Eltern würde noch etwas auf sich warten lassen. Mit Sicherheit hatte Mum spätestens morgen heraus gefunden, wo es den nächsten Sportverein, Chinesisch - oder Finnisch - Kurs für Anfänger und einen super kreativen Malkurs gab. Obwohl, Klavier spielte ich tatsächlich ganz gern und das schon seit drei Jahren. Also machte sich der brave Sohn nach dem Essen auf den Weg. Und das war gut so, denn bei Frau da Gamba, die an und für sich schon eine besondere Erscheinung war, habe ich ihn wieder getroffen!
Ich läutete an der Eingangstür mit dem kleinen Messing-Schild:
- Klavierunterricht - alle Stufen.
Viola da Gamba -
Eine kleine Melodie ertönte, die nicht einfach nur verklang, sondern verrauschte wie eine Welle am Strand. Super Klingel – Sound für eine Klavierlehrerin; vielleicht kann ich mir den mal auf mein Handy herunter laden, dachte ich noch, als sich die Tür öffnete, ohne dass von innen Schritte zuhören gewesen wären. Da stand die zierlichste Frau, die ich je gesehen hatte und begrüßte mich mit meinem Namen, als hätte sie mich in genau diesem Moment erwartet. Das muss die Stadt der Rothaarigen sein, fuhr es mir durch den Kopf angesichts ihrer signalrot leuchtenden Haarpracht, die sie in einem Knoten gebändigt trug. Sie sah gleichzeitig uralt und sehr jung aus, und als sie mir in ihrem fremd aussehenden Gewand voran ging, schien es, als würde sie schweben. Der Eindruck wurde durch ihre eigentümlichen Schuhe verstärkt, die gebogene Absätze hatten und mit halbmondförmigen Spitzen bei jedem Schritt die Luft aufspießten. Wir begannen mit einer kleinen Aufwärmübung, aber leider fühlten sich meine Finger heute an wie Wiener Würstchen.
»Nicht auf die Tasten schauen, Luis.«
Bitte sehr, auf ihre Verantwortung. Auch gut, so konnte ich mich ein bisschen in dem Zimmer umsehen, während meine Finger die richtigen Töne suchten. Eine Wand hing voller Bilder: Nur Porträts. Gemalt, gezeichnet, fotografiert. Unter einigen standen Namen:
- Familie di Langusti
- Adolfo Scampinelli
- Ronja van Krebsen
- Enricus und Fenja Lobster. Pling! Meine Finger griffen erschrocken daneben. Was für ein Zufall. Unser Familienname ist sonst eher selten. In diesem Moment betrat er den Raum. Herr Egon! Er trug ein Tablett mit Limonade und stellte es auf einem Beistelltisch ab. War der Typ etwa der Diener der Klavierlehrerin? Jedenfalls verzog er nun spöttisch das Gesicht und kommentierte mein Können mit »Übung macht den Meister.«
Vor lauter Genugtuung, dass er kein Produkt meiner Fantasie war, überhörte ich die Beleidigung. Von wegen geträumt, Dad! Herr Egon war also tatsächlich ein Nachbar. Frau Da Gamba lächelte mich mit ihren meerblauen Augen an und legte aufmunternd ihre kühlen Hände auf meine. »Versuch es mit der nächsten Übung. Die hat Mozart mit sechs Jahren komponiert.«
Komponiert mit sechs! Das war ja wohl der glatte Hohn: Ich war doppelt so alt und nicht mal halb so begabt. Na ja, jedenfalls nicht im Klavierspielen.
Fünfundvierzig Minuten später (gefühlte fünfundvierzig Stunden) verabschiedete mich Frau Da Gamba mit der Ermahnung, ab jetzt doch regelmäßig zu üben. Und gleich erwarteten mich jede Menge Hausaufgaben. Üben, lernen, üben! Missmutig schloss ich die Haustür auf und fragte mich, wo der Spaß am Leben eigentlich blieb. Ein Zettel von Mum verkündete, dass sie einkaufen war. Das konnte nur bedeuten, dass nicht einmal der Kühlschrank mein Tröster in der Not sein würde. Wider besseren Wissens inspizierte ich ihn: Ein fast leeres Glas, in dem passenderweise noch ein Paar Wiener Würstchen schwamm und ein bereits angebrochener Schokoladenpudding waren die Ausbeute. So mit Proviant versorgt, fühlte ich mich dem Ernst des Lebens besser gewappnet und machte mich an den Aufstieg in mein Zimmer. Bevor ich mich aber dazu überwinden konnte, einen Blick in meine Schulbücher und Hefte zu werfen, nahm ich mein Mathe-Übungsheft aus dem Regal und schrieb eine kurze Aufstellung der offenen Fragen auf, die ich als nächstes mit Max durch gehen musste:
1. Warum hat Frau Da Gamba einen Diener?
2. Was hat der mitten in der Nacht auf dem Dachboden
unseres Hauses zu suchen?
3. Wer ist dieser kleine Freak und woher kommt er?
4. Wieso spricht er nur in Reimen, bzw. Sprichwörtern?
(Ich muss eine weitere Liste anlegen, mit den Sprichwör-
tern, die er bis jetzt von sich gegeben hat.)
5. Was hat es mit der Porträtsammlung dieser Klavierlehrerin
auf sich?