Читать книгу Luis Lobster und das Geheimnis von Nevermore - carla de bakel - Страница 8

Kapitel 5

Оглавление

Da stand ich also wieder draußen und überlegte, was zu tun sei mit diesem angebrochenen Nachmittag, als mir Platsch!, ein dicker Tropfen vor die Füße fiel. Und dann noch einer. Verwundert schaute ich hinauf in den Himmel. Es regnete noch gar nicht. Mein Blick streifte die Fassade des Theaters und die zwei Säulen, auf denen je eine kräftige Herkules-Statue kniete. Die beiden ließen ihre steinernen Muskeln spielen, um das Portaldach über dem Haupteingang zu stützen. Auf ihrer steinernen Stirn entdeckte ich Schweißtropfen, die in kleinen Bächen an ihren gut gebauten Körpern hinunter rannen. Ich blinzelte und stellte meine Augen scharf - aber es blieb dabei. Sie schwitzten wie Sau, die armen Kerle. Sollten etwa daher die Tropfen? Ich konnte den Satz nicht zu Ende denken, denn nun legte einer der beiden Muskelprotze eine Pause ein und hob das Dach herunter, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Es hing schon ganz schief und drohte abzustürzen. Im selben Moment öffnete sich die darunter liegende Eingangstür und eine Dame trat heraus. Jetzt blieb sie stehen und öffnete ihre Handtasche.

»Vorsicht! Weg da! Das Dach!« , schrie ich und sah die gute Frau schon unter riesigen Steinbrocken begraben. Sie ließ vor Schreck die Tasche fallen und sprang zurück. Ich nahm die Brille ab und rieb mir die Augen. Zwei, drei Sekunden vergingen und – es passierte nichts, überhaupt nichts; nicht einmal ein Krümel war herunter gefallen, und als ich zeitgleich mit der Dame wieder nach oben schaute, war dort alles in bester Ordnung.

»Also wirklich!« Ihr erstaunter Blick wanderte vom Dach zu mir. »Wenn das ein Scherz sein sollte, ist er dir ganz und gar nicht gelungen!« Empört hob sie ihre Tasche auf und ging kopfschüttelnd davon. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken, aber leider tat sich nirgendwo ein Spalt auf. Einfach zu peinlich, das Ganze. Ich schaute mich unauffällig um - Gott sei Dank war die Straße wie ausgestorben, so dass mir hoffentlich Zeugen dieser schwachsinnigen Aktion erspart geblieben waren. Ich setzte meine Brille wieder auf und spürte die Geldscheine in der Hosentasche. Knisternd erinnerten sie mich an mein Versprechen. Das Museum stand gleich neben dem Theater und war ein moderner Neubau mit Glasfassade, ganz ohne Schnörkel und Verzierungen figürlicher Art, wie ich aufatmend feststellte. Zwei dunkelrote Fahnen, die rechts und links vom Eingang des Museums hingen, verkündeten in Goldbuchstaben den Namen der Ausstellung:

MENSCHEN( S )KIND !

Als ich in der angenehm kühlen Eingangshalle ankam, saß dort hinter der Kasse eine Dame in einem strengen, blauen Kostüm, die bei meinem Anblick sofort begeistert lächelnd aufsprang. Ihre hochgetürmte, grauviolette Frisur geriet dabei bedenklich ins Schwanken, was sie jedoch nicht daran hinderte, munter auf mich ein zu plappern. So hatte sie mir schon eine Schülereintrittskarte verkauft, bevor ich meine Frage nach dem Katalog überhaupt stellen konnte. Da bis zum Beginn der Opernprobe immer noch ausreichend Zeit blieb, konnte ich ja tatsächlich einen Blick in die heiligen Hallen werfen. Als Bonus - Punkt für Mum, so zusagen. Also trabte ich den Flur entlang und betrachtete gelangweilt die Einzel- oder Gruppenporträts von Kindern aus längst vergangenen Jahrhunderten. Total uncool sahen die aus. Kein Wunder, dass sie mich so verdrießlich anstarrten; dann streckte mir eines der Gören die Zunge heraus, ein anderes rollte mit den Augen und wieder ein anderes zog eine scheußliche Grimasse. Ich starrte sie ungläubig an, doch sie vollführten immer tollere Kapriolen und ich machte, dass ich davon kam, bog nach rechts ab und stand in einem Saal, der der Modernisierung des Museums nicht zum Opfer gefallen war. Auch hier hingen Kinderporträts, die ich misstrauisch beäugte. Durch kassettenförmig geschliffene Oberlichter fiel Licht auf poliertes Parkett. In der Mitte bildete es die Form einer Windrose. Das würde Mum gefallen, hatte sie doch eine Vorliebe für historisches Ambiente - siehe unser Haus.

»Na, da ist er ja! Endlich …«

Klar und deutlich hörte ich die leicht nasale Stimme. Ich drehte mich um, aber außer mir war hier niemand.

»Ja, genau er! Sei er so gut, und komm er ein bisserl´ näher.«

Jetzt entdeckte ich den Sprecher, denn er bewegte sich in einem der Bilder. Ein Junge, vielleicht sieben, acht Jahre alt. Er trug eine weiße Zopfperücke und ein fliederfarbenes Jäckchen. Eine Farbe, die Alex noch in seiner Polohemden - Sammlung fehlte. Als ich immer noch nicht reagierte, fuchtelte er mir wild mit einem goldenen Degen vor der Nase herum und fiel vor Eifer fast aus dem Rahmen.

»Kann er mir seinen werten Namen nennen?«

»Luis«, antwortete ich baff und nahm die Brille ab. Ich hörte noch ein schrilles »Nein, bitt’ schön nicht !!«, dann war es wieder still, und nichts rührte sich mehr in dem Gemälde. Der Bildunterschrift konnte ich entnehmen, dass es sich um den jungen Johannes Chrysostomus Wolfgang Theophilus, kurz: Wolfgang Amadeus Mozart, handelte. Ein Promi, oho! Ich ging so dicht heran, wie es das rote Seil der Absperrung erlaubte und senkte meine Stimme vorsichtshalber zu einem Flüstern:

»Ey, Mozart, warst du das etwa? Hast du gerade, eh … mit mir gesprochen?«

Keine Antwort und erst recht keine Bewegung. Natürlich nicht, Mann. Kopfschüttelnd setzte ich die Brille wieder auf. Bilder pflegten nun einmal nicht zu sprechen, auch nicht, wenn sie berühmte Komponisten darstellten. Obwohl, heute war anscheinend alles möglich.

»Ja, ja, genau, ich bin’s! Wolfgang Amadeus, er kann auch Wolferl zu mir sagen! Aber lass‘ er ja die Geistersichtgläser auf der Nase, sonst bin ich verloren. Schließlich wart’ ich auf ihn nun schon ein ganzes Weilchen.«

»Was, auf mich?« Nun blieb mir doch die Luft weg. In diesem Moment betrat eine kleine Gruppe Museumsbesucher den Raum, angeführt von der Dame in Blau. Ich setzte ein möglichst harmloses Gesicht auf, pfiff ein bisschen vor mich hin und tat so, als hätte ich gerade eine SMS bekommen. Mein Gegenüber verdrehte genervt die Augen, schielte dann aber äußerst neugierig auf mein Handy. Die Führung fing am anderen Ende des Saals an und näherte sich uns mit aufreizender Langsamkeit. Das Wolferl fing an mit den Fingern ungeduldig auf seiner Weste herum zu trommeln. Ich sah mich unauffällig um, aber außer mir schien das niemand zu bemerken. Was ich nicht wirklich beruhigend fand.

»Meine Damen und Herren, junger Mann!« Die blaue Dame schenkte mir ein besonders herzliches Lächeln und stellte sich vor dem Gemälde in Positur: »Hier sehen wir ein Porträt des jungen Wolfgang Amadeus Mozart, eine Leihgabe des Mozartmuseums Salzburg. Mozart ist in einem Gala-Outfit zu sehen, das ein Geschenk der Kaiserin Maria Theresia an den jungen Künstler war. Die kostbaren Kleider stammen von den Kindern der Kaiserin, denen sie nicht mehr passten oder nicht mehr modisch genug waren. Mozart trägt somit Second-Hand-Mode.«

Dieser rümpfte die Nase und streckte der Dame die Zunge heraus. Ich erstarrte und dachte: Jetzt! Jetzt muss doch jemand aufschreien oder in Ohnmacht fallen - aber, es geschah nichts. Waren die denn alle blind? Stattdessen fuhr die Museumsführerin in ihrem Vortrag fort: »Wolfgang Amadeus Mozart wurde am 27. Januar 1756 in Salzburg geboren; das heißt, er wäre heute wie viele Jahre alt?« Suchend blieb ihr Blick an mir hängen. »Na, junger Mann, du kannst es uns bestimmt sagen …?«

Ich starrte erst sie, dann wieder Mozart in seinem Bild an. In meinem Kopf ratterten Zahlen.»Zweihundertsechs… undfünfzig.« Aber konnte das denn sein? Ich hatte doch gerade erst mit dem höchstens acht Jahre alten Knirps gesprochen.

»Wolfgang Amadeus war der Sohn des ehrgeizigen Hofkapellmeisters Leopold Mozart, der ihm schon mit drei Jahren Musikunterricht gab und, als er die Begabung des Kindes erkannte, diesem ein wahnsinniges Übungspensum verpasste.«

Ein tiefer und vor allem lauter Seufzer erschütterte das Porträt, den außer mir wieder keiner hörte. Die Dame in Blau wandte sich zum Gehen.

»So, meine Herrschaften, ich darf Sie noch kurz darauf hinweisen, dass in drei Tagen eine der berühmtesten Mozart-Opern bei uns am Stadttheater Premiere haben wird: Der Don Giovanni. Aber nun bitte hier entlang zum Ausgang, und vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!«

»Da staunt er, was?« Der Knabe in dem Bild starrte mich durchdringend an. »Mit seinem hässlichen Gewand kann er da nicht mithalten, aber seine Schuhe täten mir gefallen.«

Ich schaute auf meine Füße. Aha, meine alten blauen Chucks hatten es ihm also angetan. Kein Wunder, wenn man sonst in so schrägen Klamotten steckte. Das eben erwähnte Gala-Outfit bestand aus einem Anzug, der aus, wie schon gesagt, fliederfarbenem Stoff gefertigt war. Die Jacke war extrem eng und vermutlich sau-unbequem. Vorne wäre sie auf keinen Fall zum Schließen gewesen, denn sie klaffte gut zwanzig Zentimeter auseinander, sodass man auch die darunter sitzende prunkvolle Weste mit eingewebtem Rosenmuster und die weiße Spitzenkrawatte gebührend bewundern konnte. Weiter unten öffnete sich die Weste und ließ den Blick frei auf die ebenfalls sehr enge, nur bis zum Knie reichende Hose. Die Ärmel sahen aus, als könnte man sich in ihnen kaum bewegen, und aus ihren breiten, verzierten Aufschlägen quoll noch mehr Spitze hervor. Überall an den Rändern waren Goldborten, Goldknöpfe und goldene Quasten zur Verzierung angebracht. Auf halber Wadenhöhe endete das Bild.

»Endlich sind die Gaffer fort! Und nun hör er mir zu: Er scheint Verbindung zur Feenwelt zu haben, sonst hätte er die Gläser da nicht auf der Nase. Ist er gar der jüngste Nachkomme der großen Feenfamilie Lobster?«

Hatte der Kerl noch alle Tassen im Schrank? Feenfamilie Lobster? Etwas Komischeres hatte ich schon lange nicht gehört. Ich prustete los und stammelte mühsam und mit Tränen in den Augen: »Mein Nachname ist zwar Lobster, aber …«

»Dann passt’s schon.«, unterbrach er mich streng. »Er kennt sicher meine Oper Don Giovanni, von der gerade die Rede war?«

»Ja, also, so direkt eigentlich…«, weiter kam ich nicht. Der Typ ließ einen nie ausreden.

»Schon gut, der Don Giovanni ist ein Herzensbrecher der übelsten Sorte, und er geht über Leichen, versteht er?«

Während er mit Mühe seine Arme in der engen Jacke verschränkte und sich so bequem wie möglich in seinem Rahmen zurecht setzte, tauchte vor meinem inneren Auge ein anderer Herzensbrecher auf – Alex. Er kniete mit weiß gepuderter Zopfperücke und zartrosa Seidenhosen vor Pamina, und sein schmachtender Blick sprach Bände. Jetzt öffnete er den Mund, über dem kokett ein schwarzer Schönheitsfleck aufgemalt war, und fing an zu singen. Ich musste grinsen, als ich mir Paminas Gesicht vorstellte.

»Keine Ahnung, was er daran so amüsant findet!« Ein strenger Blick des kleinen Künstlers strafte mich. »Der Don hat eine Allianz gebildet mit der Königin der Nacht. Das ist wie eine doppelte Ladung negativer Energie. Das Gleichgewicht der vier Welten ist in großer Gefahr, und meine Wenigkeit sitzt noch immer fest in diesem verflixten Bild.«

Don Giovanni, Königin der Nacht – sonst noch was? Was quatschte der Kerl nur für ein Zeug? Vier Welten - aus welcher Fantasy-Reihe hatte er das bloß? Lauter werdendes Stimmengewirr kündigte bereits die nächste Besuchergruppe an und mein zappeliges Gegenüber fuhr mit einem gehetzten Blick auf die Saaltür fort: »Er muss mich hier herausholen! Es braucht im Ganzen viere. Das heißt, noch einen gleichgesinnten Menschen wie ihn, ferner einen weiteren großen Geist wie mich und von uns je ein bewegliches Teil, stellvertretend sozusagen. Komm´ er mit seinem Kompagnon übermorgen früh vor Sonnenaufgang um Schlag vier hierher. Alles Weitere wird sich dann finden. Ah, da fällt mir noch etwas ein: Solche Schuhe, wie er da trägt, könnt’ er mir mitbringen. Der Maler hat nämlich nur meine halben Beine aufs Bild gekleckst. Die Füß’ waren ihm wurscht. Da, schau er nur!« Anklagend streckte Mozart mir schnell einen nackten und vor allen Dingen nicht sehr sauberen Fuß aus dem Bilderrahmen entgegen. »Geh er nun. Servus, auf übermorgen.«

Der große Geist hielt die Audienz anscheinend für beendet, da jetzt wieder eine Gruppe Museumsbesucher den Saal betrat. Ich warf einen letzten Blick auf das Bild: Mozart war in seiner alten Pose erstarrt. Ein kleines, verschwörerisches Zwinkern versicherte mir allerdings, dass ich in keinster Weise geträumt hatte. Ich stöhnte auf und machte mir ein bisschen Sorgen. Um mich, versteht sich und auch ein kleines bisschen um meine Mum. Wie würde sie es verkraften, wenn sie erfuhr, dass ihr einziges Kind dabei war, den Verstand zu verlieren? Aber selbst wenn das alles keine Hirngespinste waren, wie stellte der Kerl sich das überhaupt vor? Mitten in der Nacht einfach in ein Museum hineinzuspazieren! Und wieso hatte dieser lila gerüschte Typ ausgerechnet mich ausgesucht? Weil ich angeblich aus einer großen Feenfamilie stammte? Ich stellte mir kurz Mum und Dad in langen pastellfarbenen Gewändern mit spitzen Ohren und durchsichtigen Flügeln vor! Das heiterte mich wenigstens so weit auf, dass ich mich wieder in der Lage fühlte, im Museumsshop noch den Katalog zu kaufen. Doch bevor ich den Ausgang erreicht hatte, wusste ich, dass das ein Fehler gewesen war: Das Ding zuckte in meiner Hand und fing an, wild mit den Seiten hin - und her zuschlagen. Natürlich erkannte ich den kleinen, lilafarbenen Kerl, der versuchte, sich durch die Seiten hinaus ins Freie zu zwängen.

»Hör auf damit, Mann. Wenn man dich sieht...«, flüsterte ich beschwörend auf den Katalog ein und klemmte ihn mir mit aller Kraft unter den Arm. Nichts wie weg mit dem Ding. Sollte meine Mutter doch ihren Spaß damit haben.

Als ich das Foyer des Theaters betrat, war von ihr aber noch nichts zu sehen. Also betrachtete ich die Vorstellungsplakate in ihren Rahmen und führte dabei möglichst unauffällig den stummen Kampf mit dem Katalog weiter. Mein Blick fiel auf das aktuelle Plakat, das die Premiere des Don Giovanni für den 22. Juni ankündigte. Mein B-Day. Super, auch das noch. War ja wohl klar, was meinen Eltern dann wichtiger sein würde. Mir lief ein Schauer über den Rücken und ich fröstelte. Okay, das war doof, aber sooo schlimm nun auch wieder nicht. Ein neuer Schauer überlief mich und endete in meinen Füßen, die in Sekundenschnelle zu Eisklumpen gefroren. Die Kälte breitete sich aus und hinterließ eine äußerst unangenehme Taubheit. Um mich zu wärmen, wollte ich von einem Bein auf das andere treten, doch ich stand da wie festgewurzelt. Ein stechender Schmerz in der linken Brust durchfuhr mich und ich bekam keine Luft mehr. Alarmglocken schrillten in meinem Kopf. Was war das? Keuchend ließ ich den Katalog fallen. Ein Schwall von Schimpfwörtern drang aus den geknickten Seiten, doch ich starrte wie gebannt in ein Paar grellgrüne Augen mit stechend schwarzen Pupillen, das mir aus dem Plakat entgegen leuchtete.

»Luis, Liebling! Ist dir nicht gut?«

Mum. Gott sei Dank! Ich schaffte es, mich von dem Plakat los zu reißen. Langsam setzte auch mein Verstand wieder ein. Das war nur ein Foto des Sängers, der mir da eiskalt entgegen lächelte. Ich schnappte nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenem und spürte, wie sich die eiserne Klammer lockerte, die sich fest um mein Herz gelegt hatte. »Hi, Mum. Geht schon wieder.« Ich bückte mich schnell und reichte ihr den gewünschten, wenn auch etwas ramponierten Katalog. Dick, schwer und vor allem ruhig lag er in ihrer Hand, und erleichtert atmete ich auf.

»Lieb, dass du daran gedacht hast. Aber was hast du denn da für eine lustige Brille auf?« Kopfschüttelnd küsste sie mich auf die Stirn, was ich in aller Öffentlichkeit wirklich hasste und befand dann erschrocken: »Du bist ja eiskalt! Und das bei der Hitze! Wirst du etwa krank?«

Danke, super Idee, dachte ich und griff nach diesem Strohhalm, denn die Lust auf die Don Giovanni - Probe war mir irgendwie gründlich vergangen. »Mmm, kann sein«, murmelte ich deshalb mit belegter Stimme, »mir ist schon den ganzen Tag so komisch.« Was ja nicht einmal gelogen war. »Ich glaube, ich geh nach Hause und komme dann lieber mit euch zur Premiere. Als Geburtstagsveranstaltung sozusagen, o.k.?«

Die Idee fand sie super und so stand ich eine Minute später wieder draußen, ihre Ermahnungen im Ohr, mir ja gleich einen heißen Tee und eine Wärmflasche zu machen. Ich hingegen hielt ein kleines Brainstorming für angebrachter und zwar auf der Stelle. Ich setzte mich auf die nächstbeste Treppenstufe und dachte nach. Seit wann hatte ich diese Visionen? Skully war die erste gewesen; heute Mittag. Dann vorhin die beiden Herkulesse. Danach die Kinder, dann das Mozart-Porträt, sowohl im Museum, wie im Katalog - und eben ein völlig normales Foto des Sängers des Don Giovanni. Die Hitze könnte bei den ersten zwei der Auslöser gewesen sein. Aber im Museum gab es Air Condition und im Theaterfoyer war es auch angenehm kühl. Also, Luis, denk nach, ermahnte ich mich. Gibt es einen gemeinsamen Nenner? Was passierte vor der ersten Erscheinung?

- Der Zoff mit Alex und Ben, unwichtig.

- Herr Egon, fast überfahren, unwichtig.

- Die Brille, das Geschenk von Frau Da Gamba. Geistersichtgläser hatte Mozart sie genannt. Na klar! Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Ich Trottel hatte jedes Mal diese Brille aufgehabt! Von wegen „nur ein Geschenk“. Ein Besuch bei Frau Da Gamba sollte mir doch wohl im wahrsten Sinne des Wortes mehr Durchblick verschaffen.

Luis Lobster und das Geheimnis von Nevermore

Подняться наверх