Читать книгу Jan und die Juwelendiebe - Carlo Andersen - Страница 5
Drittes kapitel Im Badehotel
ОглавлениеAm folgenden Tag reiste Frau Helmer mit ihren beiden Kindern ab. Jan und Lis hielten während der ganzen Fahrt durch Nordseeland tatsächlich Frieden, und Frau Helmer fand infolgedessen Ruhe, die schöne Landschaft zu genießen. Jan hatte ein spannendes Buch mitgenommen und Lis sich mit einem Haufen Zeitschriften versorgt, in die sie sich vertiefte, wenn sie nicht dem Beispiel der Mutter folgte und zum Fenster hinausschaute, um die prachtvolle Natur zu betrachten.
Das Badehotel von Storebäk lag vornehm zurückgezogen abseits von der Landstraße, aber nicht weit vom Strande entfernt. Zwischen Hotel und Strand gab es die herrlichsten Dünen mit weißem Sand, Strandhafer und geschützten Kuhlen, und von den Hotelfenstern hatte man eine prachtvolle Aussicht zur schwedischen Küste.
Jan zog sofort nach der Ankunft auf Entdeckungen aus, um die Umgebung näher kennenzulernen, die er von früheren Fahrradausflügen nur sehr flüchtig kannte. Noch nie zuvor hatte er in Storebäk gewohnt. Er stellte fest, daß das Gelände nördlich vom Hotel ziemlich steil anstieg, und daß der Hang mit Tannen bestanden war. Durch das Wäldchen führte ein gewundener Pfad, der sich oben fortsetzte. Einen halben Kilometer weiter stand das kleine Sommerhaus, das Vater Helmer vor wenigen Wochen erworben hatte.
Jan wanderte lange umher und betrachtete das Häuschen mit verliebten Blicken. Es hatte eine so schöne Lage und war zwar einfach, aber sehr solid gebaut, nach Art eines Blockhauses ganz aus Holz. Es mußte nur noch angestrichen werden; das wollten die Kinder selber tun. Im nächsten Sommer sollte dann ein Gärtchen angelegt werden, so daß man Blumen und Gemüse ziehen konnte. Jan wußte genau, wie alles werden sollte, und im Geiste sah er das Bild vor sich.
In der Nähe befand sich das Sommerhaus von Großhändler Krag, Erlings Vater. Es war erst in diesem Jahr erbaut worden, so daß Jan es noch nicht kannte. Er wanderte weiter, um es zu beaugenscheinigen, und sehr bald gelangte er zu der Entscheidung, daß es zwar neuer und größer, vielleicht auch moderner war, daß er jedoch das Haus vorzog, welches die Familie Helmer bald in Besitz nehmen sollte.
Von beiden Häusern führte eine steile Treppe hinab zum Strand, der hier von Millionen Kieseln bedeckt war und erst dicht am Ufer sandig wurde. Krags besaßen eine kleine Badebrücke, die über die Steine lief. Jan gelobte sich, im nächsten Sommer eine gleiche Badebrücke zu bauen; der Vater würde ihm sicher dabei helfen. Allzu schwer war das wohl nicht, und die Brücke würde gute Dienste tun, weil man dann nicht über all die Steine zu humpeln brauchte.
Jan kehrte um und machte sich auf den Heimweg. Er hatte ja nur einen kleinen Erkundungsgang unternehmen wollen, wie er es stets zu tun pflegte, wenn er an einen neuen Ort kam. Es war immer angenehm, die Umgebung zu kennen.
Das Hotel war sehr elegant, fast zu elegant. Das Gebäude hatte drei Stockwerke und viele Balkone, von denen man eine prächtige Aussicht über das Wasser genoß. Im Erdgeschoß entdeckte Jan den Speisesaal, den Ballsaal, das Rauchzimmer und die Bibliothek, doch fand er alle diese Räume ziemlich ungemütlich. Es waren fast keine Menschen zu sehen, denn die Saison war vorbei; nur wenige Dutzend Gäste hielten sich in dem Hotel auf. In der großen Halle, wo der Concierge hinter seinem Pult thronte, war es unterhaltsamer. Links von der Schranke befand sich eine hohe Mahagonitafel, an der die verschiedenen Zimmerschlüssel hingen. Neben jedem Schlüssel war ein Schildchen angebracht, aber die meisten trugen keinen Namen, weil das Hotel nicht einmal zur Hälfte besetzt war. Jan betrachtete interessiert die beiden Schildchen, die verrieten, daß Frau Helmer und Lis ein Doppelzimmer bewohnten, und daß Jan mit Boy ein Einzelzimmer teilte. Boy war vorläufig Lis überlassen worden, und Jan machte sich gerade Vorwürfe, daß er Boy auf dem kleinen Spaziergang nicht mitgenommen hatte, als Lis mit dem Hund plötzlich durch die Pendeltür hereinkam. Sie überreichte Jan die Leine und ging hinauf. Jan ließ sich in einem der tiefen Sessel nieder und streichelte Boy, während er ihn allen Ernstes wegen seiner Vergeßlichkeit um Entschuldigung bat.
«Ihr seid wohl sehr gute Freunde?» hörte er unvermittelt eine Stimme hinter sich.
Er blickte auf. Der Concierge hatte seinen Platz hinter der Schranke verlassen und musterte den Knaben und den Hund.
«Ja, aber Boy läßt nicht mit sich spassen. Rühren Sie ihn darum lieber nicht an», gab Jan zurück. «Er liebt Fremde nicht. Das ist ganz richtig so, denn ein Polizeihund darf nur diejenigen lieben, die er sehr, sehr gut kennt.»
«Natürlich. Aber ist er wenigstens ruhig? Ich meine, es dürfen nicht allzu viele Beschwerden kommen, weil er nachts bellt oder heult.»
«Da können Sie ganz unbesorgt sein. Boy ist sehr wohlerzogen.»
Der Hund setzte sich auf die Hinterbeine und betrachtete neugierig den Concierge.
«Es sind ja nicht mehr viele Gäste im Hotel», fuhr Jan fort.
«Ja, und bald ist es mit der Saison ganz aus, obwohl der Herbst dieses Jahr ungewöhnlich schön ist. Die Leute könnten hier noch prächtige Ruhetage verleben. Aber man ist nun einmal der Ansicht, daß man nur während der Badesaison an die Nordseeküste gehen kann.»
«Sagen Sie, dieser Herr Smith ... wohnt er noch hier?»
«Der mit dem Rembrandt? O ja, er wohnt noch hier. Er ist schon bald einen Monat bei uns.»
«Die Sache mit dem Gemälde ist sehr sonderbar. Hat er es inzwischen verkauft?»
«Nein, aber er verhandelt deswegen. Oft fährt er mit seiner Sekretärin zu diesem Zwecke für ein paar Tage fort. Dann kehrt er zurück, ohne etwas ausgerichtet zu haben, denn er fordert ja ein Vermögen für das Bild.»
«Wo hat er es untergebracht?» forschte Jan.
«In seinem Zimmer. Nachts hat er eine Pistole auf dem Nachttisch liegen. Ein Stubenmädchen hat das gesehen, als es ihm eines Morgens das Frühstück brachte. Er ist ein komischer Kauz.»
«Ist er jetzt hier?»
«Ja, er ist gerade zurückgekommen. Gestern nachmittag war er in Slagelse, um einen Herrn zu treffen, der das Gemälde kaufen wollte. Aber der Herr wurde nach Kopenhagen gerufen, und deshalb konnten sie überhaupt nicht mit ihm sprechen. Heute früh kamen sie unverrichteter Dinge zurück. Hoffentlich haben sie nächstes Mal mehr Glück.»
«Aber man braucht doch keine ganze Nacht, um von Slagelse hierher zu fahren? Sind sie wirklich erst heute früh wiedergekommen?»
«Ja, sie hatten nämlich eine Reifenpanne. Wahrscheinlich hatte Smith keine große Übung im Reifenwechseln, und die Sekretärin ist sicher nicht von großem Nutzen, wenn es sich um eine Autoreparatur bei Nacht und Nebel mitten auf der Landstraße handelt. Deshalb dauerte die Fahrt wohl länger, als sie gerechnet hatten. Du kannst mir glauben, die Stimmung stand auf dem Nullpunkt, als sie zurückkamen. Ich wurde übrigens so wütend ...»
«So, warum denn?»
Der Concierge beugte sich vertraulich zu Jan. «Er zankte mich aus, dieser Smith. Und dazu hatte er nicht die geringste Veranlassung. Er kam mit Fräulein Winther in die Halle ...»
«Ist das die Sekretärin?»
«Ja, das ist die Sekretärin. Sie folgte ihm mit dem kostbaren Bild, das in Packpapier eingeschlagen war, gab aber wie gewöhnlich keinen Mucks von sich – ich habe noch nie einen Menschen kennengelernt, der so wenig spricht wie sie. Noch dazu eine Dame! Das ist zum Lachen, was?»
«Ja, aber was war denn mit Walther Smith?»
«Na ja, er kam mit seinem Koffer, und was konnte ich da anderes tun, als zu ihm gehen und mich anbieten, den Koffer in sein Zimmer hinaufzutragen? Doch stell dir vor, da wurde er böse und zankte mich aus. ‚Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten!’ schimpfte er. ‚Ich werde es Sie schon wissen lassen, wenn ich Sie brauche.’ Ich wurde ganz wütend, aber was hätte ich antworten sollen? Ich hatte mich ja aus reiner Dienstbarkeit anerboten, seinen Koffer hinaufzutragen. Soll er nur seine Koffer selber schleppen, jawohl! Das ist doch keine Art und Weise, einen höflichen Menschen zu behandeln, wie?»
«Nein, natürlich nicht. Ich verstehe nur nicht, warum er so böse wurde, als Sie ihm den Koffer abnehmen wollten», gab Jan zurück.
«Wenn ich es verstünde, würde ich es dir sagen, aber ich ahne es ebensowenig wie du. Ich weiß nur, daß der Mann griesgrämig wie ein alter Kalender war, und daß er seine schlechte Laune an mir ausließ.»
«Und die Sekretärin äußerte nichts?»
«Ich sagte dir doch, sie ist stumm wie ein Birnbaum. Wenn ich sie nicht ein paarmal ja oder nein hätte murmeln hören, würde ich glauben, daß sie überhaupt nicht reden kann. Was so eine Sekretärin taugt, ist mir schleierhaft. Sie schreibt für ihn Briefe und ordnet seine Papiere, aber sie wäre sicher von größerem Nutzen, wenn sie ein bißchen aus sich herausginge, so daß sie den Hotelangestellten Bescheid geben könnte.»
«Ja, da haben Sie recht. Sagen Sie, hat er ein flottes Auto?»
«Einen wunderbaren Wagen. Vor drei Wochen hat er ihn gekauft. Einen großen, perlgrauen Sportwagen. Ich habe selten etwas so Elegantes gesehen. Er muß sehr viel Geld haben, wenn das Ganze kein Schwindel ist. So etwas erlebt man nämlich öfter. Die Leute tun, als ob sie steinreich wären, und dabei ist alles nur auf Abzahlung gekauft.»
«Wo ist Smith jetzt?»
«Er schläft. ‚Wir haben wegen der Reifenpanne die ganze Nacht kein Auge zugetan, und ich wünsche bis zwei Uhr nicht gestört zu werden’, sagte er. Dann soll man ihnen das Essen aufs Zimmer bringen.»
«Ich würde den Wagen schrecklich gerne sehen», erwiderte Jan.
«Dem steht nichts im Wege. Er ist drüben in der Garage. Aber du darfst ihn nicht anrühren, denn wenn Smith merkt, daß du in der Garage warst, dann kriegen wir alle – du auch – es mit ihm zu tun. Vielleicht wartest du mit der Betrachtung des Wunderwerkes, bis er ausfährt. Es ist ein Auto, das sich gewaschen hat.»
«Na ja, mal schauen», sagte Jan und erhob sich. Er nickte dem Concierge zu und ging mit Boy durch die Pendeltür.
Sie schritten um das Hotel herum und nahmen es in Augenschein; dann steuerte Jan auf die Garage zu, deren Türe spaltbreit offen stand. Er konnte sich doch nicht enthalten, den eleganten Wagen zu betrachten, den der griesgrämige Herr Smith sich vor drei Wochen gekauft hatte.
Ja, man mußte zugeben, daß es ein Prachtstück war. Ein großes, niedriges, perlgraues Auto mit roten Lederpolstern, dessen Metallteile blitzten. Der Wagen war ungewöhnlich schön und sehr eindrucksvoll; wahrscheinlich war er auch sehr schnell.
Jan untersuchte das Auto mit der Begeisterung, die jeder Junge für ein technisches Meisterwerk fühlt. Hinten waren zwei Reserveräder angebracht, die Jan näher betrachtete. Der eine Reifen hatte keine Luft. Das war offenbar der Reifen, der Walther Smith aufgehalten hatte. Jan konnte es sich nicht versagen, auf das Trittbrett zu steigen und in den Wagen zu blicken. Unter dem Hintersitz stand ein kleiner Koffer, wohl der Werkzeugkasten. Jan zog ihn hervor. Richtig, in diesem Koffer wurde das Werkzeug aufbewahrt. Da lag es glänzend und fein säuberlich angeordnet in kleinen Vertiefungen, so daß die Werkzeuge nicht rasselten, wenn der Koffer geschlossen war. Es gab Schraubenschlüssel, Zangen, Schraubenzieher und Universalschlüssel, und was am bedeutungsvollsten war, kein Stück trug Spuren von Schmutz oder Öl. Alles sah tipptopp und unbenutzt aus.
Jan schloß den Koffer und sprang vom Trittbrett hinunter. Ein Weilchen stand er da und kratzte sich am Kopf, dann drehte er sich um und verließ die Garage, deren Türe er sorgfältig hinter sich zumachte.
Boy schaute ihn verwundert an, als wollte er sagen: ‚Was soll das heißen, Jan? Meldet sich wieder der Detektiv in dir, alter Kamerad?’