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Zweites Kapitel
ОглавлениеDer Heimfallsfund
Jespers Onkel und Tante wohnten in einer schönen Villa am Rande der Stadt. Die Buben wurden von ihnen mit grosser Freundlichkeit aufgenommen. Man sah auf den ersten Blick, dass Herr Berg sehr wohlhabend war. Aber der Reichtum freute ihn offenbar nicht sehr. Obwohl er grosse Liebenswürdigkeit zeigte, merkte Jan schnell, dass er Mühe hatte, seine Nervosität zu verbergen. Irgend etwas musste ihn bedrücken.
Wie es schien, hatte Jesper seinem Onkel schon allerlei über Jan erzählt; denn während der Tisch zum Mittagessen gedeckt wurde, sagte Herr Berg ohne weitere Umschweife: «Mein Neffe hat mir viel von dir erzählt, Jan. Vielleicht kannst du mir helfen, ein Rätsel zu lösen, das mir sehr zu schaffen macht ...»
Jan hob abwehrend die Hand.
«Keine falsche Bescheidenheit, Jan!» fuhr Herr Berg fort. «Vielleicht kannst du mir helfen, vielleicht auch nicht.»
«Worum handelt es sich denn?» fragte Jan vorsichtig.
Herr Berg überlegte einen Augenblick und schaute die Buben forschend an. «Ich bin sicher», begann er, «dass ich mich auf euch verlassen kann. Ich werde also die Karten offen auf den Tisch legen. Ungefähr fünf Kilometer von der Stadt entfernt beginnt Knudshoved Odde, eine schmale Landzunge, die fünfzehn Kilometer weit ins Meer hinausragt. In der Mitte der Landzunge liegt ein kleiner Wald, und in der Nähe dieses Waldes besitze ich ein Sommerhaus. Als ich eines Tages im Walde spazierenging, stiess mein Fuss gegen einen Gegenstand. Ich bückte mich, um zu sehen, was es war, und da erlebte ich eine grosse Überraschung. Es war ein schwerer Armring mit wunderschönen Verzierungen.»
«Ein Heimfallsfund?» fragte Erling interessiert.
«Ja», bestätigte Herr Berg leicht erstaunt. «Als ich den Ring von der Erde gereinigt hatte, sah ich, dass er aus Gold war, und dass es sich um ein sehr altes Schmuckstück handelte. Es stammt vielleicht aus derselben Zeit wie das berühmte Goldhorn, das in Nord-Schleswig gefunden wurde.» Er wandte sich lächelnd an Erling: «Du scheinst ja etwas von diesen Dingen zu verstehen. Weisst du auch, was das merkwürdige Wort ‚Heimfallsfund‘ bedeutet?»
Erling nickte. «Alle Zeugnisse einer vergangenen Kultur, die man irgendwo in Dänemark findet, fallen dem Staat anheim und müssen daher abgeliefert werden.»
«Richtig!» sagte Herr Berg. «Hast du dich schon näher mit Heimfallsfunden beschäftigt?»
«Nein, das nicht», erwiderte Erling. «Aber ich interessiere mich für die Geschichte unseres Landes, und die Heimfallsfunde sind ja für die Kenntnis der Kultur unserer Vorväter von grosser Bedeutung.»
Herr Berg nickte beifällig. «Ja, das sind sie. In alter Zeit mussten alle derartigen Funde an den König abgeliefert werden. Jetzt gehören sie dem Staat, und man ist verpflichtet, die Behörden zu unterrichten, wenn man etwas dergleichen gefunden hat. Man erhält dann den Goldwert ausbezahlt und ausserdem eine Belohnung, deren Höhe von der archäologischen und ethnographischen Bedeutung des Fundes abhängt. Doch nun kommt etwas sehr Betrübliches ...» Er strich sich über die Stirn und fuhr nach einer kurzen Pause fort: «Am Abend nahm ich den Goldschmuck mit nach Hause. Am nächsten Morgen aber war er verschwunden ...»
«Gestohlen?» fragte Jan gespannt.
«Eine andere Erklärung gibt es leider nicht», antwortete Herr Berg ernst. «Ich muss mir selbst den Vorwurf machen, dass ich wohl etwas leichtsinnig gewesen bin. Da ich gar nicht auf den Gedanken kam, dass ein Dieb ins Haus eindringen könnte, um sich ausgerechnet den Goldring zu holen, hatte ich das Schmuckstück in die unverschlossene Schublade meines Schreibtisches gelegt. Am nächsten Morgen wollte ich die Behörde von meinem Fund unterrichten. Aber ... ich unterliess es. Ich habe weder etwas von meinem Fund noch von dem Diebstahl gemeldet.»
«Weshalb nicht?» erkundigte sich Jan.
Herr Berg stand auf und ging nervös im Zimmer auf und ab. Schliesslich blieb er stehen und sagte: «Also hört zu! Leider habe ich den Verdacht, dass einer von den Hausbewohnern der Dieb ist. Ich bin meiner Sache aber keineswegs sicher und möchte den Verdacht nicht auf einen Unschuldigen lenken.»
«Und wen haben Sie im Verdacht?» fragte Jan, als Herr Berg verstummte.
«Meinen eigenen Sohn», seufzte Herr Berg. «Leider. Als ich am Abend mit dem Schmuck nach Hause kam, zeigte ich ihn meiner Frau und meinem Sohn, und Jörgen war dabei, als ich ihn in die Schublade meines Schreibtisches legte.»
Die Buben machten sehr ernste Gesichter, und Jans Stimme klang etwas unsicher, als er fragte: «Haben Sie früher schon Grund gehabt, an der Ehrlichkeit Ihres Sohnes zu zweifeln, Herr Berg?»
Herr Berg schüttelte den Kopf. «Nein, nie. Jörgen ist ein guter Junge. Er ist unser einziges Kind. Aber ... in der letzten Zeit ist er in schlechte Gesellschaft geraten. Es gibt hier in der Stadt einige sehr leichtsinnige junge Menschen, die viel Geld brauchen und stets auf ihr Vergnügen aus sind. Leider hat Jörgen sich mit der Schwester eines dieser jungen Menschen verlobt ...»
«Ist sie auch nicht viel wert?» fragte Jan.
«Darüber bin ich mir nicht klar», erwiderte Herr Berg. «Ich kenne sie zu wenig. Das klingt vielleicht etwas sonderbar, aber wegen ihres Bruders sehe ich sie nicht gern bei uns im Hause, obwohl die Verlobung mit Jörgen durchaus kein Geheimnis ist.»
Jan schien zu überlegen. Endlich sagte er: «Offen gestanden, Herr Berg, sehe ich nicht, wie wir Ihnen helfen könnten. Ich verstehe natürlich, dass es Ihnen schwerfällt, aber das richtigste wäre doch, Sie machten eine Anzeige bei der Kriminalpolizei.»
«Die Sache liegt nicht so einfach, wie du denkst», entgegnete Herr Berg, den Kopf schüttelnd. «Ich wurde ja nicht bestohlen. Der Goldring war ein Heimfallsfund; er gehörte dem Staat von dem Augenblick an, als ich ihn zufällig entdeckte. In Wahrheit wurde also der Staat bestohlen, und das macht die Sache sehr verwickelt. Deshalb liegt mir unendlich viel daran, den Schmuck wieder herbeizuschaffen, damit ich ihn bei der Behörde abliefern kann.»
«Vielleicht ist er schon eingeschmolzen», wandte Erling ein. «So etwas ist schon vorgekommen.»
«Das ist ziemlich ausgeschlossen», sagte Jan. «Der Dieb selber kann das sicher nicht, und er findet auch nicht so ohne weiteres einen Menschen, der es für ihn besorgt. Vermutlich wartet er auf eine günstige Gelegenheit, um den Schmuck zu verwerten. Aber bringt uns das weiter?»
«Vielleicht doch», meinte Herr Berg. «Jörgen hat seinen Kameraden von dem Fund erzählt. Eines Abends brachte er ein paar von ihnen mit, und der eine – er heisst Georg – wollte durchaus wissen, wo ich den Schmuck gefunden habe. Er wusste nur, dass es in der Nähe des Waldes auf der Landzunge gewesen war, und ich fühlte natürlich keinerlei Veranlassung, ihm nähere Erklärungen zu geben. Nun habe ich gehört, einige junge Leute hätten in den letzten Tagen im Walde herumgestöbert. Es ist nicht schwer zu erraten, was sie dort gesucht haben.»
«Ja, das ist wirklich nicht schwer zu erraten», sagte Erling. «Gewöhnlich besteht so ein alter Schmuck aus mehreren Stücken. Natürlich hoffen sie, die andern Teile zu finden, und wenn sie genau wüssten, wo der Ring gefunden wurde, wäre es wohl denkbar, dass sie mit ihrer Suche Erfolg hätten.»
«Ich weiss wirklich nicht, was ich tun soll», sagte Herr Berg. «Ich denke aber, wenn ihr Buben draussen bei dem Walde eine Weile kampieren würdet, könntet ihr vielleicht diese oder jene Beobachtung machen. Möglicherweise gelingt es uns dann, das Rätsel zu lösen, ohne dass die Kriminalpolizei herangezogen werden muss. Jesper hat mir so viel von dir erzählt, Jan, dass ich glaube, du könntest mir bei dieser peinlichen Sache vielleicht helfen.»
Jan wurde rot. «Es ist sehr nett von Jesper, dass er so von mir gesprochen hat, aber Wunder können wir auch nicht vollbringen.»
«Versucht es wenigstens!» bat Herr Berg. «Ich habe bereits dafür gesorgt, dass ihr euer Lager am Walde aufschlagen dürft. In dem nahe gelegenen Gehöft könnt ihr Milch und Wasser bekommen. Es ist sehr schön dort draussen, und ihr versäumt sicher nichts, wenn ihr euch eine Woche lang auf der Landzunge aufhaltet.»
Schliesslich willigte Jan ein. Für seine Kameraden war es selbstverständlich, dass sie seinen Entschluss billigten. Herr Berg stellte ihnen vier Fahrräder zur Verfügung. Da sich in der Gegend des Waldes keine Anlegebrücke befand, wo sie ihr Segelboot hätten vertäuen können, musste die «Rex» einstweilen im Vordingborger Hafen liegen bleiben.
«Wann kommt Ihr Sohn nach Hause, Herr Berg?» fragte Jan.
«Zwischen vier und fünf; das Büro, in dem er arbeitet, schliesst um vier Uhr. Warum willst du das wissen?»
«Ich würde ihn gern sehen, möchte aber nicht, dass er uns kennenlernt.»
Auch diese Sache wurde geordnet. Es wurde vereinbart, dass sich Jan und Jesper um vier Uhr in der Nähe von Jörgens Büro einfinden sollten.
Nach dem Mittagessen, an dem selbst Erling nicht das geringste auszusetzen hatte, kehrten die Buben nach dem Hafen zurück, wo sie ein paar vergnügte Stunden verbrachten. Sie waren alle in glänzender Stimmung, sogar Erling, der es eigentlich gar nicht schätzte, wenn sich Jan Gelegenheit bot, sich als Detektiv zu betätigen. Seiner Meinung nach kam für sie dabei im allgemeinen nichts anderes heraus, als dass sie um den ungestörten Genuss ihrer Ferien gebracht wurden. Diesmal aber lag die Sache anders. Die Geschichte der nordischen Länder war stets sein Lieblingsfach gewesen, und der Gedanke, dass sie bei dem Versuch, den Diebstahl aufzuklären, vielleicht noch auf andere Zeugnisse einer alten Kultur stossen würden, hatte für ihn viel Verlockendes.
Als die Zeit gekommen war, machten sich Jan und Jesper auf den Weg. Am Ende der langen Hauptstrasse blieb Jesper stehen und sagte: «Mein Vetter arbeitet in dem Haus dort an der Ecke. Wenn er uns nicht sehen soll, ist es das beste, wir warten hier. Aber weisst du, Jan, wenn du meine Meinung hören willst, so traue ich Jörgen nichts Schlechtes zu.»
«Ich auch nicht, Krümel. Jedenfalls nicht, solange seine Schuld nicht erwiesen ist. Wir wollen uns hier im Torweg verstecken.»
Nach ein paar Minuten zupfte Jesper seinen Freund am Ärmel und raunte ihm zu: «Du, Jan, das junge Mädchen da drüben ist Jörgens Braut!»
Jan blickte vorsichtig in die angedeutete Richtung und sah ein blondes junges Mädchen, das ein geblümtes Sommerkleid trug und langsam auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig auf und ab ging. Wahrscheinlich wartete sie auf ihren Verlobten. Jan fand, sie mache einen etwas niedergeschlagenen Eindruck.
Kurz darauf sagte Jesper leise: «Da kommt Jörgen!»
Aus dem Hause an der Ecke trat ein schlanker junger Mann. Er mochte Anfang der Zwanzigerjahre sein und hatte ein sonnverbranntes, scharf geschnittenes Gesicht. Seine Bewegungen waren sichtlich nervös, und er schaute sich unruhig um, bevor er sich dem jungen Mädchen näherte. Sie wechselten einige Worte und gingen dann Seite an Seite die Strasse hinunter. Ihre lebhaften Gesten verrieten, dass sie irgend etwas eifrig besprachen. Sie wandten sich nach den alten Burgruinen am Gänseturm.
Jan stand einen Augenblick unentschlossen und sagte dann schnell: «Krümel, du kehrst jetzt zu den andern zurück. Ich möchte deinem Vetter und seiner Verlobten folgen. Pass aber auf, dass Jörgen dich nicht sieht!»
«Ich schlage einen anderen Weg ein», erklärte Jesper und verschwand.
Jan blieb noch etwas in seinem Versteck, um das Brautpaar einen Vorsprung gewinnen zu lassen. Dann machte er sich an die Verfolgung. Er hatte den Vorteil, dass er nicht besonders vorsichtig zu sein brauchte, da die beiden ihn ja nicht kannten. Wenn sie hin und wieder stehenblieben, folgte er ihrem Beispiel und betrachtete die Auslagen in irgendeinem Schaufenster. Jörgen und seine Verlobte schienen verschiedener Meinung zu sein; denn sie diskutierten eifrig miteinander. Sie hatten jetzt den offenen Platz am Schlossberg erreicht und überquerten ihn. Jan zögerte, weil er als «Verfolger» den offenen Platz scheute. Es blieb ihm aber nichts anderes übrig, als den beiden zu folgen, wobei er nach Möglichkeit Deckung hinter den vielen Autos nahm, die auf dem Schlossplatz parkten.
Jörgen und seine Begleiterin wanderten eine Weile zwischen den Ruinen umher und setzten sich schliesslich auf eine Bank. Jan, der sich ihnen bis auf etwa zwanzig Meter genähert hatte, zog sich schnell hinter einen Mauerrest zurück. Er war ziemlich sicher, dass sie ihn noch nicht entdeckt hatten. Ob er sie wohl belauschen konnte? Gern tat er das nicht; aber in gewissen Fällen konnte man sich doch gezwungen sehen, gegen seine Empfindungen zu handeln.
Lautlos wie ein Indianer schlich Jan, sich hinter verwitterten, moosbewachsenen Mauerresten verbergend, immer näher an die Bank heran. Schliesslich hatte er eine Stelle erreicht, die ihm günstig erschien. Er befand sich jetzt über den Köpfen der beiden.
Das erste, was er hörte, liess ihn sofort aufhorchen. Jörgen sagte zornig: «Du musst, Inge! Vater verdächtigt mich ...»
«Das weisst du doch nicht mit Sicherheit», unterbrach sie ihn. Die Tränen schienen ihr nahe zu sein.
«Doch, ich weiss es. Und ich halte es nicht länger aus. Wenn du mich lieb hast, dann tust du, was ich dir sage.»
Das junge Mädchen begann zu schluchzen.
Da geschah etwas Unerwartetes. Das Mauerwerk, auf dem Jan lag, war mürbe. Ein kleines Stück löste sich und rollte über den Weg. Inge stiess einen leisen Schrei aus: «Was war das, Jörgen?»
Jörgen sprang auf. Aber Jan war schneller. Im Nu glitt er von seinem Horchposten hinunter und brachte sich in Sicherheit.
«Wer zum Teufel lauscht da?» hörte er Jörgens zornige Stimme. Er wartete aber die weitere Entwicklung der Dinge nicht ab, sondern machte sich lautlos davon. Wenig später war er wieder auf dem Schlossplatz angelangt und nahm hinter den parkenden Autos Deckung. Er blickte sich sorgsam um, aber Jörgen war ihm nicht gefolgt. Da kehrte er schnell zu seinen Kameraden an Bord des Segelboots zurück.
«Hast du etwas herausgefunden, Jan?» fragte Jesper neugierig.
«Ich denke wohl», erwiderte Jan. «Aber Näheres kann ich noch nicht sagen. Ich habe meine Vermutungen. Vielleicht sind sie sehr töricht.»
«Was vermutest du denn?»
«Diese Frage möchte ich einstweilen unbeantwortet lassen, Krümel. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass wir allerlei erleben werden, wenn wir unser Zelt auf der Landzunge aufgeschlagen haben.»
«Kann ich etwas tun?» fragte Carl.
«Wir wollen es abwarten», lachte Jan. «Man weiss ja nie, was geschieht. Aber es ist ein beruhigendes Gefühl, dass du bei uns bist.»
«Ich stehe jederzeit zur Verfügung, wenn du mich brauchst», sagte Carl. «Das weisst du ja.»