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Ein Neuanfang im Schmuckkästchen
ОглавлениеHeute war wieder einmal einer der grauen, trüben Tage.
Der Nebel schlich langsam, in dicken Schwaden, über die Felder, die man nur schemenhaft erkennen konnte. Von der Landschaft war sonst nichts zu sehen.
Hier sollte sie sich wohlfühlen? In dieser kalten, unwirklichen, einsamen Gegend?
Klar, sie wollte neu anfangen. Allem entfliehen. Aber wenn sie aus dem Fenster schaute und sah, wie trostlos ihre neue Heimat vor ihr lag, zweifelte sie, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte. War es ein Fehler, diesen Job anzunehmen?
Neugierig war sie schon auf diesen kleinen Ort und den Laden, den sie übernehmen wollte. Sie hatte sich sofort in den kleinen Laden auf den Bildern verliebt, die ihr die Vermieter und Besitzer zugeschickt hatten. Deshalb nahm sie das Angebot auch sofort an. Die Miete für den Laden und die kleine Wohnung, die man ihr anbot, war erschwinglich.
Eigentlich sollte sie sich freuen. Endlich fing ihr neues Leben an. Ihre Eltern ermunterten sie auch dazu. Sie konnte von vorne beginnen.
Der Zug lief im kleinen Bahnhof ein. Der Nebel hatte sich gelichtet. Die Sonne kam hervor und hüllte den kleinen romantischen Bahnhof in gleißendes Licht.
Sie stieg langsam aus und sah sich um. Das musste das Ehepaar sein, dass sie abholen wollte.
Die Beiden kamen freudestrahlend auf sie zu.
„Herzlich willkommen. Wir freuen uns sehr, sie endlich kennenzulernen.“
Das Ehepaar umarmte sie. Die Begrüßung war wirklich sehr herzlich.
„Ich freue mich auch und bin schon sehr gespannt, auf den kleinen Laden.“
„Wir fragen uns nur, warum sie in diesem kleinen Ort leben wollen. Da draußen wartet die große, weite Welt auf sie.“, schaute Herr Becks sie fragend an.
„Ich hatte genug von dieser hektischen Welt.“, entgegnete sie nur kurz.
„Na, dann kommen sie mal mit.“
Johanna Becks nahm sie am Arm und führte sie zu ihrem kleinen Wagen.
Die Fahrt war kurz. Die Landschaft zeigte sich jetzt, ohne Nebel und im hellen Sonnenlicht, von
ihrer schönsten Seite. Die Straße war mit großen, grünen Bäumen gesäumt. Gelbe Stoppelfelder verströmten den Duft von gemähtem Korn. Die Wiesen dazwischen leuchteten in saftigem Grün.
Man konnte schon den Ort sehen. Sanna atmete die frische Luft tief ein. Plötzlich war sie sich sicher, dass dies die richtige Entscheidung war.
Sie fuhren durch die Straßen, bis sie vor einem kleinen, wunderschönen Laden hielten. Der Ort kam ihr doch größer vor, als sie dachte. Denn der Laden lag in einer kleinen Fußgängerpassage, in der ein paar Menschen unterwegs waren.
Vor dem Geschäft stand eine kleine einladende Bank. Daneben stand ein wunderschöner Kastanienbaum und spendete Schatten.
Der Laden war blau gestrichen und in dem kleinen Schaufenster standen bunte Kübel mit frischen Blumen in vielen verschiedenen Farben.
„Das ist jetzt ihr Laden.“, lächelte Ed.
Er öffnete die Tür und der Duft der Blumen strömte ihnen entgegen.
Sanna schaute sich um. Überall standen kleine Kunstgegenstände auf den Regalen, zwischen den Pflanzen und Blumenkübel. In einer Ecke standen sogar drei kleine Tische mit Stühlen, auf denen man sich ausruhen und die Blumenpracht bestaunen konnte.
„Der Laden ist wunderschön.“, staunte Sanna.
„Hier saßen so manche unserer Kunden, bevor sie sich für einen Blumenstrauß entschieden.“, zeigte Johanna auf die Sitzgruppe.
„Das ist schön. Eine gute Idee. Vielleicht kann ich ihnen noch einen Kaffee oder sonst irgendwas anbieten. Ich werde mir was überlegen.“
Sanna hatte da schon so eine Idee.
„Die Wohnung liegt gleich nebenan.“
Johanna ging voran und zeigte ihr alles.
„Wow. Die Wohnung ist ja wunderschön. Sie haben hier nicht gewohnt?“, wollte Sanna wissen.
„Nein. Sie gehörte unserem Sohn. Doch er musste beruflich ins Ausland. Wird wohl auch nie mehr zurückkommen.“, berichtete Johanna.
„Er besucht uns natürlich, so oft er kann. Aber hier leben will er nicht.“, berichtete Ed.
„Mittlerweile lebt er mit seiner Lebensgefährtin zusammen. Also stehen die Chancen noch schlechter,
dass er wieder zurückkommt. Sie möchte hier nicht leben.“, erzählte Johann weiter.
„Sie ist sehr modern eingerichtet. Das hätte ich nicht gedacht. Es fehlt an nichts.“
Sanna war überrascht. Die Wohnung war geschmackvoll eingerichtet. Vom Wohnzimmer ging eine Tür zur Terrasse und in den Garten. Der hatte es Sanna sofort angetan. Es blühten hunderte Blumen in vielen Farben. Einige Sträucher waren ebenfalls in voller Blüte. Der Garten war klein, aber ein Paradies.
„Ich bin überwältigt. Wer von ihnen hat einen solch guten Geschmack?“, wollte sie wissen.
„Es war unser Sohn. Er hat die Wohnung eingerichtet und den Garten angelegt. Dann kam der Auftrag der Firma, in der er arbeitet und er musste das alles hinter sich lassen. Am Anfang fiel es ihm nicht leicht, aber mittlerweile gefällt es ihm dort, wo er jetzt lebt gut und er möchte nicht mehr zurück.“
Ed war nicht begeistert, als er darüber berichtete.
„Schade, dass es ihm hier nicht mehr gefällt. Es ist wunderschön hier. Einfach alles. Der Laden, die Wohnung, die Umgebung, der Ort. Obwohl ich noch nicht alles gesehen habe, fühle ich mich schon wohl. Es war gut, wie ich mich entschieden habe.“, lächelte sie die beiden an.
„Wir sind froh, dass sie hier sind. Unser Geschäft übernehmen und der Wohnung endlich wieder Leben einhauchen.“, freute sich Johanna.
„Ja, sie stand lange genug leer.“, nickte Ed.
„Wir haben alles ganz besonders gut geputzt.“
„Das war doch nicht nötig. Ich hätte es doch machen können. Aber danke.“
„Ich hole mal ihr Gepäck. Ist das eigentlich alles, oder kommt noch etwas nach?“, staunte Ed, über die wenigen Koffer.
„Das ist alles. Ich musste und wollte einiges zurücklassen. Und das war gut so.“, schaute Sanna etwas traurig.
„Es sind wohl keine schönen Erinnerungen?“, streichelte Johanna ihr über den Rücken.
„Nein, das sind sie nicht.“, gab Sanna kurz zur Antwort.
Ed und Johanna wollten sie nicht weiter bedrängen.
„Wir werden sie jetzt mal alleine lassen, bis sie sich eingerichtet haben. Morgen zeigen und erklären wir ihnen alles weitere. Sind sie einverstanden?“
„Aber ja, nochmal danke.“
Sanna schaute sich erneut in der Wohnung um. Geschmack hatte er, dass musste man ihm lassen. Vieles musste sie nicht verändern. Ein paar Sachen
wollte sie umstellen. Aber alles in allem konnte sie alles so lassen. Die Wohnung gefiel ihr. Wahrscheinlich hätte sie sie sogar so ähnlich eingerichtet. Gerne hätte sie den Menschen kennengelernt, der einen solch guten Geschmack hat.
Sie räumte ihre Sachen ein und stellte noch ein paar Gegenstände um.
Als sie im Wohnzimmer einige Schubladen füllte, fiel ihr ein Bild in die Hände. Darauf war ein junger Mann mit einer bildhübschen Frau zu sehen. Sollte das der Sohn der Fam. Becks sein? Sie hatten das Bild anscheinend übersehen. Sie wollte es ihnen morgen übergeben.
Sanna schaute sich das Foto genau an. Er sah glücklich auf dem Foto aus. Mit dieser Frau an seiner Seite, sicher kein Wunder.
Sie konnte gut verstehen, dass er nicht mehr zurück wollte. Vor einiger Zeit, hätte sie noch genauso gehandelt.
Er sah gut aus, der Sohn von Fam. Becks.
Schnell legte sie das Foto beiseite. Sie wollte nochmal in den Laden gehen. Aus diesem Laden wollte sie etwas ganz besonderes machen. Die Ecke mit den Tischen und Stühlen eignete sich geradezu dafür. Dort wollte sie ein paar Regale mit Büchern aufstellen. Die konnte man dort lesen, ausleihen oder kaufen. Kaffee wollte sie anbieten, um die Besucher länger in ihrem Laden zu halten. In aller Ruhe sollten sie sich ihre Pflanzen, Sträuße oder Gestecke aussuchen können. Die kleinen Kunstgegenstände wollte sie noch ergänzen. Es sollte ein „Wohlfühlladen“ werden. Zum Kaffee wollte sie noch selbstgebackenes Gebäck reichen. Die Kunden sollten sich miteinander unterhalten können und Neuigkeiten austauschen. Dabei Kaffee trinken, lesen und ein paar Blumen kaufen, an denen sie sich zu Hause erfreuen konnten.
Mit diesen Gedanken fiel sie ins Bett und schlief zum ersten mal, seit langer Zeit, tief und fest.
Am Morgen rief sie ihre Eltern an und berichtete ihnen glücklich und freudestrahlend.
„Du hast das Richtige getan, Sanna. Du kannst dir jetzt ein neues Leben aufbauen und alles hinter dir lassen. Wir wünschen dir alles Gute dabei.“, sagte ihre Mutter.
„Aber ihr kommt mich schon irgendwann mal besuchen?“
„Aber sicher.“, meldete sich ihr Vater im Hintergrund.
„Versprecht es.“
„Versprochen. Jetzt fühl du dich zuerst einmal zu Hause.“
Sanna versprach, dass sie einmal die Woche anrufen würde.
„Hallo? Guten Morgen. Sanna sind sie schon auf?“, wollte Johanna wissen.
„Na klar. Habe gerade mit meinen Eltern gesprochen. Wir können gleich loslegen. Möchte jemand noch einen Kaffee?“
„Ja gerne.“, meldete sich Ed.
Sie setzten sich zusammen und klärten noch die letzten Einzelheiten.
Sanna erzählte ihnen, was für Veränderungen sie vor hatte.
Ed und Johanna waren begeistert.
„Das ist eine famose Idee. Warum sind wir nicht darauf gekommen. Das steigert den Umsatz und trägt zum Kennenlernen der Kundschaft bei.“, stellte Ed fest.
„Ich werde auch etwas Gebäck backen. Bin gespannt, wie die Kunden die Neuerung annehmen. So kommen die Menschen ins Gespräch. Einige werden in der Ecke sitzen und lesen, andere sich über Gott und die Welt unterhalten und die Blumen betrachten.“, lächelte Johanna.
„Ich hoffe, es wird gut angenommen. Übrigens, habe ich ein Foto gefunden. Das wollte ich ihnen noch geben. Ist das ihr Sohn?“
„Oh, haben wir wohl übersehen. Ja, das ist David, mit seiner Lebensgefährtin. Das Bild stand immer im Wohnzimmer auf einem Regal.“
Johanna schaute das Foto lange an. Sie vermisste ihren Sohn sehr.
„Meine Frau macht es sehr viel aus, dass er nicht mehr hier ist. Aber was soll man tun. Er hat seine Arbeit dort und hat sich auch dort verliebt. Man kann nicht erwarten, dass seine Lebensgefährtin mit ihm in diesen kleinen Ort zieht. Sie ist die Großstadt gewöhnt.“, zuckte Ed mit den Schultern.
„Aber er kommt doch vorbei. Das ist doch schön.“, tröstete Sanna sie.
„Ja. So oft es möglich ist. Einmal war er mit ihr hier. Aber ihr ist es hier zu ruhig und zu einsam. Sie sind nicht lange geblieben. Schade. Wir hatten uns so gefreut, auf den Besuch.“
Johanna hatte Tränen in den Augen.
„Ist schon gut, Johanna. Kinder muss man loslassen. Sieh, Sanna ist auch nicht mehr bei ihren Eltern.“, drückte Ed sie an sich.
„Ich weiß.“, nickte sie.
„Morgen werde ich die Sache mit der Bücherecke in Angriff nehmen. Wann kommt die Blumenlieferung?“, wollte Sanna das Thema wechseln.
„Auch morgen. Dann können sie die Termine selbst bestimmen.“, erklärte Ed.
„Ok. Ich werde ein paar Bücher bestellen, die ich schon ausgesucht habe. Vielleicht hat ja noch
jemand welche, die er hergeben möchte. Wir werden sehen. Einen Kaffeeautomaten habe ich schon bestellt. In den nächsten Tagen backe ich Gebäck. Dann kann es los gehen.“, strahlte Sanna.
„Prima. Ich freue mich und drück ihnen die Daumen.“
Johanna war überzeugt, dass die Idee gut ankommen wird.
Der Blumenlieferant wurde Sanna vorgestellt. Sie hatte vor, besondere Schnittblumen zu bestellen, die besprach sie mit dem Lieferanten.
Der schaute sie groß an.
„Denken sie, dass die bei den Kunden gut ankommen werden?“
„Denke schon. Ich muss sie nur richtig präsentieren.“, lächelte sie ihn an.
Also nahm er die Bestellung auf.
Gleich machte sich Sanna daran einige Blumensträuße zu binden, um sie im Schaufenster und vor dem Laden aufzustellen.
Sie zeigte sehr viel Geschick, im Zusammenstellen der Farben und der besonderen Art, wie sie die Sträuße fertigte.
Johann sah ihr begeistert zu.
„Ich bin mir ganz sicher, dass dieser kleine Laden ein Erfolg wird. Wenn ich sehe, mit wie viel Liebe und Können, sie die Sträuße binden, kann ich mir gut vorstellen, dass eine Menge Kunden kommen werden, die genauso begeistert sind, wie ich.“
„Danke. Gefallen sie ihnen also?“
„Sehr.“
„Übrigens, dass „Du“ können sie weglassen.“
„Dann musst du mich aber auch beim Vornamen nennen und duzen.“, hielt Johanna ihr die Hand hin.
„Ok.“, lachten beide.
Schon bald standen einige bunte, wunderschöne Sträuße vor der Tür. Manche der Passanten kamen näher und schauten sie sich genauer an.
„Das sind ja wunderschöne Sträuße. Ich hätte gerne den hier.“, sagte eine Kundin.
Sanna freute sich über die erste Kundin, die bei ihr einen Blumenstrauß kaufte.
An diesem Tag kamen noch einige, die auf den Laden aufmerksam geworden waren.
„Es ist ganz gut angelaufen.“, meinte Sanna, als sie den Laden abschloss.
„Ja, ich bin überrascht. Am ersten Tag gleich so viele Kunden. Das macht mich wirklich zuversichtlich.“, staunte Johanna.
„Wenn dann noch die Leseecke fertig ist, denke ich, wird es noch besser.“ fügte Sanna in Gedanken hinzu.
„Dann bis morgen. Ich schaue nochmal kurz rein. Du brauchst meine Hilfe ja nicht mehr.“, meinte Johanna.
„Trotzdem darfst du gerne kommen. Ein wenig Gespräch und ein bisschen Hilfe wären nicht schlecht.“
„Ok. Dann komme ich. Noch einen schönen Abend.“
„Danke, dir auch Johanna. Und grüß deinen Mann von mir.“
Sanna duschte und setzte sich mit einem Glas Wein und einem Buch, nach dem Essen, gemütlich auf das schicke, bequeme Sofa. Leise Musik ertönte im Hintergrund. Doch Sanna konnte sich nicht auf das Buch konzentrieren. Sie dachte an die Vergangenheit. Aber das wollte sie nicht mehr. Schnell schob sie die Gedanken beiseite. Jetzt zählte nur noch die Gegenwart. Ihr fiel wieder das Foto ein und sie erinnerte sich, wie traurig Johanna war, als sie das Foto betrachtete. Ihr Sohn war weit weg und kam anscheinend nur selten. Johanna litt sehr darunter. Ed auch, aber er zeigte es nicht.
Deshalb rief sie ihre Eltern an und berichtete von ihrem ersten Tag und ihrem kleinen Erfolg, den sie verbuchen konnte.
Die Tage vergingen und der Laden war endlich so gestaltet, wie Sanna es sich vorgestellt hatte.
Viele Bücher standen in den Regalen. Die selbst gebackenen Kekse dufteten herrlich.In der anderen Ecke verströmten die Blumen ihren Duft.
Es war herrliches Wetter. Sanna stellte wieder mehrere Sträuße vor den Laden.
Unter dem Kastanienbaum stellte sie auch einen kleinen Tisch mit Stühlen hin. Es war Platz genug.
So konnte man sich auf der Bank oder auf den Stühlen ausruhen und einen Kaffee zu sich nehmen.
Langsam kamen immer mehr Passanten vorbei, um sich den neuen Laden anzuschauen. Sie schienen begeistert zu sein. Einige nahmen sich ein Buch mit nach Hause oder lasen es gleich. Dazu setzen sie sich mit einer Tasse Kaffee und etwas Gepäck unter den Kastanienbaum, oder blieben in der Leseecke.
Es duftete mittlerweile herrlich nach Kaffee.
Viele kauften danach einen der kleinen Blumensträuße oder nahmen eine Pflanze mit. Auch
die kleinen Objekte kamen gut an. Hiervon wurden auch einige verkauft.
Alles in allem war Sanna sehr zufrieden. Der Laden wurde gut angenommen.
Einige der Kunden trafen sich immer wieder und unterhielten sich bei einer Tasse Kaffee. Selten gingen sie, ohne ein paar Blumen mitzunehmen.
Also hatte die Idee Erfolg.