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Exotik, Erotik und Xenophobie

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Wir wissen nun: Der Erstkontakt zwischen Spaniern und mesoamerikanischen Völkern ist die Geburtsstunde des guten und bösen Wilden. Dieser Komplementärmythos ist seither aus der europäischen Geistesgeschichte nicht mehr wegzudenken. Er beruht auf den idealisierenden und verteufelnden Schilderungen der ersten Überseefahrer und ist nichts anderes als Imagination über radikal anderes Menschsein, das nicht richtig begriffen werden konnte, weil das Instrumentarium dazu fehlte. Das Instrumentarium, das wir heute kennen: die Empathie, die vorurteilsfreie Empirie und die Aufgeschlossenheit für die emische Perspektive.

Diese Methoden waren bei Hobbes und Rousseau einfach noch unterentwickelt, weil die überseeischen Konfrontationen noch relativ neu waren und wissenschaftliche Reflexion zeitliche Distanz benötigt. Trotzdem gelang es den beiden, aus den Kulturberichten Menschenbilder zu extrahieren, an denen sie ihre Theorien und Spekulationen über die menschliche Natur illustrieren konnten.

Doch bis heute hat es sich scheinbar nicht herumgesprochen, dass beide Figuren nichts als Abziehbilder sind und ins Reich der Mythen und Legenden gehören. Sie sind zuallererst geschaffen worden, um auf drängende Fragen und Probleme Antwort zu geben, die nach den ersten überseeischen Erstkontakten aufbrandeten, und sie erfüllten den Zweck der Selbstberuhigung und Selbstbeweihräucherung, wehrten eigene Ängste ab und legitimierten koloniale Schandtaten.

Aber sobald heute in der Öffentlichkeit beispielsweise diskutiert wird, ob ein Leben ohne staatliche Gewalt nicht sinnvoller sei, weil der Mensch so wieder lernen könne, auf sein eigenes Gewissen zu hören, beschwören die Anhänger von Hobbes das Bild des raubenden und mordenden Wilden herauf. „Habt ihr aus der Geschichte nicht gelernt?“, tönen sie den Anarchisten und Freigeistern entgegen. „Wisst ihr nicht, was geschieht, wenn sich der Staat aus dem Leben der Menschen zurückzieht? Raub, Mord und Totschlag! Schaut hin, wie sich die Menschen gegenseitig die Köpfe einschlagen, sobald in einem Bürgerkrieg der Staat ausgehebelt worden ist.“

Fürwahr! Vergessen wird dabei allerdings, dass ja erst ein Staat mit seiner rigiden Vormachtstelle und Machtansprüchen ausgehobelt werden musste, bevor die Menschen „zu Wölfen“ wurden. Wer weiß, was diesen Menschen erst vom Staat und seinen Eliten alles entzogen wurde, dass sie nun so aufbegehren müssen.

Und wo begegnen wir Rousseaus edlem Wilden? Wir begegnen ihm in allen idealisierenden Gesellschaftsberichten und Reiseschilderungen, in denen Vertreter anderer Kulturen als exotisch und tausendmal großzügiger und erotisch bezirzender als die Geschlechtspartner der eigenen Kultur beschrieben werden. Man schlage nur mal eine der vielfältigen deutschen Zeitschriften auf, die im thailändischen Pattaya oder Patong in den Läden zu kaufen sind. Da sülzen europäische Männer von ihren thailändischen paradiesischen Sex-Evas. Es bleibt aber nicht bei der Verklärung. Sie muss auch noch mit der unterkühlten deutschen Frau kontrastiert werden.

Diese kitschige Exotisierung gibt es aber auch gegengeschlechtlich bei deutschen Frauen, die in der Beziehung mit einem Afrikaner ihr großes Glück gefunden zu haben glauben und ihm allerhand Eigenschaften andichten, an denen es den deutschen Männern mangelt. Allen voran an menschlicher Wärme und heißem Sex.

Bei der Exotisierung wird der kulturell Fremde zum idealen, zivilisationskritischen Übermenschen erklärt, dem Heldenhaftes, Göttliches und Transzendentes anhaftet. Diese Idolisierung bekommt erste Risse, sobald aus der exotischen Beziehung die heiße Luft weicht. Schnell wird es dann frostig.

Man kennt das aus Corinne Hofmanns autobiografischem Bestseller Die weiße Massai. Erst lobt sie ihren kenianischen Geliebten Lketinga in den Himmel, um ihn später, nachdem sie in seinem Dorf an Malaria erkrankt ist, in Grund und Boden zu verdammen. Ein rasanter Kamikaze-absturz, den Lketinga da im Kopfe der Erzählerin zu bewältigen hat. Von seinem anfänglich knackig-edlen Kriegerkörper bleibt nur noch ein fader Nachgeschmack übrig, sobald die Erzählerin über die unhygienischen Dorfverhältnisse und die primitiven Einstellungen Lketingas zu Sexualität und Kindererziehung lästert.6

Da hat sich der edle Wilde á la Rousseau so schnell zum bösen und primitiven Störfaktor á la Hobbes geändert, das einem beim Lesen Hören und Sehen vergeht. Botschaft des Buches: Wenn du, liebe Leserin, das nächste Mal nach Kenia in den Urlaub fährst, dann lieber gleich mit Glacéhandschuhen, lass dich bloß auf keine Avancen mit Einheimischen ein, du siehst ja, wohin das führt.

Ja, wohin eigentlich führt so etwas? Klar – zum Bestseller! Weil die Leser zu Hause genau die Storys lieben, in denen ihnen selbst in den noch so exotischsten Gefilden die altbekannten Stereotype begegnen.

Und auch Sarrazins Buch gehört zu den meistverkauften Sachbüchern seit dem Zweiten Weltkrieg. Was sagt das über viele Leser aus, die seinen Thesen liebend gerne Glauben schenken? Sie mögen es, von schrecklichen Wilden zu hören, weil sich die eigene Kultur dann umso zivilisierter hervorhebt. Und sie ist ja bekanntlich unser Kompass.

Vom verzauberten Hexer in der Schildkröte

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