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Prolog

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Er steht wieder da.

Breitbeinig. Schemenhaft. Unbeweglich wie eine Skulptur. Zur Hälfte hinter einem Baum verborgen. Das Sonnenlicht in seinem Rücken wirft einen langen Schatten auf den Weg. Sein Gesicht ist nicht zu erkennen. Das ist es nie.

Sie bleibt im Eingang stehen und überlegt. Soll sie warten, bis ein Kollege das Gebäude verlässt oder ein Besucher, damit sie in seinem Schutz das Gelände durchqueren und zur Bushaltestelle gelangen kann? Vielleicht nimmt sie jemand im Auto mit. Sie kann auch zurück ins Foyer gehen und den Hintereingang nehmen oder im Laufschritt und mit Tunnelblick an ihm vorbeimarschieren, als hätte sie ihn nicht gesehen.

Denn er wartet ja nur.

Stets nimmt sie nach Feierabend einen anderen Weg nach Hause. Mal nimmt sie die Kurgartenstraße, mal den Nachtigallenweg, manchmal läuft sie auch über den neuen, breiten Fußweg der Dürener Straße hinunter nach Gemünd. Sie geht auch nicht jeden Tag zur gleichen Zeit, ein Vorteil der Schichtarbeit.

Immer suchen ihre Blicke zuerst ihn, sobald sie durch die Glastür im Empfang getreten ist. Oft sieht sie ihn schon vom Treppenhaus im zweiten Stock.

Er ist nicht immer da. Es gibt Unterbrechungen. Wenn sie glaubt, er habe aufgegeben, steht er wieder da. Er tut nichts. Er spricht sie nicht an. Er kommt nicht auf sie zu. Er folgt ihr nicht. Steht nur da. Zur Hälfte hinter einem Baum verborgen. Schemenhaft. Unbeweglich wie eine Skulptur.

Sie weiß genau, dass er es ist. Er ist nicht groß, er ist nicht schlank. Seine welligen Haare reichen bis zu seinen Schultern. Das alles passt zu ihm. Wer sonst soll auch auf sie warten? Sie führt ein einsames Leben. Er muss es sein.

Sein Erscheinen ist ein einziger Vorwurf. Und das schlechte Gewissen, das sie seit dem 10. August 1999 keinen einzigen Tag mehr in Ruhe gelassen hat, wird jedes Mal neu angefacht und brennt lichterloh in ihrem Inneren – ein Dauerfeuer, das nicht ausgehen kann.

Wie oft sie kurz davor ist, auf ihn zuzugehen, sie kann es nicht mehr zählen. Nah genug an ihn heran, um in seine Augen zu sehen, seine Stimme zu hören, seinen Duft einzuatmen, ihn zu berühren und … ihm alles zu erklären, noch einmal und dieses Mal die Wahrheit zu sagen. Sie kann nicht verlangen, dass er ihr verzeiht. Was damals geschehen ist, das lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Es lässt sich nicht reparieren. Aber er soll ihr eine Chance geben.

Leichenstille

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