Читать книгу Der aus der NachbARSCHaft - Carola Käpernick - Страница 5

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Prolog

Wir scheiben den 12. März 2021. Noch vor Weihnachten letzten Jahres hätte ich es nie für möglich gehalten, dass sich mein Leben so dramatisch verändern würde. Ich, die liebend gern daheim war, gelesen, geschrieben, genäht hat und ihr Zuhause liebte, hasse meine Wohnung, bin fix und fertig mit den Nerven und würde tatsächlich eher einen Umzug in Kauf nehmen, als in dieser Wohnung weiter wohnen zu müssen. Jedenfalls solange die neuen Nachbarn ebenfalls hier wohnen.

Wir leben in einer gepflegten Wohnanlage am Stadtrand einer südbadischen Kleinstadt. Unser Vermieter kennt uns nicht persönlich. Als wir in diese Wohnung eingezogen sind, haben die Nachbarn im Haus quasi für uns gesprochen, denn wir haben vorher schon im Haus gewohnt. Anfangs im 3. Obergeschoss und bei einem anderen Vermieter. Jetzt im 1. Obergeschoss und das auch schon seit sieben Jahren. UV kommt seinen Pflichten nach, wir unseren und wenn was ist, mailen oder telefonieren wird. Reparaturen wurden immer sofort veranlasst und es gab nie ein Problem. Was ein feiner Mensch UV ist, durften wir gerade auch im Zusammenhang mit diesem Wohndrama erfahren. Doch dazu später mehr.

Der Wohnblock hat zwei Aufgänge und jeweils 20 Wohnungen auf 4 Geschosse verteilt. Also jeweils 5 pro Etage. Die Nachbarn aus dem Nebenaufgang sind von dieser Geschichte ziemlich unbehelligt geblieben, ich kenne sie nicht namentlich, weiß aber, dass auch dort einige Eigentümer ihre Wohnungen selbst bewohnen. In unserem Aufgang hält sich die Zahl der Eigentümer und Mieter in etwa die Waage.

Die Wohngemeinschaft kann sich mit Stolz Multikulti nennen. Nicht nur bei den Mietern ist es interkulturell, auch die Eigentümer kommen aus verschiedenen Ländern und bis vor ein paar Wochen, herrschte im und ums Haus herum, Ordnung und Sauberkeit. Das Altersgefüge ist schon eher Mitte des Lebens und drüber hinaus. Eine baltische Familie mit zwei Kleinkindern lebt im Haus, die Senioren neigen dazu den Kindern mehr Eis und Süßigkeiten zuzustecken, als den Kleinen gut tut und man grüßt sich freundlich. Ansonsten sind vielleicht noch drei bis vier Bewohner so alt wie wir oder jünger, alle anderen deutlich älter. Wir wissen nicht von allen Nachbarn die Nationalität, aber Kasachen, Litauer, Russen und Franzosen wohnten bis dato friedlich in unserem Aufgang. Auch von den Hautfarben her sind wir im wahrsten Sinne des Wortes bunt, im Nachbaraufgang noch mehr als bei uns. Alle wurden willkommen geheißen und trifft man sich, wurde gegrüßt. Treppenhausreinigung funktioniert, Mülltrennung war allen bekannt und wurde praktiziert und brauchte man Hilfe, so wurde geholfen.

Bis zum Einzug der Nachbarn X konnten wir auch nicht behaupten, dass das Haus sonderlich hellhörig wäre. Klar dröhnt eine Bohrmaschine durchs Haus, wenn gewerkelt wird. Aber in all den Jahren in denen ich in diesem Haus gelegentlich oder anhaltend anwesend war (der Mann und ich haben uns schließlich erst einmal beschnuppert, bevor ich zu ihm gezogen bin und da war ich nur zu Besuch), habe ich keinen Streit unter Nachbarn mitanhören müssen oder gehört, wie in der Wohnung über uns gesprochen, geputzt und gelaufen wurde. Das änderte sich mit dem Einzug besagter Familie.

Vor besagter Familie gab es einen Wechsel der Bewohner in der Wohnung über uns. Zuletzt wohnte DV darin. Anfangs zusammen mit einer Frau, später allein. Dann wieder mit einer Frau, die besuchsweise da war. Der Bewohner davor war so unscheinbar, still und leise, dass wir uns an den gar nicht mehr erinnern können. Jedenfalls halten wir den Umstand, dass wir trotz Pandemie und meiner Homeofficetätigkeit nicht gehört haben, dass DV ausgezogen ist, für den Beweis dafür, dass man dort oben leise leben kann und vor allem, dass dies Haus bei Weitem nicht so hellhörig ist, wie andere Mehrfamilienhäuser. Das mag auch an dem Alter liegen. Anfang der 70er Jahre war Handwerk halt noch Handwerk. Einige der Eigentümer wohnen seit der Erbauung des Hauses hier. UV ist in diesem Haus aufgewachsen und unsere Wohnung ist das Erbe seiner Eltern, die ebenfalls Pioniere der ersten Stunde waren.

Der Einzug der Nachbarn X

Weihnachten fiel im vergangenen Jahr Postler und Verkäuferfreundlich. Freitag und Samstag waren Feiertage und der anschließende Sonntag ein willkommenes Geschenk für alle, die sonst samstags arbeiten müssen. Systemrelevant, wie es jetzt heißt. Wann hat man im Handel oder bei der Post schon mal drei freie Tage am Stück?

Der Mann ist übrigens auch systemrelevant. Er arbeitet als Pfleger an der Uniklinik, muss aber nicht an Wochenenden oder Feiertagen arbeiten. Nun wir freuten uns auf den Sonntag und hatten den auch gemütlich verbracht. Gegen Abend wollten wir uns aufs Sofa lümmeln und fernsehen. Und da geschah es…

Lautes Poltern, das im Treppenhaus natürlich ziemlich eindrucksvoll nachhallt, Getrampel auf der Treppe, als wenn ein ganzes Volk das Haus stürmt (wie nah das der Wahrheit kommt, haben wir erst später erfahren) und deutlich hörbare Zeichen für unbekanntes Leben in der Wohnung über uns. Am Weihnachtssonntag in ein Mehrfamilienhaus einziehen sorgte schon mal dafür, dass alle Vonzbisaohnex und Vonabiszohnex neugierig waren auf die Nachbarn X.

Sowohl wir wie auch Vonzbisaohnex und Vonabiszohnex hätten über die Einzugsaktion am Sonntag nach Weihnachten durchaus hinweggesehen, wenn es gute Gründe dafür gegeben hätte. Und noch bereitwilliger, wenn der Einzug vormittags stattgefunden hätte. Zumal sich recht schnell herausstellte, dass die nicht etwa von Hamburg oder Bitterfeld hier angereist kamen, sondern innerhalb des Landkreises umgezogen sind.

Die Nacht vom 26. auf den 27. Dezember 2020 war bis heute die letzte, in der wir wirklich gut geschlafen haben. Das komplette Lärmprotokoll wird im Laufe des Buches quasi prosaisch abgearbeitet, aber ich spoiler mal ein wenig – wir wissen bis heute nicht, wie viele Personen tatsächlich über uns wohnen oder sich zumindest dort aufhalten. Wir wissen nur, dass der Biorhythmus der Nachbarn X nicht Mehrfamilienhauskompatibel ist.

Auch die angrenzenden Nachbarn in den Doppelhäusern machten zeitnah die Bekanntschaft mit den neuen Bewohnern unseres Hauses. Denen wurde die Garage zugeparkt. Als Frau L. zu einem Arzttermin los wollte, musste sie sich in Diskussionen verwickeln lassen, kam zu spät und deren Mutter wurde auf einen Kommentar hin mit dem Mittelfinger gegrüßt. Ein perfekter Einstieg geht anders.

Wir – also der Mann und ich

Der Mann ist wie bereits erwähnt Krankenpfleger und außerdem ein kranker Pfleger. Aufgrund diverser gesundheitlicher Probleme ist er nicht mehr am Bett tätig, sondern arbeitet in der Pflegedienstassistenz eines Transplantzentrums. Das heißt, er hat zwar reguläre Arbeitszeiten von Montag bis Freitag zu festen Zeiten, aber einen ziemlich hektischen Alltag. Kommen Patienten zum Listen (sich auf die Organempfängerwarteliste setzen lassen), müssen zig Untersuchungen gemacht werden, deren Termine er koordinieren muss. Bestellungen von Material, Medikamenten und diverse andere organisatorische Aufgaben kommen noch hinzu. Sind sowohl Stationsleitung wie deren Vertretung nicht da, ist er sozusagen deren Ersatz. Außerdem hat er das Telefon der Station unter seine Fittiche, wo er mit Patientenlogistik, anderen Stationen, Diagnostikzentren, Taxiunternehmen, Patienten die sich anmelden wollen, oder die schon zu Hause sind und Bescheid geben, dass ihr Gebiss noch im Nachtschrank liegt oder besorgten Angehörigen telefoniert. Wenn er nach Hause kommt, braucht er erst einmal Ruhe, möchte auf dem Balkon seinen Kaffee trinken und eine rauchen. Das macht er Sommers wie Winters und ich weiß, dass er nach dem Kaffee aufnahmefähig für Gespräche mit mir ist oder sich anderweitigen Aufgaben zuhause widmen kann.

Ich bin halt ich. Sitze daheim und schreibe. Meine Bücher oder auch Texte für Leute die meinen, dass ich das besser kann als sie. Außerdem habe ich so ein literarisches Herzensprojekt am Laufen, wo ich ziemlich aktiv bin, weil es mir Spaß macht. Bis Sommer 2019 hatte ich so viel mit Menschen zu tun gehabt, dass ich mir nicht vorstellen konnte, noch mal die Wohnung zu verlassen, um irgendwo arbeiten zu müssen, wo ich täglich live mit Menschen zu tun haben würde. Mail ist super - schreiben kann ich eh am besten (denke ich zumindest), Telefon finde ich schon wieder anstrengend. Lange Rede kurzer Sinn, eigentlich lebe ich auf Kosten des Mannes, weil es bei mir beruflich nicht läuft. Das wird sich hoffentlich mit diesem Buch ändern, denn ihr kauft ja jetzt auch alle andern Bücher von mir – oder? Ich meine, dies hier hab ich zwar selbst erlebt, aber auch die anderen Bücher könnten ja irgendwie wahr sein… Aber genug davon.

Im Gegensatz zum Mann (57 Jahre alt) bin ich (52) gesundheitlich recht fit. Der Mann hat zwei künstliche Hüftgelenke, Stents bekam er schon im zarten Alter von Ende 30/ Anfang 40, zudem gibt es drei Bandscheibenvorfälle, Diabetes, daraus resultierend grauen Star auf beiden Augen, der operiert wurde und vor einigen Jahren dachte ich, dass ein Nierenversagen ihn dahinrafft. Wäre er ein Hund… Darüber denken wir besser nicht nach. Sein Schwerbehindertengrad beträgt 40 % und er hat bis Dezember eine Vollzeitstelle innegehabt und die Arbeit auch gemacht. Seit Januar hat er auf 80 % reduziert, was er schon bitter bereut hat, denn aktuell ist es so, dass er zu Hause noch weniger zur Ruhe kommt, als auf Arbeit und das will was heißen! Ich hatte vor mehr als 20 Jahren Krebs und seitdem höchstens mal eine Halsentzündung oder den flotten Otto.

Die Nachbarn X

Kern der Familie bilden Herr und Frau X zuzüglich ihrer drei Kinder im Alter von 13 bis 18 Jahren. Zusätzlich laufen verschiedene erwachsene Personen mit ihnen zusammen herum und in die Wohnung hinein, so dass wir nicht mit Sicherheit sagen können, ob das eine Familie ist oder sich vor unseren Augen Verstöße gegen die Coronaauflagen abspielen.

Beruflich sind die Nachbarn X sehr vielfältig aufgestellt, sie erzählen nämlich jedem der Nachbarn Vonabiszohnex und Vonzbisaohnex inklusive uns, etwas anderes. So will Herr X mal Philatelie (O-Ton Herr X) studiert haben, als Designer arbeiten (er näht Gardinen, hat er mir erzählt) und ganz offensichtlich hat er eine Art Onlinehandel oder wenigstens einen Kaufrausch. Frau X hingegen soll auf einer Laufvogelfarm arbeiten, von der ich bis dato nicht einmal wusste, dass es sie im näheren Umkreis gibt.

Ungefragt wurden diverse Informationen am Anfang in die Nachbarschaft gestreut und auch Handwerkern wurde lautstark auf die Nase gebunden, wieviel Miete sie bezahlen würden (sage und schreibe über 400 Euro mehr wie wir!) und einigen der Nachbarn gesagt, dass das Amt die Miete zahlen würde. Letzteres hat sich bestätigt, was uns aber relativ egal ist, weil das für unser Problem unerheblich ist. Unser Problem sind die Menschen und nicht die Geldgeber…

Die Kinder können die Verwandtschaft zu den Eltern nicht leugnen, oder zumindest nicht die erzieherische Prägung, wenn sie denn erzogen wurden. Das wird sich im Fortgang zeigen.

Nach Angaben der Nachbarin X hat der Mann bereits drei Bandscheibenvorfälle gehabt und ist daraufhin berentet. Das wirft Fragen auf, wenn der Mann mit seinen unzähligen Versehrtheiten bis Dezember voll geschafft hat und jetzt auch nur reduziert hat, um weniger Stress zu haben, nicht weil er gesundheitlich nicht in der Lage wäre, die Arbeit zu machen. Die Nachbarin X selbst trägt ein Hörgerät.

Nun soll das Ganze ja kein Konkurrenzkampf der Krankenakten sein, aber zumindest das Gehör der Nachbarin X wird noch eine Rolle spielen.

Auszug aus dem Lärmprotokoll

Sonntag, 27. Dezember 2020; ca. 19:00 Uhr; Tragen von Möbeln durchs Treppenhaus, laute Gespräche im Treppenhaus

Zwischen 27.12. und 9.1.; immer wieder, vor allem abends; lautes Geschrei - wir haben überlegt, die Polizei zu rufen, weil wir den Verdacht hatten, dass es zu häuslicher Gewalt kommt

Mittwoch, 6. Januar 2021; mehrmals am Tag, langanhaltendes Bohren (bei uns in BW Feiertag)

Samstag, 9. Januar 2021; zwischen 18:30 und 20 Uhr; langanhaltendes Bohren

Sonntag, 10. Januar 2021; ab 13:00 Uhr ; Tragen von Möbeln durchs Treppenhaus, laute Gespräche im Treppenhaus/ Streit, Geschrei - pünktlich ab 15 Uhr ist Ruhe!

Der aus der NachbARSCHaft

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