Читать книгу Schwur auf Rache - Carola Schierz - Страница 5

Verrat

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Am Morgen der Abreise versammelte sich die ganze Familie noch einmal im Esszimmer. Angeregt unterhielten sie sich über das gelungene Fest vom Vortag.

„Du hast dich wieder selbst übertroffen, Siegmund!“, lobte Fürst Friedrich seinen Vetter.

„Für meine geliebte Tochter ist mir kein Opfer zu groß!“, antwortete dieser mit einem auffallenden Glitzern in den Augen. Friedrich registrierte dies wohl, schrieb es aber einzig der übermäßigen Vaterliebe seines Gegenübers zu. Lächelnd lehnte er sich zurück. Als alle ihr Mahl beendet hatten, mahnte er die Seinen zum Aufbruch.

An der Kutsche verabschiedeten die Familien sich voneinander. Dora küsste Katharina auf die Wange und wünschte ihr, mit Tränen in den Augen, eine gute Reise. „Schade, dass ihr uns schon wieder verlasst. Die Tage sind so schnell vergangen!“

„Nun, in ein paar Wochen sehen wir uns doch schon wieder. Ich gehe davon aus, dass ihr uns zu Friedrichs Geburtstag die Ehre eures Besuches macht? Dann werde ich dir unseren neuen Rappen zeigen. Wir wollen ihn zur Zucht verwenden. Unser Stallmeister ist regelrecht verliebt in das Tier. Du wirst begeistert sein, meine Liebe.“ Katharina lag es fern, vor Dora zu protzen und diese wusste das natürlich. Luises Mutter hatte ein Faible für Pferde und versicherte Katharina freudig ihr großes Interesse.

Gleichzeitig richtete Fürst Friedrich das Wort an seinen Vetter. „Wir danken euch herzlich für eure Gastfreundschaft. Wir haben uns alle sehr wohl gefühlt. – Wie immer!“, fügte er aufrichtig lächelnd hinzu.

„Oh, du weißt wie gern wir euch hier haben. Ich wünsche euch eine gute Heimreise.“

Friedrich fand, dass sein Vetter etwas angespannt wirkte. „Bedrückt dich etwas, mein Lieber? Wenn ich etwas tun kann …?“

„Ach! Nichts, wobei du mir behilflich sein könntest. Die Lösung meines Problems ist auch schon in greifbare Nähe gerückt. Also sei unbesorgt!“ Sie umarmten sich zum Abschied und Friedrich stieg zu seiner Frau und den Mädchen in die Kutsche.

Luise und Falko hatten sich ein wenig abseits gehalten. Traurig blickte die Kleine ihren 'Ritter' an. „Ich werde gut auf Anselm achtgeben!“, versprach sie und holte ein gelbes Seidensäckchen zwischen ihren Rockfalten hervor. Genau wie Falko bewahrte sie nun die kleine Figur darin auf und hatte sie an ihrem Bund befestigt.

Er lächelte zufrieden, doch dann wurde er wieder ernst. „Der kann gut auf sich selbst achten! Anselm soll dich beschützen und nicht umgekehrt!“ Sie reichten sich die Hände und Falko begab sich als Letzter seiner Familie in die Kutsche. Da es nach Regen aussah, hatte seine Mutter zur Enttäuschung des Jungen darauf bestanden, dass er bei ihnen saß. Dann rollte das schwere Gefährt vom Hof und die berittene Truppe formierte sich schützend um ihre Herrschaft.

Bald setzte der erwartete Regen ein und trommelte geräuschvoll auf das Kutschendach. Auf die Insassen hatte das eine einschläfernde Wirkung und so fielen die Kinder bald in einen friedlichen Schlummer.

Gerade hatten sie den kleinen Grenzfluss überquert, als das Gespann abrupt zum Stehen kam. Draußen schien etwas Ungeheuerliches vor sich zu gehen, denn es drangen Schreie und Kampflärm ins Kutscheninnere. Besorgt nahmen die Eltern ihre aus dem Schlaf hochgeschreckten Kinder in den Arm. Dann wurden die Türen aufgerissen und die Insassen gewaltsam nach draußen gezerrt. Falko konnte nicht glauben, was er sah. Eine Überzahl maskierter Banditen hatte den kompletten Begleittrupp der Familie überwältigt und ermordet. Ohne auch nur ein Wort an sie zu richten, brachten sie nun zuerst seinen Vater und dann seine Mutter um. Das Blut rann in dicken Strömen aus ihren aufgeschlitzten Kehlen, als Fürst Friedrich und seine Frau zu Boden sanken. Die Mädchen kreischten vor Angst und Falko klammerte instinktiv seine Hände um das Säckchen, in dem seine ruhmreiche Armee schlummerte. Doch kein Wunder geschah. Unfähig, auch nur eine Bewegung zu machen, musste er miterleben, wie zwei der Männer seine Schwestern zum Schweigen brachten, indem sie ihnen ihre Dolche ins Herz rammten. Nun begriff Falko seine Lage und versuchte davonzulaufen.

„Ich kümmere mich selbst um den Jungen“, hörte er einen der Männer sagen. Kurz darauf hatte er ihn eingeholt und am Arm gepackt. Genau wie bei den anderen Angreifern verdeckte ein schwarzes Tuch das Gesicht des Mannes und ließ nur seine Augen frei. Falko sah ihn direkt an.

„Tut mir leid, Junge, ich erfülle nur meinen Befehl!“, sagte der Bandit, als er nach seinem Messer griff. Falko erkannte die Stimme wieder. Er konnte genau die Narbe auf dem Handrücken des Mannes erkennen und sah, dass ihm der kleine Finger fehlte. Dann spürte er den brennenden Schmerz, als das Messer seinen Brustkorb traf. Ungläubig fühlte er seine Sinne schwinden. 'Fürst Siegmund!', schrie es in seinem Kopf – dann wurde alles schwarz.

Dora saß gerade im kleinen Salon bei ihren Stickarbeiten, als ein Diener hereinkam und einen Boten von Schloss Kaltenstein ankündigte. Sie beauftragte ihn, den Mann vorzulassen und sofort ihren Gemahl von dessen Ankunft in Kenntnis zu setzten. Es war inzwischen später Abend geworden und Luise lag schon im Bett. Fürst Siegmund hatte sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen, da er noch einige Briefe verfassen wollte.

So zumindest hatte er es seiner Frau erklärt. In Wirklichkeit war er die ganze Zeit nervös im Zimmer auf und ab gelaufen, in Erwartung, etwas über den Ausgang der Operation zu erfahren.

Jetzt folgte er dem Diener in den Salon. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Je nachdem, wie die Dinge verlaufen waren, konnte er heute alles gewinnen oder verlieren. Scheinbar fürsorglich legte er seiner besorgt dreinschauenden Frau den Arm um die Schultern und befahl dem Boten zu sprechen.

„Ich bringe Euch schreckliche Nachrichten, gnädiger Herr. Die Kutsche, in der Fürst Friedrich mit seiner Familie reiste, ist von einer schändlichen Räuberbande überfallen worden. … Niemand hat überlebt!“

Dora musste zunächst verinnerlichen, was sie gerade gehört hatte. Das konnte doch nicht wahr sein. Erst heute Morgen hatten sie noch zusammen gegessen und gelacht.

„Wisst Ihr das sicher?“, fragte sie in der absurden Hoffnung, etwas Gegenteiliges zu hören.

„Leider ja! Eine Gruppe Mönche aus dem Sankt Martins-Kloster war auf der gleichen Straße unterwegs. Sie sahen die Angreifer noch davonreiten, konnten aber nichts Genaueres erkennen. Sie nehmen an, dass es sich um eine Räuberbande gehandelt hat, da alle Waffen und Wertgegenstände gestohlen wurden. Die gesamte Familie sowie die Soldaten wurden brutal niedergemetzelt. Die Banditen waren zahlenmäßig stark überlegen. Da sie sonst nichts mehr tun konnten, luden die Brüder die Ladung von ihren Wagen und legten stattdessen die Toten darauf. Sie befinden sich zurzeit in den Mauern des Klosters. Der dortige Abt, Pater Johannes, war der Beichtvater Eures Vetters und seiner Gemahlin. Er bittet darum, sich um die Leichname der Familie kümmern zu dürfen und sie für das Begräbnis vorzubereiten.“

Fürstin Dora war während seiner Worte auf einen Stuhl gesunken und blickte nun völlig apathisch vor sich hin.

Siegmund dagegen musste sich bemühen, seinem Gesicht den nötigen Ausdruck von Fassungslosigkeit und Trauer zu geben. „Wir richten unseren tiefen Dank aus und geben seiner Bitte gern statt. Ich selbst werde mich schon morgen nach Schloss Kaltenstein begeben, um dort die Feierlichkeiten für die Beisetzung vorzubereiten.“ Mit diesen Worten entließ er den Boten und verließ direkt nach ihm, mit einer gemurmelten Entschuldigung, den Raum.

Dora saß noch lange regungslos da und schaute mit verschleiertem Blick auf die Tür. Immer wieder sah sie die hübschen Gesichter der Kinder vor sich. Wer war in der Lage, diesen unschuldigen Wesen etwas Derartiges anzutun? Sie wollte in ihrem Kummer nicht allein sein und suchte nach ihrem Mann. Sie vermutete, dass er sie nicht sehen lassen wollte, wie sehr ihn diese Nachricht aus der Fassung brachte. Er war immer darum bemüht, Haltung zu bewahren und keine Schwäche zu zeigen. Doch sie war davon überzeugt, dass sie sich jetzt gegenseitig stützen sollten. Als sie ihn weder in seinem Arbeitszimmer noch in der Bibliothek finden konnte, beschloss die Fürstin, nach draußen zu gehen. Etwas frische Luft würde vielleicht gut tun. Sie setzte sich auf ihre Lieblingsbank und blickte hinauf zu den Sternen. 'Ob sie jetzt irgendwo da oben sind, in Gottes Reich?', fragte sie sich wehmütig und Tränen rannen ihr über die Wangen. Obwohl es eine warme Nacht war, fröstelte Dora plötzlich und zog sich ihr Schultertuch fester um den Körper.

Dann hörte sie Stimmen, die sich zwar flüsternd, aber auch sehr aufgeregt unterhielten: „… alles ohne Probleme verlaufen! Als die Mönche aufgetaucht sind, waren wir schon im Aufbruch.“

„Sehr gut! Ihr habt euch euren Lohn verdient.“

Dora dachte ihr Herz bliebe stehen, als sie die Stimme ihres Mannes erkannte. Sie hielt vor Anspannung den Atem an.

„Hier hast du den vereinbarten Preis!“ Man konnte deutlich vernehmen, wie ein Beutel mit Geldstücken den Besitzer wechselte.

„Jederzeit wieder, gnädiger Herr!“

„Ich werde sicher darauf zurückkommen. In der nächsten Zeit jedoch, möchte ich weder dich noch deine Männer in meiner Nähe sehen! Und sage deinen Leuten, sie sollen den Mund halten! Sonst sorge ich dafür, dass sie oder ihre Familien dafür bestraft werden! Und du weißt, ich habe die Mittel dazu!“

„Keine Sorge, Herr! Meine Männer sind verschwiegen. Bei der guten Bezahlung würden sie sich nicht selbst die Chance auf einen neuen Auftrag verbauen. Abgesehen davon habe ich ihnen nie gesagt, dass Ihr unser Auftraggeber seid.“

„Gut so! Und jetzt verschwinde! Wenn ich etwas will, werde ich dich finden.“

Dann entfernten sich die Schritte in unterschiedliche Richtungen.

Dora blieb, vor Entsetzen starr, auf der Bank zurück. Was geschah hier eigentlich? Hatte sie das gerade wirklich erlebt? Sollte der Mann, den sie seit zehn Jahren liebte und ehrte, der Vater ihres einzigen Kindes, wirklich zu so etwas fähig sein? Und warum das Ganze? Sie hatte immer den Eindruck gehabt, dass er und Friedrich einander mochten und respektierten. Und Falko? Immer schon stand fest, dass er eines Tages Luises Mann werden sollte, um die unsinnige Teilung des Landes wieder rückgängig zu machen. Dann hätten die Kinder über das vereinigte Fürstentum geherrscht. Doch nun …? Wieder durchfuhr sie ein Schock, als ihr der wahrscheinliche Grund für diese Gräueltat bewusst wurde. Wenn Friedrich tot war und keinen Erben hinterließ, wäre Siegmund sein legitimer Nachfolger! Außer sich vor Zorn lief Dora zur Burg und suchte nach ihrem Mann. Sie fand ihn in seinem Arbeitszimmer, mit einem Glas Wein in der Hand.

Erschrocken blickte er auf und setzte sofort eine leidvolle Miene auf. „Ich nahm an, du wärst zu Bett gegangen,darum habe ich mich hierher zurückgezogen.“ Er schüttelte theatralisch den Kopf. „Findest du keine Ruhe, meine Liebe? Ich auch nicht. Es ist einfach zu furchtbar!“

Er erhob sich und kam auf sie zu. Gerade als er sie in die Arme nehmen wollte, stieß sie ihn mit voller Wucht zurück.

Dora hatte noch nie in ihrem Leben so viel Abscheu für einen Menschen empfunden wie in diesem Moment. Einen Menschen, den sie noch vor wenigen Minuten von ganzem Herzen geliebt hatte! Hasserfüllt sah sie ihn an. „Halt deinen Mund und wage es nicht mich anzufassen!“

Ungläubig sah er seine Frau an. „Was soll das heißen? Wie redest du überhaupt mit mir?“

„Ich komme gerade von draußen. Du auch, nicht wahr? Ich habe alles mitangehört! Wie konntest du nur so etwas tun? Er war dein Vetter! … und die Kinder ! ... Wozu das alles? Aus reiner Gier?“

Siegmund hatte nicht damit gerechnet, dass seine Frau je dahinter kommen würde. Und schon gar nicht, dass es so schnell geschah. Sie konnte alles gefährden. Er musste versuchen, ihr die Gründe seines Handelns klarzumachen. „Ich habe es für Luise getan!“

Dora unterbrach ihn barsch: „Unterstehe dich, deine eigene Gier hinter unserer Tochter zu verstecken! Luise hätte durch die Heirat mit Falko sowieso irgendwann über ganz Kaltenstein geherrscht.“

„Du verstehst nicht, Dora! Jetzt wird Luise das ganze Land als Mitgift mitbringen und so eine wesentlich bessere Partie machen als mit Falko.“

Doras Augen wurden zu Schlitzen. „Das glaube ich nicht! Denn ich persönlich werde dich beim König anzeigen. Unsere Tochter soll ihre Zukunft nicht auf deiner Bluttat aufbauen!“

Nun war ihm klar, dass er hier im Guten nichts mehr erreichen konnte. Auch wenn er es nicht besonders gern tat, er musste Dora mit Nachdruck daran hindern, ihrer aller Zukunft zu zerstören.

„Du willst es nicht anders ... Wenn du auch nur ein Wort darüber verlierst, werde ich mich rächen. Nicht an dir, du bedeutest mir zu viel. Du bist doch aber sicher daran interessiert, dass es deiner Schwester und ihrer Familie weiterhin gut geht? Ich kann ihnen das Leben zur Hölle machen … und Schlimmeres. Abgesehen davon, würde Luise auch darunter leiden, denn mit meinem Ruf wäre auch ihre Zukunft zerstört. Kein Mann von Ansehen würde sie dann noch zur Frau nehmen wollen. Also entscheide dich sorgsam!“ Siegmund hoffte, dass seine Worte Dora zur Vernunft bringen würden. Er hatte nicht ernsthaft vor, ihr oder ihrer Familie zu schaden, denn er liebte sie auf seine Art. Doch noch größer war seine Liebe zur Macht. Er hatte ehrgeizige Pläne. Seine Tochter sollte eines Tages hoch über allen stehen, doch dafür brauchte es mehr als die ewige Hälfte der Familienländereien. Sie sollte in den Augen der mächtigsten und reichsten Männer im Lande als gute Partie gelten. Sein Name würde dann in aller Munde sein und ihm alle Türen öffnen. Wenn es sein musste, würde er alles Nötige tun, um seinen Plan umzusetzen.

Dora schüttelte ungläubig den Kopf. „Du widerst mich an! Ich hoffe, Gott wird dich deiner gerechten Strafe zuführen! Ich werde schweigen. Aber ich schwöre, dass ich kein Wort mehr mit dir wechseln werde, ausgenommen Luise befindet sich in der Nähe. Sie soll nicht mehr unter der Situation leiden als notwendig. Und noch etwas: Fass mich nie wieder an!“ Mit diesen Worten verließ sie den Raum.

Siegmund blickte noch lange auf die Tür, die krachend hinter ihr ins Schloss gefallen war. Gut! Sie würde sich irgendwann schon wieder beruhigen und einsehen, dass er nur Luises Wohl im Sinn hatte. Außerdem würde ihr Protest Friedrichs Familie sowieso nichts mehr nutzen. – Sie waren alle tot!

Fürst Siegmund ahnte nicht, dass er damit einem schweren Irrtum unterlag.

Schwur auf Rache

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