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Schwur auf Rache

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Pater Johannes saß am Bett des Jungen und sah besorgt auf das blasse Gesicht hinab. Es war ein Wunder, dass Falko den Überfall überlebt hatte. Er konnte noch immer nicht fassen, was ihm die Brüder bei ihrer Rückkehr erzählt hatten ...

Die Mönche hatten den Jungen zunächst zu den anderen Toten auf den Karren gelegt, im Glauben, dass auch er nicht mehr am Leben war, bis Bruder Lukas bemerkte, wie Falko versuchte etwas zu sagen. In der Annahme, die letzten Worte eines sterbenden Kindes zu hören, hielt der Mönch sein Ohr direkt an den Mund des Jungen. Was er dann vernahm, konnte er kaum glauben.

„Fürst Siegmund! ... Er war es ... Er hat die Männer dazu … beauftragt!“ Dann wurde Falko wieder bewusstlos.

Direkt nach ihrer Ankunft im Kloster begab sich der Mönch zum Abt und berichtete ihm von dem schrecklichen Geschehen und den Worten des Jungen. Pater Johannes eilte danach sofort zum Krankenlager des Kindes und verschaffte sich einen Überblick. Falko war nicht ansprechbar und es schien fraglich, ob er überleben würde. Sein Angreifer hatte das kleine Herz nur knapp verfehlt, aber es bestand die vage Hoffnung, dass auch die angrenzenden Organe und großen Blutgefäße verschont geblieben waren, sonst wäre Falko sicher schon gestorben. Doch er hatte sehr viel Blut verloren.

Der Abt wollte noch immer nicht glauben, was Bruder Lukas ihm offenbart hatte. Selbst wenn er den Jungen richtig verstanden hatte, konnten die Worte vom Schock herrühren, den das Kind zweifelsohne erlitten hatte. Doch er wollte auch kein Risiko eingehen. Er versammelte alle Brüder des Ordens in der Kapelle und unterrichtete sie über die schwierige Lage.

„Solange wir nichts Genaues wissen, werden wir verschweigen, dass der Junge überlebt hat. Sollte er wieder zu sich kommen und die Anschuldigung widerrufen, können wir Fürst Siegmund die gute Botschaft immer noch überbringen. Er wird es sicher verstehen. Sollte sich aber herausstellen, dass er die Wahrheit sprach, schwebt Falko von Kaltenstein in höchster Gefahr. Dann darf niemand etwas davon erfahren, dass er lebt. Wir wollen alle gemeinsam ein Gelübde ablegen, dass wir uns an diese Vereinbarung halten werden.“

Und so geschah es dann auch.

Als Falko erwachte, saß Pater Johannes an seinem Lager und hielt ihm die Hand. Mit großen Augen blickte das Kind den Älteren an. Falko kannte den freundlichen Mann, seit er noch ganz klein gewesen war. Er wiederholte vor ihm seine Anklage gegen Fürst Siegmund.

Liebevoll fuhren die Finger des Mönches durch das verschwitzte lockige Haar des Jungen. „Es tut mir leid, mein Sohn! Dir ist großes Unheil widerfahren. Doch der Herr hat dich bei uns gelassen und dafür wollen wir ihm danken!“ Der Abt faltete die Hände zum Gebet und gab Falko ein Zeichen, es ihm gleichzutun.

„Ich werde nicht beten!“, flüsterte der Junge verbittert. Eine Weile blieb es still zwischen ihnen und nur das leise Knistern des Kaminfeuers war zu hören. „Gott hat zugelassen, dass Fürst Siegmund meine ganze Familie umbringt! Wofür sollte ich ihm also danken?“

Pater Johannes lächelte nachsichtig. „Du glaubst also, dass Gott dafür die Verantwortung trägt? Nein, mein Sohn! Gott hat uns einen freien Willen gegeben. Es gibt Menschen, die diese Freiheit nutzen, um gute und große Dinge zu tun. Andere wiederum sind … wie Fürst Siegmund.“ Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Keiner hätte sich so etwas je vorstellen können. Auch wenn er nie so gütig war wie dein Vater, er galt bisher immer als unbescholtener Ehrenmann. Doch glaube mir, er wird die gerechte Strafe für seine Taten erhalten. Spätestens, wenn er eines Tages vor unserem Schöpfer steht.“

Hasserfüllt starrte Falko ins Leere. Sein kleines Gesicht hatte jeglichen kindlichen Ausdruck verloren. „Ich werde dafür sorgen, dass er seine gerechte Strafe noch hier auf Erden erhält. Ich werde lernen zu kämpfen. Und ich werde ihm das Gleiche antun, das er mir angetan hat. Er soll auch alles verlieren!“ Die letzten Worte hatte er unter Tränen herausgeschrien. Der Abt nahm das schluchzende Kind fest in seine Arme.

„Jetzt werde erst einmal wieder gesund. Du bist voller Hass und ich kann das verstehen, aber ich warne dich. Hass ist kein guter Berater. Er frisst dich nur auf. Eines Tages, wenn du ein Mann bist, dann kannst du dein Erbe zurückerobern. Aber nun müssen wir dich erst einmal verstecken. Der Fürst darf auf keinen Fall erfahren, dass du noch lebst. Wenn er fürchtet, seine Pläne könnten durchkreuzt werden, wird er alles daran setzen, dich zu finden, um dich doch noch zu töten.“

„Verstecken? Ich verstehe nicht. Warum kann ich nicht aufs Schloss zurück? Hauptmann Gernot wird sicher auf mich aufpassen.“

„Mein Junge! Du und Gernot allein habt keine Chance. Siegmund hat das alles nur getan, um an das Erbe deines Vaters zu gelangen. Das Schloss gehört jetzt ihm. Es dürfte dir schwer fallen zu beweisen, dass er etwas mit dieser Gräueltat zu tun hat. Er würde sicher den verständnisvollen Onkel spielen und zu deinem Vormund ernannt werden. Was das für dich bedeuten würde, kannst selbst du dir schon vorstellen ... oder, mein Junge?“

Ja, in etwa konnte er das.

„Also lass dir Zeit! Habe Geduld und bedenke genau, was du tun willst. Werde zunächst ein Mann, um ihm ein ebenbürtiger Gegner zu sein. Nur so wirst du Erfolg haben.“

Falko dachte nach. Der Pater hatte sicher recht. Auch wenn es einem Jungen seines Alters vorkam wie die Unendlichkeit, er musste erwachsen werden, um seinen Eid zu erfüllen. Er sah dem Mönch fest in die Augen. „Ich kann warten, wenn es sein muss! Aber ich schwöre, dass ich nicht eher ruhen werde, bis ich das Erbe meines Vaters wiederhabe und Fürst Siegmund seine Strafe bekommen hat.“

Pater Johannes nickte zustimmend. Im Moment war es das Wichtigste, den Jungen von irgendwelchen unüberlegten Racheakten abzubringen, die er sonst in seinem kindlichen Leichtsinn begangen hätte. Mit der Zeit würde er schon wieder zur Vernunft kommen und sich in sein Schicksal fügen. Alles andere wäre ein Spiel mit dem Tod.

„Könntet Ihr Hauptmann Gernot verständigen, dass ich noch am Leben bin? Er ist mein bester Freund – und der meines Vaters.“

„Nun, ich weiß nicht, ob es klug wäre …“

„Wenn ich ihm nicht vertrauen kann, dann keinem! Bitte ruft ihn, Pater!“ Der Junge war erst zehn Jahre alt, aber er besaß in diesem Augenblick die Überzeugungskraft eines erwachsenen Mannes.

„Gut. Ich werde ihn holen lassen. Nun schlafe, mein Sohn. Du wirst deine Kräfte noch brauchen.“

Hauptmann Gernot saß, am Boden zerstört, in seinem Zimmer. Seit ihn vor zwei Tagen die ungeheuerliche Nachricht vom Tod seiner geliebten Herrschaft erreichte, hatte er den Raum kaum verlassen. Der furchtlose Kämpfer wusste nicht, wann er das letzte Mal geweint hatte, doch nun bahnten sich immer wieder neue Tränen ihren Weg. Auch der Wein, den er in großen Mengen trank, um zu vergessen, konnte seinen Kummer nicht lindern.

Fürst Siegmund war schon gestern mit seinen Männern auf dem Schloss angekommen und hatte sofort die Führung übernommen. Zunächst fand niemand etwas daran auszusetzen, denn es gab einiges zur Vorbereitung der Trauerfeier zu organisieren. Doch bald war deutlich geworden, dass er schon jetzt grundlegende Änderungen in den bewährten Strukturen vorzunehmen gedachte. Gernot und seine Männer sollten den Befehlen von Siegmunds Hauptmann unterstellt werden. Dass hatte bei Gernots Leuten zu heftigen Protesten geführt. Er hatte ihnen zunächst befohlen, Ruhe zu bewahren und die weiteren Entwicklungen abzuwarten. Ihn selbst hatte diese Vorgehensweise des künftigen Schlossherren ebenso erzürnt, aber er war ein kühler Stratege und wusste, dass es für seine Männer nur zum Nachteil war, wenn sie sich dagegen auflehnten. Abgesehen davon musste er zunächst einmal seinen Schock überwinden, um wieder klar denken zu können.

Nun war es schon Abend, als es an seiner Tür klopfte. Einer der diensthabenden Wachsoldaten trat ein und salutierte.

„Herr Hauptmann, am Tor ist ein Mönch, der Euch zu sprechen wünscht. Er sagt, es wäre dringend.“

Gernot zog die Stirn in Falten. Dabei konnte es nur um die Beerdigung gehen, aber das ging ihn eigentlich nichts an. Neugierig geworden befahl er der Wache, den Mönch vorzulassen.

Kurze Zeit später trat Bruder Lukas ein. „Unser Abt, Pater Johannes, schickt mich. Ich soll ausrichten, dass er Euch so schnell wie möglich im Kloster erwartet. Er hat eine wichtige Nachricht, die er Euch nur unter vier Augen mitteilen kann. Es ist wichtig, dass niemand erfährt, warum Ihr zum Kloster kommt. Wenn doch jemand fragt, sollt Ihr erklären, dass Ihr den Abt gebeten habt, noch einen letzten Moment allein mit den Toten zu verbringen. Jeder weiß um die Freundschaft zwischen Euch und der Fürstenfamilie. Also wird es keinen verwundern.“

Nun war Gernot völlig verwirrt. Was war so wichtig, dass der Abt zu solchen Heimlichkeiten griff. Er hatte zunächst tatsächlich den Wunsch gehabt, die Verstorbenen zu sehen, dann aber beschlossen, es bleiben zu lassen, da er nicht wusste, ob er es verkraften würde. Natürlich war ihm der Tod schon so oft begegnet, aber Falko war ihm lieb wie ein eigener Sohn. Er selbst hatte keine Kinder. Bis jetzt war ihm noch nicht die Frau begegnet, die ihn an sich binden konnte. Er mochte es, frei zu sein. Er war jetzt dreißig, ein Mann in den besten Jahren und hatte immer noch genug Zeit, um zu heiraten.

„Ich lasse mein Pferd satteln. In einer halben Stunde können wir aufbrechen. Wärmt Euch solange auf und trinkt einen Becher Wein.“

Bruder Lukas nahm dankend an. Er war ein Freund des guten Weines und genoss die Ruhepause sichtlich.

Zwei Stunden später trafen sie im Kloster ein. Bruder Lukas führte den Hauptmann zu Pater Johannes. Die Männer kannten sich gut und begrüßten einander freundlich und respektvoll. Dann bat der Abt seinen Gast, ihm zu folgen. Vor einer niedrigen Tür blieben sie stehen. Eindringlich sah der Gottesmann seinen Besucher an. „Schwört mir, bei der Heiligen Jungfrau, dass Ihr mit niemandem über das sprecht, was Ihr gleich sehen werdet!“

Nach kurzem Überlegen stimmte Gernot zu. Er vertraute dem Pater und wusste, dass der ihm nicht grundlos einen solchen Schwur abverlangte.

Dann betraten sie gemeinsam den kleinen Raum. Wie in einem Kloster üblich, war er nur mit dem Notwendigsten eingerichtet, aber zumindest verfügte er über einen kleinen Kamin, der eine angenehme Wärme ausstrahlte. An einer Wand stand ein einfaches Bett. Als Gernot herantrat, wollte er seinen Augen nicht trauen. Er blickte direkt in das blasse Gesicht seines kleinen Freundes. Falko schlief fest.

Fassungslos ließ er sich auf die Bettkante nieder. „Wie ist das möglich?“, flüsterte er dem Abt zu.

„Das soll Euch der Junge selbst erzählen, wenn er aufwacht.“

Der Hauptmann nahm vorsichtig die kleine Hand des Kindes in die seine. Es war, als wenn er selbst wieder von den Toten auferstanden wäre. Das lähmende Gefühl verließ seinen Körper. Mit einem seligen Lächeln betrachtete er Falkos Gesicht. „Was ist mit den anderen?“, fragte er hoffnungsvoll.

Pater Johannes schüttelte den Kopf. „Nur der Junge hat das Gemetzel überlebt und selbst das kommt einem Wunder gleich.“

Dann öffnete Falko die Augen. Er brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass der Hauptmann wahrhaftig an seinem Bett saß. Langsam verzog sich sein Mund zu einem zaghaften Lächeln.

Gernot beugte sich hinunter und gab dem Jungen einen Kuss auf die Stirn. „Ich bin so froh, dass du lebst, Soldat.“ So nannte er Falko immer dann, wenn er besondere Tapferkeit gezeigt hatte.

„Immer zu Euren Diensten, Hauptmann“, antwortete die zarte Kinderstimme sofort. Dann sahen sie sich eine Weile schweigend an.

„Willst du mir erzählen, was passiert ist? Aber nur, wenn es dich nicht zu sehr anstrengt!“

Falko erzählte ihm alles. Angefangen von seinen Beobachtungen zu Luises Geburtstag, dem furchtbarem Überfall, bis hin zu seiner Erkenntnis, dass der Mann, der ihn töten wollte, derselbe war, den er mit Siegmund gesehen hatte.

Gernot war außer sich vor Zorn. „Dieses hinterhältige Schwein! Ich werde ihn mir vornehmen und wenn ich damit fertig bin, wird nicht einmal mehr seine Frau imstande sein, seinen Leichnam zu erkennen!“

Pater Johannes hatte mit dieser Reaktion des Hauptmanns gerechnet. Beschwichtigend redete er auf ihn ein. „Mein Freund, beruhigt Euch! Niemandem wäre mit einer solch unüberlegten Tat gedient. Der Junge braucht Euch. Was, wenn Ihr bei diesem Racheakt Euer Leben lasst? Ihr seid die einzige Bezugsperson, die Falko noch hat. Geht mit ihm fort von hier und erzieht ihn im Sinne seiner Eltern. Bringt ihm alles bei, was er wissen muss, um eines Tages sein Erbe zurückzufordern und ein guter Fürst zu werden, so wie sein Vater einer war.“

Der Hauptmann versuchte sich zu beruhigen und dachte nach. Es schien einleuchtend, was der Pater sagte. Falko war in Lebensgefahr, solange er hierblieb. Und die Sicherheit des Jungen hatte oberste Priorität.

„Ihr habt recht, Pater! Wir könnten nach Waldenburg gehen. Dort lebt ein guter Freund von mir mit seiner Familie. Er hat dort eine Schmiede. Ich bin mir sicher, dass sie uns aufnehmen würden. Ich habe einiges gespart in den letzten Jahren und finde sicher auch ein neues Auskommen, wenn das Geld aufgebraucht ist.“ Den Blick auf Falko gerichtet, fragte er: „Was ist mit dir, mein Freund. Wollen wir es zusammen versuchen?“

Das erste Mal seit dem Überfall brachte der Junge so etwas wie ein freudiges Lächeln zustande. „Ich darf bei Euch bleiben, Hauptmann? Ja, das will ich gern!“

Gernot strich ihm liebevoll mit der Hand durch die Locken. „Es wäre ratsam, wenn du mich in Zukunft mit 'Onkel' ansprichst. Wir könnten den Leuten sagen, dass du der Sohn meines verstorbenen Bruders bist. Es tut mir leid, dass du so deine wahre Identität verschweigen musst. Aber ich verspreche dir, wenn die Zeit reif ist, wirst du wieder deinen Namen tragen.“

„Es ist schon gut. Ich bin mir sicher, dass Vater es nicht anders entscheiden würde.“ Jetzt war das kurze glückliche Leuchten aus den Augen des Jungen wieder verschwunden und die tiefe Traurigkeit kehrte zurück. Doch er blieb tapfer. Falko wollte nicht weinen. Er wollte stark sein und hoffte, so schneller erwachsen zu werden, um zu tun, was er sich vorgenommen hatte.

Alles, was er von nun an tat, sollte nur diesem einen Ziel untergeordnet sein: Irgendwann Rache zu üben.

Gernot kehrte zunächst zum Schloss zurück, um keinen Verdacht zu erregen. Heimlich bereitete er seine baldige Abreise vor. Es tat ihm leid, seine Männer im Stich zu lassen, aber er würde versuchen, zu seinen engsten Vertrauten Kontakt zu halten. Natürlich war es im Moment ausgeschlossen, jemanden in die Sache mit Falko einzuweihen. Wenn die Zeit reif war, wollte er herausfinden, wer von ihnen sich bereit erklärte, für seinen rechtmäßigen Herren zu kämpfen. Es dauerte sicher noch eine Weile, bis der Kleine die Reise nach Waldenburg antreten konnte. Solange musste Gernot noch ausharren, bevor er seinen Dienst quittierte. Als Grund dafür würde er angeben, dass er nicht akzeptiere, Siegmunds Hauptmann unterstellt zu sein. Es war ziemlich sicher, dass der neue Fürst nicht versuchen würde ihn aufzuhalten, da Friedrichs Vertrauter ihm bei seinen Plänen bestimmt nur ein Dorn im Auge war.

Vorsorglich rief Gernot drei seiner vertrautesten Männer zusammen und bat sie eindringlich, hier am Schloss zu bleiben. Er gab ihnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu verstehen, dass er Zweifel an Fürst Siegmunds Rolle bei den vergangenen Ereignissen hatte. Auch, dass er bald weggehen würde, um Näheres herauszufinden. Die Männer vereinbarten einen Code für geheime Treffen, bei denen sie ihm die neuesten Entwicklungen am Schloss mitteilen sollten. Keiner der drei zweifelte auch nur einen Augenblick an der Ernsthaftigkeit der Situation und sie sicherten ihrem Hauptmann Verschwiegenheit und jegliche Unterstützung zu, die sie ihm geben konnten.

Am Tag der Trauerfeier begab sich Gernot schon bei Sonnenaufgang zum Kloster. Er hatte Falko versprochen, bei seinem schweren Gang bei ihm zu sein. Da der Junge unmöglich an den Feierlichkeiten teilnehmen konnte, wollte Gernot gemeinsam mit ihm Abschied von den Toten nehmen, bevor die Eskorte eintraf.

Es war geplant, dass Fürst Siegmund mit seinen Soldaten die Überführung der Leichname überwachen würde. Der Weg des Trauerzuges führte durch einen Teil des Fürstentums, vorbei an den getreuen Untertanen, bis zur Schlosskapelle. Dort sollte der Abschiedsgottesdienst von einem Priester gehalten werden, den Siegmund selbst dafür ausgewählt hatte. Schon wieder eine sinnlose Machtdemonstration des neuen Herrschers. Jeder hätte erwartet, dass Pater Johannes, als Beichtvater und Freund der Familie, die Predigt halten würde ... Danach sollten die Toten in der Familiengruft ihre letzte Ruhe finden. Doch bis dahin blieben noch ein paar Stunden Zeit.

Als Gernot das Zimmer des Jungen betrat, saß der schon angekleidet auf der Bettkante. Man konnte deutlich erkennen, dass ihn neben den seelischen auch körperliche Schmerzen plagten. Eine Hand fest auf seine Wunde gepresst, erhob sich Falko tapfer.

„Guten Morgen, Hauptmann - können wir gehen?“

„Wenn du so weit bist?“ Gernot stützte den Jungen, so gut er konnte und sofern der es zuließ.

Falko schien diesen Gang mit einem Stolz und einer Würde zu bewältigen, die man von einem Zehnjährigen eigentlich nicht erwarten konnte. Als sie den Raum betraten, in dem die vier offenen Särge der Fürstenfamilie aufgebahrt waren, ging ein Ruck durch den Leib des Kindes. Besorgt wollte der väterliche Freund den Jüngeren in die Arme nehmen, doch beließ es bei dem Vorhaben, als Falko abwehrend die Hand ausstreckte. Ohne ein Wort zu sagen, trat der Junge mit versteinertem Gesicht an jeden einzelnen Sarg. Zuletzt blieb er bei seinem Vater stehen. Seine Lippen bebten und die grauen Augen verschleierten sich, als er sein Gelübde wiederholte: „Ich schwöre dir, Vater, dass ich dein Erbe zurückfordern werde und das Verbrechen gesühnt wird!“ Dann brach seine Stimme. Nun ließ er sich doch von Gernot in den Arm nehmen und fand so den nötigen Halt, um nicht zusammenzubrechen. Plötzlich fiel sein Blick auf einen fünften Sarg in einer Ecke des Raumes. Seine Größe ließ darauf schließen, dass es sich um einen Kindersarg handelte.

„Was ist damit?“, fragte Falko ohne die Augen davon zu lösen.

Der Hauptmann ging auf die Knie, um so mit dem Jungen auf Augenhöhe zu gelangen.

„Falko, du weißt, dass dich alle für tot halten müssen. Also ist es notwendig, einen fünften Sarg vorzuzeigen. Deinen!“

Wenn den Jungen dieser Sachverhalt erschreckt haben sollte, zeigte er seine Gefühle nicht. Ganz im Gegenteil! Es schien kurz so etwas wie Genugtuung über sein Gesicht zu flackern.

„Das ist also der erste Schritt – nicht wahr? Wir führen Siegmund an der Nase herum. Er fühlt sich in Sicherheit und ich habe Zeit, zu wachsen und meine Rache vorzubereiten! Gut!“

Der Hauptmann atmete tief durch. Da würde eine Menge Arbeit auf ihn zukommen! Er wollte nicht zulassen, dass dieses wunderbare Kind von Kummer und Hass aufgefressen würde.

„Gernot?“, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. „Wer liegt denn dann in meinem Sarg?“

„Nun, zuerst wollten wir nur Steine hineinlegen. Doch da wir nicht sicher ausschließen können, ob Fürst Siegmund nicht doch eine Kontrolle durchführen lässt, haben Pater Johannes und ich beschlossen, einen Knaben, aus dem Waisenhaus unten im Tal, darin zu bestatten.“

„Wieso ist er tot?“, fragt Falko rasch.

„Er hatte eine Lungenentzündung! Er war so alt wie du und sah dir sogar sehr ähnlich. Ich bin sicher, deine Eltern werden sich um ihn kümmern, da wo er jetzt ist.“

Falko hatte den Blick ins Leere gerichtet. „Ja - das glaube ich auch!“

In diesem Moment trat Pater Johannes ein. Er strich Falko sanft über den Kopf und sagte an Gernot gerichtet: „Es wird Zeit! Wir müssen die Särge verschließen. Siegmunds Gefolge kann jederzeit eintreffen! Bringt den Jungen wieder zurück und verfahrt weiter wie besprochen.“

Falko warf noch einen letzten Blick auf seine Familie und ließ sich dann bereitwillig von Gernot aus dem Raum führen.

„Wie geht es jetzt weiter?“, fragte er später den Hauptmann.

„Ich muss dich leider für ein paar Tage allein lassen. Zunächst reite ich zum Schloss zurück! Jedem würde es sofort auffallen, wenn ich nicht bei der Trauerfeier erscheine. Und wir müssen jegliches Aufsehen vermeiden.“

Falko nickte. „Schon gut! Ich verstehe das! Ich warte hier auf Euch!“

„Auf 'dich', Falko! Gewöhne dich schon mal daran!“

Der Junge nickte. „Bis bald, Onkel Gernot!“

Sie umarmten sich noch einmal ganz fest und trennten sich für unbestimmte, aber nicht allzu lange Zeit.

Falko blieb an diesem Tag nicht alleine. Der Abt hatte einen Plan aufgestellt, nach dem die Brüder sich abwechselnd um das Kind kümmerten. Da alle Mönche des Klosters den kleinen Gast in ihr Herz geschlossen hatten, kamen sie der Aufgabe gern nach.

Gernot dagegen hatte das schwerere Los gezogen. Als er zum Schloss zurückkehrte, hatte er gerade noch Zeit, seine Festuniform anzulegen und seinen Leuten noch einmal die Instruktionen für heute zu wiederholen. Dann bezogen sie ihre Positionen vor der Schlosskapelle und erwarteten die Ankunft des Trauerzuges.

Zunächst betraten einige geladene Gäste das Gotteshaus. Auch Fürstin Dora und ihre Tochter Luise näherten sich ihnen in Begleitung eines Dieners. Gernot musterte die Fürstin genau. Zu seiner Überraschung schien Dora ihre Trauer nicht zu spielen. Sie sah elend und schwach aus. Der Diener musste sie stützen. Das sonst so fröhliche Gesicht der Frau, war zu einer starren Maske gefroren. Sollte sie vielleicht gar nichts von der Intrige ihres Mannes wissen? Dann fiel sein Blick auf etwas, das die kleine, tieftraurige Luise mit der linken Hand an ihr Herz drückte. Erst meinte er sich zu irren, doch dann erkannte er eindeutig einen von Falkos Soldaten. Schließlich hatte er ihn einst selbst geschnitzt. Falko musste Luise sehr gern haben, wenn er ihr eine der Figuren überlassen hatte. Als Dora an Gernot vorbeilief, blieb ihr Blick einen Moment an ihm hängen. Sie wusste, wie eng die Beziehung zwischen dem Hauptmann und der Familie gewesen war. Es sah kurz aus, als wolle sie ihn ansprechen. Doch dann senkte sie den Blick wieder und ging wortlos an ihm vorbei. Nachdenklich runzelte Gernot die Stirn und blickte ihr nach. Er musste unbedingt jemanden damit beauftragen, die Fürstin zu beobachten. Vielleicht gab es ja etwas Interessantes in Erfahrung zu bringen ...

In diesem Augenblick bekam er die Meldung, dass der Trauerzug gleich eintreffen würde und er schob die Gedanken zunächst beiseite.

Abends in seinen Räumen fragte er sich immer wieder, wie er diesen Tag überstanden hatte, ohne Siegmund die Kehle durchzuschneiden.

Der Fürst hatte eine herzerweichende Rede zu Ehren der Verstorbenen gehalten, die jeden Zuhörer, der die Wahrheit nicht kannte, zu Tränen rührte. Gernot machte so viel Heuchelei fast wahnsinnig. Also konzentrierte er sich wieder auf Dora und stellte fest, dass es ihr ähnlich zu gehen schien. Oder bildete er sich das nur ein?

Beim anschließenden Trauermahl sprach die Fürstin kein Wort und entschuldigte sich noch vor dem Dessert mit der Bitte, sich nun zurückziehen zu dürfen. Scheinbar besorgt gab ihr Siegmund die Erlaubnis dazu. Doch in seinen Augen war noch etwas anderes zu erkennen – eine Warnung! Ohne ihren Gatten auch nur eines Blickes zu würdigen, verließ Dora den Saal.

Irgendetwas stimmte da nicht zwischen dem Paar, da war Gernot sich sicher. Er hatte die beiden immer als sehr liebe- und respektvoll miteinander erlebt. Man konnte erwarten, dass sie gerade in der jetzigen Situation zusammenhielten. Es sei denn …, es sei denn, die Fürstin wusste Bescheid, war aber keineswegs damit einverstanden, was ihr Mann getan hatte. Dann würde sie eines Tages sicher zu eine guten Waffe im Kampf für Falkos Rechte werden! Doch im Moment waren das alles nur wilde Spekulationen, die ihm nicht weiterhalfen.

Dora hatte sich gerade für die Nacht zurechtgemacht, als ihre Zimmertür aufgerissen wurde.

Mit wütender Miene trat Siegmund ein. „Willst du mir offiziell den Kampf ansagen oder was hatte dein Auftritt zu bedeuten! Ich warne dich, Dora, wage es nicht, dich öffentlich gegen mich zu stellen, dann lernst du mich kennen.“

Sie sah ihn nur voller Abscheu an und kehrte ihm den Rücken zu. Wütend drehte er sie zu sich herum. „Du bist meine Frau und hast mir zu gehorchen!“ Als sie sich von ihm freimachen wollte, hielt er sie nur noch fester. „Du willst dich mir verweigern? Dazu hast du nicht das Recht!“ Mit diesen Worten schob er sie zum Bett und begann sie zu küssen. Er roch nach Schnaps und Wein. Angewidert ließ Dora sein Drängen über sich ergehen. Wie eine Puppe lag sie unter ihm. Siegmund, der bisher keinen Grund gehabt hatte, sich über ihre gemeinsamen Liebesakte zu beklagen, war so irritiert vom Verhalten seiner Frau, dass seine Männlichkeit versagte. Gedemütigt hielt er inne und zog ihren Kopf an den Haaren nach hinten, so dass Dora einen Schmerzensschrei ausstieß. Er erhob die Hand zum Schlag, ließ sie jedoch wieder sinken. Nachdem er von ihr abgelassen hatte, richtete er seine Sachen und verließ den Raum. Die Fürstin blieb noch eine Weile reglos liegen, bevor sie sich erhob und lautlos weinend ans Fenster trat.

Schwur auf Rache

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