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100 % Drahtesel-Style
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100% Drahtesel-Style
Fineliner und Bleistift auf Karton, 1985
60 x 40 cm
Drahtesel-Style? Was soll DAS denn sein?
Hier der Versuch einer Erklärung: Der „Drahtesel“ war eine Mischung aus Kneipe, Disco, Bar und Pizzeria und in den 80ern so etwas wie DIE Kultadresse in und um das oberhessische Büdingen, das ungefähr 50 km vor den Toren von Frankfurt - zwischen Wetterau und Vogelsberg – liegt. Dort tanzten und feierten zu Klängen von Eurythmics, Depeche Mode, Spandau Ballet, Heaven 17 oder auch Lucio Dalla friedlich die unterschiedlichsten Originale - quer durch alle Stilrichtungen, New Weaver, New Romantics, Ableger der Rocky-Horror-Picture-Show, Müslis, vermutlich einige der ersten GRÜNEN und Mitglieder zahlreicher Bands aus der Umgebung. Und wenn es mal Krach gab: Gegenüber war die Polizeistation, das half meistens…
Um 1 Uhr früh ging stets das unbarmherzige Neonlicht an, dann sang Frankie Boy „New York, New York“ und alle, die neu verknallt waren, konnten direkt die Tageslichttauglichkeit ihrer neuen Eroberung testen – und es sich vielleicht nochmal kurz überlegen…
Der „Esel“ war - neben dem DORIAN GRAY im Frankfurter Flughafen - einfach Kult und seine vielen Stammgäste absolute Trendsetter in Sachen Mode und Frisuren.
Schade, irgendwann begann die Techno- und House-Welle und andere Zeiten zogen übers Land. Die Disco-Welle, die in den 70ern ausgelöst von John Travolta als tanzender Tony Manero eine Flut von Diskotheken selbst in die tiefste oberhessische "Getreide-Provence" gespült hatte, war nun endgültig zu Ende.
Im Rückblick bin ich froh, dass es zu meiner Jugendzeit noch keine Fotohandys und Smartphones gab. Man konnte sich fürchterlich daneben benehmen, beim Tanzen auch mal hinfallen oder mit misslungener Haarpracht die Anlage verlassen, niemand hat sich länger als unbedingt nötig dafür interessiert. Schon gar nicht wäre man auf die Idee gekommen, dieses oder jenes Missgeschick zu fotografieren und es herumzuzeigen oder in die Zeitung zu setzen.
Man kann wohl sagen, dass früher nicht alles schlechter war… Aber wahrscheinlich werde ich nur alt.
Und wer nach 1 Uhr noch immer nicht nach Hause wollte, der fuhr „auf die Raststätte“ nach Langenbergheim, A 45, kurz vor dem Hanauer Kreuz, und trank dort noch einen heißen, schwarzen Kaffee bis zum Sonnenaufgang. Die anderen Nachteulen wagten sich mutig ins Foxtrott-Feindgebiet, die Nachbardisco, das „WINDSOR“, der spätere ONLINE-Club – hier wurde die Tanzbein-Abteilung bis drei Uhr früh zufriedengestellt.
Heute wären die Helene-Fischer-Fans von so einem Club sicher mega-begeistert - oder gleich atemlos.
Aber mittlerweile gibt es in der Gegend kaum noch Diskotheken. Die einzige Location, die sich tapfer seit nahezu 50 Jahren hält, ist das BLACK INN Ranstadt, aber das ist auch keine Disco im klassischen Sinn. Alle anderen haben längst die letzte Scheibe abgegeben.
Die Menschen gehen auch nicht mehr so oft aus, denke ich. In meiner Jugendzeit fing traditionell mittwochs das Wochenende an, sprich, man ging außer Montag und Dienstag jeden Abend aus! Das große Bier hat 3 Mark (echtes, hartes Geld!) gekostet und man konnte das Haus noch mit einem Zehner in der Jeans verlassen und hat - mit Glück - sogar noch etwas übrigbehalten.
Heute gehen die Leute wohl nicht mehr so viel aus, sie sind dafür aber online .
Oder wo sonst lernen sich die meisten jetzt kennen? Das, was früher der Heiratsmarkt für die Sitzengebliebenen und in die Jahre gekommenen Mauerblümchen war, nämlich die gute alte Kontaktanzeige, ist ja nun die fast schon übliche Variante, einen Flirt zu beginnen.
Wie gesagt, schön, dass es „damals“ noch anders war.
Obwohl, das DAMALS noch gar nicht sooo lange her ist...