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Drei Tage später war das Haus der Großmutter fertig, was mit einem großen Festessen für alle Helfer am letzten Abend gefeiert werden sollte. Onkel Wawe schlachtete ein Schwein, Großmutter ließ drei Hühner grillen, Fische wurden gefangen und gebraten. Die Frauen waren den ganzen Tag mit Kochen beschäftigt, und die Pulakaknollen, die bereits seit Tagen auf dem Feuer köchelten, damit sie essbar wurden, verarbeiteten sie zu Mus. Großmutter setzte frischen Palmwein an.

Vor dem Essen bedankte sie sich bei allen Helfern. Den Großvater erwähnte sie dabei mit keinem Wort. Nur Tahnee, die sie nachts oft leise weinen hörte, wusste, wie sehr sie ihn vermisste. Und solange es kein sichtbares Zeichen gab, dass er ertrunken war, würde sie wie Tahnee den letzten Rest an Hoffnung ganz tief in sich bewahren, auch wenn sie immer so tat, als würde sie nicht daran glauben.

Wie meistens in den letzten Monaten drehten sich auch während des Essens die Gespräche um die Stürme, die immer häufiger und heftiger auf die Insel trafen.

»Manchmal gehen die Sirenen. Und ich schaue zum Himmel und es gibt keine Wolke, keinen Wind, nichts bewegt sich. Und dann kommt ganz plötzlich der Sturm und dann die Wellen«, meinte Tolise, einer der ältesten Bewohner des Atolls. »Als mein Enkel das erste Mal aus der Schule kam und vom Klimawandel erzählte, habe ich es nicht geglaubt. Aber jetzt kann ich es sehen, jeden Tag. Es macht mir Angst! Wie lange können wir hier noch leben? Was wird aus meiner Familie, wenn unser Atoll im Meer versinkt? Wo werden wir hingehen?«

»Es sind unsichere Zeiten. Aber auf eines ist Verlass: auf unsere Gemeinschaft. Niemand wird alleinegelassen, wenn er in Not ist«, meinte Tahnees Vater und alle nickten.

Tahnee hörte nur mit halbem Ohr zu. Ihre Augen wanderten immer wieder zu Malaki hinüber. Obwohl sie den ganzen Tag so nahe beinander gearbeitet hatten, hatten sie kaum ein Wort miteinander sprechen können. Er war ihr Cousin dritten Grades und eine Freundschaft zwischen Cousin und Cousine war bis in den 3. Verwandtschaftsgrad verboten.

Nur einmal war es ihnen gelungen, sich davonzuschleichen. Tahnee, die sich auf Lakena sehr gut auskannte, hatte ihn auf einem kleinen Pfad durch den Dschungel auf eine Lichtung geführt. In der Mitte lag ein Hügel, der von Schlingpflanzen und Büschen überwuchert war.

Auf diesen Hügel steuerte Tahnee zu und fegte mit einem Palmwedel eine kleine Fläche frei, auf der die Blätter und Äste nicht fest verwurzelt, sondern nur aufgelegt waren. Darunter kamen runde Steine zum Vorschein, Stufen, die auf eine Art Terrasse führten.

Malaki streichelte andächtig über die Steine und traute sich kaum zu atmen. Er hatte sofort erkannt, was es war: ein marae, einer der heiligen Orte ihrer Vorfahren. Hier hatten die Priester den Göttern Opfer gebracht, um für einen Sieg im Kampf gegen die Feinde zu bitten oder um Schutz vor dem Aufbruch zu weit entfernten Inseln.

»Wie hast du diesen Platz gefunden?«, fragte er.

»Es war Großmutter. Sie ist darüber gestolpert, als sie auf der Suche nach Heilkräutern war. Die Götter haben ihren Fuß geführt, hat sie gesagt«, erzählte Tahnee. »Es gibt niemanden auf Lakena, der diesen Ort kennt.«

Sie zeigte ihm die fast drei Meter hohe und zwei Meter breite Korallenplatte, die die Großmutter vor Jahren unter den Dschungelpflanzen entdeckt hatte. »Es ist ein Schrein für einen unserer alten Götter«, erklärte sie. »Wahrscheinlich für Maui. Ursprünglich stand er mal aufrecht.«

Tahnee liebte diesen Ort, an dem sie schon so oft mit ihren Großeltern gewesen war. Und sie war glücklich, dass auch Malaki die besondere Stimmung spürte. Die meisten Nanumeaer wollten von den alten Göttern nichts mehr wissen, seitdem die Missionare die Tempel und Schreine als Teufelswerk beschimpft und zerstört hatten.

Eng umschlungen saßen sie auf den Stufen des marae. Aber irgendwie fühlte es sich eigenartig an, zusammen hier zu sein, an einem Ort, an dem die Geister der Vorfahren noch zu spüren waren. Der Vorfahren, die auch die Freundschaften zwischen Cousins und Cousinen verboten hatten. Und so waren sie kurz darauf schon wieder von dort aufgebrochen und auf getrennten Wegen zum Haus der Großmutter zurückgekehrt. Niemand schien ihre Abwesenheit bemerkt zu haben.

Am nächsten Tag fuhren die Helfer wieder nach Hause und auch Tahnee machte sich auf den Rückweg. In zwei Tagen kam das Schulboot, das sie und alle anderen Jugendlichen, die eine Secondary School besuchten, auf die 350 Kilometer entfernte Insel Vaitupu bringen würde, da es auf Nanumea nur eine Grundschule gab.

Die Großmutter begleitete Tahnee an den Strand, wo ihr Kanu lag. Sie umarmte Tahnee, nahm ihre beiden Hände und sagte: »Pass auf dich auf! Und vergiss nicht, dass es Regeln gibt, die man nicht übertreten darf, ohne es hinterher zu bereuen, wenn es zu spät dafür ist. Regeln, die das Leben schützen und nur darum von unseren Vorfahren aufgestellt wurden.«

Tahnee schaute sie erschrocken an, wollte etwas sagen, aber die Großmutter schüttelte nur leicht den Kopf und ging davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Tahnee stieg in ihr Boot, paddelte einige Meter vom Ufer weg und setzte dann ihr Segel. An der kleinen unbewohnten Insel Lefogaki in der Mitte der Lagune hielt sie an, zog ihr Boot zwischen die Mangrovenwurzeln und setzte sich dann in den Schatten unter den großen Pandanusbaum, um auf Malaki zu warten. Immer wieder hatten sie sich in den letzten zwei Ferienwochen davongeschlichen, waren in ihre Kanus gestiegen, um sich hier zu treffen.

Nur sehr selten kamen andere Boote vorbei. Außerdem gab es viele Kokospalmen und Mangrovenbäume, zwischen denen man sich verstecken konnte, sodass man vom Wasser her nicht zu sehen war.

Aber diesmal wartete Tahnee umsonst, Stunde um Stunde. Malaki kam nicht. Das war noch nie passiert. Irgendwie hatten sie es immer geschafft, sich beide davonzuschleichen.

Als die Sonne am Horizont tiefer sank, gab sie auf und segelte nach Hause. Sie zog ihr Boot an Land, machte noch einen Umweg an seinem Haus vorbei, dann zur Kirche, wo er sich meist mit seinen Freunden zum Volleyballspielen traf, in der Hoffnung, ihm zu begegnen.

Vergeblich.

Er war wie vom Erdboden verschluckt.

Tuvalu

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