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Verfluchte Zöpfe
ОглавлениеMan kann die Leute nicht mehr zählen, die gezwungen sind, Entschuldigungen vorzubringen, weil sie es gewagt haben, eine Afrofrisur, Dreadlocks oder bloß angeblich »afrikanische« Zöpfe zu tragen. Obgleich sie es gewohnt ist zu provozieren, erstarrte Kim Kardashian unter einer Tracht Prügel, die sie für ein Photo hatte einstecken müssen, das sie mit blonden Zöpfen zeigt und mit »Bo West« unterschrieben ist. Eine Anspielung auf die Schauspielerin Bo Derek, die das Glück hatte, aus der Mode zu kommen, ehe die Epoche der Unterstellung kultureller Aneignung anbrach. Pharrell Williams war nicht mehr so »happy«, nachdem er sich unmöglich gemacht hatte, weil er auf dem Titelbild der Zeitschrift Elle mit einer indianischen Frisur aufgetreten war. Ein afroamerikanischer Sänger darf sich nicht mit einem Indianer verwechseln… Lana Del Rey entging nur knapp einer Steinigung, weil sie in ihrem Kurzfilm Tropico die Codes der Chola-Ästhetik aus dem Universum der Latino-Ghettos aufgegriffen hatte. Sie alle haben ihr Bedauern ausgedrückt.
Der Preis für die pathetischste Entschuldigung gebührt der Sängerin Katy Perry; auch sie hat auf einem Photo auf Instagram mit blonden Zöpfen posiert. Ihr Look erinnert jedoch vielmehr an eine ukrainische Frisur, oder allenfalls an die strenge Khaleesi, die Drachenmutter aus Game of Thrones. Doch da die Ukrainer zu sehr mit den Russen beschäftigt und die Dothrakis im wirklichen Leben nicht vertreten sind, verlangten die Profis in Sachen kulturelle Aneignung vielmehr, sie solle sich bei den Afroamerikanern entschuldigen.
Die unerfreulichen Kommentare im Internet häuften sich. Das Umfeld der Sängerin hatte ein reumütiges Interview mit einem Aktivisten der Bewegung »Black Lives Matter« gewünscht, in dem die Sängerin sich selbst live nahezu geißelte dafür, dass sie es gewagt hatte, trotz ihrer »Privilegien einer weißen Frau« solche Zöpfe zu tragen. »Das war nicht gut«, sagte sie bußfertig mit Tränen in den Augen. Ihr sei nicht bewusst gewesen, erzählte sie, wie schwer ihre Geste wiegt. Bis sie eine schwarze Freundin auf den rechten Weg zurückgeleitet habe: »Meine Freundin hat mir erklärt, was für eine Kraft in der afrikanischen Haarmode liegt, wie schön sie ist und wie viel Energie sie erfordert.« Schließlich erging man sich in der Verherrlichung der schwarzen Schönheit und verständigte sich darauf, dass weiße Frauen nicht die erforderliche Energie hätten… um ukrainische Zöpfe zu tragen?
Was dem Interview folgte, war noch erbärmlicher. Mit zitternder Stimme erklärte Katy Perry so ernst es irgend geht, dass die Farbe ihrer Epidermis sie daran hindere, sich mit einer schwarzen Frau zu identifizieren, die Zöpfe trägt: »Ich würde niemals verstehen können, was das bedeutet, aufgrund dessen, was ich bin. Aber ich kann versuchen, mich zu erziehen.« Eine Forderung nach Umerziehung, die der Aktivist von »Black Lives Matter«, dem sie das gestand, guthieß. Sie berührte ihn übrigens fortwährend wie ein Totem, um seine Zustimmung zu erlangen. Dazu muss man erwähnen, dass Katy Perry dieses Interview mit quasi abrasierten blonden Haaren gegeben hat, blond mit einem Stich ins Blaue. Die Schlümpfe aber erhoben keine Klage wegen kultureller Aneignung. Dasselbe Problem wie bei den Dothrakis: Sie sind im wirklichen Leben nicht vertreten.
Das Video dauert zwei unendliche Minuten, in denen man sich schrecklich unwohl fühlt. Die ganze Inszenierung ist niederschmetternd. So, würde man sagen, reden Angehörige einer Sekte. Eine Art umgekehrter Ku Klux Klan, wo die Zeremonienmeister junge weiße Mädchen lehren, sich niemals mit Schwarzen und deren heiligen Zöpfen zu identifizieren.
Die Hetzjagd macht bei den Frisuren nicht halt. Durstig nach Reinheit, verfolgen die Inquisitoren auch »Influencerinnen«, die so dreist sind, sich zu sehr zu bräunen oder ihren Hintern zu dick werden zu lassen, um eher »black« auszusehen. Diese Neigung wird als »nigger fishing« angeprangert. Diejenigen die posieren, indem sie über ihre wahre Herkunft täuschen, werden beleidigt und aufgefordert, ihre DNA offenzulegen.
Einst vermieden es die Weißen, sich zu bräunen, um bloß nicht wie Mestizen auszusehen. Man pflegte einen porzellanfarbenen Teint als ein Zeichen der Zugehörigkeit zur feinen Gesellschaft. Sollte man sich nicht freuen zu sehen, dass nun ein gemischter Teint in Mode kommt? Beweist das nicht, dass »Black is beautiful« triumphiert hat? Warum sich darüber beklagen? Bekämpfen sollte man besser Produkte, die die Haut weißen, sowie eine Mode, die darin besteht, die Haare in Unordnung zu bringen auf die Gefahr hin, sie zu ruinieren. Der Kampf gegen den Selbsthass ist sicherlich dringender als der gegen die Liebe zu den anderen.
Man würde darüber lachen, wenn diese Hetze im Internet nicht so viele Zeichen und so viele Tränen vergeudet hätte. »Dein Lieblingsstar ist problematisch«, eine Web-site, die sich Angriffen auf Lieblingsstars widmet, häufig wegen kultureller Aneignung, endete damit, dass sie ihre eigenen Leser nicht mehr unterstützte. Nachdem sie mehr als siebenundsiebzig Stars mit Steinen beworfen hatte, wurde sie eingestellt und hinterließ ihren Fans die Worte: »Get a life«.
Beruhigend, dass Leute im Internet schreiben, wie lächerlich ihnen diese Auseinandersetzungen erscheinen. In Frankreich sind es vielmehr diese Auseinandersetzungen selbst, die überhaupt erst zu Auseinandersetzungen führen. So zum Beispiel, als die Inquisitoren 2.0 die alberne Idee hatten, sich Camélia Jordana wegen ihrer Dreadlocks bei der César-Verleihung12 vorzunehmen. An jenem Abend betrat die Komödiantin algerischer Herkunft, die auch Sängerin ist, die Bühne, um den César für die beste Nachwuchsdarstellerin entgegenzunehmen. Die Trophäe widmete sie ihrer Mutter, die die Schule zu früh hatte verlassen müssen, sowie all denen, die Hindernisse, zumal rassistische, zu überwinden haben. Diese Botschaft konnte die Polizisten des Look offenbar nicht bewegen. Im Gegensatz zu amerikanischen Stars aber hat Camélia Jordana sich nicht entschuldigt.
Der Modedesigner Marc Jacobs musste sich beugen, weil er seine Models mit Dreadlocks in allen Farben frisiert, verwuschelt und neu interpretiert hatte: »Ich entschuldige mich für den Mangel an Gespür, den ich, ohne es zu wissen, an den Tag gelegt habe.« Er fügte hinzu, er glaube an schöpferische Freiheit. Doch warum sich dann entschuldigen, da keine Absicht bestand, jemanden zu verhöhnen?
Wenn man der Mode etwas zum Vorwurf machen müss-te, so wäre es der Mangel an Models in ihren Reihen, die gemischt, schwarz oder auch nur einigermaßen wohlauf sind, nicht das Kräuseln der Haare weißer Models. Die Afro-Mode auf den Laufstegen kann Generationen von Frauen ermutigen, damit aufzuhören, die Haare zu glätten oder kaputt zu machen! Das wäre eher ein Fortschritt. Doch der Fortschritt ist nicht das Ziel der für kulturelle Aneignung zuständigen Inquisitoren. Ihr Zweck ist, zu existieren, und das bedeutet heutzutage, sich für »beleidigt« zu erklären.
In einer solchen Haltung, einem Gewerbe nahezu, glänzt ganz besonders Rokhaya Diallo, die große Importeurin der Auseinandersetzungen um kulturelle Aneignung. Als politische Aktivistin, die gelegentlich auch für Schmuck Modell steht, versäumt sie keine Gelegenheit, sich »als schwarze Frau« zu empören, um sich sodann zu beklagen, auf ihre Hautfarbe reduziert zu werden. Entsetzt, Weiße mit Afro-Haarschnitt herumspazieren zu sehen, nimmt sie das Copyright für sich in Anspruch. Ihr Traum? Dass die afrikanischen Stylistinnen, ja sogar die afrikanischen Friseurinnen des Viertels Château d'Eau für ihre Haarschnitte entlohnt werden.13 Man wüsste gern, wie genau der Prozentsatz aufzuschlüsseln sei. Sollte man nur die schwarzen Friseurinnen, alle schwarzen Frauen, die einen Afro-Haarschnitt tragen, oder nur die improvisierte Sprecherin entlohnen?
Etliche Kulturen erfreuen sich zierlicher Zöpfe, die sehr wahrscheinlich indischen oder ägyptischen Ursprungs waren, ehe sie afrikanisch oder jamaikanisch wurden. Warum und in wessen Namen sollten schwarze Frauen in den USA oder in Europa die einzigen sein, die ein solches Copyright beanspruchen können? Weil sie in den reichsten und mächtigsten Ländern wohnen? Ist das nicht eine Form des Kulturimperialismus? Tania de Montaigne, Autorin von Die Zuweisung, Untertitel: Die Schwarzen existieren nicht,14 bekämpft dieses uniforme und exotische Bild von Identität unermüdlich. Sie begreift nicht, dass man im Namen aller schwarzen Frauen so sprechen kann: »Zwischen Michelle Obama und einer eritreischen Migrantin weiß ich nicht, was eine schwarze Frau ist!«15
Eine solche Spitzfindigkeit ist den Inquisitoren der neuen Generation entgangen, jedenfalls einer von Studentinnen des Pariser Instituts für politische Wissenschaften (Sciences Po) gegründeten Gruppe: den »SciencesCurls«. Diese Aktivistinnen schlagen sich nicht, um den Planeten und gefährdete Arten zu schützen oder Ungleichheiten zu mindern. Nein, sie setzen andere Prioritäten, nämlich »die bei Sciences Po marginalisierten und diskriminierten Schönheiten zu fördern, quer durch das Spektrum des gestalteten Haars.« Die extreme Rechte ist überall in Europa auf dem Vormarsch, fast jeden Monat werden Attentate von weißen Suprematisten oder Islamisten verübt, das Klima verändert sich, doch die existenzielle Angst, die es in ihren Augen verdient, eine Gruppe zu bilden, gilt ihren zurechtgemachten Haaren. Und dem an weiße Frauen gerichteten Verbot, sich wie sie zu frisieren.
Die Gründerin der Gruppe findet es total »beleidigend«, dass eine Weiße sich das Haar kräuseln oder Zöpfe flechten lassen darf: »Es ist beleidigend, weil die kulturellen Realitäten völlig verwischt und zu einem Vergnügen gemacht werden. Meine Kultur wird sozusagen zu einer Verkleidung. Das bedeutet, dass jemand in sie hineingehen und wieder herauskommen kann, das ist extrem verletzend.« Nachdem man diesen Satz gelesen hat, überlegt man, welcher Superlativ an die Apartheid oder die Rassentrennung heranreichen könnte. Auf der Richterskala der zarten Haut scheinen alle Dramen gleichermaßen schwerwiegend, mag es sich um einen Genozid oder um einen Haarschnitt handeln. Am fürchterlichsten bleibt die Angst vor kultureller Vermischung. Als »extrem verletzend« wird die Möglichkeit erachtet, dass jemand in eine Kultur »hineingeht« und wieder »herauskommt«. Als handle es sich um eine Vergewaltigung und nicht um eine Vermischung.
Traumatisiert von der Vorstellung, dass Weiße sich einen Afro-Haarschnitt zulegen, finden es dieselben Leute aber normal, dass weiße Studentinnen zum »Hijab Day« einen islamischen Schleier anprobieren. Diese von fundamentalistischen Kreisen ausgehende Initiative haben Studentinnen der Sciences Po aufgegriffen und ihren Genossinnen vorgeschlagen, sich einen Tag lang in »Sittsamkeit« zu üben.16 Komischerweise wollte darin keiner der üblichen Inquisitoren die geringste kulturelle Aneignung erkennen.