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Felix Meister stand hinter dem Bühnenvorhang und tat einen tiefen Atemzug. Ganz im Hier und Jetzt, die Augen geschlossen, genoss er die vertrauten Gerüche und Geräusche während des Szenenumbaus. In den Hauch von Bohnerwachs und Farbe mischte sich jetzt noch ein anderer, der unmittelbar zur Bühne gehörte. Der Sänger lächelte, man konnte den Staub, den der dunkelrote, prächtige Samtvorhang im Laufe der Jahre angesetzt hatte, tatsächlich riechen. Er zog schnuppernd die Luft durch die Nase ein. Es stimmte, der Geruch erinnerte ihn an den verborgenen Platz auf dem Speicher seines Elternhauses, der in Kindertagen sein Rückzugsort gewesen war.

Felix trat nun näher an den geschlossenen Vorhang heran und blinzelte durch ein kleines Loch in den Zuschauerraum. Die Menschen, die heute dicht an dicht in den Zuschauerreihen saßen, waren ausnahmslos festlich gekleidet. Manche studierten das Programm, andere unterhielten sich leise, sodass ein Raunen hinauf bis zur Bühne drang, und wiederum andere warteten gespannt darauf, dass der Vorhang sich endlich wieder öffnete. Eine andächtige Stimmung lag in der Luft, von einer Art, wie ein Künstler sie sich wünschte.

Es gab auch ganz andere Vorstellungen – Felix zog ärgerlich die Augenbrauen zusammen – bei denen das Publikum unruhig oder ziemlich desinteressiert wirkte. Heute aber schien alles perfekt zu sein. Er hatte bereits während der ganzen Aufführung gespürt, wie die Zuschauer mitfieberten, und dass die erwartungsvolle Spannung sich jetzt noch zu steigern schien, jagte ihm wohlige Schauer den Rücken hinunter.

»Felix, bist du fertig?« Die hektische Stimme des Spielleiters riss den Sänger unsanft aus seinen Gedanken.

»Sicher!« Felix Meister öffnete die Augen. Als ob er plötzlich eine schwere Last auf den Schultern trüge, beugte er sich für einen Augenblick nach vorn, um sich dann wieder kraftvoll aufzurichten. Heute war ein besonderer Tag, Premiere, man gab die Traviata und er sang und spielte darin die zweite männliche Hauptrolle, Giorgio Germont, den Vater des jungen Alfredo.

Langsam ergriff das vertraute Lampenfieber wieder von ihm Besitz, in das sich jetzt noch ein anderes Gefühl mischte, ein Gefühl der Befreiung, das ihm Flügel zu verleihen schien …

Vor ihm lag der letzte Akt, und er wollte wahrhaftig sein Bestes geben, um den Abend für alle zu einem unvergesslichen Ereignis werden zu lassen.

Felix Meister war eine auffallende Erscheinung: Groß, muskulös, mit beeindruckender Adlernase, die seine markanten Gesichtszüge unterstrich, trug er das dunkle, von attraktiven grauen Strähnen durchzogene, volle Haar nach Künstlerart etwas länger, was seine Züge weicher machte. Es gab Frauen, bei denen er ein spontanes Anlehnungsbedürfnis auslöste, und das Timbre seiner ausgebildeten Stimme tat ihr Übriges.

Jetzt aber konzentrierte er sich vollkommen auf seine Opernrolle, in der er als strenger Vater die Beziehung seines Sohnes Alfredo zu Violetta, einer Kurtisane, zerstören will, weil er um das Ansehen seiner Familie fürchtet.

Während seiner Auftritte fing Felix an diesem Abend hier einen bewundernden Blick seiner beteiligten Kollegen auf, oder dort ein Lächeln, das ihm die junge Sängerin in der Rolle der Violetta schenkte. Er spürte, dass er immer besser wurde und ganz mit seiner Rolle verschmolz.

Obwohl er als Vater ein gutes Herz hat und erkennt, dass Alfredo und Violetta sich wirklich lieben, bringt er Violetta dazu, seinem Sohn einen Abschiedsbrief zu schreiben. Auf einem Fest macht Alfredo Violetta, tobend vor Eifersucht, eine Szene, weil er glaubt, sie betrüge ihn.

Großartige Gesten, die den Gesang unterstrichen, waren heute nicht nur bei Felix an der Tagesordnung, denn seine Spielfreude spornte auch die anderen Künstler an, was er enthusiastisch zur Kenntnis nahm.

Der Vater versucht die Situation zu retten und verurteilt Alfredo zum Schein mit der Absicht, Schlimmeres zu verhindern. Dabei begreift er selbst, dass er einen großen Fehler gemacht hat.

Felix legte so viel Leidenschaft in seine Stimme, dass die junge Sängerin ihm ebenso antwortete, worauf er anerkennend den Kopf in ihre Richtung neigte, um dann noch einmal alle Kräfte für seine letzte Arie zu sammeln.

Am Ende bittet der Vater seinen Sohn und Violetta um Verzeihung, aber es ist zu spät. Violetta stirbt wenig später an Schwindsucht.

Die weiche Stimme des Baritons trug an diesem Abend in vollkommener Klarheit bis in die letzte Reihe des ausverkauften Bonner Opernhauses. Und in diesen Minuten gab es – weder für das bezauberte Publikum, noch für den Künstler – nichts Wichtigeres und auch keinen größeren Kunstgenuss, als diese Stimme, die voller Inbrunst erklang.

So bitter die Erkenntnis

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