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ОглавлениеKatharina Seibold versuchte unterdessen, Licht in das Dunkel dieses rätselhaften Falles zu bringen. Ein Gefühl zunehmender Unzufriedenheit machte ihr zu schaffen, weil die Ermittlungen sich in die Länge zogen und es keine wirklich neuen Erkenntnisse gab. Wen sie auch zur Person Felix Meisters befragte, sie hörte nur Gutes. Es gab offensichtlich niemanden, der ihm Böses wollte, oder gar nach dem Leben getrachtet hätte.
Das Ensemble lobte ihn über den grünen Klee hinaus, jedenfalls was sein kollegiales Verhalten anging. Freunde schien er außer seinen Kollegen und Frau Wagner nicht gehabt zu haben. Katharina hoffte inständig darauf, dass die Obduktion Licht in dieses Dunkel bringen würde, und rief kurz entschlossen den Rechtsmediziner Doktor Rüdiger Junker an, der die Leiche bereits untersucht haben musste.
»Kein Thema, ich bin fertig, kommen Sie einfach vorbei, Frau Seibold«, antwortete er auf ihre Frage. Katharina legte den Hörer auf und machte sich sofort auf, um in die Rechtsmedizin zu gehen.
Wie immer, wenn sie diese Richtung einschlug, beschlich sie ein Gefühl der Unwirklichkeit. So, als ob der Weg, der das Leben vom Tod trennte, nur so lang war, wie die Strecke, die sie zurücklegen musste. Als die schweren Doppeltüren sich automatisch vor ihr öffneten und hinter ihr wieder schlossen, stieg ein Übelkeitsgefühl in ihr empor. Sie hielt für einen Moment inne, versuchte, so flach wie möglich zu atmen, und ärgerte sich gleichzeitig darüber, dass es ihr immer wieder so erging. Jedes Mal, wenn sie den Geruch des Todes in formalingeschwängerter Luft wahrnahm, wurde ihr schlecht.
»Na, wird’s denn heute gehen?« Der Rechtsmediziner, der um Katharinas Schwäche wusste, hielt ihr ein parfümgetränktes Taschentuch hin.
Die Kommissarin griff eifrig danach und hielt es sich dicht vor die Nase. »Danke«, presste sie mühsam hervor, »ich denke, es geht gleich wieder.«
»Wenn nicht, geben Sie mir rechtzeitig ein Zeichen. Eine Nierenschale, in der noch nichts drin ist, lässt sich bestimmt schnell finden.« Er grinste.
Katharina drehte es allein bei dieser Vorstellung den Magen um, und sie wollte etwas Spitzes erwidern, fühlte sich aber außerstande, ihre Energie in eine Antwort zu investieren. Ob das schreckliche Parfüm, das ihr statt des Leichengeruchs in der Nase stach, Junker gehörte? Nein, sie wollte es lieber nicht wissen, vielleicht ginge es ihr gleich auch besser und sie brauchte es nicht länger.
»So, hier liegt also unser Bariton.« Sie standen jetzt vor der Leiche Felix Meisters. Mit einem Ruck schlug der Pathologe das weiße Tuch, das den Leichnam bedeckte, zurück.
Katharina, die schon viele Leichen gesehen hatte, konnte sich trotzdem nie an die vielfältigen Anblicke des Todes gewöhnen. Ob es die Unabänderlichkeit des Todes war, die einen selbst jedes Mal aufs Neue mit der eigenen Endlichkeit konfrontierte?
Vielleicht. Jedenfalls war dieser Mann mitten aus dem Leben gerissen worden, ohne wahrscheinlich irgendetwas davon geahnt zu haben. Sein Gesicht war vom Todeskampf gezeichnet, mit dem er nicht gerechnet zu haben schien, denn es vermittelte den Ausdruck eines unvorbereiteten Erstaunens.
»Woran ist er denn gestorben?«, fragte Katharina leiser als beabsichtigt, während sie angestrengt den Blick auf die Obduktionsschnitte auf dem Oberkörper des Toten vermied. Dr. Junker hatte ein Einsehen und breitete gnädig wieder das weiße Tuch über den Toten.
»Digitoxin-Vergiftung, also Vergiftung mit Digitalis«, antwortete er knapp. Auf Katharinas fragenden Blick setzte er erklärend hinzu: »Der Mann hatte eine Herzschwäche und musste sowieso regelmäßig Digitalis einnehmen.« Er machte eine Pause und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Die Bandbreite zwischen der therapeutischen und der tödlichen Dosis ist relativ gering, aber es ist eben das Mittel der Wahl.«
»Könnte es also möglich sein, dass Herr Meister sich einfach in der Dosierung seines Herzmedikamentes geirrt hat?«, fragte Katharina.
»Theoretisch schon«, der Rechtsmediziner wog nachdenklich den Kopf, »aber im Allgemeinen sind die Patienten daran gewöhnt, sich sehr genau an die – ganz individuell auf sie zugeschnittene – Dosierung zu halten.«
»Mit anderen Worten kann es also durchaus ein Versehen, aber wahrscheinlicher doch Mord gewesen sein.«
»Davon kann man ausgehen.«
»Danke, Herr Kollege, damit sind wir schon einmal ein Stück weiter.« Katharina wandte sich erleichtert zum Gehen.
»Da ist aber jetzt jemand froh«, frotzelte der Rechtsmediziner hinter ihr her, was sie, ohne sich umzudrehen, mit einem kurzen Heben der rechten Hand quittierte.