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Die „Buns of Navarone“

Der Film wurde in Großbritannien abgekurbelt, womit sich mir die Möglichkeit bot, mich aus der Schule zu verdrücken, ohne den Tatort endgültig zu verlassen. Mein Freund Riggs überließ mir seine Wohnung in Kensington, direkt hinter Barkers Department Store, wo ich während der dreimonatigen Dreharbeiten wohnte.

Als ich am ersten Tag beim Filmset ankam, versuchte ich, möglichst sympathisch und unaufdringlich zu erscheinen. Ich betrat das Studio in Borehamwood – ungefähr 45 Minuten außerhalb von London –, wo sie mir die Garderobe anprobierten und Haar- sowie Make-up-Tests durchführten. (Das Team bestand überwiegend aus Männern. So war es damals, und so ist es eigentlich auch heute noch. Es ist eine Männerwelt, und das Showbusiness ist gleichsam die gut schmeckende Mahlzeit für Männer, gespickt mit Frauen, durch die der Schmaus wie mit einem edlen Gewürz verfeinert wird.)

Die ausgewählte Frisur sollte das Bild jedes – wirklich jedes – humanoiden Kinobesuchers von mir für den Rest meines Lebens prägen. (Und möglicherweise auch noch danach. Man kann sich schwerlich einen Nachruf im Zusammenhang mit dem Film im Fernsehen vorstellen, bei dem nicht das Foto des süßen kleinen rundgesichtigen Mädchens zu sehen ist mit den dämlichen Zöpfen zu beiden Seiten seines unerfahrenen Kopfes …) Okay, mein Leben hatte begonnen. Hier überquerte ich die Schwelle in einer langen weißen und jungfräulich anmutenden Robe mit der Frisur einer niederländischen Matrone aus dem 17. Jahrhundert.

Man hatte mir die Rolle in Star Wars unter der entmutigenden Auflage beschert, um die fünf Kilo abzunehmen. Für mich bedeutete der Triumph also nicht: „Super, klasse! Ich habe einen Job!“, sondern eher: „Ich habe einen Job und mir den Knöchel verstaucht.“ Die minus zehn Prozent glichen einem Agentenhonorar, nur leider in Fett-Währung.

Und so ging es in eine Abspeck-Klinik, eine „Fett-Farm“, wie man bei uns sagt. Nach Texas. Gab es in Los Angeles keine Fett-Farmen? Die einzigen Antworten, die mir dazu einfallen, lauten:

(1) Nein, denn in Los Angeles waren alle bereits dünn bzw.

(2) Nein, denn das hier war 1976, Jahre bevor sich das ganze Bohei um Work-outs, Körper-Obsessionen und Abnehm-Kliniken manifestierte. Mir stand lediglich ein Trainer namens Richard Simmons zur Verfügung – ein extravagantes Geschöpf Gottes mit wuscheligen Haaren, der ein wenig einem schwulen Bozo, der Clown ähnelte. Das zu erwähnen ist eigentlich überflüssig, denn ich habe, Gott sei Dank, nie herausgefunden, ob es so war, da ich, Gott sei Dank, keine direkten Erfahrungen mit Bozo, dem Clown machte.

Meine Mutter hatte das Green Door in Texas empfohlen, doch wahrscheinlich nannte sich der Laden Golden Door oder etwas in der Art, denn bei der Nennung von Green Door fiel allen nur der Pornostreifen Behind The Green Door ein, bekannt wegen seines weiblichen Stars Marilyn Chambers, deren Name wie der Wind um alle Ecken blies, nicht zu vergessen über die Matratzen des horizontalen Gewerbes. (Ich hatte den Streifen mit 15 gesehen, einem Alter, in dem ich den Begriff „Blow Job“ noch nicht kannte.)

Auf der texanischen Fett-Farm begegnete ich Ann Landers (alias Eppie Lederer), einer berühmten Ratgeber-Kolumnistin, und Lady Bird Johnson, die mich beide unter ihre (übergewichtigen) Fittiche nahmen, was kein sonderlich gemütlicher Ort war. Als ich Lady Bird den Titel von Star Wars verriet, verstand sie nur Car Wash, und Ann/Eppie überschwemmte mich mit einer Flut von ungebetenen Ratschlägen zu einem „Weniger-muss-reichen“-Dinner mit einem verkokelt wirkenden Rebhuhn, das zuerst geröstet und dann wahrscheinlich einer Feuerprobe unterzogen worden war. Dennoch war es immer noch viel zu viel, woraufhin ich die Farm eine Woche später schweren Herzens und mit einem noch rundlicheren Gesicht verließ.

Zum Filmbeginn versuchte ich mich unter dem Radar zu bewegen, damit die dort herrschende Macht nicht sah, dass ich die eingeforderten fünf Kilo nicht abgenommen hatte. Ich wog zwar nur rund 55 Kilo, doch ich trug davon ungefähr die Hälfte in meinem Gesicht. Ich glaube, dass sie mir die Haarknoten als eine Art Buchstütze verpasst hatten, damit mein Gesicht dort blieb, wo es auch hingehörte, nämlich zwischen den Ohren, und nicht darüber hinauswuchs.

So sollte ich sein, die Wangen in Form gebracht – mein Gesicht so rund, wie ich klein war, aber nicht runder.

Die Dreharbeiten dauerten gewöhnlich von Montag bis Freitag und endeten meist um 18:30 Uhr. Das vom Schicksal am meisten gestrafte Grüppchen des Teams – und dazu gehörte ich zweifellos – wurde schon um fünf Uhr morgens zum Set beordert. Ich stand also vor der Morgendämmerung auf, wurde vor meiner Kensingtoner Wohnung von dem fröhlichen und lebenslustigen Fahrer Colin abgeholt, der mich mehr als zügig durch das größtenteils noch schlafende London beförderte, hin zu einer rosigen Morgendämmerung, die sich hinter den Außenbezirken der Stadt am Himmel abzeichnete. 45 Minuten später standen wir vor dem weniger romantischen Zaun der Borehamwood Elstree Studios.

Und warum bat man mich, zu dieser gottlosen Stunde zu erscheinen? Welchem monströsen Umstand hatte ich das zu verdanken, neben vielen anderen – die es eher brauchten, da mit Mähnen ausgestattet, dick und wallend, die bis zu ihren wartenden Hüften hinunterreichten?

Vermutlich haben es Sci-Fi-Fans schon erraten. Ja, es war diese überaus schreckliche und lächerliche Leia-Frisur – im Grunde genommen zwei Haarstränge, die man an jeder Seite meines Kopfs „festtackerte“. Zuerst den einen, dann den anderen. Meine langen braunen Haarsträhnen wurden mit eisenharter Hand geflochten und dann zu den beiden übergroßen-zimtfarbenen Dutts verdreht. Das geschah mit einer Geschicklichkeit, die mich immer wieder in Erstaunen versetzte. Die Hairstylistin arbeitete sorgfältig und flocht aus meinen Haaren die seither berühmte Frisur, bekannt als die „Buns of Navarone“ [Anm.: „Buns“, auf Deutsch „Dutt“ bzw. „Haarknoten“, reimt sich auf „guns“ in Anspielung auf den bekannten Kriegsfilm The Guns of Navarone (Die Kanonen von Navarone)], da das morgendliche Hairstyling regelrecht einem Kampf glich.

Pat McDermott war jene mit dem Spezialauftrag betreute Stylistin und musste mir täglich die für den Film erforderliche Frisur machen. Da ich bislang nur einen Haar-Stil in Shampoo getragen hatte, glaubte ich zuerst, dass es sich um eine einfache Aufgabe handle. Perücke aufsetzen, ein bisschen die Haare kämmen, noch einige Haarnadeln anbringen – voilà: Frisur fertig. Was hätte leichter sein können? Tja, aus dem vermeintlich einfachen Job entwickelte sich dann mehr, als man hätte ahnen können, denn Leias Frisur wurde später von Kindern getragen, Transvestiten und Pärchen, die einer sexuellen Fantasie nachgingen, auf alle Zeiten festgehalten in der Sitcom Friends. Hier wäre doch wohl mehr Verantwortungsbewusstsein von Nöten gewesen, als man ursprünglich dachte, oder? Natürlich konnten wir damals nichts davon ahnen. Und so versuchte Pat jeden Morgen, das abzuliefern, was man von ihr erwartete: eine ungewöhnliche Haarpracht, getragen von einem 19-jährigen Mädchen, das eine Prinzessin spielte.

Pat stammte aus Irland und redete mit einem liebenswürdigen Akzent, wodurch sie das Leinwandwerk (je nach morgendlicher Verfassung) als „Fill-um“ aussprechen konnte (oder eben nicht konnte). Sie nannte mich auch „meine Liebste“ oder „mein herzallerliebstes Mädchen“: „Ist das nicht ein absolut toller Fill-um, mein herzallerliebstes Mädchen?“ Oder, wenn sie eine Passage gesehen hatte: „Wer anderes könnte das sein als mein herzallerliebstes Mädchen und ihre verrückte Frisur, die ich ihr tagein, tagaus für den neuen Fill-um mache?“ Allerdings glaube ich nicht, dass sie den letzten Satz tatsächlich so gesagt hat, doch es hätte durchaus im Bereich des Möglichen gelegen.

Da ich bereits so früh am Morgen eintraf, schlief ich unweigerlich auf dem Make-up-Stuhl ein, ein einfaches Mädchen mit feuchten, krausen Haaren, dessen Kopf nach hinten fiel und das unscheinbare T-Shirt, das sie trug, erkennen ließ. Wie durch ein Wunder erwachte dieses Mädchen zwei Stunden später wieder, verwandelt von „Wer zum Teufel ist das denn“ in die großartige, mächtige und selbstbewusste Prinzessin Leia Organa, ehemals von Alderaan und nun von überall sonst, wie es ihr genehm ist.

Ich hatte zahlreiche Probleme mit meinem Erscheinungsbild in Star Wars. Reale Probleme – nicht die, die man vortäuscht, damit die anderen glauben, man sei bescheiden, obwohl man insgeheim von seinem Aussehen überzeugt ist. Was ich im Spiegel sah, deckte sich augenscheinlich nicht mit dem Bild vieler Teenager-Jungs. Hätte ich damals von dem ganzen Masturbieren gewusst, das ich anregte – tja, ich wäre in vielerlei Hinsicht recht verwirrt gewesen und bin froh, dass ich nichts davon ahnte. Jetzt ist es mir klar. Aber wenn Männer – 50plus bis runter zu … das Alter für solche Aktivitäten lässt sich mittlerweile recht niedrig ansetzen –, wenn sich mir Männer nähern und mich wissen lassen, dass ich ihre erste große Liebe gewesen sei, reagiere ich, ja, mit gemischten Gefühlen. Warum fanden es diese Männer damals so einfach, sich in mich zu verlieben, und warum fällt es ihnen heute so schwer?

Ich habe keine Vorstellung, wie viel Zeit Pat und ich miteinander verbrachten. Sie war die Erste am Set, die ich morgens sah, und die Letzte, der ich am Abend noch begegnete. Doch am Morgen entstand zwischen uns eine enge, geradezu intime Verbindung. Da das Styling der Haare so lange dauerte, verbrachten wir ungeheuer viel Zeit zusammen, die wir mit Gesprächen überbrückten. Es gleicht einer Horrorvorstellung, mit einem schweigenden Menschen zu arbeiten. Das ist ein Tiefpunkt jeder Konversation. Klar, man kann das Radio einschalten, dasitzen oder stehen, vage lächeln und vortäuschen, dass man nicht an einem anderen Ort sein möchte, aber …

Zu Beginn verfügte Pat über Skizzen meiner möglichen Frisuren, die man ihr als Richtlinie gegeben hatte. Ich schaute sie entsetzt an und muss eine ähnliche Grimasse geschnitten habe wie da, als man mir die Entwürfe des Metall-Bikinis unter die Augen hielt. Es war der Bikini, den ich trug, als ich Jabba umbrachte (die Lieblingsszene meiner persönlichen Filmgeschichte). Ich kann Ihnen das nur empfehlen: Stellen Sie sich vor, das Äquivalent zu einer gigantischen Weltraum-Nacktschnecke ins Jenseits zu befördern, und feiern Sie das danach. Bei mir wirkt das Wunder, wenn mich schreckliche Bilder meiner Frisur plagen, die haarigen Kopfhörern glich.

Pat zeigte mir also eine Vielzahl exotischer Looks, die von russischen Prinzessinnen bis hin zu schwedischen Zimmermädchen reichten. Ich schaute mir die Bilder mit einem leichten Panikgefühl an. Damals gab es noch keine Lady Gaga, die mir den Weg hätte weisen können.

„Die soll ich also tragen?“

Pat lächelte einfühlsam: „Nein, nicht alle. Nur eine. Ich bin mir sicher, sie wollen nicht, dass du eine Frisur trägst, die dir nicht gefällt.“

Ich warf ihr einen zweifelnden Blick zu. Das klang ganz und gar wie der Spruch: „Wer’s glaubt, wird selig!“

„Du machst dir zu viele Sorgen“, lachte Pat und kämmte dabei meine Haare nach hinten.

So gingen wir Haar-Stil nach Haar-Stil durch, um den zu finden, der am besten zu meinem Kostüm passte: zu dieser bestimmten Art von Clogs, einer merkwürdigen Küchenschürze und aufgepolsterten weißen Blusenärmeln. Eine Frisur, die sich möglicherweise die Tochter eines aztekischen Häuptlings zu ihrem Hochzeitstag gewünscht hätte. Geflochtene Zöpfe, sich wiegende Locken und nach oben hochgesteckte Perücken – ich saß wie ein Häufchen Elend vor dem Spiegel und sah zu, wie Frisuren das Gleiche mit meinem Gesicht veranstalteten, was ein Zerrspiegel auf dem Jahrmarkt aus Ihrem macht.

„Das ist nicht eine Frisur, sondern keine Frisur!“

Pat lachte dann immer höflich über mein – ich hoffe sie hat es so aufgefasst – Wortspiel und fuhr fort: kämmen, feststecken, sprayen und glattziehen. Nach jedem neuen Haar-Stil stellte ich mich mit prüfendem Blick vor den Spiegel, starrte in mein Gesicht und kämpfte dann darum, mit meinem Erscheinungsbild irgendeinen Friedensvertrag zu schließen. Hatte ich ein rundes Gesicht? Sah ich hinreißend aus? Na, klar. Ich erkenne das nun mit zeitlichem Abstand, aber die meisten von uns wirken aus der Entfernung attraktiver.

Schließlich kamen wir bei den „Kopfhörer-Haaren“ an. „Ja, und was denkst du darüber, meine Liebe? Sei jetzt ehrlich. Du musst die Frisur eine ganze Weile tragen.“ Sie hatte überhaupt keine Vorstellung, wie lange „eine ganze Weile“ war.

„Es ist okay“, brachte ich über meine Lippen. „Ich meine, ich finde sie besser als viele der anderen. Ich meine – das ist keine Beleidigung -, aber …“

„Oh, tsch, tsch, mein Liebling – ich bin überhaupt nicht beleidigt. Ich versuche nur, ihre Wünsche zu erfüllen, obwohl ich mir auch nicht ganz sicher bin, wie die exakt aussehen.“

„Kann es nicht etwas … einfacher sein? Warum muss das Haar so … du weißt schon, so …“

„Es ist ein Weltraum-Fill-um, meine Liebste. Wir können da keine Späßchen machen und dich die Frisur tragen lassen, die du einen Pferdeschwanz nennst (an dieser Stelle riss sie an meinem Pferdeschwanz!) mit einem Pony. Können wir nun?“

Ich verstummte. Für mich klang der Pferdeschwanz nach all den Zöpfen und Haarnadeln … nicht gut, aber besser.

„Nein, wirklich nicht. Da nehmen wir beide noch mal unsere Kräfte für eine kleine neue Show zusammen, sollen wir?“

„Okay“, antwortete ich zügig, „lass uns also hingehen und denen einen in den A …“ Pat sah mich schelmisch an. Auch ich hatte ein breites Grinsen aufgesetzt. „Fick mich zweimal, und lass es uns noch einmal locker machen.“

Wir gingen zum Set. Pat blickte optimistisch aus ihren strahlend blauen Augen und stolzierte erhobenen Hauptes von dannen, umrahmt von ihren silbernen Haaren – und ich sah aus, als fehlten mir nur noch ein Dirndl, ein Ziegenbock und Clogs, um unverzüglich eine Rolle im idyllischen Rodgers/Hammerstein-Musical The Sound of Music (Meine Lieder – meine Träume) zu besetzen. Wir trafen auf eine Gruppe reisender Minnesänger – nein, Scherz beiseite. Ich hätte mir gewünscht, auf ein kleines Reisegrüppchen zu treffen, doch stattdessen empfing uns ein Dreier-Komitee: der erste Regieassistent David Tomblin, Produzent Gary Kurtz, der möglicherweise unter seinem modischen Outfit – einem Bart und einem ernsthaften Gesichtsausdruck – insgeheim gelächelt haben mag, sowie George.

„Tja …“, war alles, was George sagte. Dave Tomblin sprach für die ganze Gruppe, als er das wiederholte, was er auch schon zu den mindestens letzten sechs Frisuren geäußert hatte: „Ich glaube, das ist eher …“

„… charmant und schmeichelhaft!“, beendete Gary den Satz für ihn.

„Was hältst du davon?“, fragte mich George.

Nun, erinnern Sie sich bitte daran, dass ich die gewünschten fünf Kilo nicht abgespeckt hatte. Ich befürchtete, dass sie das jede Minute sehen könnten und mich schon vor Drehbeginn feuern würden.

Und so antwortete ich: „Ich liebe die Frisur!“

Ungefähr zu dieser Zeit entwickelte ich eine unkontrollierbare Begeisterung für eine Make-up-Verstärkung, die mir heute die Schamesröte ins Gesicht treibt: Lipgloss. Ich trug so viel Lipgloss, dass man bei einem Kuss-Versuch wahrscheinlich von meinen Lippen abgeflutscht wäre und sich die eigenen „gebrochen“ hätte. Ich habe niemals verstanden, was Lipgloss denn nun verstärken sollte. Sollte das der Spucke gleichen, wenn man die Lippen benetzt? Auch wenn jemand seine Lippen manisch befeuchtet, würde das immer noch nicht den Einsatz der klebrigen Substanz rechtfertigen, die viel zu überzogen wirkt. Niemand hat so eine nasse Zunge, oder, wenn es so wäre, müsste sie der eines Buffalos gleichen – oder der meines Hundes Gary, der eine Zunge in der Größe von zwei Wohnhausblocks hat, womit er sich, falls es ihm gefällt, auch seine Augen lecken kann. Aber auch wenn Garys schrecklicher Sabber auf meinen Lippen – oder denen eines anderen Bemitleidenswerten – landen würde, zweifle ich doch stark daran, dass solch ein aufdringlicher Look entstünde.

Es würde höchstens sehr dick aufgetragen wirken. Leia aber einen so hochpolierten Lippenglanz zu verpassen, hätte selbst Vader Angst einjagen müssen und fürchten lassen, er könne auf dem Lipgloss ausrutschen und seinen Atemregulator zerstören. Und mal ehrlich: Wer zieht mit Lipgloss in die Schlacht? Antwort: ich bzw. natürlich Leia.

Die leider schon verstorbene Schauspielerin Joan Hackett war eine wesentlich ältere Freundin, die mir viele von den Dingen beibrachte, die mich meine Mutter kluger- oder unklugerweise nicht lehrte – darunter auch die Begeisterung für und die Philosophie des Lipgloss. Ich habe später einen Western mit ihr gesehen, wo sie so viel von dem Zeug trägt, dass man damit ein ganzes Auto einwachsen könnte. Allerdings passte das zu ihr, meistens – das stimmt wirklich. Doch bei einer abschließenden Analyse habe ich dann herausgefunden, dass Weltraum-Schlachten und Lipgloss nicht zusammengehören.

Ich erinnere mich wenig an Details wie zum Beispiel den Drehplan oder mit wem ich zuerst tiefere Bekanntschaft schloss. Niemand hat daran gedacht, dass man eines Tages die Erinnerung an diese lange vergangene Erfahrung wiederbeleben müsste. Dass eines Tages – und dann für immer – Informationen über Star Wars extrem begehrt sein würden. Dass es ein unstillbares Verlangen danach gäbe, als handle es sich um Nahrung während einer Hungersnot.

Überall, wo ich hinschaute, entdeckte ich Neues. Die britische Crew: neu. Die Art, wie man mich behandelte: neu. Das Gefühl so vieler neuer Möglichkeiten, die man schwer benennen oder auf die man sich nur selten lange genug konzentrieren konnte: sehr neu.

Ich las einen Dialog, der mir unmöglich erschien. Am ersten Tag spielte ich eine Szene mit Peter Cushing in der Rolle des Gouverneurs Tarkin. Das war die Szene, in der ich sagen sollte: „Ich habe euren fauligen Gestank schon erkannt, als ich an Bord gebracht wurde.“ Wer spricht denn so, ausgenommen ein Pirat im 17. Jahrhundert? Ich schaute mir die Zeilen an, und mir fiel eine andere Version ein: „Hey, Gouverneur Tarkin, ich wusste, dass ich Sie hier treffen würde. Als ich an Bord des Schiffes ging, dachte ich: Mein Gott! Das muss Gouverneur Tarkin sein. Jeder weiß, dass der Kerl wie ein Käse müffelt, den jemand nach sieben Wochen in seinem Auto gefunden hat!“ Und so zog ich das durch – eher höhnisch und weniger emotional. Furchtlos und wie ein richtiger Mensch, aber nicht ernsthaft. Ironisch. Wie das Mädchen von Long Island, das weder dich noch einen deiner Bekannten fürchtet.

Und dann gab mir George die einzige Anweisung, die ich jemals von ihm erhalten habe, ausgenommen die Vorschläge, den Text „schneller“ zu sprechen oder „intensiver“. Er nahm mich beiseite und riet mir mit feierlicher Stimme: „Das ist eine große Aufgabe für Leia. Übermächtig groß. Ihr Planet steht kurz davor, von diesen Kerlen in die Luft gejagt zu werden. Und das bedeutet, dass alles, was sie kennt, für immer ausgelöscht sein wird. Und somit bist du unglaublich aufgeregt. Leia ist aufgeregt.“

Ich hörte aufmerksam zu, da ich anscheinend die ernsthaftesten Zeilen des ganzen Films sprechen musste, mir aber vorher nicht klar darüber war, dass ich sie mit genau der Intensität umsetzen musste. Wenn man sich den Film im Original anhört, zeigt sich schnell, dass meine Stimme in spannenden bzw. angespannten Situationen irgendwie britisch klang, in entspannten jedoch ­weniger.

Da ich immer eine Grimasse zog, wenn eine Hülse aus meiner Laserpistole ausgeworfen wurde, musste ich bei einem Polizisten Schießunterricht nehmen, der Robert De Niro für seine beängstigend, ja geradezu psychotisch wirkende Rolle in Taxi Driver vorbereitet hatte. Natürlich wurde aus der Requisite erst bei der Postproduktion eine Laserpistole. Darum entstand auch der Slogan: „Das machen wir bei der Post.“ (Ich wollte auch in der Post hergerichtet werden, doch das war erst mit der Erfindung der Kollagen-Injektionen in Polen in den frühen Achtzigern möglich. Soweit ich weiß, gab es bislang noch keine Polenwitze in Verbindung mit dieser wichtigen Erfindung. Vielleicht liegt das ja daran, dass man keine Witze über das „Jünger-Aussehen“ macht oder dass so eine teure Behandlung allgemein nicht als amüsant angesehen wird. Mal abgesehen davon, dass das Zeug in die Lippen gespritzt wird – und dann ist es so schmerzhaft, dass man sich regelrecht nach einer Wachsbehandlung für einen Bikini-Look sehnt. Mir ist bewusst, dass Frauen länger ein jüngeres Erscheinungsbild abgeben müssen, was teils an der Tatsache liegt, dass Falten dem Gesamteindruck einer Frau nicht zuträglich sind, und teils daran, dass ich kaum Hetero-Männer kenne, die nicht dem Erscheinungsbild eines taufrischen Teenagers hinterherlaufen. Aber eventuell komme ich auch nur nicht genügend herum.)

Neben Pat McDermott und dem Skript-„Mädchen“ arbeitete noch eine andere Frau am Set, und das war Kay Freeborn. Kay war verheiratet mit Stuart Freeborn, und die beiden hatten den gemeinsamen Sohn Graham. Sie alle arbeiteten bei dem Film als Make-up-Künstler. Stuart kümmerte sich schon seit der Stummfilm-Ära um das Make-up, einer Ära, in der man viel Schminke benötigte, da das Aussehen ohne Dialog einfach alles bedeutete. Ich schätzte ihn auf ungefähr 80 Jahre, was bedeutete, dass er wahrscheinlich zwischen 55 und 60 Jahre alt war. Wenn er das Make-up auftrug und die Lampen der übergroßen Scheinwerfer Wärme spendeten, erzählte er viele Geschichten. Meist übernahm jedoch Kay das Schminken. Als eine der wenigen Frauen mussten wir ja in einer von Männern dominierten Space-Fantasy-Welt zusammenhalten. Doch Stuart half hier und da aus.

In seinem Gesicht schien sich immer ein Lächeln abzuzeichnen (wo sonst, wenn nicht im Gesicht?), während er mich auf- und abpuderte. „Ich erinnere mich noch daran, dass ich für Vivien Leighs Make-up bei Feuer über England verantwortlich war, bei dem sie und ihr zukünftiger Mann Laurence Olivier die Hauptrollen spielten. Während der Dreharbeiten verliebten sich die beiden. Allerdings waren beide noch verheiratet, weshalb sie höllisch aufpassen mussten, wenn sie sich trafen. Man hätte sie ja sonst erwischt! Und da war ich – damals selbst noch ein junger Mann, heute schwer zu glauben. Ich weiß, ich weiß.“

Ich fuhr ihm ins Wort: „Nein! Sie sehen blendend aus!“

Er lachte dankbar und erzählte die Geschichte weiter. „Tja, du bist ein hübsches Mädchen“, sagte er oft, dabei das Rouge mit einem seiner vielen Make-up-Schwämme vorsichtig auf meine Wangen auftragend.

„Nein! Bin ich nicht! Ich bin nicht hübsch! Sie können das jeden fragen – die werden Ihnen das schon bestätigen!“

„Und da stand ich nun und arbeitete beinahe zwei Stunden an Miss Leighs Lippenstift. Da sie den Film in Technicolor drehten, mussten die Lippen sehr rot sein, aber die Haut leicht grau.“

Ich verzog das Gesicht. „Grau?!“

Stuart lachte, während er sich mit der anderen Wange beschäftigte. „Hat was mit dem vierstufigen Farbentwicklungsprozess bei Technicolor zu tun. Das machen die heute nicht mehr – viel zu kompliziert.“

Meine Augenbrauen waren das nächste Ziel von Stuarts cineastischem Feinschliff. „Und da war ich nun. Ich benötigte zwei Stunden, um Miss Leighs Lippen die richtige Farbe zu verpassen. Und weißt du was? Ich war gerade fertig, und da sitzt sie und ist bereit für den Dreh – und wer kommt in dem Augenblick rein, wenn nicht seine Lordschaft? Natürlich war er damals noch kein Lord, sondern nur der neue Schauspieler Larry Olivier. Die meisten nannten ihn Larry – doch für Fremde oder Fans war er Laurence Olivier, der kommende große Star. Egal, wie man ihn nun nannte, er kam, bückte sich rasend schnell und küsste sie – dort, in dem Augenblick! Meine ganze Arbeit – Stunden von Arbeit, wie ich gerade erzählt habe –, alles auf einmal weg. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als noch mal von vorne anzufangen.“

Er zuckte mit den Achseln. „Da konnte man nichts machen. Die beiden haben sich geliebt, ohne Wenn und Aber. Du bist nur einmal jung, haben sie gesagt. Eine Schande, aber da hatte ich den Schlamassel.“


Das Tagebuch der Prinzessin Leia

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