Читать книгу Die Diamantschwert-Saga. Die Abenteuer von Bandath, dem Zwergling - Carsten Zehm - Страница 10
Flussburg
ОглавлениеBandath ritt auf Dwego bergabwärts. Stundenlang begleitete ihn das gleiche traurige Bild. Die gesamte Landschaft wurde zugedeckt durch schwarze, schmierige Asche, die mit dem Regen auf die Erde fiel. Bäume reckten ihre dunklen Äste nach oben, die bedeckten Blätter hingen traurig herab. Felsen, Erde und selbst die Wasseroberfläche waren unter der fettigen Substanz verborgen, und hätte er zu Fuß gehen müssen, Bandath wäre wahrscheinlich schon mehrmals schwer gestürzt. Selbst Dwego hatte zeitweise zu tun, das Gleichgewicht zu halten. Dabei sind Laufdrachen Tiere, die sich wie fast keine anderen in den Bergen und in der Ebene gleichermaßen schnell und sicher auf ihren langen und kräftigen Hinterbeinen fortbewegen können.
Der Zwergling schaukelte im ermüdenden Rhythmus der Schritte seines Reittieres in seinem Sattel hin und her. Die anstrengende Nacht forderte ihren Tribut und so nickte er schließlich ein. Das war überhaupt kein Problem, er hatte schon öfter im Sattel geschlafen. Dazu waren besondere Ledergurte an den Seiten angebracht, mit denen er sich festbinden konnte und die ihn vor dem Hinunterfallen bewahrten. Auf diese Art hatten er und Dwego schon so manche Strecke hinter sich gebracht. Die Leistungsfähigkeit des Laufdrachen war erstaunlich. Er konnte Tage hindurch ohne Pause laufen, konnte sogar auf Futter und Wasser verzichten in dieser Zeit und legte so enorme Entfernungen zurück. Allerdings, das wusste Bandath, waren die Kräfte Dwegos nicht unerschöpflich. Nach solchen Gewaltmärschen benötigte er manchmal mehrere Tage, um sich wieder zu erholen. Er schlief viel und fraß unglaubliche Mengen.
Und noch etwas war bemerkenswert an dem Laufdrachen. Er konnte jeden Ort wiederfinden, an dem Bandath mit ihm einmal gewesen war. Bandath hatte es auf einer Tour nach Flussburg herausgefunden. Als er mit Dwego das dritte oder vierte Mal die Stadt am ewigen Strom besuchen wollte, war er im Sattel eingeschlafen. Er wurde wach, weil die schaukelnden Bewegungen aufgehört hatten. Dwego stand, ohne dass Bandath ihn hatte lenken müssen, am Ufer des Ewigen Stromes und auf der anderen Seite glänzten die Mauern Flussburgs in der Sonne. Seit damals konnte sich Bandath während des Schlafens hundertprozentig auf seinen Laufdrachen verlassen. Diese erstaunliche Eigenschaft des Tieres erleichterte Bandath seine Tätigkeit ungemein. So brauchte er ihm jetzt nur „Lauf nach Flussburg, Dwego, nach Flussburg!“ zu sagen und er konnte sicher sein, dass Dwego nicht vom Weg abkommen würde. Bandath schlief und Dwego lief unermüdlich nach Flussburg.
Der Magier wurde erst am späten Nachmittag wieder wach. Er fühlte sich jedoch kaum erholt. Kopfschmerzen hämmerten hinter seiner Stirn und der Rücken tat weh von der nächtlichen Arbeit. Es hatte aufgehört zu regnen. Das Gebirge lag hinter ihnen und sie überquerten die weiten Grassteppen, die diesseits der Berge zwischen dem Gebirge und dem ewigen Strom lagen. Dwego konnte auf diesem gleichmäßigen Land seine ganze Geschwindigkeit ausspielen. Mit langen, raumgreifenden Schritten raste er durch das Gras, einzelne Büsche und Bäume flogen nur so vorbei. Zuerst kam Bandath alles irgendwie verändert vor, bis er begriff, was ihm unterbewusst aufgefallen war. Die Landschaft war hier noch nicht von einer dichten Ascheschicht bedeckt. Er drehte sich nach hinten und betrachtete die sich entfernenden Berge. Dunkel drohte eine mächtige Wolke aus Asche und Qualm über dem Himmelshaken, der kaum zu sehen war. Blitze zuckten in ihr und winzige, glühende Punkte stiegen auf, um in einem weiten Bogen wieder zur Erde zu sinken – aus dem Krater geschleuderte Lavabrocken. All das wurde beinahe verhüllt durch das riesige Regengebiet, das sich um den Berg gebildet hatte. Bandath konnte erkennen, dass sich sowohl die Aschewolke als auch das Regengebiet langsam aber ständig süd- und westwärts ausdehnte. Besorgt ließ er den Blick über die Steppe streichen. Wie immer grasten große Herden von Springziegen und wilden Graspferden zwischen den einzeln stehenden Baumgruppen und bewegten sich langsam in die eine oder andere Richtung. Sie ließen sich auch nicht von dem Laufdrachen stören, für den zumindest die Springziegen sonst eine beliebte Beute darstellten. Dwego zog unbeirrt seine Bahn.
Auf einer Felsengruppe lümmelte träge und satt ein Rudel Bernsteinlöwen. Sie drehten ihre Köpfe dem rennenden Laufdrachen hinterher, schlugen mit den Schwänzen und kratzten sich das Fell.
Nicht weit entfernt glaubte Bandath einen Mantikor zu erkennen, der durch das Gras schlich, sein rotes Fell und der stachelige Schwanz verbargen ihn im trockenen Gras gut, er war wohl auf der Jagd nach Graspferden. Vor einem Mantikor musste sich selbst Dwego in Acht nehmen, aber seine Schnelligkeit half ihm da ungemein. Alles schien normal – auf den ersten Blick. Aber Bandath sah auch große Vogelschwärme, die vom Gebirge aus Südwarts zogen. Doch die Zeit der Vogelzüge war vorbei. Die Vögel hätten anfangen sollen zu brüten, jetzt, im Frühling. Bald würde auch das Gras frischer aussehen und das Fell des Mantikors würde die Farbe wechseln.
Weit vor sich konnte Bandath die ersten Silhouetten von Flussburg erkennen. Nicht mehr lange und er würde an der Glocke des Fährhauses ziehen, um übergesetzt zu werden. Die steinerne Stadt lag auf einer dreieckigen Landzunge. Dort, wo der Grünhaifluss aus dem Süden kam und in den Ewigen Strom mündete, hatten vor Urzeiten Menschen begonnen, eine Stadt zu errichten. Sie folgten der Form des Landes und bauten eine dreieckige Stadt. Wieder und wieder wurden sie überfallen, von Nomaden, Trollen, Elfen, Zwergen. Doch nach jedem Überfall errichteten sie die zerstörte Befestigung erneut, stärker, höher und fester als zuvor, und bauten die Stadt wieder auf. Mittlerweile war seit vielen Jahren Ruhe und Frieden eingekehrt. In Flussburg lebten Menschen, Zwerge, Elfen, Gnome und Halblinge fast einträchtig nebeneinander. Die Stadt auf der Landzunge hatte sich zu einem wichtigen Handelsplatz entwickelt, da sich hier zwei bedeutende Straßen kreuzten. Aus dem Westen kam der Weg von den Riesengras-Ebenen der Elfen und führte ostwärts an Go-Ran-Goh vorbei bis in die Länder der Eisenzwerge, wo auch die Mogohani-Wälder wuchsen. Aus dem Süden führte der zweite Handelsweg heran, aus den Endlosen Steppen. Händler brachten auf ihm Waren zum Großen Markt am Nebelgipfel in den Drummel-Drachen-Bergen. Dieser Markt dort war der Knotenpunkt des Handels zwischen den Ländern nördlich und südlich des Gebirges.
Die Sonne ging unter als Bandath das Steilufer des Ewigen Stroms erreichte. Langsam stieg er aus dem Sattel und streckte das schmerzende Kreuz durch, die Hände in die Hüften gestemmt. Er schnallte seinen Schultersack vom Sattel und gab Dwego einen Klaps auf die Hinterbacken.
„Lass dich nicht wieder fangen, alter Junge. Amüsier dich ein wenig, fang dir eine Springziege, aber pass auf den Mantikor auf. Ich denke, dass wir morgen früh weiterreisen.“ Den Laufdrachen mit in die Stadt zu nehmen, wäre unklug gewesen. Die Bewohner Flussburgs hätten kein Verständnis dafür. Für sie kam ein Laufdrache in seiner Gefährlichkeit gleich nach einem Mantikor. Natürlich war es Blödsinn, diesen Vergleich auf Dwego anzuwenden, aber Bandath wollte keinen Ärger, deshalb nahm er Dwego nie mit nach Flussburg und ließ ihn lieber in der Ebene nördlich des Ewigen Stroms jagen und sich erholen.
Auf einem steilen Weg lief er die Uferböschung herab zum Fluss und läutete, unten angekommen, an der „Fährmann-Hol-Über-Glocke“. Kurze Zeit später sah er auf der anderen Seite des Flusses, wie sich vom Hafen ein kleiner Kahn löste und auf ihn zusteuerte.
Flussburg hatte mehrere Häfen, jedes Viertel besaß einen eigenen. Der des Elfenviertels war der größte und prächtigste, sagten jedenfalls die Elfen. Er war allerdings von Bandaths Position aus nicht zu sehen, da er auf der anderen Seite der Stadt am Ufer des Grünhaiflusses lag.
Ebenfalls auf der anderen Seite lag der Hafen der Gnome. Er war bei weitem nicht so prächtig, sauber und groß wie der Elfen-Hafen, aber die Unmenge an Verladekränen und Dockarbeitern sorgte dafür, dass jedes ankommende Schiff binnen kürzester Zeit entladen und wieder neu beladen werden konnte. Fast an der Spitze der Stadt, dort wo der Grünhaifluss in den Ewigen Strom mündete, hatten die Zwerge ihren Hafen. Die Verladekräne waren kleiner als die der Gnome, die Häuser der Kaufleute nicht so prächtig wie die der Elfen, aber man munkelte, dass die Zwerge angeblich den meisten Gewinn bei ihren Geschäften machten und die Schatzkammern der Kaufleute bis unter die Decken mit Gold und kostbaren Steinen gefüllt wären.
Auf dieser Seite der Stadt stromabwärts lag der Halbling-Hafen. Er war klein und sah gemütlich aus. Ab und an hielten hier Wein- oder Tabak-Händler. Aber einige der besten hielten auch nur hier und an keinem anderen Hafen der Stadt, so dass jeder, der wirklich guten Wein oder Tabak wollte, sich an die Halblinge wenden musste.
Der letzte Hafen Flussburgs, der, dem Bandath jetzt gegenüber stand, war der Hafen des Menschenviertels. Er hatte von jedem der anderen Häfen etwas. Ein wenig Eleganz des Elfen-Hafens fand sich hier. Einige der effektiven Ladekräne aus dem Gnom-Hafen standen vor Häusern, die aus dem Zwergen- oder Halbling-Hafen sein könnten, wenn sie nicht so groß gewesen wären. Bandath mochte die anderen Häfen, den der Menschen aber nicht. Ihm fehlte etwas, das Waltrude einmal so charakterisiert hatte: „Der Hafen hat nichts eigenes, Herr Magier. Du kommst in den Elfen-Hafen und weißt: Aha, Elfen. Im Zwergen-Hafen fühlst du dich unter Zwergen wohl und im Halbling-Hafen riecht es nach Wein und Tabak. Sogar bei den Gnomen weißt du, wo du bist. Aber hier? Es riecht nach Seife und Toilette zugleich. In einem Hafen! Menschen haben eben keinen Geschmack!“
Hinter jedem Hafen erstreckte sich das dazugehörige Viertel. Dort lebten Menschen mit Menschen und Halblinge mit Halblingen. Die Elfen hatten sogar eine Mauer um ihr Viertel errichtet, deren Tore sie nachts schlossen. In den Straßen des Gnomviertels liefen bewaffnete Wächter. Jedes Viertel war nicht mehr und nicht weniger als eine eigene, kleine Stadt in der Stadt. Nach außen stellten sich die Bewohner Flussburgs gern als etwas Besonderes dar, als würden sie sagen: „Seht, wir alle wohnen in einer Stadt ohne uns gegenseitig die Schädel einzuschlagen, wie es unsere wilden Verwandten in den Steppen und Wäldern so gern tun.“ Lernte man die Stadt und ihre Bewohner jedoch näher kennen, so bekam man schnell mit, dass das alles nur Fassade war. Untereinander hatten die Gruppen nicht viele Berührungspunkte. Nur in der Mitte der Stadt, auf dem zentralen Platz, da, wo sich alle fünf Stadtviertel trafen, lebten die Bewohner wirklich miteinander. Hier war der Marktplatz, auf dem alle Gruppen ihre Waren feil boten, hier wurde Handel getrieben, Geschäfte abgeschlossen und hier stand das Haus, in dem sich jeden Tag die Ratsherren zu Beratungen trafen. Jede Gruppe entsandt drei Ratsherren. Sie alle wählten den Bürgermeister.
Etwas weiter flussaufwärts von Bandaths momentanem Standpunkt aus gab es allerdings noch einen, den sechsten Hafen. Nicht ganz gesetzmäßig und von den Stadträten auch nicht gern gesehen, war es den Ordnungshütern noch nicht gelungen, den Hafen zu schließen oder das angrenzende Viertel so zu sichern, dass die unbescholtenen Bürger Flussburgs nach Sonnenuntergang, sollten sie doch einmal ihre eigenen Stadtbezirke verlassen, unbehelligt durch die Straßen dieses Viertels ziehen konnten. Es war eine üble Ecke, das sogenannte Sechste Stadtviertel, in der sich die Trunkenbolde und Verbrecher der ganzen Stadt einfanden. Sie saßen in den Tavernen, prügelten sich auf den Straßen und kein gesetzestreuer Bürger Flussburgs wagte sich nach Einbruch der Nacht noch dort hin. Hier wohnte der Mensch neben dem Gnom, Zwerge mit Elfen in einem Haus, und Halblinge als tüchtige Geschäftsleute vermieteten Zimmer ohne zu fragen.
Genau in dieses Viertel wollte Bandath. Leider gab es keine Fähre, die diesen Hafen anlief. Er musste sich auf das Boot verlassen, das aus dem Hafen der Menschen kam. Bandath zog sich die Kapuze seines Umhanges tief über die Stirn. Er wühlte ein großes Tuch hervor, das er sich vor das Gesicht band, um den Bart zu verbergen. Die Spitze seines Bartes steckte er unter dem Umhang. Das musste ausreichen. Er wollte nicht, dass irgendjemand erfuhr, dass er in Flussburg weilte. Er traute den Menschen nicht. Ihre Verbindungen zu den Elfen waren stark und sie taten alles, um sich bei den Langbeinen einzuschmeicheln. Sollte durchsickern, dass der Elfen-Fürst Gilbath die beiden Kopfgeldjäger hinter dem Dieb des Diamantschwertes her geschickt hatte, gab es garantiert einige Menschen, die unangenehme Fragen stellen und die hiesigen Elfen über seine Anwesenheit unterrichten. Und denen traute er auch nicht. Zwar sprachen die „Stadt-Elfen“ recht abwertend über ihre „wilden Verwandten aus den Riesengras-Ebenen“, wie sie die Elfen dort nannten, aber Bandath wollte sich die Haare an seinen Halblingsfüßen rasieren lassen, wenn die Elfen nicht untereinander im Kontakt stünden.
Die Fähre näherte sich und der Zwergling erkannte den Fährmann, den alten Hangaith. Das war gut. Hangaith war einer der wenigen in Flussburg, denen er wirklich vertraute – auch wenn er ein Mensch war.
„Du hast Glück, Wanderer. Nach Sonnenuntergang dürfen wir keine Fremden mehr in die Stadt lassen“, begrüßte der Fährmann den Zwergling, als die Fähre an der Landungsbrücke anlegte. Er warf ein Seil um den Poller und zurrte das Boot fest. Dabei grinste er breit und entblößte einen fast zahnlosen Mund, nur unten ragten noch zwei Eckzähne hervor, die der Miene etwas Trollähnliches gaben. Das wettergegerbte Gesicht bestand hauptsächlich aus einer Unzahl Falten, zwischen denen die Augen fast nicht auszumachen waren.
„Ich bin kein Fremder, Hangaith“, gab sich der Magier dem Fährmann zu erkennen.
„Ich fresse den Besen meiner guten alten Praula, wenn das nicht der gerissenste und durchtriebenste Magier diesseits der Drummel-Drachen-Berge ist!“ Nach diesem lauten Gefühlsausbruch riss er Bandath in seine Arme. „Bin ich froh, dich zu sehen, Kleiner.“
Bandath lachte. „Vergiss nicht, ich bin knapp einhundert Jahre älter als du.“
Hangaith wurde ernst. „Ich bin trotzdem froh, alter Knabe. Was ist da passiert, bei euch in den Bergen?“
Bandath berichtete kurz von dem Ausbruch und der Katastrophe, die Drachenfurt getroffen hatte, während der Fährmann begann, die Fähre loszubinden und an dem langen, über den Fluss gespannten Seil zur Stadt zurückzuziehen.
„Das ist übel, Bandath, sehr übel. Der Rat hat heute Morgen Reiter losgeschickt, die erkunden sollen, wie schlimm der Schaden ist. Sie wollen wissen, welche Auswirkungen der Ausbruch auf Flussburg haben wird. Haben wohl Angst um ihre Gewinne. Du bist den Reitern nicht vielleicht begegnet?“
Der Zwergling schüttelte den Kopf. „Hör zu, Hangaith. Ich möchte nicht, dass meine Anwesenheit hier breit getreten wird.“
„Das kann ich verstehen.“
Jetzt stutzte Bandath. „Wieso?“
„Es geht das Gerücht, die Elfen wären nicht gut auf dich zu sprechen. Man sagt, du sollst den Fürst der Gras-Elfen über den Tisch gezogen haben. Hast ihn wohl bei einem Geschäft betrogen, was? Nun, ist mir egal. Wenn es nach mir geht, dann kannst du diese eingebildeten Spitzohren dreimal täglich betrügen und an ihren selbstgefälligen Nasen herumführen. Diese anmaßenden Langbeine und ihre speichelleckenden Freunde, meine eigenen Artgenossen“, er sprach das sehr verächtlich aus, „die Menschen, bilden sich ein, alle Weisheit dieser Welt mit der Muttermilch aufgesogen zu haben …“
Hangaith lief zum einen Ende der Fähre, packte eine Schlaufe an dem Seil und zog die Fähre daran in Richtung Flussburg. Dabei lief er über das Boot an Bandath vorbei. Kam er an das andere Ende der Fähre, ließ er los und eilte wieder nach vorn um die nächste Schlaufe zu packen. Er sah Bandath von unten ins Gesicht, während er tief gebückt an ihm vorbei lief. „Hast du?“
„Hab ich was?“ Unschuldig blickte der Magier seinen Freund an.
„Hast du Gilbath übers Ohr gehauen?“
Bandath lachte. „Wenn es unter uns bleibt, mein Freund, in den letzten hundert Jahren bestimmt dreißig oder vierzig Mal.“
Freudig haute sich Hangaith mit beiden Händen auf die Schenkel, griff danach jedoch schnell wieder nach dem Seil. „Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann!“ Er drehte sich, lief wieder nach vorn und griff nach der nächsten Schlaufe.
„Und was willst du in Flussburg?“
„Die Dinge stehen schlecht in den Drummel-Drachen-Bergen. Es kann sein, dass ganz Drachenfurt evakuiert werden muss.“
„Evaku… was?“
„Verlassen. Wenn es noch schlimmer wird, dann müssen die Drachenfurter ihr Dorf verlassen.“
„Das wird den hohen Herren gar nicht gefallen – Bettler vor den Toren.“
„Deshalb will ich ihre Ankunft hier vorbereiten.“
„Und wie?“
„Kannst du bitte Helmo Fassreiter und Rhongil Steinbeißer Bescheid sagen, dass ich sie in der Trockenen Kehle erwarte?“
Hangaiths Augenbrauen rutschten nach oben. „Meinst du wirklich, die beiden Ratsherren kommen in eine Spelunke wie die Trockene Kehle?“
Bandath nickte. „Ich bin mir sicher. Sag ihnen einfach, dass ich sie dort erwarte und ihnen ein Geschäft vorschlagen möchte.“
Dann schwiegen sie, denn die Fähre näherte sich dem Hafen und ein paar Menschen eilten geschäftig hin und her. Bandath vermummte sich wieder, drückte Hangaith einige Münzen in die Hand und sprang ans Ufer.
„Geizig wie alle Halblinge, kleiner Herr!“, rief ihm Hangaith übertrieben laut hinterher. „Mögen Euch die Haare an den Füßen ausfallen und Euer pelziger Wuschelkopf ergrauen!“ Bandath musste grinsen, der Fährmann spielte seine Rolle recht gut. Der Magier schlug zwischen zwei Lagerhallen hindurch den Weg in das Westviertel ein. Natürlich wäre es bedeutend einfacher gewesen, sich des magischen Ringes zu bedienen. Leider war aber die Kraft dieses Schmuckstückes nach seinem Gebrauch bei den Trollen noch immer erschöpft. Würde Bandath ihn jetzt benutzen, wäre er für alle zufälligen Beobachter als halbdurchsichtiger Geist sichtbar. Und das wäre wohl kaum seinem Anliegen förderlich, hier so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen.
Der Magier schlich sich zwischen den verschiedensten Lagerhallen hindurch, aus denen es nach Gewürzen oder Tabak, nach Brot oder einfach nur seltsam roch. Die Lagerhallen grenzten das Menschenviertel vom Westviertel ab. Problematisch wurde es erst, als Bandath die letzten Lagerhallen erreichte. Ein kleiner Bach markierte die eigentliche Grenze. Davor befand sich ein breiter Streifen Rasen, den der Magier überwinden musste, wenn er den Bach überqueren und damit das Westviertel betreten wollte. Die Menschen ließen jedoch diesen Streifen durch die Stadtwache überwachen, um die Lagerhallen und natürlich deren Inhalt vor den Bewohnern des Westviertels zu beschützen. Bandath kauerte sich hinter die Ecke eines flachen Gebäudes und streckte vorsichtig den Kopf heraus. Ja, dort standen vier Männer der Stadtwache, die hauptsächlich aus Gnomen und Menschen bestand. Es war natürlich klar, dass die Elfen sich an solch einer Arbeit nicht beteiligten. Deren Angehörige der Stadtwache schützten den Elfen-Hafen, wo nie etwas Gefährliches geschah.
Die Wache, ausgerüstet mit langen Spießen, stand um ein Lagerfeuer herum und betrachtete aufmerksam das gegenüberliegende Ufer des Baches. Etwa hundert Schritt weiter sah Bandath ein zweites Feuer. Dann machte der Bach einen Bogen und entzog sich seinen Blicken. Der Magier wusste aber, dass alle einhundert Schritt auf diesem Grünstreifen eine Gruppe der Stadtwache stand und die Lagerhallen bewachte. Bandath holte aus seinem Schultersack mehrere kleine Feuerwerkskörper. Er befestigte genau abgemessene Zündschnüre an ihnen und kroch zurück in die Dunkelheit. Dann suchte er einen geeigneten Platz zwischen zwei eng stehenden Gebäuden und entzündete zwei der Zündschnüre. Während diese mit einer blassblauen Flamme leise zischend brannten, rannte der Zwergling so schnell ihn seine kurzen Beine trugen in die benachbarte Gasse, entzündete zwei weitere Feuerwerkskörper und wiederholte den Vorgang noch zwei Mal. Schnaufend erreichte er schließlich ein Haus in der Nähe des Wachfeuers.
„Das müsste reichen“, stöhnte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Schnelles Rennen lag ihm überhaupt nicht. Dafür hatte er seinen Laufdrachen. Aber manchmal ging es nicht anders.
Gleich würde es losgehen. Die Posten standen am Feuer und beobachteten die Hütten am gegenüberliegenden Ufer, die sich dunkel in die Nacht duckten. Dann begann der Spaß. Es pfiff und knallte irgendwo hinter Bandath, der Widerschein von aufsteigenden Funkenregen tauchte die Szene vor ihm in ein unwirkliches Licht. Erschrocken fuhren die Wachen herum und starrten sekundenlang zu den Blitzen, ohne etwas unternehmen zu können. Aus dieser Richtung hatten sie mit keinerlei Ärger gerechnet. Dann riefen sie sich etwas zu. Bandath verstand kein Wort, denn im selben Moment begann die zweite Ladung der Knallkörper, einen ohrenbetäubenden Lärm im Schatten der Lagerhallen zu starten. Aufgeregte Rufe der Wachleute des anderen Feuers kamen hinzu. Hektisch verließen die Posten ihren Platz und eilten mit nach vorn gereckten Lanzen auf Bandath zu. Hatten sie ihn gesehen? Der Magier rutschte auf die Erde, breitete seinen Umhang über sich und wirkte Unauffälligkeits-Magie. Die Wache eilte an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Wahrscheinlich wäre die Magie gar nicht nötig gewesen. Nachdem die Wachmannschaft im Gewirr der Gassen zwischen den Lagerhallen verschwunden war, sprang der Zwergling ohne zu zögern auf und rannte über die freie Rasenfläche bis zum Bach. Dort platschte er durch das Wasser und sprang zwischen die nahe stehenden Hütten. Geschafft. Hätte die Wache ihn erwischt, so wäre eine Reihe unangenehmer Fragen zu klären gewesen – unabhängig davon, dass seine Anwesenheit in der Stadt bekannt geworden wäre. Kurz verharrte er und sah zurück. Ihm war, als hätte er im Schatten auf der anderen Seite eine Bewegung ausgemacht. Verfolgte ihn jemand? Angestrengt stierte er in die Dunkelheit, konnte jedoch nichts weiter erkennen. Er schüttelte den Kopf. Wahrscheinlich hatte er sich getäuscht. Kein Wunder, bei der Anspannung, unter der er stand: erst der Vulkanausbruch, dann noch die beiden Kopfgeldjäger.
Er stand auf und lief los. Zielstrebig begann er, sich durch das Durcheinander der kleinen Gässchen zum Hafen durchzuschlagen, dorthin, wo laut und bebend das Leben dieses Viertels brodelte.
Die Trockene Kehle war eine der übelsten Kneipen des Westviertels, nur wirklich zwielichtige Gestalten besuchten sie. Das Haus, in dem sich die Taverne befand, stand in einer dunklen Gasse in der Nähe des Hafens, abseits von den vergnügungssüchtigen Menschen, Elfen, Gnomen, Zwergen und Halblingen. Rund um den Hafen reihte sich Kneipe an Kneipe und jeder Wirt buhlte um die Gunst der Gäste. Dazu heuerten die Kneipenwirte Leute an, die an der Eingangstür standen und die Vorübergehenden ansprachen.
„Hej, willst du wirklich gutes Essen. Schnell und billig?“
„Der beste Fisch in ganz Flussburg!“
„Besseres Dunkelbier als hier bekommst du nicht einmal im Zwergenviertel.“
„Hier kriegst du mehr als Essen und Trinken, Fremder!“
Bandath durchquerte die lauten und belebten Bereiche rund um den Hafen, hielt den Kopf gesenkt und lief, die Locksprüche nicht beachtend, durch Straßen und Gassen, beharrlich seinem Ziel entgegen. Er bog zwischen zwei eng beieinander stehenden Häusern von der belebten Straße ab und schlängelte sich an Abfallhaufen vorbei. Allmählich ließ er den Lärm der Werber und der umherstreunenden Leute hinter sich. Es wurde ruhiger. Im Rinnstein quiekten ein paar Ratten, die sich um Abfälle balgten. Der Eingang der Kaschemme befand sich am Ende der Gasse, in einem dunklen Winkel. Selbst die abgebrühtesten Bewohner des Viertels kamen nur selten hierher. Bandath trat durch die Tür in den Schankraum. Etwa zehn grob behauene Holztische standen herum. Die Hälfte war mit jeweils zwei bis fünf Gestalten besetzt, denen man auf den ersten Blick ansah, dass sie sich nie freiwillig einer der Wachen Flussburgs gegenüberstellen würden. Stille breitete sich aus und alle Köpfe drehten sich zu Bandath um. Er huschte gleichmütig zu einem der freien Tische und setzte sich auf den für Menschen gemachten Stuhl. Er hasste diese Möbel. Immer baumelten seine Füße in der Luft und er kam sich so winzig vor. Etwas anderes jedoch gab es in der Trockenen Kehle nicht. Im selben Moment wurde er für die Gäste an den anderen Tischen wieder uninteressant. Am Nachbartisch saß eine kleine, in einen dunklen Umhang gehüllte Gestalt, den Kopf verhüllt von einer Kapuze, die Arme auf dem Tisch und die Stirn auf den Unterarm gebettet. Leises Schnarchen ertönte.
Der Schankwirt kam, ein krummbeiniger Gnom mit dreckiger Schürze, und der Magier bestellte ein Bier bei ihm. Erwartungsvoll blieb der Gnom stehen und sah den Zwergling an. Nicht mit dem Zucken einer Wimper verriet er, dass er Bandath kannte. Hier in der Trockenen Kehle gab es für den Wirt keine Namen und keine Gesichter, jeder Gast war für den Wirt zum ersten Mal da und kam danach nie wieder, egal wie oft er den Schankraum betrat.
Bandath nutzte diese Kaschemme nur in besonders heiklen Situationen. Der Magier überlegte. Bevor die beiden Ratsherren kamen, blieb ihm sicherlich noch etwas Zeit. Er ergänzte also seine Bestellung um eine Lammkeule mit Brot und drückte dem Gnom ein Geldstück in die Klauen. Dieser verschwand schweigend. Gedämpftes Gemurmel drang durch die verräucherte Luft zu ihm an den Tisch. Ab und zu verließ einer der Gäste den Raum oder andere Gäste kamen, aber die Erwarteten waren lange nicht darunter.
Es dauerte etwa zwei Stunden (drei Bier und die Lammkeule), bis sich die Tür öffnete und zwei kleine Gestalten hereinhuschten, die sich kurz umsahen und dann zielstrebig auf Bandaths Tisch zusteuerten – Helmo Fassreiter und Rhongil Steinbeißer.
Helmo, der Halbling, schwang sich auf den Stuhl neben Bandath und knurrte etwas, das wie „ungemütliche Menschenmöbel“ klang. Rhongil, der Zwerg, setzte sich Bandath gegenüber. Beide bestellten sich Bier bei dem Wirt, warteten, bis das Bestellte eingetroffen war, nahmen anschließend einen riesigen Schluck und sahen dann den Zwergling erwartungsvoll an.
„Ich freue mich, euch zu sehen.“
„Ja“, knurrte der Zwerg. „Die Freude ist ganz meinerseits. Wenn das stimmt, was der alte Hangaith erzählt hat, dann muss bei euch oben in den Drummel-Drachen-Bergen die Hölle ausgebrochen sein.“
„In diesem Sinne“, ergänzte der Halbling, „willkommen in der Zivilisation.“
„Nun, ich scheine momentan nicht sehr willkommen zu sein.“
Rhongil schüttelte den Kopf. „Bei uns schon. Du weißt, dass du uns vertrauen kannst.“ Es klang nicht ganz ehrlich, aber Bandath hatte keine besseren Ansprechpartner.
Der Magier nickte. „Ich hoffe. Deswegen bat ich euch hierher.“ Dann erzählte er, was sich im Gebirge zugetragen hatte.
„Ich möchte, dass ihr unauffällig anfangt, Proviant für die Drachenfurter zu kaufen“, schloss er seine Ausführungen. „Falls der Ausbruch noch schlimmer wird, werden sie hierher kommen müssen.“
„Alle?!“ Helmo und Rhongil waren entsetzt.
„Ja, alle. An wen sonst könnten sie sich wenden? An die Elfen? Oder die Trolle?“
„Aber wieso sollen wir Proviant kaufen? Wenn sie kommen, können sie das selber tun.“
„Ich vermute, dass das dann nicht mehr so einfach sein wird. Bleibt es bei dem Ausstoß von Asche, dann bilden sich dunkle Wolken, die viele Monde lang am Himmel hängen werden. Ich habe davon gelesen. Keine Sonne heißt aber auch, dass es abkühlt und wahrscheinlich sehr viel regnen wird. Das wird die Ernten in diesem Jahr gefährden. Und dann werden Nahrungsmittel knapp und die Preise steigen enorm. Ich denke, dass der Preisanstieg schon sehr bald zu beobachten sein wird. Also seht zu, dass ihr euch selber eindeckt. Und kauft Vorräte für die Drachenfurter.“
„Und wovon sollen wir das bezahlen?“
Bandath schob einen mit Goldmünzen prall gefüllten Ledersack über den Tisch, der gesamte Lohn, den er letztens von den Elfen bekommen hatte. „Nehmt das, obwohl ich vermute, dass ihr genügend Gold habt, um uns etwas vorzustrecken.“
„Das wird nicht für lange reichen“, wandte Helmo ein. Er ignorierte den letzten Teil des Satzes und ließ blitzschnell den Beutel mit dem Gold in seiner Weste verschwinden.
„Das ist genügend, um ein ganzes Lagerhaus zu füllen“, widersprach Bandath, „und ihr bekommt noch mehr von mir, wenn die Sache ausgestanden ist.“
„Können wir da sicher sein?“
„Habe ich euch schon jemals nicht bezahlt? Ihr bekommt jede einzelne Gold- und Silbermünze von mir zurück.“
Der Zwerg und der Halbling nickten. „Du hast deine Schulden immer bezahlt, das ist schon wahr. Aber man sagt, dass du dich mit den Elfen überworfen hast. Sie haben Sergio die Knochenzange und Claudio Bluthammer angeheuert und erste Gerüchte besagen, dass die beiden dich suchen …“
„Sagt wer?“, fragte Bandath und winkte dem Wirt, dass er eine neue Runde bringen sollte. Der Gnom kam mit einem Tablett, auf dem drei schäumende Krüge standen und tauschte sie gegen die drei leeren aus. Er nahm die Bezahlung entgegen und verschwand wieder. Helmo, der Bandath antworten wollte, hatte geschwiegen und den Kopf gesenkt, während der Gnom am Tisch hantierte.
„Keine Angst, Helmo.“ Bandath lächelte. „Dich erkennt hier niemand. In einer Stunde bist du zurück im Halbling-Viertel und niemand wird wissen, dass der angesehenste Ratsherr der Halblinge sich mitten in der Nacht in der verrufensten Kaschemme ganz Flussburgs herumgetrieben hat.“ Der Magier nahm einen Schluck aus dem Bierkrug.
Helmo hob den Kopf. „Die Grünspatzen pfeifen es von den Dächern der ganzen Stadt. Bandath hat Probleme mit den Elfen, heißt es. Damit versiege eine seiner schier unerschöpflichen Geldquellen. Und weißt du, wer sich erstaunlicherweise besonders dafür interessierte? Vor einigen Tagen war eine Gruppe Taglicht-Trolle in Flussburg. Du hättest mal sehen sollen, wie begierig sie diesem Gerücht gelauscht haben. Haben fast so spitze Ohren wie die Elfen bekommen.“
Bandath fluchte. Das wurde ja immer besser: Neben dem Vulkan und den Kopfgeldjägern jetzt auch noch Stress mit Elfen und Trollen. Vielleicht sollte er sich einen anderen Wirkungskreis suchen, wenn er die Sache mit den Drachenfurtern und dem verdammten Vulkan geklärt hatte.
„Hör zu, Helmo. Hört beide zu. Den Leuten aus Drachenfurt steht das Wasser bis zum Hals. Ihr tätet gut daran, euer kleinliches Geschrei nach Geld vorerst zu vergessen. Hier geht es um das Leben dieser Zwerge da oben, Zwerge, wie du einer bist, Rhongil.“
Der Angesprochene hob scheinheilig die Hände. „Ich? Ich habe doch gar nichts gesagt.“
Jetzt ignorierte Bandath den Satz des Zwerges. „Ihr beide seid die mächtigsten Ratsherren in euren Vierteln und ich bilde mir ein, dass ich euch gut genug kenne. Nicht umsonst habe ich euch hierher gebeten. Ihr müsst tun, was ich euch sage. Denkt doch einmal an später, wenn die ganze Sache vorbei ist. Helmo und Rhongil, wird es dann heißen, die haben vorausschauend gehandelt und für ihre Leute Reserven angelegt. Und sie haben in schwierigen Zeiten Notleidenden geholfen. So wird man über euch reden. Irgendwann gibt es dann wieder eine Ratsherrenwahl und man wird sich an euch erinnern.“
Damit hatte Bandath sie. Der Rest war einfach. Der Magier erklärte den zwei Ratsherren, wie sie möglichst unauffällig anfangen sollten, Proviantvorräte in ihren Vierteln anzulegen. Er brachte sie sogar dazu, einen Trupp mit Hilfsgütern in die Berge zu schicken.
„Bewaffnet“, schärfte er ihnen ein. „Man weiß nicht, was sich jetzt hier in der Hoffnung auf leichte Beute herumtreibt.“
Helmo Fassreiter und Rhongil Steinbeißer stimmten allen Vorschlägen des Magiers zu. Selbst als er sie bat, keinem von seinem Aufenthalt in Flussburg zu erzählen, nickten sie, so sehr begeisterte sie die Vorstellung, aus dieser Geschichte als die großen Retter hervorzugehen.
Nachdem die beiden gegangen waren, saß Bandath noch lange und starrte in sein Bier. Trolle in der Stadt? Die Elfen sauer? Claudio und Sergio auf seinen Fersen und zu allem Überfluss musste er sich um seine Leute kümmern. Seine Gedanken eilten zu Waltrude und Theodil Holznagel. Wie es ihnen jetzt wohl ging?
Später ließ er sich vom Wirt ein weiteres Stück Fleisch und etwas Brot bringen und aß mit mäßigem Appetit – mehr, weil er nicht wusste, was die nächsten Tage bringen würden als aus Hunger. Gegen ein paar Münzen bereitete der Gnom ihm eine Schlafstatt in einem der oberen Zimmer und versprach, sowohl für einen ordentlichen Proviantbeutel am nächsten Morgen zu sorgen, als auch für eine verschwiegene Person, die den kleinen Herrn vor Sonnenaufgang mit einem Boot über den Ewigen Strom rudern würde. Bandath ging in das Zimmer. Die Gestalt am Nachbartisch beendete abrupt die Schnarchgeräusche, hob den Kopf und sah dem Zwergling hinterher, die Kapuze des Umhangs tief ins Gesicht gezogen. Niemand konnte erkennen, wer sich darunter verbarg. Dann winkte sie nach dem Wirt. Münzen wechselten klimpernd den Besitzer und der Wirt sagte ein paar Worte.
Als die Sonne aufging, saß Bandath bereits wieder auf dem Rücken Dwegos und eilte am Ufer des gewaltigen Flusses nach Westen. Bei dem Tempo sollte er in knapp drei Tagen in Go-Ran-Goh sein. Die kleine, schlanke Gestalt, die ihn in der Schankstube der Trockenen Kehle aufmerksam gemustert hatte, war ihm nicht aufgefallen. Dass er seit dem frühen Morgen verfolgt wurde, bemerkte der Zwergling ebenfalls nicht. Und das war ungewöhnlich für ihn, zeigte es doch, wie sehr ihn die momentane Situation belastete.