Читать книгу Die Diamantschwert-Saga. Die Abenteuer von Bandath, dem Zwergling - Carsten Zehm - Страница 7

Das Diamantschwert

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Der Troll brach aus dem Gebüsch, trampelte über das Gras und sprang in den kleinen Bach. Knurrend sah er sich um, schwenkte dabei die Keule hin und her. Er kniff die Augen unter der gefurchten Stirn zusammen und suchte das Ufer ab. Plötzlich schoss sein Kopf herum. Gleich hinter der nächsten stromabwärts gelegenen Biegung des Baches hörte er Schritte im Wasser – eilig, platschend, sich entfernend. Ohne zu zögern stürmte er los und nahm die Verfolgung auf. Ruhe kehrte wieder ein und der Bach floss ungestört weiter.

Als die Geräusche des durch das Wasser hetzenden Trolls verklungen waren und das Nass die aufgewirbelten Sandwolken davon getragen hatte, erklang unter einem Busch ein fröhliches Hüsteln. Dann raschelte es, eine kleine Gestalt kroch auf allen Vieren hervor und stand umständlich auf. Fröhlich zupfte sich der Mann Blätterreste und Zweige aus seinem grauen Bart, rückte sich das Lederband, welches seine Haare hielt, zurecht, klopfte die Jacke sauber und strich sich über die Hose, beides aus braunem Leder. Ein unbeteiligter Beobachter hätte den kleinen Mann auf den ersten Blick wahrscheinlich für einen Zwerg gehalten, bis er die großen, braunbehaarten Füße gesehen hätte, die Füße eines Halblings. Zwar war der Bart der eines Zwergs, auch die eisgrauen, zu einem Zopf geflochtenen Haare waren typisch zwergisch. Doch sowohl die Füße als auch die knollige Nase und die braunen Augen gehörten eindeutig zu einem Halbling.

Der kleine Mann griff unter den Busch und förderte einen abgewetzten Beutel und einen knorrigen Holzstock zu Tage, der fast so groß war wie er selbst. Der Stab wies ihn unzweifelhaft als Mitglied der Magier-Gilde aus.

Am Ufer des Baches mitten im Trollland stand Bandath der Magier – manche würden die Bezeichnung um das Wörtchen berüchtigt ergänzen. Bandath war ein Zwergling und Zwerglinge waren sehr selten. Sein Vater, ein Zwerg, hatte einst eine Halblingsfrau geheiratet; eine Verbindung, die seinerzeit nicht unerhebliches Aufsehen erregt hatte, und Bandath war ihr einziges Kind geblieben. Es gab nicht viele Zwerglinge in den Ländereien um die Drummel-Drachen-Berge. Eigentlich, so behauptete Bandath gerne, gab es zurzeit nur einen einzigen lebenden Zwergling, nämlich ihn.

Irgendwann in seiner frühen Jugend hatte Waltrude, die Haushälterin seines Vaters, seine magische Begabung entdeckt und ihn sofort nach Go-Ran-Goh geschickt, die Magier-Feste. Nach einem dreitägigen Aufnahmetest wurde er der jüngste Magierlehrling aller Zeiten. Die zehnjährige Ausbildung krönte er mit einer grandiosen Abschlussprüfung, von der die Lehrlinge auf Go-Ran-Goh noch heute reden. Gerüchte besagten, dass Romanoth Tharothil, der oberste Magier, ihm immer einen Platz als Lehrer auf der Magier-Feste reserviert hielt, falls Bandath sich eines Tages entscheiden sollte, dorthin zurückzukehren. Nun, das zumindest konnte lange dauern. Er fühlte kein Verlangen danach, sich diesem weltfremden Kreis anzuschließen.

Im Moment allerdings sah es nicht so aus, als dächte Bandath überhaupt an Go-Ran-Goh. Er lauschte dem Troll nach, der sicherlich noch eine ganze Weile dem magischen Geräusch folgen würde, das Bandath vor wenigen Minuten den Bach hinabgeschickt hatte.

Noch eine Stunde bis Sonnenuntergang – das musste für sein Vorhaben reichen. Im Moment bewachten nur wenige Taglicht-Trolle das Dorf, während der Rest der Truppe im typischen, fast todesähnlichen Schlaf lag, der den gewöhnlichen Troll befiel, wenn die Sonne aufging.

Die ersten drei Wachposten hatte Bandath bereits hinter sich gebracht, als er überraschend auf diesen hier am Bach gestoßen war. Die Trolle schienen ihre Aufmerksamkeit erhöht zu haben. Es wäre wahrscheinlich gut, wenn er sich auf dem Rest des Weges noch aufmerksamer umsah als sonst. Womöglich hatten sie noch weitere Überraschungen vorbereitet. Bei seinem letzten Besuch jedenfalls – wie lange war das jetzt her, zehn Jahre, zwölf? – hatte es hier am Bach noch keine Wache gegeben.

Bandath wirkte einen kleinen Spurenverwischungszauber und begann vorsichtig, den Hang zu ersteigen. Seine Abdrücke im Ufersand des Baches verschwanden, kaum dass er den nächsten Schritt machte. Kurz noch blieb er stehen. Da lag ein Trollmesser im Gras direkt vor ihm. Eigentlich verabscheute Bandath Waffen. Er selber besaß keine, sah man von seinem eigenen kleinen Messer, dem Magierstab und dem schier unerschöpflichen Inhalt seines Schultersackes ab. Er kämpfte nie mit Waffen gegen andere und er hatte auch noch nie jemanden getötet, weder Troll noch Gnom, Elf, Zwerg, Mensch oder Halbling. Und das war mehr als so manch anderer Magier von sich behaupten konnte. Trotzdem sagte ihm sein Bauchgefühl, dass es besser wäre, dieses Trollmesser nicht im Gras liegen zu lassen. Er verließ sich oft auf sein Bauchgefühl und war meist gut gefahren damit.

Natürlich war das Messer eines Trolls für Bandath fast ein Schwert. Der Zwergling holte aus dem Schultersack seine magische Lupe hervor und richtete die Linse auf das Trollmesser, wobei er leise vor sich hin murmelte. Durch die Lupe betrachtet, sah das Messer wesentlich kleiner aus, als es in Wirklichkeit war. Lächelnd griff Bandath zu, nahm das Messer, das plötzlich locker in seine Hand passte, und ließ es in den unergründlichen Tiefen seines Schultersacks verschwinden.

So, jetzt aber rasch! Er hatte genug Zeit am Bach vertrödelt. Das Diamantschwert wartete auf ihn. Bis Mitternacht musste er es seinen Auftraggebern geliefert haben. Während er vorsichtig seinen Weg zum Trolldorf suchte, dachte er an die Worte der Elfen: „Gehe zu den Trollen, stehle das Diamantschwert und bringe es uns!“

Es war die übliche Art der arroganten Langbeine. Kurz und bündig hatten die Elfen der Riesengras-Ebene ihre Order formuliert. Natürlich war es ihnen unangenehm, dass er, ein Zwergling, den großen und gewaltigen Elfen helfen musste. Ihn selber störte das keineswegs, ganz im Gegenteil. Elfengold war gut und solange die Bezahlung stimmte, ließ sich absolut nichts gegen diesen Auftrag einwenden.

Erheitert duckte sich Bandath unter einigen Stolperdrähten durch, die die Trolle über den Weg gespannt hatten. Die würden es nie lernen, zogen die Hindernisse in Kniehöhe. Nur war da, wo die Trolle ihre Knie hatten, Bandaths Hals.

Wie gut, dass um die Drummel-Drachen-Berge herum kein anderer Magier lebte, der diese Art von Aufträgen erledigte. Und so hatte er, Bandath der Zwergling, nun schon zum wiederholten Male von den Elfen den Auftrag erhalten, den Trollen das Diamantschwert zu stehlen.

Es war immer das gleiche Spiel: Die Elfen ließen sich die machtvolle Waffe von den Trollen stehlen und diese etliche Jahre später wieder von den Elfen. So wechselte das Diamantschwert in schöner Regelmäßigkeit alle acht bis zehn Jahre den Besitzer. Und Bandath verdiente daran.

Nur gut, dass die Elfen von seinem kleinen Geheimnis nichts wussten.

Kichernd umrundete der Magier einige plumpe Fallgruben, hielt dann aber erschrocken inne, als er ein bedrohliches Zischen hinter sich hörte. Ganz langsam drehte er sich um und blickte in die starren Augen einer beeindruckenden Schling-Würg-Natter mit dem typischen, roten Totenkopfmuster auf ihrem giftgrünen Leib. Das Exemplar war von einer solchen Größe, dass es den Zwergling mit einem einzigen Happs hätte verschlingen können. Sie wäre sogar einem Troll gefährlich geworden. Die Schling-Würg-Natter starrte Bandath in die Augen und probierte den ihr eigenen Hypnose-Blick. Bandath zwinkerte und musste schon wieder grinsen. Wie sollte die Natter wissen, dass er auf der Magier-Feste einen besonderen Kurs zur Anwendung und Abwehr von Hypnoseverfahren besucht hatte? Sein eigener Blick wurde starr und bohrte sich in die länglichen Pupillen der Schlange. Es dauerte nur wenige Sekunden, da begann das Reptil zu zittern und hörte auf zu zischen. Der Körper der Schlange verdrehte sich zu einer großen Schlaufe, der Schwanz schoss nach vorn, fuhr durch die Schlaufe und streckte sich wieder lang nach hinten. Hilflos lag die Schlange auf dem Weg, einen dicken und äußerst festen Knoten in der Körpermitte.

Leise vor sich hin summend schlich der Zwergling weiter und erreichte eine enge aber kurze Felsenschlucht. In unregelmäßigen Abständen, so erschien es jedenfalls den Trollen, ergossen sich von oben Ströme kochenden Wassers oder zischender Säure, die brodelnd in Löchern im Boden verschwanden. Mittels eines ausgefuchsten Systems innerhalb der Felsen wurden die Flüssigkeiten wieder nach oben gepumpt und erhitzt, um sich im nächsten Moment erneut in das Tal zu ergießen. Bandath selbst hatte den Trollen dieses Sicherungssystem vor vielen Jahren verkauft. Ja, auch Troll-Gold war nicht zu verachten. Gut, dass die Trolle nichts von seiner Arbeit für die Elfen wussten.

Der Zwergling zählte nach dem letzten Wasserguss bis zwanzig, machte fünfzehn Schritte nach vorn, wartete einen Schwall Säure vor sich und eine weitere Kaskade kochenden Wassers hinter sich ab, rannte eine genau berechnete Strecke und duckte sich. Aus der Wand direkt über dem Magier schossen sechs Speere hervor, die ihn unzweifelhaft an den Fels genagelt hätten. Mit einem metallischen Zischen glitten sie in ihre kaum sichtbaren Halterungen zurück. Bandath erhob sich, sprang über einen unscheinbaren Sandfleck – Treibsand – und erreichte das Ende der Schlucht. Jetzt müsste eigentlich … ja, da war er auch schon, der selbstfliegende Messer-Bumerang, der die Schlucht in regelmäßigen Abständen durchquerte. Hier reichte es aus, wenn er sich eng an den linken Felsen presste. Zischend schoss der Bumerang an ihm vorbei und flog kurz darauf denselben Weg zurück.

Die Trolle hatten ihm viel bezahlt für diese Sicherungen und schon manch ein Eindringling war an der Schlucht kläglich gescheitert. Bandath war nicht wenig stolz auf sein Werk. Und nur der Erbauer selbst konnte es überlisten.

Jetzt musste er nur noch herausfinden, wie viele Taglicht-Trolle im Dorf hinter der Felsenschlucht Wache schoben.

Vorsichtig zog er eine Halskette aus seinem Hemd und löste den daran befestigten Ring, ein sehr altes Erbstück des Halbling-Zweiges seiner Familie. Er streifte das unscheinbare, golden glänzende Kleinod über den Finger und war im selben Moment verschwunden. Einen Unsichtbarkeitszauber zu weben hätte zu viel Zeit in Anspruch genommen. Da war der Besitz eines solchen Zauberringes schon wesentlich praktischer – auch wenn sich die Kraft des Ringes nach einer Weile verbrauchte. Dafür, dass er ihn jetzt trug, musste der Ring sich wieder mehrere Tage mit magischer Energie aufladen, bevor er ihn erneut benutzen konnte.

Die nächsten Schritte trugen ihn in den Talkessel hinter der Schlucht. Er erblickte die ihm vertrauten dunklen Felsenlöcher, die zu den Trollhöhlen führten. Neu waren einige der Blockhütten mitten im Tal. Hier hausten die Taglicht-Trolle. Ihre Zahl musste sich seit seinem letzten Besuch bedeutend erhöht haben.

Und noch etwas war neu. Dieses Etwas hob den Kopf, als Bandath den Talkessel betrat, und starrte zu ihm herüber. Die gelben Augen funkelten, das Nackenfell stellte sich auf, er knurrte, die Lippen hoben sich und entblößten spitze Zähne.

Der Zwergling erstarrte. Das war jetzt wirklich eine Überraschung – und eine unangenehme dazu. Ein Drachenhund. Wo hatten die Trolle den denn her? Hieß das etwa, dass die Trolle Unterstützung durch einen weiteren Magier erhielten? Wenn doch noch jemand außer ihm selbst die Sicherungsmaßnahmen der Trolle unterstützte, würde das seine Arbeit in Zukunft erheblich erschweren. Aber darüber musste er sich später seinen klugen Zwergling-Kopf zerbrechen, denn Drachenhunde konnten mit ihren Augen Unsichtbares sehen, also auch ihn!

Der Drachenhund, schuppig und rot, knurrte erneut und erhob sich auf seine sechs Beine. Das Nackenfell glich jetzt dem struppigen Besen von Bandaths Haushälterin Waltrude. Aus der Brust des Drachenhundes stieg ein Grollen auf und die Spitze des schlangengleichen Schwanzes peitschte den Boden. Sechs Taglicht-Trolle hatten rund um ein Holzfeuer gesessen. Jetzt erhoben sie sich und blickten suchend im Talkessel umher.

„Was’n los?“, fragte der kräftigste von ihnen und wiegte seine schwere Keule in der einen Hand, während er mit der anderen die Leine hielt, die dem Drachenhund um den Hals gelegt war. Es war Rulgo, der Anführer der Taglicht-Trolle. Bandath kannte ihn. Er war einer der klügsten Trolle, die der Magier je kennengelernt hatte, auch wenn er viel Zeit zum Denken brauchte, eine typische Eigenart der Trolle übrigens.

Aber was sollte das mit dem Drachenhund hier? Mist, dreimal getrockneter Zwergenmist! Fieberhaft rasten die Gedanken durch Bandaths Kopf. Wie wurde er nur dieses verdammte Scheusal los? Schon begann das Untier, den Troll in Bandaths Richtung zu ziehen, war vielleicht noch drei bis vier Dutzend Trollschritte entfernt. Plötzlich erinnerte sich der Zwergling an eine Bemerkung seines Vaters über Drachenhunde. Genau: Etwas Fisch und Drachenhunde lassen alles stehen und liegen. Zufällig hatte Bandath sich heute Morgen einen Hecht gefangen und von der Mahlzeit war noch ein wenig übrig. Mit vor Aufregung zitternden Fingern holte er den Fischrest aus seinem Sack, ebenso das Trollmesser, zudem das Stück Holz, das ihm letzte Nacht an der Schulter gedrückt hatte sowie ein paar Hühnerfedern, Überreste seines gestrigen Abendessens. Fieberhaft bohrte er mit dem Messer kleine Löcher in das Holz, steckte die Federn hinein und nagelte dann mit der Waffe den Fischrest auf das Holzstück. Anschließend bewegte der Magier die Hände in komplizierten Figuren über der Konstruktion, wobei kehlige Worte in einer längst nicht mehr von Lebenden gesprochenen Sprache über seine Lippen kamen. Die Federn begannen zu zittern, schwirrten dann heftig los und das Holzstück mitsamt Messer und Fisch erhob sich in die Lüfte. Diese umfangreichen Maßnahmen waren leider nötig, weil Bandath keine einfache Schwebe-Magie beherrschte. Der Drachenhund verharrte abrupt, schnaufte. Irritiert blickte er zwischen Holz und Zwergling hin und her, während er die Luft mit langen Zügen durch die Nase einsog. Bandath hob die Hand und gab dem schwebenden Holzstück einen leichten Wink. Schon schoss es vorwärts, beschrieb eine Kurve und verschwand in der Felsenschlucht, aus der Bandath soeben herausgetreten war. Der Drachenhund ließ ein kratzendes Bellen hören und sprang so kräftig vor, dass der Ruck glatt das Seil zerriss, mit dem Rulgo ihn festgehalten hatte.

„Blut! Komm zurück!“

Blut! Bandath verdrehte die Augen. Dieser Name sah den Trollen ähnlich. Der Drachenhund stürmte an dem Zwergling vorbei, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, die laut rufenden Trolle im Gefolge. Schmerzensschreie ertönten gleich darauf aus der Felsenschlucht. Da waren wohl einige in die eigenen Fallen getappt.

Für Bandath jedenfalls war jetzt der Weg zum Diamantschwert frei. Er hetzte über den freien Platz zu einer kleinen Höhle am anderen Ende des Talkessels. Sogar er musste sich bücken, als er eintrat. Auf einem niedrigen Holztisch lag ein rotes Samtkissen und darauf das Diamantschwert, Gegenstand der Gier sowohl der Trolle als auch der Elfen. Die lange, makellose Diamantklinge mit dem eingeschlossenen roten Kristall in der Spitze, dem sogenannten Flammenauge, funkelte im Licht der spärlichen Sonnenstrahlen, die bis hierher vordrangen. Ihm schien, dass das Flammenauge noch nie so intensiv geleuchtet hatte wie in diesem Moment. Dunkelrote Lichtstrahlen schossen aus ihm hervor und zerschnitten die Dämmerung des Raumes in unregelmäßige Bereiche. Daneben verblasste der Glanz des goldenen Griffes. Besetzt mit Dutzenden von Edelsteinen, blinkte er erhaben und wirkte dabei trotzdem matt. Als Waffe wäre das Schwert kaum zu gebrauchen, obwohl die Klinge so scharf war, dass sie fast alles zerschneiden konnte. Mit so einer Waffe würde man nicht lange kämpfen können, dazu war die Klinge zu spröde. Aber der Besitz des Diamantschwertes bedeutete Macht.

Vor vielen hundert Jahren, lange vor Bandaths Zeit, waren eines Nachts die Dunkel-Zwerge aus der Erde gekommen und hatten den Trollen und Elfen das Diamantschwert zum Geschenk gemacht. Damit, so hatten sie verkündet, könnte man das fruchtbare Land beherrschen, das auf beiden Seiten des Ewigen Stromes zwischen den Riesengras-Ebenen der Elfen und dem von Drummel-Drachen und Trollen bewohnten Gebirge lag. Dieses fruchtbare Tal, das sogenannte Umstrittene Land, erstreckte sich Dutzende Tagesreisen entlang der Ausläufer der Drummel-Drachen-Berge und war schon immer Gegenstand von Streitigkeiten zwischen Elfen und Trollen gewesen. Beide Seiten beanspruchten das Land für sich, doch war keine aus eigener Kraft in der Lage, sich dort anzusiedeln. Eine unüberwindbare, magische Hecke, wilde Tiere und regelmäßige Überschwemmungen machten das Leben dort äußerst unsicher. Allein die Macht des Diamantschwertes ermöglichte es den Elfen, den Boden, die Früchte und Kräuter der Flussniederung zu nutzen und den Trollen bescherte das Schwert eine erfolgreiche Jagd.

Die Magier der Trolle und der Elfen besänftigten mit der Macht des Diamantschwertes die Natur. Sie ermöglichten gute Jagdergebnisse und sorgten für hervorragende Ernten. Warum genau dies nur mit dem Schwert möglich war, konnten die Magier nicht sagen. Es war ein Rätsel, dessen Lösung noch nicht gefunden war.

Natürlich währte der Frieden nicht lange. Schon bald forderte jede Seite das Diamantschwert allein für sich. Niemand wusste heute noch zu sagen, wer als erster die Waffen gegen den anderen erhoben hatte. Die Elfen gaben den Trollen die Schuld und die Trolle schoben alles auf die Elfen.

Wie dem auch sei, es gab Krieg, und das Schwert gelangte in den Besitz der Elfen. Sie behielten es etwa einhundert Jahre. Dann hatten sich die Trolle so weit von ihrer Niederlage erholt, dass sie den Elfen in einem nächtlichen Überraschungsangriff das Schwert abjagen konnten. Nun waren sie die Herrscher über die fruchtbare Flussniederung – für fast siebzig Jahre.

Die Elfen rückten am Tage an. Damals gab es längst noch nicht so viele Taglicht-Trolle wie heute. Das Gemetzel muss fürchterlich gewesen sein, denn die Trolle benötigten diesmal weit mehr als hundert Jahre, bis sie das Schwert zurückerobern konnten.

So ging es lange Zeit hin und her. Abwechselnd in der Hand von Trollen und Elfen, glänzte das Flammenauge in der Spitze des Diamantschwertes über der Flussniederung. Bis Bandath kam.

Er machte den Elfen, die das Diamantschwert damals gerade mal wieder an die Trolle verloren hatten, das Angebot, das Artefakt gegen angemessenes Entgelt zu stehlen, was blutige Kämpfe unnötig machen würde. Die Elfen berieten. Bei einer Zustimmung würden sie sich natürlich von diesem zu kurz gewachsenen Magier, der noch nicht einmal ein reiner Zwerg war, abhängig machen. Andererseits hatte der letzte Kampf mit den Trollen hohe Opfer von ihnen gefordert. Widerstrebend ließen sie sich auf den Handel ein. Von da an wechselte das Schwert in schöner Regelmäßigkeit den Besitzer, denn natürlich gefiel auch den Trollen die Idee, einen Dieb anzuheuern und zu bezahlen und auf diese Weise Leib und Leben ihrer Artgenossen zu schonen.

Seither verdiente Bandath recht gut. Selbstredend musste er immer warten, bis sich das Schwert außerhalb des Umstrittenen Landes befand. Er selber konnte ohne das Schwert die Hecke, die den Landstrich umgab, nicht überwinden. Aber eine solche Gelegenheit ergab sich immer irgendwann.

Jetzt aber musste er sich sputen. Schon verschwand die Sonne hinter den Gipfeln. Bald würden die Taglicht-Trolle wieder auftauchen, um in ihren tiefen Nachtschlaf zu fallen. Und die Trolle, die tagsüber schliefen, würden erwachen.

Bandath zückte seine wundersame Lupe und ein Kästchen aus Mogohani-Holz. Mit Hilfe seiner Lupe verkleinerte er das Diamantschwert auf Handtellergröße. Vorsichtig nahm er das nach wie vor äußerst scharfe Schwert vom Kissen und legte es in das kleine Kästchen. Mogohani-Holz war härter als Stahl und nur die Eisen-Feen in den Mogohani-Wäldern des Ostens konnten dieses Holz bearbeiten. Das Kästchen hatte ihn vor Jahren das gesamte Gold gekostet, das er von den Elfen für den zweiten Diebstahl des Diamantschwertes bekommen hatte. Es war einfach zu riskant geworden, mit dem geschrumpften Schwert in der Hand durch die Wälder zu den Elfen zu laufen. Das Mogohani-Kästchen hatte sich als ideales Transportmittel bewährt.

Bandath verließ mit seiner Beute die Höhle und blieb sofort wieder stehen. Die Sonne war untergegangen und dämmriges Zwielicht herrschte. Es war die Zeit, da die Trolle erwachten und die Taglicht-Trolle sich schlafen legten. Er hatte doch zu lange gebraucht. Mist! Dreimal getrockneter Zwergenmist! Während in den Höhlen ringsumher ein Grummeln und Stöhnen anhub, typische Geräusche erwachender Trolle, taumelten die Taglicht-Trolle müde in den Talkessel zurück, angeführt vom Drachenhund.

Das war wirklich eine brenzlige Situation für den noch immer unsichtbaren Zwergling. Was tun?

Fisch hatte er keinen mehr. Schon hatte der Drachenhund ihn ausgemacht und knurrte gereizt.

Fisch? Wieso musste es eigentlich Fisch sein?

Wenn er ein magisches Geräusch bewirken konnte, dann sollte er auch in der Lage sein, magischen Geruch zu bewirken. Seine Finger begannen, komplizierte Runen in die Luft zu zeichnen, und er flüsterte Teile eines uralten Spruches. Dass er nicht sofort auf diese Idee gekommen war!

Plötzlich entströmte allen Höhlen im Talkessel ein penetranter Fischgeruch. Der Drachenhund begann erregt zu winseln. Dann hielt ihn nichts mehr. Mit einem kräftigen Ruck riss er sich los und stürmte jaulend in die nächstgelegene Unterkunft. Ärgerliche Trollrufe, Poltern und Klirren kündeten von erheblichem Chaos, als der Drachenhund auf der Suche nach Fisch das Unterste zuoberst kehrte. Aufgeregt schoss er nach erfolgloser Suche wieder ins Freie und stürmte die nächste Höhle.

Bandath hätte seinen Abgang aus dem Tal gerne weniger spektakulär gestaltet, aber ihm blieb keine andere Wahl. Eilig, doch möglichst leise, rannte er um die Gruppe der müde blinzelnden Taglicht-Trolle herum und machte sich aus dem Staub.

Er hatte kaum sämtliche Fallen der Felsschlucht überwunden, da ertönte aus dem Kessel das wütende Brüllen heiserer Trollstimmen. Sie hatten den Verlust des Diamantschwertes entdeckt. Die Jagd begann. So schnell er konnte tapste der Zwergling mit seinen kurzen Beinen durch das Unterholz. Die Trolle durften auf keinen Fall erfahren, wer ihnen das Schwert gestohlen hatte. Mit dem Drachenhund auf den Fersen war das aber nicht so leicht.

Bandath umging die Fallgruben und hörte irgendwo, leider nicht allzu weit entfernt, die massigen Trolle durch das Gebüsch brechen, begleitet vom aufgeregten Jaulen des Drachenhundes. Gehetzt zermarterte sich der Zwergling-Magier das Gehirn. Wie konnte er die Trolle aufhalten? Wie dem Drachenhund entkommen? Er eilte an der verknoteten Schling-Würg-Natter vorbei, blieb plötzlich stehen und sah zurück. Die Trolle konnten nur wenige Schritte hinter ihm im Gebüsch sein.

Was er jetzt vorhatte, war äußerst riskant, aber im Moment gab es keine andere Möglichkeit. Schnell sprintete er zu der verknoteten Schlange und zog den Ring vom Finger, um sichtbar zu werden. Erneut bohrte sich sein Hypnoseblick in die Augen des Reptils. Wie von fremder Hand geführt, löste sich der Knoten aus dem Schlangenleib und mit einem letzten Zwinkern gab Bandath seiner neuen „Freundin“ einen Auftrag. Dann steckte er den Ring wieder an und hastete weiter. Fast im gleichen Augenblick brachen die Trolle aus dem Unterholz. Zischend stürzte sich die Schling-Würg-Natter auf den Drachenhund und einmal mehr brach hinter Bandath das Chaos aus, als die Trolle mit ihren Keulen auf die beiden kämpfenden Tiere einschlugen, um sie zu trennen.

Kichernd schlug sich Bandath in die Büsche. Das sollte ihm den kleinen Vorsprung geben, den er brauchte, um sein Boot am Fluss zu erreichen. Ohne im Besitz der Magie des Diamantschwertes zu sein, würden die Trolle den Fluss nicht überschreiten – Elfenland.

Zwei Stunden vor Mitternacht hatte Bandath tatsächlich den Fluss überquert. Jetzt endlich konnte er den Ring vom Finger streifen und ihn wieder an der Halskette befestigten. Das zweite Utensil an der Kette war eine kleine silberne Pfeife, die der Magier an die Lippen führte, um kräftig hineinzublasen. Die Pfeife tat keinen Laut. Doch Bandath wusste, der unhörbare Ton würde seinen treuen Begleiter rufen. In wenigen Minuten würde der Laufdrache Dwego erscheinen und ihn sicher in das Dorf der Elfen tragen.

Pünktlich, kurz bevor der Stand der Sterne die Mitternachtsstunde anzeigte, betrat Dwego mit Bandath auf dem Rücken den Ring, der vom zentralen Elfenfeuer des Dorfes beleuchtet wurde. Wohlweislich hatte Bandath das Diamantschwert wieder in seine ursprüngliche Größe verwandelt, bevor er das Elfendorf erreichte. Die Elfen mussten das Geheimnis seiner Lupe und des Mogohani-Kästchens nicht unbedingt erfahren. Mühsam reckte der Zwergling das große Schwert nach oben. Das Flammenauge glühte auf, als es die Strahlen des hell leuchtenden Elfenfeuers einfing. Selbst die kaltherzigen Elfen erschauerten, als sie das rot reflektierende Licht des Flammenauges traf. Doch diese außerordentliche Gefühlsregung der Langbeine verschwand wie ein morgendlicher Nebelhauch, den die Sonne auflöste. Schon stand der Hohe Rat der Elfen wieder kühl und distanziert am Rande des Lichtkreises. Wortlos streckte Gilbath, der Elfen-Fürst, seine rechte Hand aus, um das entgegenzunehmen, was den Elfen seiner Meinung nach von Rechts wegen zustand.

„Deine Arbeit soll wieder einmal vergolten werden, Zwergling.“

Es gelang dem Elfen-Fürst stets, das Wort Zwergling so auszusprechen, als bezeichnete es eine widerwärtige Lebensform. Etwa in der Art würde Waltrude von einer dicken, fetten Wollspinne mit behaarten Beinen reden und gleichzeitig ihren Reisigbesen schwingen, um sie zu erschlagen.

Bandath verbeugte sich. „Der Ruf deiner Großzügigkeit ist weit bekannt, hinkt jedoch der Wahrheit hinterher, Gilbath.“

Der Elf runzelte die Stirn. „Meine Großzügigkeit ist kleiner als du denkst, Zwergling.“

Die Ruhe rings umher, hervorgerufen durch das Schweigen der anderen Elfen, schien sich zu vertiefen. Selbst das Knistern und Knacken des brennenden Holzes wurde leiser. Bandaths Sinne schalteten auf Alarm. Spannung lag in der Luft. Gilbath wog das Diamantschwert in der Hand. Wie zufällig richtete er die Spitze der Klinge auf den kleinen Magier. Drohend glühte das Flammenauge.

„Findest du es nicht seltsam, Zwergling, dass uns diese wundersame, machtvolle Waffe immer wieder entwendet wird?“

„Nun, Fürst“, Bandath zuckte betont gleichmütig mit den Schultern, „ihr müsst eben etwas besser darauf aufpassen.“

„Wir haben die besten Sicherungsmaßnahmen, die man diesseits der Drummel-Drachen-Berge kaufen kann, heißt es.“

Bandath hob lächelnd die Hände. „Danke, ich tue mein Bestes.“

„Schweig, Dieb!“, donnerte der Elf, um gleich darauf geringfügig abzuwiegeln: „Denn das bist du, ein Dieb, der uns wieder und wieder das Schwert von den Trollen stiehlt.“

Dieses Gespräch nahm eine Wendung, die Bandath nicht gefiel. Sollten die Elfen etwa wissen …?

„Gut, ich denke, wir sollten dieses Gespräch jetzt beenden, Zwergling“, erklärte der Elf und ließ das Schwert sinken.

Bandath nickte, neigte zum Gruß den Kopf und zog sich zwei Schritte zurück. Ohne dass die Elfen es bemerkten, atmete er dabei auf. Gilbath selbst wandte sich ohne Gruß ab, hielt jedoch plötzlich inne als habe er etwas vergessen.

„Übrigens sind Claudio Bluthammer und Sergio die Knochenzange in der Gegend. Du weißt schon, die beiden talentierten Kopfgeldjäger.“

Bandath musste schlucken. Üble Kopfgeldjäger wäre eine weitaus treffendere Bezeichnung für die zwei gestrauchelten Magier gewesen.

„Ich habe sie damit beauftragt, herauszufinden, wer der Dieb ist, der uns seit vielen Jahren immer wieder das Diamantschwert stiehlt – und uns seinen Kopf zu bringen.“ Damit ließ er Bandath endgültig stehen. Auch der Hohe Rat verließ den Kreis. Irgendwo aus dem Rund der Elfen kam ein Lederbeutel geflogen und landete klimpernd vor dem Magier im Staub, sein Lohn. Bandath bückte sich und nahm den Beutel auf. Gleichzeitig rasten die Gedanken hinter seiner Stirn.

Oh je, das war eine Entwicklung, die er nicht vorausgesehen hatte. Was sollte er nur tun, wenn die Trolle ihn das nächste Mal damit beauftragten, den Elfen das Diamantschwert zu stehlen?

Da würde er sich etwas einfallen lassen müssen …


Die Diamantschwert-Saga. Die Abenteuer von Bandath, dem Zwergling

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