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Casy Paix

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SAII-RON

Slate Gray Silence

Dieser Roman enthält Abschnitte in denen Gewalt und Sex ( freiwillig sowie unfreiwillig ) vorkommen.

Ein Roman ist ein Roman,

nicht mehr und nicht weniger.

Sollte es dennoch gegen deine Moral verstoßen bitte ich dich, dieses Buch nicht zu lesen.

Allen anderen wünsche ich viel Spaß .

© Copyright 2018 – Alle Inhalte dieses Werkes, insbesondere Texte, Fotografien und Grafiken sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, einschließlich der Vervielfältigung, Veröffentlichung, Bearbeitung und Übersetzung, bleiben der Autorin vorbehalten.

für meinen Großen

für meinen Kleinen

und

für Ihn

der mir Beide geschenkt hat

1

Ich weiß noch das es ein wunderschöner Morgen war. Die Sonne strahlte hell und hüllte die hohen, schroffen Berge im Osten in gleißendes Licht. Im Wald war es still, bis auf die Geräusche der kleineren Tiere, die vorsichtig aus ihren Verstecken kamen.

Ich genoss die Kühle des Waldes die jeden Morgen hier zu finden war. Am Mittag, sobald die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hatte, brach die Hitze herein. Selbst die uralten Bäume, die ihre Äste miteinander verschlugen hatten, konnte sie nicht abhalten.

Vergnügt sprang ich über eine kleine Wassergrube die spätestens in zwei Stunden ausgetrocknet sein würde. Wenn meine Mutter wüsste, dass ich hier war, hätte sie mich mit tadelndem Tonfall wieder zurück ins schützende Dorf befohlen.

Für ein Kind, noch dazu ein Mädchen mit vierzehn Sommern, war dieser Wald kein Ort zum Spielen. Ein Seufzen kam über meine Lippen. Wie oft hatte ich schon versucht meine Mutter davon zu überzeugen, das ich jetzt alt genug war alleine loszuziehen.

Alles was ich jedoch darauf erntete, war ein böser Blick und die Erklärung das ich noch lange keine ausgebildete Kriegerin war.

In jedem ungeschützten Dorf galt es, als selbstverständlich eine bestimmte Kriegeranzahl zu haben. Normalerweise wurden keine Mädchen ausgebildet, aber in meinem Dorf wurde eine Ausnahme gemacht. Es gab zu wenig Jungen und daher wurden die geschicktesten Mädchen zu Kriegern herangezogen.

Wäre mein Vater noch hier müsste ich diese Bürde nicht tragen. Doch er verschwand kaum das ich damals geboren wurde. Seitdem schwieg meine Mutter beharrlich zu diesem Thema.

Ich bog die Zweige eines dünn blättrigen Busches zur Seite und trat auf die kleine Lichtung, die von mehreren dieser Art umringt wurde. Ich hatte meinen Lieblingsplatz erreicht. Neben einem großen Baum setzte ich mich hin und pflückte ein paar von den kleinen, roten Sternenblumen, die überall im Gras um mich herum wuchsen.

Zufrieden flocht ich mir einen Kranz und setzte ihn auf meine blauschwarzen, schulterlangen Haare.

Der Sternenblumenkranz hielt meistens zwei bis drei Tage. Zerriss er früher, so sagte man, bringe es Unglück oder eine weitreichende Veränderung im Leben. Ich war gerade dabei einen zweiten Blütenkranz für meine Mutter zu flechten, als ein dumpfer Schlag, gefolgt von panischen Schreien ertönte.

Mit einem Ruck fuhr ich erschrocken hoch und versuchte einzuschätzen, von wo die Schreie kamen.

Der Wald filterte, brach, verstärkte oder verzerrte die Laute, sodass die Geräusche aus ganz anderen Richtungen und Entfernungen zu kommen schienen.

Die Vögel im Baum über einen hörten sich manchmal so an, als ob sie am anderen Ende der Lichtung ihre Lieder sangen.

Ich atmete einmal tief durch und schloss langsam die Augen.

Mit einem der großen Bäume in meinem Rücken und dem Wind, der sachte an meiner Wange entlang strich, versuchte ich die Richtung auszumachen, aus der die Schreie noch immer zu hören waren. Es gab keinen Zweifel. Ein eisiger Schauer breitete sich langsam über meinen Körper aus und mein Herz klopfte laut. Ich rannte voller Entsetzen los. Zweige und raue Gräser peitschten gegen meine nackten Beine und rissen Löcher in den dünnen Stoff des Kleides.

Ich verdoppelte meine Anstrengungen, um schneller voran zu kommen. Mein Atem kam stoßweise und ein unbeschreibliches Gefühl der Angst hatte seine Klauen in mein Innerstes geschlagen. Das Licht zwischen den Bäumen wurde heller und nur wenig später erreichte ich endlich den Waldrand.

Das Dorf, welches sich in eine kleine Senke vor den Ausläufern der großen Berge schmiegte, bot mir einen Anblick des Grauens.

Es zählte mit den gut dreißig Holzhütten zu einem der kleineren Dörfer hier in der Umgebung. Um so schlimmer war es das schon über die Hälfte der mit Reisig gedeckten Dächer Feuer gefangen hatte. Dunkle, beißende Rauschschwaden stiegen zu dem strahlend blauen Himmel hinauf. Zwischen den Hütten sah ich verzweifelte Menschen hin und her laufen.

Die Starre, die von mir Besitz ergriffen hatte, fiel langsam ab.

Ich begann auf mein Dorf zu zurennen um ihnen zu helfen mit dem Feuer fertig zu werden. Mitten im Schritt stockte ich jedoch abermals.

Was ist das?

Große, dunkle Schemen rasten mit einer Schnelligkeit durch die engen Gassen die kein Entkommen versprach. Dort wo sie auf Menschen trafen, erklangen gellende Schreie. Aus dem Augenwinkel entdeckte ich eine Frau, die mit einem kleinen Kind am Arm versuchte in Richtung des vermeintlich schützenden Waldrandes zu flüchten. Das hüfthohe Gras erschwerte jedoch ihr Vorankommen erheblich. Ihre herzzerreißenden Schreie drangen flehentlich über das grüne Gras, als hinter ihr einer dieser schwarzen Schatten aufragte. Mit einem kurzen Aufblitzen von Sonnenlicht auf kalten Stahl endete die Flucht der Frau. Ihr lebloser Körper fiel durchbohrt von dem Schwert des fremden Reiters vornüber. Das Kind begrub sie dabei halb unter sich. Meine Instinkte übernahmen die Kontrolle und ich duckte mich, so weit es möglich war in das Gras. Vor Entsetzen erkannte ich, wie der Reiter ein zweites Mal mit dem Schwert ausholte und dieses tief in den Rücken der leblosen Frau bohrte. Ich hielt mir eine Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien. Auch von meiner Position aus erkannte ich, wie der Tod nach dem Kind griff und es seiner Mutter in ein weiteres Leben folgte.

Bevor der Reiter mich entdecken konnte, änderte ich die Richtung und hielt auf den nördlichsten Teil des Dorfes zu. Ich versuchte so tief wie möglich am Boden entlang zu kriechen und hoffte, dass der fremde Reiter nicht in meine Richtung schauen würde. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich mich endlich meinem Ziel näherte. Das Feuer war noch nicht bis hier vorgedrungen und eine kleine Hoffnung keimte in mir auf.

Als ich den Schutz der ersten Hütten erreichte wurde mir jedoch klar, dass ich zu spät kam.

Tote, verstümmelte Menschen lagen vor ihren Türen oder mitten auf dem Weg. Nachbarn, Freunde, egal welchen Alters, alle waren tot. Entsetzliche Wunden entstellten die Körper der Menschen und man sah das Entsetzen, das für immer in ihre Gesichter geschrieben stand. Blut sammelte sich auf den Wegen und bildete kleine Seen.

Bitte, bitte lass keinen dieser Reiter mehr hier sein.

Ich schickte weitere Gebete an die Götter, als ich versuchte nicht in die Blutlachen zu steigen. Vorsichtig bahnte ich mir einen Weg zu der Hütte am Ende der Gasse. Das Atmen wurde immer schwieriger, denn das Feuer kam unaufhaltsam näher.

Ich weiß selbst nicht mehr wie ich es schaffte aber als ich den Türgriff erreichte und herunterdrückte, sammelten sich Tränen der Erleichterung in meinen Augen. Mit Schwung riss ich die Tür auf und verharrte für einen Augenblick auf der Schwelle.

Voller Entsetzten starrte ich auf meine rechte Schulter, auf der noch ein Stück des abgerissenen Sternblumenkranzes hing.

„Mama!“

Ich schlug die Tür hinter mir zu und lief in die kleine Küche. Erneute Angst überkam mich, denn auf mein Rufen antwortete niemand.

„Mama“, schrie ich nun verzweifelter.

„Layra Ich bin hier. “

Ich folgte der Stimme meiner Mutter durch den kleinen, düsteren Gang in das Schlafzimmer, das wir uns teilten. Meine Mutter stand vor dem großen Wandschrank und durchsuchte das oberste Fach. Als sie sich zu mir umdrehte, erschrak ich über ihren Anblick.

Ihr Gesicht wirkte grau und eingefallen. Meine Mutter wurde immer von allen wegen ihres jungen Aussehens bewundert. Doch jetzt zeichnete sich Angst darin wieder und sie schien um Jahre gealtert zu sein. Nur ihre Augen hatten immer noch dieses goldene Funkeln in den bernsteinfarbenen Tiefen, das so sehr meinen Eigenen glich.

„Mama das Dorf wird angegriffen, wir müssen hier weg! Diese Fremden töten alle die ihnen begegnen. Sie sind alle tot! Wieso nur greifen sie das Dorf an?“

Sie gab mir keine Antwort, sondern ergriff einfach meine Hand und führte mich zurück in die Küche. In dem kleinen Raum war gerade Platz für den Herd und einen Tisch mit zwei Stühlen.

Ein paar Schränke an der gegenüberliegenden Wand boten etwas Stauraum.

„Hör zu Layra, du musst von hier verschwinden. Du musst so schnell es geht in den Wald flüchten. Versteck dich dort bis die Fremden weg sind.“

„Aber ich verstehe das nicht. Warum wird unser Dorf angegriffen?“, fragte ich ohne auf ihre Worte einzugehen.

„Du kannst es noch nicht verstehen. Du musst hier raus Layra! Hast du mich verstanden?“

Ihre Worte jagten mir noch mehr Angst ein. Wieso bekam ich keine Antwort auf meine Fragen? Wer waren die Fremden auf ihren Pferden? Warum töteten sie alle diese Menschen, die niemanden etwas Böses konnten?

Eine unnatürliche Starre hatte mich gepackt und ich starrte meine Mutter mit klopfenden Herzen an. Diese atmete tief durch und schüttelte traurig den Kopf.

„All die Jahre habe ich ihn versteckt gehalten. Warum nur haben sie ihn jetzt gefunden? Hier nimm das“, sagte sie und drückte mir einen kleinen, unscheinbaren Lederbeutel in die Hand.

„Was ist das?“

Als ich den Beutel öffnen wollte, hielt sie mich schnell davon ab, indem sie ihre Hände fest um meine schloss.

„Layra Liebes du musst mir jetzt sehr genau zuhören. Du darfst unter keinen Umständen diesen Beutel öffnen, geschweige denn ihn in die Hände der Fremden fallen lassen. Ich habe leider keine Zeit mehr dir all das zu erklären mein Kind und ich wünschte, ich hätte es dir schon früher erzählt. Es ist ein Kristall, ein Pakt zwischen den Völkern unseres Landes! Dieser Stein, Saii-ron, steht für den zerbrechlichen Frieden den wir untereinander geschlossen haben.“

Meine Mutter schloss einen Moment die Augen und als sie mich wieder ansah, rannen die ersten Tränen über ihre Wangen.

„Es tut mir so leid. Ich dachte, ich kann dich vor deinem Schicksal bewahren, aber am Ende habe ich doch versagt!“

Meine Hände verkrampften sich um den kleinen Lederbeutel, als sie mich in ihre Arme zog.

„Sie suchen mich Layra. Ich bin Teil eines Paktes mit Saii-ron! Ich bin die Priesterin, die dazu bestimmt wurde, Saii-ron zu schützen, und ….“

„Mama du bist keine Priesterin! Du …, wir … sind nur ganz normale Dorfbewohner, die Gemüse und Getreide anbauen, um zu überleben!“

Die Worte bahnten sich immer verzweifelter einen Weg aus mir heraus und ich krallte mich verzweifelt an der Bluse meiner Mutter fest. Mit sanfter Gewalt löste sie sich von mir und hielt mich auf Armeslänge von sich weg.

Ein lauter Knall ließ uns beide zusammenzucken. Lautes Rufen und Pferdegewieher drangen gedämpft durch die Türe. Die Fremden schienen näher zu kommen, um die noch nicht brennenden Hütten zu durchsuchen. Es würde nicht mehr lange dauern bis sie hier waren.

„Geh zum Turm der Drachen, dort wirst du in Sicherheit sein! Die Leute dort werden dir helfen das alles zu verstehen. Du musst dich beeilen, Layra. Geh jetzt! Ich versuchen sie aufzuhalten, denn wenn ihr Herr dabei ist, werde ich die Einzige sein, die ihn hinhalten kann.“

Das Splittern der Tür erstickte jeden Protest von mir im Keim.

„Melissa wir wissen, das du hier bist!“

Meine Mutter fuhr panisch herum und zog mich unbarmherzig mit sich mit. Bevor ich reagieren konnte, öffnete sie die kleine Hintertür und schob mich einfach hinaus.

„Erinnere dich, an das was ich dir gesagt habe Layra! Ich liebe dich Kleines.“

Mit diesen Worten zog meine Mutter die Türe hinter sich zu. Der Laut, mit dem der Riegel ins Schloss fiel, würde mir für immer im Gedächtnis bleiben.

Das kann alles nicht wahr sein. Ich muss träumen! Wie kann das alles nur gesehen? Vielleicht ist alles nur ein Traum und ich wache gleich daraus auf.

Doch dem war nicht so. Ich starrte noch immer wie betäubt die verriegelte Türe vor mir an. Meine Hände schlossen sich fester um den kleinen Lederbeutel. Ich versuchte angestrengt ein Geräusch aus dem Inneren der Hütte zuhören, doch der donnernde Herzschlag in meiner Brust übertönte alles.

Als das Knistern der Flammen und die langsam weniger werdenden Schreie der Menschen zu mir durchdrangen, wusste ich, dass meine Zeit um war. Ich musste hier weg! Es konnte nicht mehr lange dauern und die fremden Reiter würden auch hier nach den letzten Überlebenden suchen.

Ein letztes Mal drückte ich mein Ohr gegen das raue Holz der Tür und rüttelte nochmals an dem Schloss.

Nichts, ich hörte rein gar nichts!

Vielleicht ist Mama doch entkommen. Vielleicht haben die Reiter sie doch nicht gefunden.

Diese zwei Gedanken kreisten unaufhörlich in meinen Kopf herum.

Ich wusste, das es zu viele Vielleichts waren, aber ich konnte und durfte so schnell die Hoffnung nicht aufgeben.

Dichter Qualm ergoss sich stetig in die engen Gassen des Dorfes und das Feuer verschlang alles, was sich in seinem Weg befand. Die Zeit drängte, ich sollte wirklich von hier fliehen. Aber zuvor musste ich es noch ein Mal versuchen. Ich nahm meinen Mut zusammen und klopfte erneut zaghaft an die Tür.

„Mama bitte, wenn du da bist mach auf! Wir können zusammen fliehen“, flüsterte ich verzweifelt.

Es vergingen ein paar Sekunden, bis die unabänderliche Wahrheit, die kleine noch herrschende Hoffnung in mir verdrängte. Es würde mir niemand öffnen. Verzweiflung ergriff von mir Besitz und wieder rannen Tränen über meine Wangen.

„Wen haben wir denn da? Ein Kätzchen, das so verzweifelt an der Türe kratzt! Pass auf das dir der Teufel nicht höchstpersönlich öffnet.“

Ich erstarrte. Die Stimme des Fremden drang mit einer unsagbaren Bösartigkeit in mein Bewusstsein ein. Ich hatte zu lange gewartet. Sie hatten mich gefunden!

Obwohl ich mit dem Rücken zu dem Fremden stand, spürte ich eine Aura der Macht über mich hinweg gleiten. Langsam drehte ich mich um und war froh, den festen Halt der Tür, in meinem Rücken zu wissen. Nur ein paar Meter von mir entfernt stand wahrscheinlich das größte Pferd, das ich jemals gesehen hatte. Fast hätte ich es gar nicht erkannt, denn seine Fellfarbe verschmolz mit den Schatten der Gasse, sodass es fast nicht zu erkennen war. Nur das blutrote Reitgeschirr verriet die ungefähren Ausmaße des Tieres. Beeindruckender als das Tier war jedoch sein Reiter, der es nun aus der kleinen Gasse heraustrieb. Er war komplett in Schwarz gekleidet. Nur ein goldenes Zeichen in Form eines Frauenkopfes prangte auf seiner Brust.

Ein paar Meter vor mir blieb er stehen und sprang mit einer geschmeidigen Bewegung aus dem Sattel. Als seine Stiefel den Boden berührten schien dieser unter ihm zu erbeben. Mein Blick schoss zu dem Gesicht des Fremden.

„Suchst du deine Mama Kätzchen? Ich glaube, ich kann dir helfen sie zu finden!“

Mit einem sadistischen Lächeln zog der Reiter sein Schwert.

Ich schnappte erschrocken nach Luft. Seine zweideutige Botschaft war angekommen. Noch immer war ich wie versteinert und konnte mich nicht rühren. Meine innere Stimme schrie mich an mich endlich zu bewegen, bevor es endgültig zu spät war.

„Zeig mir die Tränen auf deinem hübschen Gesicht. Schade das du noch nicht etwas älter bist. Andererseits wäre es eine Verschwendung deines Körpers, dich so unberührt sterben zu lassen.“

Die Worte des Fremden schnitten in mich, als hätte sein Schwert mich schon berührt. Ich begann zu zittern und mein Herzschlag beschleunigte sich, sodass ich befürchtete es könnte jeden Moment zerspringen. Der Mann vor mir überbrückte die paar Meter, die uns voneinander trennten, in wenigen Schritten. Seine Präsenz erdrückte mich förmlich. Ich versuchte mich noch enger an die Tür in meinem Rücken zu pressen, doch es gab keinen Millimeter mehr, den ich hätte ausweichen können.

Ich reichte dem Fremden gerade einmal bis zur Taille. Mein Blickfeld wurde von kompletter Schwärze eingenommen. Von einer Sekunde zur nächsten umschloss die Hand des Reiters mein Kinn und zwang meinen Kopf schmerzhaft nach hinten.

„Bitte!“

Ich erkannte meine eigene Stimme nicht wieder. So dünn und hoch wie ich sprach, war meine Angst deutlich herauszuhören.

„Bitte was Kätzchen? Ich sehe, rieche und höre deine Angst. Und das reizt mich ungemein. Vielleicht werde ich dich doch nicht umbringen, sondern dich erst einmal etwas behalten. Ich glaube, es könnte eine kleine Herausforderung werden mit dir zu spielen! Seid ihr hier nicht alle zu Kämpfern ausgebildet worden? Bis jetzt habe ich noch nicht viel von eurem Können bemerkt, das ändert sich dann vielleicht.“

Ich spürte, wie er leicht mit seinem Daumen über meine Lippen fuhr. Er steckte seine Waffe wieder zurück in die Schwertscheide.

Kaum hatte er seine Hand frei, stützte er sich damit neben meinem Kopf an der Holztür ab. Ich fand mich in einer noch erdrückenderen Stellung wieder. Diese Nähe raubte mir fast den Atem.

„Bevor du mich berührst, will ich lieber Sterben!“

Ein leises Lachen kam über seine Lippen.

„Sei vorsichtig was du dir wünscht, Kleines. Deine Wünsche könnten schneller in Erfüllung gehen, als du denkst. Und jetzt mach endlich die Augen auf und schau mich an! Ich will die Verzweiflung darin sehen.“

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich meine Augen und Lippen fest zusammengekniffen hatte. Die Finger, die mein Kinn umschlossen, forderten Gehorsam. Langsam aber unnachgiebig wurde ich gezwungen meinen Kopf noch mehr zu heben.

Bitte, warum kommt denn niemand, um mir zu helfen?

Weil alle tot sind, kam sofort die geflüsterte Antwort tief in meinem Inneren.

Hätte ich doch nur meine eigene Waffe bei mir gehabt. Ein schneller Aufwärtshieb mit dem Dolch und etwas Glück und das Blut des Fremden würde genauso den Boden tränken wie das der Bewohner des Dorfes. Andererseits war ich mir gar nicht sicher, ob ich überhaupt eine Chance gegen ihn hätte. Ich war immerhin noch ein halbes Kind und dieser Mann vor mir schien nicht den Eindruck zu erwecken, das er schnell zu besiegen wäre.

Das ganze Dorf mit ausgebildeten Kriegern hatte nichts gegen diese schwarzen Reiter ausrichten können. Sie alle waren von Anfang an verloren gewesen. Mit dieser Wahrheit überkam mich plötzlich eine eisige Ruhe.

Mama, es tut mir leid, das ich es nicht geschafft habe. Es tut mir so leid, das ich das Versprechen nicht halten konnte. Ich werde ihn ein einziges Mal ansehen. Ein einziger Blick damit ich weiß, wer mich in mein nächstes Leben schickt.

In dem Moment, in dem ich meine Augen öffnete und mein tränennasser Blick, auf den des Fremden traf, schien die Zeit still zu stehen. Goldenes Bernstein stürzte in Schiefergraue Abgründe.

Erkennen, Überraschung, Entsetzen und ein Ausdruck, den ich nicht deuten konnte huschten über das Gesicht des Mannes.

„Melissas Tochter“

Diese zwei geflüsterten Wörter brachen den Bann und ich merkte, das der Fremde vor mir nicht länger mein Kinn fest hielt.

Er wich ein paar Zentimeter zurück und brachte sein Gesicht auf meine Höhe.

„Warum hat sie dich hier gelassen?“

Sein Blick bohrte sich in meinen und ich schluckte trocken. Die Aura des Fremden war geradezu überwältigend.

„So wie es aussieht, werde ich dich jetzt doch sehr lange behalten Kätzchen. Wie dumm von Melissa dich hier zu lassen. Sie hat anscheinend nichts dazu gelernt“.

Dunkler Zorn schien sich um den Fremden zusammenzuballen und ich merkte, wie meine Angst ins Unermessliche stieg.

„Hast du den Stein bei dir? Saii-ron?“

Die Augen des Reiters verengten sich zu Schlitzen und seine Stimme nahm einen lauernden Ton an.

„Ich weiß nicht, wovon du redest.“

Selbst in meinen Ohren fehlte meiner Stimme die nötige Überzeugungskraft. Es glich einem Wunder, das er den kleinen Beutel, den ich fest umklammert in der Hand hielt, noch nicht bemerkt hatte.

„Eine Lüge. Hhhmm, ganz nett Kleines. Merk dir eines für die Zukunft. Ich werde dich bestrafen solltest du mich noch einmal anlügen und es wird dir ganz sicher nicht gefallen. Mir jedoch dafür um so mehr.“

Für die Zukunft? Wovon redete er denn nur? Ich werde mich nicht von ihm mitnehmen lassen. Niemals!

Ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm ihn anzusehen, aber mein Blick huschte nochmals kurz zu dem Gesicht über mir.

Er hatte sich soweit zu mir heruntergebeugt, das ein Teil seiner schwarzen Haare seine Augen verdeckte. Trotzdem spürte ich deutlich das schiefergraue Brennen seines Blickes.

„Vielleicht sollten wir das hier erst einmal beenden und an einen weniger blutigen und vom Tod heimgesuchten Ort gehen. Mal sehen, ob du dort deine Stimme wiederfindest.“

Er richtete sich mit einem Ruck auf und packte mein Handgelenk. Zum Glück war es nicht die, in der ich den kleinen Lederbeutel hielt. Ich schrie erschrocken auf und stemmte mich gegen den Griff des Reiters. Genauso gut hätte ich auch versuchen können die Berge zu versetzten. Der Fremde schien es gar nicht zu merken und zog mich unbarmherzig von der Tür und deren vorgetäuschter Sicherheit weg.

„Komm schon, wir …“

„Herr Meister! …“

Die Rufe erklangen näher und ich spürte das Herannahen von Pferden.

Herr? Unmöglich! Ihn wollte meine Mutter aufhalten? Mir zuliebe? Damit ich entkommen konnte.

Nein, das kann nicht sein, das darf nicht sein! Aber wenn er hier bei mir ist, wo ist dann meine Mutter? Ist sie vielleicht wirklich entkommen?

Eine noch nie gekannte Wut, gemischt mit Verzweiflung und Trauer, stieg in mir empor.

„Nein! Nein ich werde nicht mitkommen. Lass mich los! Fass mich nicht an! An deinen Händen klebt das Blut aller hier. Ihr seid alle Mörder! Warum tut ihr uns das an?“

Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus und ich wehrte mich wie eine tollwütige Katze in seinem Griff.

„Wenn du nicht aufhörst mit dem Herumzappeln, werde ich dich unter den Arm klemmen und zum Pferd zurücktragen“

Mit einem genervten Seufzer, drehte er sich halb zu mir herum und beugte sich drohend herunter. Das war meine Chance und ich holte zeitgleich mit meinem freien Arm aus. Dabei hielt ich den kleinen Beutel fest umklammert und hoffte, dass der Kristall den kommenden Aufprall aushalten würde. Eigentlich hatte ich vorgehabt das Gesicht des Fremden zu treffen, doch dieser schien den Schlag vorherzusehen und riss im letzten Augenblick seinen Arm hoch. Meine Faust traf auf seinen Unterarm und der Schmerz explodierte sogleich in meinen Fingern. Ich spürte, wie der Fremde vor Überraschung kurzzeitig seinen Griff um mein Handgelenk lockerte und nutzte endgültig die Gelegenheit zur Flucht.

Ich wirbelte in Windeseile herum und rannte wie noch nie in meinem Leben. Hinter mir hörte ich den Reiter einen Fluch ausstoßen und das schrille Wiehern seines Pferdes.

„Herr, wir haben sie gefunden.“

Ich wäre fast gestolpert als ich die ausgesprochenen Worte der herangekommenen Reiter hörte. Doch schon im nächsten Augenblick erreichte ich die Gasse neben unserer Hütte und tauchte in die Schatten ein. Jeden Moment rechnete ich damit gepackt und auf das riesige Pferd geworfen zu werden. Ich hörte die donnernden Hufe hinter mir, als der Fremde sein Tier antrieb. Ich hatte nur einen kleinen Vorsprung, aber vielleicht reichte er.

Wenn der Reiter versuchte mich mit dem Pferd einzuholen, konnte ich, das vielleicht zu meinem Vorteil nutzten.

Ich erreichte die Mitte der Gasse und bog in einen kleinen Durchgang zu meiner Rechten ab. Mein Arm schrammte über die raue Hüttenwand und ein brennender Schmerz durchfuhr mich.

„Kätzchen bleib stehen, du kannst dich nicht vor mir verstecken! Ich rieche dein Blut bis hier! Du bist verletzt, müde und verängstigt. Komm zurück und ich werde dich zu deiner Mutter bringen.“

Die lockende Stimme des Reiters hallte dunkel zwischen den engen Mauern der Hütten wieder und ich unterdrückte das Schluchzen, das von tief in mir drinnen ausbrechen wollte.

Ich durfte ihm nicht glauben. Er würde mir alles versprechen was ich hören wollte, nur damit ich stehen blieb. Der Weg war zu eng für sein Pferd! Entweder er stieg ab und folgte mir oder er versuchte mich von der anderen Richtung her abzufangen.

Bitte, bitte lass mich schneller sein!

Mein Atem kam mittlerweile stoßweise, ich war fast am Ende meiner Kräfte. Nur noch ein paar Meter und ich hatte die enge Gasse hinter mir gelassen. Helles Sonnenlicht ließ mich mehrmals blinzeln und mit neuer Hoffnung erkannte ich, das bis jetzt noch keiner der Fremden zusehen war. Dieser Teil des Dorfes stand so nahe am Waldrand, das ich innerhalb weniger Sekunden den kleinen Abhang hinaufgerannt und mich durch die dort stehenden Büsche gezwängt hatte. Wieder schlugen Zweige gegen meine nackten Beine und fügten mir neue Wunden hinzu. Mittlerweile nahm ich aber das leichte Brennen schon gar nicht mehr wahr. Völlig außer Atem blieb ich stehen und hielt mich an einem der dicken Baumstämme neben mir fest. Ein klebriges Gefühl ließ mich jedoch schnell wieder meine Hand zurückziehen.

Mit vor Schreck geweiteten Augen starrte ich auf das Blut an meiner Hand. Rot. Die Farbe fand sich auf der Rinde des Baumes, auf den Blättern der Büsche und am Waldboden wieder.

Erst jetzt bemerkte ich die zerbrochene Äste und umgeknickte Zweige. Anscheinend ist es einigen der Dorfbewohner gelungen den Wald zu erreichen. Das Blut verriet, das sie hier trotzdem keinen Schutz gefunden hatten.

Sich nähernde Stimmen und das erneute Wiehern eines Pferdes lösten mich aus meiner kurzen Starre. Die Fremden hatten mich fast eingeholt und wieder spürte ich eine bösartige Aura über mich hinweggleiten. Ich begann wieder zu rennen und meine Finger umschlossen mit eisernem Griff den kleinen Lederbeutel. Es kam mir wie ein kleines Wunder vor, das ich ihn bis jetzt nicht verloren hatte.

In diesem Teil des Waldes hatte ich oft mit Freunden verstecken gespielt. Somit fand ich auch auf Anhieb den geheimen Unterschlupf im Stamm eines alten Baumes.

Mit letzter Kraft kletterte ich durch das kleine Loch in die schützende Enge des Stammes. Ich zwang mich ruhiger zu Atmen, um keine verdächtigen Geräusche zu verursachen. Wenn ich mich ganz ruhig verhielt, würden die Reiter mich hier innen nicht finden. Nur mit geübten Augen und bei näherem Hinsehen konnte man den kleinen Riss im schwarzbraunen Stamm entdecken.

Ich versuchte in eine halbwegs bequeme Position zu rutschen und zog dabei meine Beine eng an den Körper. Erschöpft legte ich mein Kinn auf die Knie und lauschte auf die Geräusche des Waldes. Es klang alles so normal, als wäre es ein Tag wie jeder andere und meine Freunde würden mich gleich mit lautem Jubelgeschrei in meinem Versteck finden.

SAII-RON

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