Читать книгу SAII-RON - Casy Paix - Страница 4

Doch sie kamen mich nicht suchen. Ich würde keinen von ihnen wiedersehen.

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Ein Schluchzen bahnte sich einen Weg über meine Lippen und allmählich löste sich die Anspannung aus meinem Körper.

Meine Gedanken kehrten zu dem fremden Reiter mit den schiefergrauen Augen zurück.

Er musste der Anführer gewesen sein. Seine Präsenz war überwältigend, angsteinflößend. Und was hatten die Worte, wir haben sie gefunden, zu bedeuten? Meinten sie meine Mutter?

Lebte sie vielleicht noch und die Fremden hatten sie mitgenommen? Aber was nutzte sie ihnen ohne Saii-ron?

Saii-ron, welche Bedeutung hast du nur wirklich. Ich verstehe es einfach nicht. Was soll ich denn jetzt nur machen?

Meine Finger strichen abwesend über den kleinen Lederbeutel in meiner Hand. Mit einem Mal überkam mich ein ungutes Gefühl.

Ich hatte mit dem Stein ziemlich fest zugeschlagen und der Arm des Fremden war auch nicht gerade weich gewesen.

Noch einmal lauschte ich angestrengt, doch ich hörte keine verräterischen Geräusche im Wald. Es wunderte mich, das die Reiter ihre Verfolgung so schnell aufgegeben hatten. Vielleicht hatten sie eine Falle geplant und warteten nur darauf das ich mich zeigte.

Zwiespältige Gefühle stritten in mir, bis ich mich nach einem letzten, kurzen Zögern dazu entschloss mein Versteck zu verlassen.

Vorsichtig stieg ich aus dem stickigen Inneren des Baumes. Kaum spürte ich das Gras unter meinen Füßen, kniete ich mich hin und sah mich vorsichtig um. Nirgends war eine Spur der Fremden zu sehen. Immer noch kniend lehnte ich mich zurück an die harte Rinde des Baumes. Als ich den kleinen Lederbeutel in meinen Händen ansah, kamen mir die beschwörenden Worte meiner Mutter in den Sinn.

Öffne niemals diesen Beutel Layra, unter keinen Umständen!

Aber ich muss! Was ist, wenn der Stein durch den Aufprall beschädigt wurde? Es kann ja schließlich nicht so schlimm sein, sich einen Kristall anzusehen. Nur ein kurzer Blick, was soll schon passieren?

Langsam zog ich die kleinen Lederschnüre, die den Beutel verschlossen hielten, auseinander. Mir stockte der Atem.

Noch nie hatte ich etwas vergleichbar Schönes gesehen.

Ein Tränenförmiger Stein in der Größe einer Kirsche kam zum Vorschein. Das Sonnenlicht, das seinen Weg durch die Äste fand, ließ ihn in allen erdenklichen Farben schillern.

Wie konnte man verlangen sich etwas so Wunderschönes nicht anzusehen?

Der Stein zog mich unaufhaltsam in seinen Bann und ein Gefühl tief in meinem Inneren erwachte zum Leben. Ich konnte es nicht beschreiben, aber es ließ einen leichten Schauer über meine Haut streichen. Ich drehte Saii-ron vorsichtig zwischen meinen Fingern, doch zum Glück konnte ich nirgends einen Riss oder eine Beschädigung erkennen. Nach einem letzten staunenden Blick legte ich Saii-ron wieder zurück in den Lederbeutel und band ihn mithilfe der Lederschnüre an meinem Kleid fest.

Mit leichtem Unbehagen stellte ich fest, das die Sonne ihren höchsten Stand schon überwunden hatte. Es würde nicht mehr lange dauern und die Nacht würde hereinbrechen.

Bis dahin musste ich aus dem Wald sein und ein anderes Versteck gefunden haben. Wenn die Jäger der Nacht ihre Streifzüge nach Beutetieren durch das Unterholz begannen, hielt sich hier keiner freiwillig und ohne Waffen auf.

Nicht nur die Nacht, sondern auch Hunger und Durst stellten mich vor eine Herausforderung. Ich hatte bis auf ein schnelles, kurzes Frühstück noch nichts zu mir genommen. Egal wie groß meine Angst war, ich musste versuchen im Dorf einen Unterschlupf für die Nacht zu finden. Ich hoffte nur das die Fremden verschwunden waren. Denn sonst wüsste ich nicht wohin. Das nächste Dorf lag gut einen Tagesmarsch von hier entfernt. Unerreichbar für ein Mädchen in meinem Alter. Vorsichtig begann ich den Rückweg, immer darauf bedacht so schnell wie möglich in Deckung zu gehen sollte ich ein verräterisches Geräusch hören. Je näher ich meinem Dorf kam, desto mehr nahm ich den Rauchgeruch wahr. Er breitete sich in Schwaden zwischen den Bäumen aus und schwebte Unheil verkündend um mich herum. Es war nicht mehr weit. So leise wie es ging, bog ich die letzten Zweige, die mir die Sicht versperrten, zur Seite.

Dorf konnte man, das was ich vor mir sah, wohl nicht mehr nennen.

Es glich eher einem gespenstischen Ort aus Schutt und Asche. Das Feuer hatte alles vernichtet. Nur vereinzelte Wände der ehemaligen Hütten waren noch zu erkennen. Mit unsagbaren Entsetzen lief ich den kleinen Hang zu den ersten Ruinen hinab. Noch immer glaubte ich die Macht des fremden Reiters, der mich verfolgt hatte, zu spüren. Kein Hinweis zeugte jedoch auf die Anwesenheit der Fremden. Mit bedachten Schritten suchte ich mir einen Weg durch mein ehemaliges Dorf. In vielen der Holzruinen glühten noch Funken. Ich musste aufpassen, wohin ich meine Füße setzte, denn das verkohlte Holz war trügerisch.

Der Anblick unserer völlig zerstörten Hütte ließ meine Tränen erneut fließen. Hinzu kam noch der beißende Rauch, der das Dorf in seiner Gewalt hielt. Von meinem kleinen Zuhause war nichts mehr geblieben. Schränke, Stühle, der Esstisch egal was es war, alles war dem Feuer zum Opfer gefallen. Selbst die Toten in den Gassen waren nicht verschont geblieben. Nur mit Mühe konnte ich den Blick von den entstellten Menschen abwenden.

Eines wusste ich jedenfalls mit absoluter Gewissheit. Hier konnte ich die Nacht nicht bleiben. Der Rauch würde mir die Luft zum Atmen nehmen und ich würde morgen früh wahrscheinlich nicht mehr aufwachen.

Zögerlich wandte ich mich nach Osten in Richtung der Berggruppe. Dort zwischen den zerklüfteten Gesteinsmassen wand sich ein Pfad auf die andere Seite. In der Dunkelheit war der Weg zu tückisch, aber vielleicht fand ich zwischen den größeren Steinen Schutz. Etwas anderes fiel mir in diesem Moment nicht ein.

Wieder wünschte ich mir meine Waffe dabei zu haben, denn damit würde ich mich sicherer fühlen. Die zerstörten Hütten jedoch nach zurückgebliebenen Waffen zu durchsuchen, dazu fehlte mir jegliche Kraft. Mein Magen fühlte sich an, als hätte ich schon Tage nichts mehr gegessen und der Durst war eine reine Qual. Ich hoffte, das ich zwischen dem Geröll und dornigen Büschen auch ein paar essbare Wurzeln fand. Diese würden beides Lindern. Den Hunger und den Durst. Mit müden Beinen begann ich auf die Berggruppe im Osten zuzuhalten. Das Gras strich leicht über meine Beine und die nachlassende Hitze fühlte sich auf meiner Haut wie eine kleine Wohltat an. Je weiter ich von dem zerstörten Dorf wegkam, desto leichter konnte ich wieder Atmen.

Es dauerte fast eine Stunde bis ich die Ausläufer des Gebirges erreichte. Die ersten riesigen Felsbrocken lagen wie hingeworfen in dem grünen Gras und zeigten die Grenze der Kargheit an.

Ich schaffte noch ein paar Schritte, bevor ich mich erschöpft an einen der Gesteinsriesen sinken ließ.

Nur eine kurze Pause!

Ich schloss meine Augen. Meine Lider brannten und ich war so müde.

Mit einem Mal spürte ich einen Sog in mir, ein Gefühl als würde sich mein Innerstes nach außen kehren. Dieser Eindruck verstärkte sich noch und als ich ein undefinierbares Geräusch hörte, riss ich meine Augen wieder auf. Ich drückte mich instinktiv noch enger in den Schatten des großen Felsbrockens.

Aus welcher Richtung auch immer dieses Geräusch kam, ich konnte es nicht bestimmen.

Was soll ich tun, wenn es die fremden Reiter sind?

Wenn ER es ist?

Ich konnte nicht mehr weglaufen, denn dazu war ich viel zu erschöpft! Mit zusammen gekniffen Augen suchte ich die Ebene vor mir ab. In der Ferne konnte ich das zerstörte Dorf gleich einem dunklen Schemen erkennen. Ein Sirren in der Luft ließ mich schließlich meinen Blick heben und ich erstarrte zum wiederholten Male an diesem Tag. Zunächst schien es so, als ob die Luft selbst sich immer schneller drehen würde. Gemischt mit herangezogen Rauschschwaden bildeten sich kleine Luftwirbel aus grauen Schlieren, durchsetzt mit dem letzten, golden Sonnenlicht des Tages. Inmitten des Wirbels bildete sich eine noch dunklere Silhouette ab.

Langsam sickerte das Erkennen in meine verwirrten Gedanken.

Ein Drache! Das mächtige Tier nahm mehr und mehr Gestalt an und seine Ausmaße waren beachtlich.

Ich hatte schon viele Erzählungen gehört und vor allem Lehrstunden über Drachen gehabt. Somit fiel mir es auch erstaunlich leicht festzustellen, das es sich bei diesem hier um einen Feuerdrachen handelte. Ein unverwechselbares Merkmal waren die smaragdfarbenen Schuppen und die blutroten Krallen des Tieres.

Der Drache schlug zweimal mit seinen Schwingen und der aufkommende Wind nahm trockenes Gras und die letzten verbliebenen Rauchschwaden mit sich. Als die Beine des Tieres den Boden berührten und sein gewaltiger Kopf in meine Richtung schwenkte, wusste ich das mich der Drache mit Sicherheit bemerkt hatte. Seine Augen verengten sich zu bedrohlichen Schlitzen und ein tiefes Grollen erklang. Witternd sog er die Luft durch seine Nüstern und verharrte lauernd. Unfähig mich zu Bewegen wartete ich darauf, was der Drache als Nächstes tun würde.

Bestimmt wird er mir mit einem einzigen Bissen meine Knochen brechen.

Alles was ich über Drachen gelernt hatte war, das sie gefährliche, eigennützige Wesen sind. Aber was tat er hier?

Sie durften sich doch in dieser Region gar nicht aufhalten. Soviel ich wusste, lebten die Feuerdrachen in den Eiswüsten des Nordens. Aber was erwartet man von solchen, die sich nicht einmal an ihre eigenen Regeln hielten, geschweige denn an die der Menschen.

Was hat er nur vor? Auf was wartet er?

Meine einzige Chance war es, so schnell es ging eine Felsspalte zu finden, in der ich mich verstecken konnte.

Meine Anspannung stieg, als der Drache sich plötzlich in Bewegung setzte. Um ihn nicht noch zusätzlich zu reizen, versuchte ich mich so langsam wie möglich aufzurichten. Der Feuerdrache vor mir schien jedoch jede Bewegung genau mitzuverfolgen.

Mein Überlebenswille meldete sich Lautstark zu Wort.

Mit einem Ruck fuhr ich in die Höhe und wurde fast augenblicklich mit einem gewaltigen Stoß wieder zu Boden gedrückt. Ich schrie erschrocken auf, wobei zeitgleich ein tiefes Brüllen aus Richtung des Feuerdrachen erklang.

„Bleibe ruhig sitzen Kind! Er tut dir nichts. Entschuldige, wenn ich dich erschreckt habe.“

Die dunkle, warme Stimme hinter mir ließ mich vor Erleichterung fast wieder in Tränen ausbrechen.

„Krischan!“

Ich wirbelte zu dem Mann mittleren Alters herum und drückte mich fest in seine Umarmung.

„Krischan ich bin so froh, das du da bist. Die Fremden! Sie haben alle getötet! Mama …“

Meine Stimme kippte und tiefe Schluchzer erschütterten meinen ganzen Körper. Wieder ertönte ein tiefes, böses Grollen.

Ich spürte, wie Krischan sanft mit seiner Hand über meinen Kopf fuhr und leise, beruhigende Worte murmelte.

„Es tut mir so leid Layra. Ich konnte nicht schneller hier sein. Als ich den schwarzen Rauch am Himmel bemerkte, habe ich mich sofort auf den Weg gemacht. Doch trotz aller Eile, gibt es nun mal nur den Pfad über die Berge. Du weist selbst wie umständlich und lang der Weg auf die andere Seite ist. Es grenzt an ein Wunder, das ich die Rauchschwaden heute Morgen überhaupt gesehen habe.“

Krischans ruhige Stimme half mir mich wieder etwas zu beruhigen.

Widerwillig ließ ich ihn los und trat einen kleinen Schritt zurück. Ich hatte Krischan schon lange Zeit nicht mehr gesehen, doch sein Aussehen hatte sich nicht verändert. Seine braunen Haare gingen nahtlos in einen dichten Bart über und in ebenso erdfarbene Bekleidung. Krischan legte mir seinen Arm um die Schulter und der Geruch von warmen Leder und Wald hüllte mich ein.

„Kleines du zitterst! Du musst müde, durstig und am Ende deiner Kraft sein. Nach dem was du heute miterlebt hast, ist das kein Wunder. Setzt dich noch einen Moment hin! Bevor wir gehen müssen wir noch etwas sehr Wichtiges klären“

Ich blickte fragend zu ihm hoch und mit einem Mal fiel mir der riesige Drache wieder ein. Über die Wiedersehensfreude mit Krischan hatte ich ihn völlig vergessen. Wie konnte das nur passieren?

„Nun zu dir! Jage dem Mädchen keine Angst ein, sondern komm her!“

Meine Augen weiteten sich vor Schreck und Unglauben. Hatte Krischan dem Drachen gerade einen Befehl erteilt? Kannte er ihn etwa? Noch während mir die beiden Gedanken durch den Kopf gingen, bewegte sich der Feuerdrache vor uns. Zuerst begann das Licht sich in immer schneller werdenden Kreiseln zu drehen, nur um sich dann um ihn herum immer dichter zusammenzuziehen. Seine Silhouette verschwamm und nahm Schritt für Schritt, den er näher kam, die Form eines Menschen an.

Meine Hand krallte sich unbewusst in Krischans Ärmel, doch es schien ihn nicht sonderlich zu stören. Er musterte mit einem leichten Lächeln auf den Lippen den sich nähernden Drachen.

Was passiert hier? Ein Drache, der sich dem Befehl eines Menschen beugt und sich wandelt!

In der Region, in der ich lebte, kam es ganz selten vor, das man einen Drachen über den Himmel fliegen sah. Geschweige denn einen Drachenwandler gegenüber stand.

„Schon lange nicht mehr gesehen, Tschaikor!“

„Lange ist gar kein Begriff alter Mann!

Der Mann vor mir fesselte meine Aufmerksamkeit.

Angefangen von seinen wohlgeformten Beinen, die in einer schwarzen Hose steckten, weiter zu seiner schlanken Taille bis zu seiner stattlichen Größe. Als er näher kam, sah ich das Spiel seiner Muskeln unter seinem leicht geöffneten Hemd. Ich legte den Kopf in den Nacken um auch sein Gesicht betrachten zu können, wobei es mir schwerfiel sein Alter einzuschätzen. Sein weißes Haar stand im starken Kontrast zu seiner makellosen Haut. Vielleicht war er nur ein paar Jahre älter als ich oder aber so alt wie Krischan oder gar noch älter. Sein Anblick zog einen wahrhaftig in seinen Bann.

„Schließe deinen Mund Kind! Es ist unhöflich jemand so anzustarren. Noch dazu, wenn du die Person nicht einmal kennst.“

Ich klappte nach Krischans leichten Tadel schnell meinen Mund wieder zu und senkte schuldbewusst den Kopf.

„Du hältst dich selbst nicht an Höflichkeiten Krischan! Kein Wunder das dein kleines Prinzesschen hier, bis jetzt anscheinend noch nichts dergleichen gelernt hat.“

Die verächtliche Stimme des Mannes ließ mich verstohlen nach oben blinzeln. Grasgrüne Augen musterten mich interessiert, bevor sein Blick wieder zu Krischan zurückglitt.

„Wie ich sehe haben ein paar Jahrzehnte Abgeschiedenheit deiner Arroganz keinen Abbruch getan.“

Die Spannung zwischen den beiden Männern nahm spürbar zu und ich wollte gerade aufstehen, als ich abermals von Krischans Hand zurückgehalten wurde.

„Dein Vater wird sehr erfreut sein das du …“

Mein Vater! Das Letzte was mein Vater sein wird, ist tot! Denn ich werde diesem Verräter eigenhändig sein Genick brechen“, zischte der Mann wütend.

Krischan lachte leise und hob beschwichtigend die Hände.

„Wie der Vater so der Sohn, Tchaikor. Nun euer Wiedersehen wird sowieso noch etwas warten müssen. Wie das Schicksal so will, müssen wir wohl unsere Streitigkeiten erst mal begraben und uns auf das vor uns Liegende besinnen.“

Mit diesen Worten strich Krischan erneut leicht über mein Haar und lächelte mich dabei aufmunternd an.

„Sieht wohl so aus! Ich hatte auch nicht damit gerechnet das ich nach all diesen Jahrzehnten, das Erste, das ich sehe, das Gesicht eines alten Mannes und das eines verängstigten Kindes ist. Eigentlich wollte ich zwischen den Beinen einer wohlgeformten Frau in meiner menschlichen Gestalt zurückkehren. Wovon du … noch Jahre entfernt bist Prinzesschen.“

Der Mann lächelte mich herausfordernd an und zog seine Augenbrauen leicht nach oben. Erwartete er wirklich eine Antwort von mir?

Wenn ich nicht so einen Durst hätte, würde ich dir schon ein paar Worte sagen und du könntest dich auf etwas gefasst machen, du … du eingebildeter Bastard!

Ein tiefes Lachen glitt über mich und ich sah den großen Mann vor mir unsicher an.

„Ganz nett Prinzesschen, ich glaube, ich werde jede Menge Spaß mit dir haben! Anscheinend schlummert in dir doch etwas Wildheit. Ich bin gespannt, wie lange es dauert, bis du sie mir zeigst.“

Er war in meinem Kopf! Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein! Meine Augen weiteten sich vor Unglauben. Zeitgleich begann mein Herz schneller zu schlagen und ich schüttelte leicht den Kopf. Der Mann verzog seine Lippen zu einem schmalen Lächeln. Sein Blick schweifte kurz zu dem kleinen Lederbeutel an meiner Hüfte. Doch ohne eine Gefühlsregung zu zeigen wandte er sich zu Krischan um.

„Ich denke, wir sollten es langsam hinter uns bringen. Ich habe nicht vor hier noch länger herumzustehen. Ich habe genau wie sie Hunger, Durst und ich brauche eine Frau zwischen meinen Beinen. Zu meinem Leidwesen hat man sie aber allen Anscheins nach nicht wirklich auf ihre Aufgabe vorbereitet. Wie kommt es Krischan, das ich nach so unendlich vielen Jahrzehnten vor einem unwissenden Kind stehe, um mit ihm einen Pakt einzugehen?

Ihre Verletzlichkeit und Unschuld umhüllen sie und machen mich zu einem gewissen Grad sehr reizbar!“

„Nun Tchai es kommt meistens nicht so, wie man denkt! Und es ist das eingetroffen mit dem wir alle nicht gerechnet haben. Layras Mutter, die Hohepriesterin, hatte anscheinend nicht mehr die Zeit dazu sie auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Die Fremden, die heute Morgen ihr Dorf überfallen haben wussten von Saii-ron. Layra Kleines, beantworte mir bitte nur eine Frage. Was genau hat deine Mutter zu dir gesagt, als sie dir Saii-ron gab?“

Krischan kniete sich neben mich und legte beide Hände auf meine Schultern. Ich sah in sein gutmütiges Gesicht und versuchte die letzten Worte meiner Mutter wiederzugeben.

„Sie sagte noch, ich solle auf keinen Fall den Kristall ansehen. Und ich soll zum Turm der Drachen gehen. Dort würden sie mir alles erklären und mir helfen“, endete ich mit rauer Stimme.

Ich war so erschöpft. Am liebsten hätte ich die Augen geschlossen und mich einfach in das Gras gelegt. Es war mir egal, ob ein Drache in Menschengestalt vor mir stand und mich mit einer undurchdringlichen Miene betrachtet oder nicht. Ich hätte in diesem Moment alles dafür getan einfach in ein alles verschlingendes Vergessen zu fallen.

„Layra!“

Krischans Stimme schreckte mich auf. War ich tatsächlich kurz eingeschlafen, ohne es auch nur zu merken? Krischans Griff um meine Schultern wurde etwas fester.

„Layra warum hast du dich nicht an die Worte deiner Mutter gehalten und Saii-ron doch angesehen?“

„Ich hatte Angst, das er einen Riss hat. Ich wollte ihn doch gar nicht herausholen, ich …“

„Prinzesschen ich danke dir. Du hast mir ein paar weitere Jahrzehnte trostlosen Daseins erspart. Leider hatte ich wirklich gehofft das ich wenigstens mit einer etwas reiferen Frau einen Pakt schließen kann.“

„Einen Pakt?“, fragte ich leise.

„Ja Layra, einen Pakt. Zwischen dir und Tchai. Ihr beide seid miteinander verbunden, seit du Saii-ron das erste Mal angesehen hast. Ich werde versuchen es dir kurz zu erklären. Saii-ron steht für den Frieden in unserem Land und …“

Krischan verstummte kurz und seine Augen suchten Tchais.

Ich sah ebenfalls zu ihm auf, doch außer einem kurzen Stirnrunzeln war keine Regung auf seinem Gesicht zu erkennen.

„Nun um es abzukürzen. Es war jeder Hohenpriesterin verboten den Kristall anzusehen, denn nur dadurch wurde verhindert, dass eben dieser Drache gerufen wird. Denn ohne Tchais Schutz von Innen wird Saii-ron geschwächt und der Friedensvertrag ist angreifbar. Und eines wissen wir mit Sicherheit! Es gibt jede Menge Leute, die gegen diesen Vertrag waren“.

„Aber warum will jemand das dieser Frieden zerstört wird?“

„Ganz einfach Prinzesschen. Jeder strebt nach Macht, so klein sie auch sein mag. Und wer Saii-ron besitzt, hält die Macht dieses Landes in Händen.“

Tchais Stimme hatte einen gleichgültigen Klang angenommen, doch in seinen grünen Augen tobte ein Sturm, der seine Gefühle widerspiegelte. Ich senkte erschöpft den Kopf. Meine Kräfte verließen mich allmählich.

„Ich glaube, ich brauche etwas Zeit, um das alles zu verstehen!“

„Kleines wir werden dir jede Menge davon geben. Zuallererst wirst du mit mir mitkommen und dich ausruhen. Später werden wir uns überlegen was unsere nächsten Schritte sind.“

Krischan erhob sich wieder. Sein Blick schweifte über die dunklen Überreste des Dorfes.

„Tchai, besiegelt euren Pakt, damit wir aufbrechen können“

„Wird auch langsam Zeit! Schließlich muss ich meine Freiheit feiern. Am besten mit zwei willigen Frauen, etwas zu Trinken und zu Essen.“

Tchai rieb sich begeistert die Hände und kniete sich dann mit einem verschlagenen Lächeln vor mir hin.

„Prinzesschen jetzt bist du dran! Sei so lieb und öffne diese störenden Knöpfe an deinem Kleid. Ich will dich in deiner ganzen Unschuld vor mir sehen.“

Was? Nein auf keinen Fall! Krischan wird nicht zulassen, das mich dieser hinterhältige Schuft zu so etwas zwingt. Ich bin keines dieser Mädchen, die sich vor so einem Bastard auszieht!

Hilfe suchend sah ich zu Krischan, doch er nickte mir nur auffordernd zu, als Tchai in belustigtes Gelächter ausbrach.

„Tchaikor!“

„Krischan Du hörst nicht, was sie denkt. Prinzesschen das Erste, das ich dir beibringen werde ist, deine Gedanken zumindest etwas besser unter Verschluss zu halten.“

Ich krallte meine Hände schützend vor meiner Brust in den Stoff des Kleides und wich ein kleines Stückchen vor Tchai zurück. Dieser schloss die entstandene Lücke jedoch sofort wieder. Seine rechte Hand näherte sich langsam meinen verkrampften Händen.

Erst jetzt fielen mir seine roten, spitz zulaufende Nägel auf.

So rot wie die Krallen eines Feuerdrachen.

„Kleines lasse Tchai euren Pakt besiegeln. Es passiert dir nichts Schlimmes. Er wird dich nie absichtlich verletzten. Durch diesen Pakt seid ihr aneinander gebunden, in vielerlei Hinsicht“, erklärte Krischan.

„Glaub mir es wird ganz schnell gehen.“

Tchai kam noch näher und ich spürte zum ersten Mal ein schwaches Gefühl des Friedens an diesem Tag. Sein weißes Haar wehte leicht in der aufkommenden Abendbrise und seine grünen Augen funkelten vergnügt. Auf einmal wich er jedoch zurück und seine Miene verfinsterte sich merklich.

„Krischan, wie kommt es, das ich den Geruch von ihm an ihr wahrnehme?“, knurrte Tchai böse.

Von Ihm? Konnte es sein das noch immer etwas von dem fremden Reiter von heute früh an mir haftete? Ich sah Tchai mit großen Augen an, als sein Gesichtsausdruck sich verdüsterte und seine Hände sich zu Fäusten ballten.

„Ich rieche ihn an ihr! Krischan er hat sie gezeichnet. Dieser Bastard!“

„Layra wie sah dieser Reiter von heute Morgen aus?“

Krischans Stimme hatte einen alarmierenden Ton angenommen.

Mein Blick glitt zwischen Tchai und Krischan hindurch und schweifte über die Ebene. Langsam senkte sich die Sonne und die Hitze des Tages verschwand. Durst, Hunger und Erschöpfung blieben jedoch.

Ich versuchte noch einmal meine Gedanken zu sammeln.

„Was mir am meisten an ihm aufgefallen ist, waren seine Augen. Sie waren so grau wie der Schiefer aus den Bergen. Er war ein einziger schwarzer Albtraum, von seinem schwarzen Haar bis zu seinen ebenso schwarzen Stiefeln. Ihn umgab eine Aura der Macht und Bösartigkeit. Und doch schien er kurzzeitig verwundert zu sein mich dort zusehen, als ob er mich kennen, aber mich nicht in unserem Dorf erwartet hätte.“

Ich verstummte und ließ meine Hände seitlich zu dem kleinen Lederbeutel sinken. Tchai kniff ärgerlich die Augen zusammen und sah Krischan herausfordernd an, dessen Lippen zu einem harten Strich zusammengepresst waren.

„Was treibt diesen Bastard hier her? Krischan warum mischt er sich in Angelegenheiten ein die ihn nichts angehen?“, fragte Tchai.

Krischan hatte zwischenzeitlich eine kleine Tasche geöffnet, die er immer bei sich hatte, um Heilpflanzen zu sammeln. Er holte eine Kette mit einem achtförmigen Anhänger heraus. Ich erkannte, dass es die gleiche Kette war, die auch Krischan um den Hals trug. Nur wenige Augenblicke später hatte er sie mir schon umgehängt.

„Hiermit werden wir erst einmal Ruhe vor ihm haben. Dieser kleine Anhänger wird Layra vor ihm bewahren. Doch ich befürchte es wird nicht lange anhalten. Er wird sich erneut auf die Suche nach Layra machen. Jetzt wo er weiß, dass sie hier ist. Es wundert mich, das er sie nicht gleich mitgenommen hat“, überlegte Krischan.

Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken, als ich an die Worte des fremden Reiters dachte. Viel hatte nicht gefehlt und er hätte mich tatsächlich mitgenommen.

„Tchai deine Aufgabe hat allem Anschein nach einen neuen Reiz erhalten. Es wird ihm nicht gefallen, das ihr zwei den Pakt miteinander eingeht! Was uns dazu bringt, das die Zeit drängt!“

„Da stimme ich dir zu.“

Bevor ich auch nur reagieren konnte, hatte Tchai mit seiner linken Hand meine Arme gepackt und riss mit seiner Rechten die obersten Knöpfe meines Kleides auf. Ich merkte, wie der Stoff meine Haut freigab und schrie empört auf. Das halb aufgerissene Kleid rutschte vollkommen über meine Schultern und ich saß innerhalb weniger Sekunden mit nackten Oberkörper vor Tchai, dessen Lächeln immer breiter wurde.

„Von deiner Weiblichkeit sehe ich tatsächlich noch nicht viel Prinzesschen!“

Ich spürte, wie mir heiße Röte ins Gesicht schoss.

„Krischan, was tut er da? Bitte hilf mir. Sag ihm das er mich loslassen soll!“

Meine verzweifelte Stimme traf auf taube Ohren, denn von Krischans Seite kam keine Hilfe.

„Layra bitte, lasse Tchai euren Pakt schließen. Keine Angst es ist nicht das wonach es aussieht. Er wird dich nicht auf diese Weise entweihen. Es wird vielleicht etwas weh tun, aber es geht nicht anders. Du hast dein Schicksal neu bestimmt und zu diesem gehört jetzt auch Tchai.“

Ich stand völlig unter Schock, denn ohne Krischans Worte richtig zu begreifen nickte ich nur. Ich wollte es einfach hinter mich bringen, was auch immer Tchai mit mir vorhatte.

Dieser fasste mein Schweigen als endgültige Zustimmung auf und zog mich mit einer geschmeidigen Bewegung etwas näher zu sich heran. Ich fand mich halb in seinen Armen liegend wieder. Tchais Griff um meinen nackten Oberkörper löste ein beschützendes Gefühl in mir aus, sodass mich eine innere Ruhe überkam. Sein rechter Zeigefinger näherte sich langsam der Stelle zwischen meinen kaum vorhandenen Brüsten, dort wo mein Herz schlug. Als sein roter Nagel meine Haut berührte und mit leichtem Druck eindrang, zuckte ich überrascht zusammen. Tchais Gesicht schwebte über mir und ich sah darin seine Anspannung.

„Prinzesschen jetzt wird es etwas wehtun.“

Kaum das Tchais geflüsterten Worte seine Lippen verlassen hatten, spürte ich, wie der Schmerz einsetzte. Beginnend, wo Tchais Nagel meine Haut berührte breitete sich ein Brennen aus, das mir die Tränen in die Augen trieb. Tchais Griff wurde fester und ich hörte seine leise gemurmelten Worte, ohne deren Sinn zu verstehen. Der Schmerz breitete sich in immer größer werdenden Kreisen aus. Ich hatte das Gefühl, als würde meine Haut in Flammen stehen. Ich biss die Zähne aufeinander, um nicht laut aufzuschreien. Meine Hände krallten sich in das Gras neben mir und ich war froh schon halb zu liegen, denn spätestens jetzt hätte ich mich nicht mehr auf den Beinen halten können.

„Atme Kleines! Es ist bald geschafft“, hörte ich Krischans warme, beruhigende Stimme zu mir durchdringen.

Ich blinzelte ein paar Mal, um die Tränen aus den Augen zu vertreiben und sah dann an mir hinab, auf die Stelle meiner Pein.

In einer immer größer werdenden Spirale brannten sich schwarze Runen in meine Haut. Kleine Schweißtröpfchen liefen meine Schläfe hinab. Meine Atmung wurde flacher und mein Blick verschwamm.

Ich konnte nicht mehr! Es tat so verdammt weh.

Mama wusstest du, dass mir das bevorsteht? Hast du deshalb versucht mich davor zu schützen. Ich wünschte sosehr, du wärst hier!

„Sie wäre stolz auf dich, würde sie dich jetzt sehen.“

Tchais Worte klangen beruhigend in meinem Kopf und spiegelten nichts von seiner äußeren Anspannung wider.

„Es ist gleich geschafft. Nur noch ein paar Sekunden. Wenn du schreien willst, dann tue es. Es gibt niemanden, außer uns, der dich hören könnte“, entgegnete Tchai gepresst.

Ich sah ihn mit schmerzverzerrten Gesicht an und seine Augen funkelten in dem Moment noch grüner als bisher. Er schien direkt in meine Seele blicken zu können. Mit einem Mal verstärkte sich der brennende Schmerz und ich keuchte gepeinigt auf.

„Die letzte Rune Prinzesschen. Sie wird den Pakt endgültig besiegeln“, warnte Tchai leise.

Kaum hatte er es ausgesprochen, schien die Haut an meiner linken Brustwarze förmlich zu verglühen. Der Schrei, der über meine Lippen kam, hallte ewig über die Ebene.

Das Letzte, das ich noch merkte, bevor ich in die Arme vollkommener Dunkelheit fiel, war Tchais Hand, die sich schützend auf meine geschundene Haut legte.

2

Das Entkommen aus der Dunkelheit war schwer, denn mein Verstand weigerte sich aus den Tiefen des Vergessens hervorzukommen. Das Einzige, das mich antrieb, war ein Gefühl, das wie eine schwere Last auf mir lag und mich aus der willkommenen Leere meiner Gedanken holte.

Zwei Stimmen, die sich aufgebracht miteinander unterhielten, weckten mich endgültig. Nein, vielmehr war es eine Stimme, die ich lautstark schimpfen hörte und eine leisere, beschwichtigendere.

Ich bewegte langsam meine Hand und spürte weiches Fell unter mir. Lag ich etwa Zuhause in meinem Bett und hörte den Streit zweier Nachbarn?

Schiefergraue Augen, gefolgt von grasgrünen tauchten vor mir auf. Mit einem Mal rasten die vergangenen Stunden an mir vorbei und das bislang unbekannte Gefühl verwandelte sich in tiefsten Schmerz. Ich hatte alle verloren, meine Freunde und Nachbarn, meine Mutter.

Heiße Tränen sammelten sich unter meinen geschlossenen Lidern.

Die fremden Reiter hatten sie alle wie Vieh abgeschlachtet, nur um diesen Kristall in die Finger zu bekommen. Ich zog die dünne Decke schützend enger um mich und drehte mich leicht in Richtung der streitenden Stimmen.

Krischan musste mich mit zu sich genommen haben, auch wenn ich mir nicht erklären konnte wie er das geschafft hatte. Immerhin war der Weg über die Berge lang und er hätte mich ja auch noch tragen müssen. Außer natürlich wir waren mit Tchais Hilfe hier hergekommen. Für einen Drachen stellten die Berge mit Sicherheit kein Hindernis dar. Ich ließ den Gedanken vorerst fallen, denn ein dumpf pochender Schmerz auf meiner Brust zwang mich blinzelnd meine Augen zu öffnen.

Die Dämmerung war der Nacht gewichen. Durch das kleine Fenster im Raum fiel silbriges Mondlicht und ließ die Umrisse eines kleinen Tisches, eines Stuhles und einer Kommode erkennen. Durch die Tür auf der anderen Seite des Zimmers fiel schwacher Lichtschein. Ich ließ meine rechte Hand prüfend über die verwundete Haut gleiten. Ich war tatsächlich einen Pakt mit einem Drachen eingegangen. Das ganze Ausmaß meiner Handlung wollte noch immer nicht in meinen Kopf hinein.

Vielleicht konnten Krischan und Tchai mir morgen alles in Ruhe erklären und mit Sicherheit würde es nicht lange dauern bis ich zum Turm der Drachen aufbrechen würde.

Ich berührte den kleinen Anhänger an der Kette um meinen Hals.

Durch dieses kleine Geschenk war ich erst einmal in Sicherheit vor den Angreifern von heute Morgen. In Sicherheit vor ihm!

Solange ich sie nicht abnahm, würde meine Anwesenheit vor den Fremden verborgen bleiben. Mein Blick huschte zu dem flackernden Lichtschein, der unter der Tür hindurchdrang.

Die mittlerweile leisen Stimmen weckten meine Neugier.

Langsam schlug ich die dünne Decke zurück und stand auf. Vorsichtig, damit die Holzdielen unter meinen nackten Füßen nicht knarzten, schlich ich zur anderen Seite des Zimmers.

„Krischan, ich wiederhole mich jetzt bestimmt zum tausendsten Mal, aber wir können Saii-ron nicht unbewacht einfach hier lassen. Du glaubst doch nicht wirklich, das dieses Kind ihm gewachsen ist. Es ist zu gefährlich. Diese Bastarde von heute früh wussten, dass der Kristall hier ist und du siehst was sie angerichtet haben!“, entgegnete Tchai aufgebracht.

„Layra ist nicht mehr alleine. Sie hat dich an ihrer Seite, einen besseren Schutz gibt es momentan nicht. Natürlich ist es von Melissa unverzeihlich das es so weit kommen konnte. Sie hätte besser auf Saii-ron achten müssen. Es muss ihr irgendeine Unachtsamkeit zum Verhängnis geworden sein, denn wie hätten sie sonst den Kristall finden sollen?“

Bei der Erwähnung meiner Mutter krallte ich meine Finger verzweifelt in den einfachen Stoff meines Nachthemdes.

Es war nicht ihre Schuld, das die Fremden unser Dorf überfallen hatten! Warum gaben sie meiner Mutter die Schuld?

Ich riss mich zusammen, um nicht laut aufzuschluchzen, doch die nächsten Worte trafen mich erneut wie ein Schlag.

„Der Frieden ist schon zerstört. Zumindest ist ein nicht zu verleugnender Riss, in dem ach so gut durchdachten, Plan entstanden. Wer konnte schon damit rechnen, das die nächste Hohepriesterin, nicht gut genug in den Lehren des Kristallrates unterrichtet wird. Anscheinend hat ihre Mutter ihre Aufgabe nicht besonders ernst genommen. Oder kannst du mir erklären Krischan warum ich heute Abend nach hunderten von Jahren vor dir stehe und mich mit dir über ein ungezogenes Kind unterhalten muss?“

„Tchai beruhige dich, du weckst noch Layra! Das ihr Drachen immer so aufbrausend sein müsst. Es ist nur zum Teil Melissas Schuld, der Rest ist vom Schicksal bestimmt. Außerdem Tchai mein Lieber, tue nicht so, als ob dich meine Gesellschaft so stören würde“

„Glaube mir ich werde sie nicht mehr lange in Anspruch nehmen. Ich habe Besseres zu tun, als bei dir alter Mann zu sitzen und über unser unverhofftes Wiedersehen zu reden! Etwas Gutes hat diese gesamte Entwicklung. Immerhin sitze ich nicht mehr in dieser trostlosen Leere fest, in die ihr mich verbannt habt!“

Tchais Temperament drang durch die Tür bis zu mir.

Es war, als würde eine unaufhaltsame Welle über mich hereinbrechen. Meine Beine fühlten sich zunehmend schwächer an und ich rutschte an der Wand entlang zu Boden. Erschöpft ließ ich meinen umherwirbelten Gedanken freien Lauf.

Wieso nur haben wir nie etwas von dem brüchigen Frieden mitbekommen? Weil wir Bauern aus einem kleinen Dorf sind, nein waren! Und keinen dort hat es wirklich interessiert, was in den großen Städten vor sich geht. Wir haben einfach nur unser Leben gelebt.

Meine Gefühle gerieten immer mehr in Aufruhr und am liebsten hätte ich laut aufgeschrien.

„Du warst genauso damit einverstanden dich mit Saii-ron …“

„Krischan Du, mein Vater und der Kristallrat habt mich sehr gekonnt davon überzeugt diesen Pakt mit Saii-ron einzugehen. Viel Entscheidungsfreiheit hatte ich nicht“, zischte Tchai wütend.

„Wie dem auch sei, deine Strafe ist nun zum Teil vergolten. Du hättest auch noch weitere tausende von Jahren damit zubringen können dich in Langeweile zu vergehen. Ich verstehe nicht ganz, warum du jetzt so wütend bist. Layra ist ein gutes Mädchen und du wirst dich mit ihr perfekt ergänzen. Ihr braucht beide etwas Zeit. Aber da du der Erfahrenere von euch beiden bist, überlasse ich es dir sie auf ihre Aufgabe richtig vorzubereiten“.

Ich hörte wie Tchai hinter der Tür hin und her stapfte und dabei leise Flüche ausstieß. Abwesend glitt meine Hand wieder zu den eingebrannten Zeichen auf meiner Haut. Ein Gefühl unbekannter Angst und Hilflosigkeit breiteten sich in mir aus. Mit einem Mal begann mein Körper zu zittern und ich kauerte mich noch stärker zusammen.

Was ist nur los mit mir?

Das Geräusch einer sich öffnenden Tür ließ mich erschrocken aufblicken. Ich erkannte Tchais Umriss und meinte ein kurzes Aufblitzen seiner grünen Augen, trotz des dämmrigen Lichtes, zu sehen. Mit zwei großen Schritten war er bei mir und hob mich mit einer einzigen, fließenden Bewegung hoch. Er schien mein Gewicht gar nicht wahrzunehmen. Für einen kurzen Moment ließ ich den Kopf an seine Brust sinken und seltsamerweise fühlte ich mich geborgen.

„Prinzesschen über deine Manieren müssen wir noch reden, denn ich glaube nicht das es sich gehört hinter der Tür zu lauschen!“

Der leichte Tadel in seiner Stimme war nichts im Vergleich zu der Wut, die noch vor wenigen Minuten spürbar war. Ganz im Gegenteil, Tchais Stimmung hatte sich gebessert und auch mich ergriff wieder eine innere Ruhe. Tchai überbrückte die wenigen Meter zu meinem Bett mit drei großen Schritten und ließ mich auf die fellbedeckte Matratze gleiten.

„Warte einen kurzen Moment. Ich werde dir etwas Wasser bringen, du musst fast umkommen vor Durst.“

Mit diesen Worten ließ er mich zurück und verschwand wieder in das angrenzende Zimmer. Kurz hörte ich, wie Tchai ein paar unverständliche Worte mit Krischan wechselte und im nächsten Moment tauchte er auch schon wieder in der Tür auf.

„Hier nimm.“

Er reichte mir ein Glas Wasser und ich nahm es dankend an. Als die ersten Tropfen meinen Hals hinunterrannen, merkte ich erst, wie durstig ich wirklich war. Plötzlich umgriff Tchais Hand meine und entzog mir mit Bestimmtheit das Glas, sodass ich einen empörten Laut ausstieß.

„Nicht so viel auf einmal sonst übergibst du dich noch. So und nun rutsche ein bisschen! Du bist eiskalt. Ich werde mich etwas zu dir legen.“

„Das musst du nicht tun. Du kannst wieder zu Krischan gehen.“

„Keine Angst ich will dich nur etwas aufwärmen, sonst nichts! Ich werde mich nicht ausziehen. Außerdem hast du nicht einmal etwas annähernd Anziehendes auf mich, wenn du auf das hinaus willst!“

Bei Tchais Worten schoss mir die Röte ins Gesicht und ich war froh, das ich die Bettdecke schon bis über die Nase gezogen hatte.

Er wollte wirklich mit mir ins Bett! Hier zu mir! Das glich einer Untat, denn ich konnte doch nicht zusammen mit einem Mann im selben Bett liegen. Was sollte ich denn nur machen?

Ich musste ihn überzeugen, das mit mir alles in Ordnung war. Bevor ich jedoch handeln konnte, hatte Tchai sich schon in Bewegung gesetzt. Ich rutschte im Bett etwas nach hinten. Mit der Wand im Rücken fühlte ich mich sicherer, doch Tchai schüttelte belustigt den Kopf. Ohne ein weiteres Wort stieg er über mich hinweg, schlug die Bettdecke zurück und legte sich hinter mich. Starr vor Entsetzen spürte ich, wie ich in eine feste Umarmung gezogen wurde. Tchais Nähe betäubte meine Sinne und ich konnte mich kein bisschen mehr rühren. Mein Kopf ruhte auf seinem rechten Oberarm und sein linker Arm hielt mich fest an sich gedrückt. Er hatte die Bettdecke wieder über uns gezogen und langsam merkte ich, wie die Wärme in meine kalten Glieder zurückkehrte.

„Entspann dich Prinzesschen du wirst merken, das es dir gleich besser geht.“

Tchais Stimme an meinem Ohr bescherte mir einen kurzen Schauer. Sein leises Lachen daraufhin ließ mich verschämt die Lippen aufeinander pressen.

„Wenn du weiter so verklemmt bist, werde ich später mit dir keine großen Probleme haben.“

„Was meist du damit?“, fragte ich unsicher.

„Das wirst du, wenn es so weit ist, schon noch merken. Und jetzt lass mich mal deine Schmerzen etwas lindern!“

Bevor ich wusste, wie mir geschah, schob Tchai seine Hand unter mein Nachthemd und legte sie auf die Stelle zwischen meinen Brüsten.

„Entspann … dich! Du bist so starr wie ein Brett! Glaub mir, in meinem Leben habe ich schon bei unzähligen Frauen gelegen und ich kenne alle kleinen Geheimnisse von ihnen. Wie gesagt du bist noch nicht einmal halb so weit, dass du einen Mann erregen könntest.“

Ich spürte, wie ich noch röter wurde, obwohl ich stark bezweifelte das dies überhaupt noch möglich war. Mein nackter Hintern berührte Tchais Bauch und ich fühlte den rauen Stoff seines Hemdes.

Warum nur hatte man mir ein Nachthemd angezogen. Wer hatte mich überhaupt aus meinen alten, zerrissen Kleidern geholt?

Ich hoffte, das es Krischan war und nicht Tchai.

Warum kommt Krischan nicht und erklärt mir das alles?

„Prinzesschen Krischan kann dir hierbei nicht helfen. Du musst mit mir vorlieb nehmen. Ab heute sind wir zwei eine Einheit. Du kannst dich vor mir nicht verstecken, deine Gefühle verleugnen oder mich anlügen. Ich werde immer genau wissen was in dir vorgeht.“

Tchais geflüsterte Worte wirkten ein kleines Wunder, genauso wie seine Hand auf meiner Haut. Mein innerer Aufruhr und meine Schmerzen verschwanden zunehmend. Geborgen in Tchais Umarmung merkte ich, wie meine errichteten Mauern zu bröckeln begannen.

„Danke Tchai.“

Diese zwei Worte schienen ewig im Raum zu verklingen, bis der Mann hinter mir sprach.

„Du musst mir nicht danken. Du konntest dir dein Schicksal genauso wenig aussuchen wie ich.“

„Aber ich hätte diesen Beutel einfach nicht öffnen sollen. Ich hätte nur auf meine Mutter hören müssen, dann wäre all das nicht passiert.“

„Prinzesschen, wenn sich hier einer bedanken muss, dann ich. Immerhin hast du mich vor weiteren, vielleicht endlosen Jahren der Einsamkeit bewahrt. Eines musst du mir jedoch verraten! Was genau hat der fremde Reiter zu dir gesagt?“

Ich schloss müde die Augen. Ich hatte gehofft zumindest heute nicht noch einmal zu den Geschehnissen des Morgens zurückkehren zu müssen, doch ich war Tchai eine Antwort schuldig. Mit wenigen Worten berichtete ich ihm von der Begegnung mit dem Reiter und warum jetzt, am Ende dieses furchtbaren Tages, ein gestaltwandelnder Drache sich an meinen Rücken schmiegte.

Bei der Erwähnung des Fremden spürte ich wieder ein Gefühl des Aufruhrs in mir aufsteigen, doch sobald Tchai einmal kurz aber tief Luft geholt hatte, legte es sich wieder.

„Du darfst diese Kette niemals abnehmen Layra. Hast du mich verstanden?“

Ich hielt kurz den Atem an, als ich meinen Namen aus Tchais Mund hörte. Die enthaltene Warnung aus seinen Worten verfehlten ihre Wirkung nicht, denn ich drückte mich unbewusst tiefer in Tchais schützende Umarmung.

„Wer ist er?“

Tchai antwortete nicht sofort und als er es tat, schwang ein gefährlicher Unterton und eine erneute Warnung darin mit.

„Er ist unberechenbar Prinzesschen und ich hatte gehofft das sich unsere Wege nicht all zu schnell wieder kreuzen. Vielleicht haben wir ja auch dank Krischans kleinem Amulett hier, etwas mehr Zeit dich auf ihn vorzubereiten. Denn eines ist sicher. Er hat dich gesehen, er weiß von Saii-ron und er wird jeden töten, der ihm im Weg steht.“

„Er will Saii-ron?“

„Ich befürchte, das sich seine Priorität etwas verlagert hat.“

„Was meinst du damit?“

Ich spürte, wie Tchai sich leicht anspannte. Er begann mit seinem Finger leichte Kreise auf meiner Haut zu ziehen. Trotz der ungewohnten Berührung blieb ich still liegen. Langsam fasste ich Vertrauen in Tchai und die Situation war sowieso schon seltsam genug.

„Deine Mutter hat dir anscheinend tatsächlich nichts über ihre Vergangenheit verraten. Ich denke jedoch, dass es besser ist, wenn Krischan dir davon erzählt.“

„Bitte Tchai!“

„Nur das wichtigste Prinzesschen, verstanden? Du wirst mir danach keine Fragen mehr stellen, auch dann nicht, wenn noch mehr dadurch entstehen!“

Ich zögerte kurz, doch dann nickte ich leicht.

„Also schön! Unser Land wird durch unzählige Allianzen und Handelsabkommen zusammen gehalten. Die Mächtigsten unter ihnen bilden den Kristallrat. Zu ihm zählt unter anderem auch mein verhasster Vater als Vertreter der Drachenwandler, genauso wie deine Mutter als Hohepriesterin der zehnten Generation. Zur Zeit der vierten Hohepriesterin wurde der Friedensvertrag zwischen den Drachenwandlern, Menschen, Dämonen und Magiern geschlossen. Saii-ron. Da die Hohepriesterin als besonders rein galt, übertrug man ihr die Aufgabe Saii-ron zu beschützen und den Frieden zu wahren. Der Kristallrat aber wusste, das die Gegner des Vertrages, nichts unversucht lassen würden, um den mühsam errichteten Frieden zu zerstören. Somit stellten sie der Priesterin einen weiteren Abgesandten zur Seite, um Saii-ron zu schützen. Unglücklicherweise fiel ihre Wahl damals auf mich und ich hatte keine schlagkräftigen Argumente mich dagegen zu stellen. Bevor du jetzt auf die Idee kommst, mich zu fragen was ich angestellt habe, um in eine Verbannung geschickt zu werden, lass es mich gleich abkürzen. Ich werde dir darauf keine Antwort geben. Um also Saii-ron von Innen zu stärken, verbannte man mich in den Kristall. Jeder der folgenden Hohepriesterinnen wurde es unter Strafe verboten, Saii-ron in seiner wahren, reinen Form anzusehen. Nur in einer Zeit der Gefahr und Not ist es der Hohenpriesterin erlaubt, denn sie kann dadurch den Bann brechen und mit mir einen tieferen Pakt zum Schutze des Kristalls eingehen. Nun, um auf deine ursprüngliche Frage zurückzukommen, der fremde Reiter von heute Morgen verfolgt seine eigenen Ziele. Seine wahren Beweggründe kann ich dir auch nicht sagen. Ich weiß nur, dass es alles komplizierter machen wird.“

Tchai verstummte und die darauffolgende Stille weckte ein Gefühl der Beklommenheit in mir. Warum hatte meine Mutter mir das alles vorenthalten? Es war ein Teil meines Lebens und ich ahnte noch nicht einmal etwas davon. Wie hatte sie sich unsere Zukunft vorgestellt? Ich wollte mir gar nicht ausmalen, was passiert wäre, wenn mir nicht Krischan und letztendlich auch Tchai zur Hilfe gekommen wären.

Einen kleinen Teil meiner Vergangenheit schloss sich in meinem Herzen ein, ein anderer war für immer verloren. Ich würde das Versprechen, das ich meiner Mutter gab einhalten und dafür sorgen das Saii-ron in Sicherheit war. Ich verstand zwar noch nicht warum ich Saii-ron zum Turm der Drachen bringen sollte, wenn meine Mutter damals vor dem Kristallrat von dort geflohen war. Vielleicht war die Gefahr, die mit den schwarzen Reitern hereingebrochen war, größer als wir ahnten.

Durch Tchai in meinem Rücken fühlte ich mich sicher. Ich spürte zwar das er etwas vor mir zurückhielt, doch ich hatte ihm versprochen nicht weiter nachzufragen. Morgen war schließlich auch noch ein Tag und ich würde Krischan und Tchai nicht in Ruhe lassen bis alle meine Fragen beantwortet waren.

Ich schloss erschöpft die Augen und sofort tauchte das Gesicht des Fremden in meinen Gedanken auf. Wer war er nur wirklich, dass selbst ein Drachenwandler ihm gegenüber vorsichtig war?

„Tchai ich weiß ich habe dir versprochen nichts mehr zu fragen“, murmelte ich leise.

Tchais leises Lachen erklang an meinem Ohr, doch in seiner Stimme war kurz darauf nichts mehr davon zu hören.

„Lass ihn nicht deine Gedanken beherrschen Prinzesschen! Wenn du ihm das nächste Mal begegnest, wirst du stärker sein. Bis dahin sind Krischan und ich an deiner Seite und diese kleine, nützliche Kette.“

Tchais Worte wurden immer leiser und ich ergab mich endgültig dem willkommenen Schlaf. Das Letzte, das ich noch hörte, war ein einziges, geflüstertes Wort, das ewig im Raum nachzuhallen schien.

Dazai!

3

Acht Jahre! Genau vor acht Jahren geschah dieser furchtbare Tag, an dem sich mein Leben vollständig änderte und nichts mehr so war wie zuvor. Die tiefe Trauer, die mich damals in ihrem Griff hatte, verging im Laufe des ersten Jahres. Krischan und Tchai hatten den Großteil dazu beigetragen. Ohne die Beiden wäre ich verloren gewesen. Nicht nur körperlich, sondern auch seelisch.

Krischan war ein sehr guter und vor allem geduldiger Lehrer.

Durch ihn hatte ich alles über die Gesetze, Allianzen und Handelsabkommen unseres Landes gelernt. Genauso wie die Herkunft der einzelnen Völker und ihre Entwicklung bis zum heutigen Tag. Vor allem die Geschichte der Hohepriesterin mit all ihren Verpflichtungen und Riten hatte mir Krischan eingetrichtert.

Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht all das nachzuholen, was meine Mutter versäumt hatte mir beizubringen. Krischan war zu einem Vater- und Muttersatz für mich geworden.

Tchai dagegen war ein furchtbarer Lehrer. Er hatte meine Kämpferische Ausbildung übernommen. Zumindest hatte er es versucht. Ich legte seit dem brutalen Überfall keinen großen Wert mehr auf das Kämpfen. All den Kriegern aus meinem Dorf hatte es nicht geholfen. Tchai ließ das leider nicht gelten. Er meinte, dass ich mich wenigstens verteidigen können sollte.

So geduldig und einfühlsam Krischan in seinen Lehren war, so nervenaufreibend war das Training mit Tchai.

Seine aufbrausende, alles beherrschende Art trieb mich oft an meine Grenzen. Er schonte mich nicht im Geringsten und ich kam an unzähligen Abenden mit blutigen Schrammen und Kratzern zu Krischan nach Hause. Meinen Körper zeichneten blaue Flecken an Stellen, an denen ich nie gedacht hätte, dort einen bekommen zu können. Tchais Temperament überstieg meines bei weitem und es passierte oft genug, das wir uns beide in die Haare bekamen.

Unser gemeinsamer Pakt fesselte uns aneinander und aus zwei Hälften wurde in den vergangenen Jahren ein Ganzes.

Ich konnte mir mein Leben ohne Tchai nicht mehr vorstellen. Egal ob in seiner menschlichen Gestalt oder in der eines Drachen, wir verstanden uns blind und ich vertraute ihm bedingungslos.

Die berauschendsten Momente mit ihm waren, wenn er mich auf seinen Rücken mitfliegen ließ. Dort fühlte ich mich richtig frei und alles was ich mir wünschte war, das es niemals aufhörte.

Leider sind manche Wünsche nicht dazu gedacht in Erfüllung zu gehen. Ich seufzte und strich mit meinem Finger sachte über die Wasseroberfläche des Waldsees. Heute vor acht Jahren hatte ich das erste Mal Saii-ron in den Händen gehalten. Damals hatte ich den Wunsch das Versprechen gegenüber meiner Mutter einzuhalten.

Ich wollte Saii-ron zum Turm der Drachen bringen, jedoch überzeugten mich Krischan und Tchai vom Gegenteil. Sie wollten abwarten, welche Auswirkungen Saii-rons Auftauchen haben würde. Krischan war der Ansicht, das der Kristallrat schon handeln würde, wenn sie es für notwendig hielten. Nun ich hatte keine Eile diesen Leuten zu begegnen. Meine Mutter hätte mich bestimmt verstanden und wäre glücklich darüber das ich ein neues Zuhause gefunden hatte.

Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Ich nahm einen kleinen Stein vom Waldboden hoch, den ich langsam zwischen meinen Fingern hin und her rollte. Die Sonne schickte vereinzelte Strahlen durch das Laubdach über mir und hinterließ funkelnde Punkte auf dem Wasser des kleinen Waldsees. Ich liebte diesen Ort und verbrachte hier die meiste meiner freien Zeit.

Der See lag versteckt mitten im Wald, nicht weit von Krischans Hütte entfernt. Duftenden Büsche säumten seinen Rand und Seerosen in den verschiedensten Farben trieben auf seiner Oberfläche.

„Worauf wartest du noch? Anstatt deinen Gedanken nachzuhängen, solltest du endlich baden gehen! Die Dämmerung setzt bald ein und ich habe heute Nacht noch eine Verabredung.“

Ich blickte böse über meine Schulter zu dem im Gras liegenden Drachenwandler. Tchai hatte sich der Länge nach ausgestreckt, seine Arme hinter dem Kopf verschränkt und beobachtete mich nun aus einem halb geöffneten Auge.

„Warum bist du überhaupt mitgekommen?“

Ich stand von dem kleinen Stein am Ufer des Sees auf, stemmte meine Arme in die Hüften und funkelte ihn herausfordernd an.

Sein Lachen glitt provozierend über mich hinweg und ich atmete einmal genervt durch. Ich wusste, worauf er anspielte und er brachte mich jedes Mal damit zur Weißglut. Seine Verabredung heute Nacht endete garantiert damit das er schnurrend wie eine Katze und bis in die Haarspitzen befriedigt wieder Zuhause auftauchte.

Mit seinem Aussehen und seinem Körper war es nicht schwer jede Nacht eine andere Frau zu finden, die das Bett mit ihm teilte.

Nur mit seiner schwarzen Hose bekleidet lag er halb schlafend im Schatten eines Baumes. Mein Blick glitt wie von selbst über seinen gut trainierten Oberkörper und verweilte kurz auf seinem alterslosen Gesicht. 896 Jahre!

Wie konnten 896 Jahre so spurlos an einem vorbeigehen?

Nun ja, wenn man ein Drachenwandler war, dann zählte man sowieso zu den langlebigen Völkern. Die Ältesten von ihnen waren mehrere tausende von Jahren alt.

„Prinzesschen bewunderst du mich schon wieder?“

Ich verdrehte abermals genervt die Augen und wandte mich wieder dem kleinen Waldsee zu. Entschlossen zog ich mir meine bequeme Tunika über den Kopf, der kurz danach meine Hose und Unterwäsche folgten.

Meine langen blauschwarzen Haare verhüllten den Großteil meines Körpers, als ich langsam das Ufer zum Wasser hinunterging.

Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, wie sich Tchai etwas aufrichtete und mich nun seinerseits musterte.

„Weißt du, das ich froh bin, das du dein Schamgefühl abgelegt hast.“

„Ja Tchai, du hast mir ja keine andere Wahl gelassen“, merkte ich säuerlich an.

„Was auch nicht schlecht war! Sieh dich nur an. Du bist eine wunderschöne Frau geworden. Zum Glück haben wir damals nicht darum gewettet! Ich verliere äußerst ungern.“

Ich verkniff mir meine bissige Antwort, denn ich wusste, das es Tchai liebte, mich zu ärgern. Doch heute hatte ich keine Lust dazu. Ein ungutes Gefühl beschlich mich schon den ganzen Tag. Ich war mir nicht sicher, ob es wegen des heutigen Jahrestags war, oder wegen etwas anderem, mir noch Unbekanntem.

Meine Zehenspitzen berührten das kalte Wasser des Sees. Augenblicklich überzog mich eine Gänsehaut und meine Brustwarzen stellten sich auf. Ich griff nach dem kleinen, achtförmigen Anhänger an der Kette um meinen Hals.

Die gleiche Anzahl an Jahren die seitdem vergangen war, als sie mir Krischan damals zu meinem Schutz vor ihm gegeben hatte. Dazai!

Immerhin konnte ich meinem persönlichen Albtraum einen Namen geben. Seine schiefergrauen Augen verfolgten mich oft genug in meinen Träumen.

„Lass ihn nicht deine Gedanken bestimmen, Prinzesschen!“

Tchais Warnung kannte ich schon auswendig. Gerade wenn es um diesen fremden Reiter ging, bröckelnden meine innerlich errichteten Mauern und es war ein Leichtes für Tchai meine Gefühle und Gedanken zu lesen.

„Willst du nicht endlich zu deiner Verabredung? Lass mich in Ruhe baden und wir sehen uns morgen. Ich bin groß Tchai! Ich kann auf mich aufpassen! Mein Schwert liegt griffbereit am Ufer und falls etwas sein sollte sag ich dir einfach Bescheid.”

Ich ahnte schon das mein Versuch in zu überreden, mich alleine zu lassen, scheitern würde.

„Ich warte auf dich.“

Er hatte sich schon wieder zurückgelegt und die Augen geschlossen. Sturer Ochse! Ich wusste, dass er meine Gedanken belauscht hatte, denn ein breites Grinsen lief über sein Gesicht.

Leicht verärgert wandte ich mich um, atmete einmal tief durch und ließ mich in die Knie sinken. Das kalte türkisfarbene Wasser hüllte mich ein wie ein eiskaltes Tuch.

Mit ein paar Schwimmzügen hatte ich die Mitte des Sees erreichte und tauchte unter. Langsam öffnete ich in der Stille des Wassers die Augen. Funkelnde Sonnenstrahlen durchbrachen die Oberfläche, ließen das Wasser türkisfarben schimmern und verzauberten mich immer wieder aufs Neue. Es wirkte alles so friedlich.

Wie eine in sich geschlossene Welt der Ruhe.

Als ich wieder auftauchte, schwamm ich Richtung Ufer, bis ich wieder den Boden unter meinen Füßen spürte. Ich riss eine der Seerosen ab und steckte sie mir ins nasse Haar.

Erst jetzt bemerkte ich, das ich mich fast am entgegengesetzten Seeufer befand.

Mir war gar nicht bewusst gewesen so weit geschwommen zu sein. Durch die Baumkronen konnte ich die Rotfärbung des Abendhimmels erkennen.

Wie lange bin ich denn schon im Wasser?

Fröstelnd rieb ich mir über meine Arme und watete langsam das Ufer hinauf. Der Gedanke den See zu umrunden anstatt wieder hindurch zu schwimmen gefiel mir nicht wirklich. Aber mir war zu kalt um nochmals in das Wasser zu steigen. Die Dämmerung setzte langsam ein und ich hatte weder meine Kleider noch meine Waffe dabei.

Warum hatte Tchai denn nicht gesagt das es schon so spät war? Sonst hielt er sich doch auch nicht mit seinen Ermahnungen zurück.

„Tchaikor?“

Ich rief ihn auf unserem gemeinsamen Gedankenweg. Es kam selten vor das er nicht antwortete und heute schien einer dieser Tage zu sein. Meistens ignorierte er mich, wenn er gerade seinen Spaß hatte. Vielleicht war er doch schon zu seiner nächtlichen Verabredung aufgebrochen. Andererseits hätte er mir mit ziemlicher Sicherheit Bescheid gegeben, wenn er mich alleine lassen würde.

Verdammt! Mir blieb nichts anderes übrig als nackt den ganzen Weg am Ufer zurückzulaufen. Mit jedem Schritt, den ich ging, schwang mein nasses Haar über meinen Körper und mir wurde immer kälter.

Plötzlich stockte ich mitten im Schritt. Mir war, als hätte ich hinter mir ein Geräusch gehört, das nichts mit den normalen Waldgeräuschen zu tun hatte. Ein mulmiges Gefühl ergriff mich und ich drehte mich langsam um. Nirgends war etwas Ungewöhnliches zu sehen. Vielleicht war es nur ein Tier, dessen Ruhe ich gestört hatte.

Seit wann war ich nur so schreckhaft? Es musste mit dem heutigen Jahrestag zusammen hängen. Entschlossen wollte ich weiter gehen, doch ich kam genau drei Schritte weit. Abermals hörte ich dieses Geräusch und diesmal konnte ich es einordnen. Trockene Zweige die unter schwerem Gewicht brachen!

„Tchaikor! Es ist nicht lustig, wenn du dich vor mir versteckst und ich mich tropfnass durch den Wald zurückkämpfen muss!“

Ich ballte wütend meine Hände zu Fäusten und starrte den Weg zurück, den ich gekommen war.

„Layra egal was du siehst oder hörst. Dreh dich um und renne. Ich komme dir entgegen. Sie haben mich, wie auch immer, überlistet!“

Angst breitete sich in mir aus und ich rannte los. Wer hatte die Macht einen Drachenwandler zu überlisten? Tchai zu überlisten?

Mit einem Mal fand ich mich im Gedanken wieder. Damals vor acht Jahren floh ich genauso durch den Wald. Flüchtete vor ihm.

Doch jetzt wusste ich nicht einmal, vor welcher Bedrohung ich davon lief. Ich sprang über Baumwurzeln und rannte über spitze Steine.

Kleinere Äste peitschten gegen meine nackte Haut und mein Haar verfing sich mehrmals in den Verzweigungen der Sträucher am Uferrand. Vor mir sah ich es kurz weiß aufblitzten, dann schoss auch schon Tchai an mir vorbei.

„Bleib nicht stehen. Ich kümmere mich darum.“

Wer sich auch immer dort hinter mir befand, hatte jetzt einen wütenden Drachenwandler vor sich. Seinem Befehl befolgend rannte ich weiter und erreichte nach einer gefühlten Ewigkeit endlich den Baum, unter dem meine Sachen lagen. Eilig zog ich meine Kleider über und ergriff mein Schwert, das noch immer wartend am Baumstamm lehnte.

„Tchaikor?“

„Sie sind nicht mehr da! Wir müssen zurück zu Krischan. Layra bleib wo du bist, ich komme zurück, dann können wir … Verdammt! Bei allen Gehängten, was ist denn das für …“

„Tchaikor?“

Er antwortete wieder nicht auf meinen Ruf. Unentschlossen blickte ich über den See und suchte das Ufer ab. Sollte ich auf Tchai hören und hier warten oder lieber zurück zur Hütte gehen?

Krischan ahnte noch nichts von der Bedrohung, die sich in der Dämmerung an uns heranschlich. Hoffentlich war er noch nicht vom Kräuter sammeln von den Bergen zurück. Ich hielt mein Schwert fester und ging zügig los. Unzählige Gedanken geisterten durch meinen Kopf. Das Wahrscheinlichste war, das es sich um eine Räuberbande handelte.

Ich konnte an einer Hand abzählen, wie oft wir hier Fremde zu Gesicht bekamen. Seitdem mein Dorf ausgelöscht wurde, galt die Gegend vor den Bergen als verflucht. Niemand bereiste die Route über die Berge oder ließ sich hier freiwillig nieder.

Wenn es eine Räuberbande war, dann hatten sie sich den falschen Ort ausgesucht, denn bei Krischan gab es nichts zu holen.

Ich erreichte den schmalen Waldpfad, der zu unserer Hütte führte. Mir fielen sofort die verräterischen Spuren auf dem trockenen Boden auf. Wer auch immer sich der Hütte genähert hatte, legte keinen Wert darauf unentdeckt zu bleiben. Vorsichtig überquerte ich den Pfad, um auf der anderen Seite wieder leise ins Dickicht zu gleiten. Einen Schritt vor den anderen setzend schlich ich auf die Rückseite unsere Hütte zu. Mein Schwert hatte ich halb erhoben, denn ich wollte auf einen eventuellen Angriff vorbereitet sein.

Ich erreichte die Holzwand, presste mich dagegen und sah vorsichtig durch das kleine Fenster ins Innere. So wie es schien, war Krischan zum Glück noch nicht zurückgekehrt. Auch sonst konnte ich nichts Ungewöhnliches feststellen. Alles stand noch an seinem Platz und nichts deutete darauf hin, das etwas zerstört wurde. Vielleicht war es doch keine Räuberbande und ich hatte mich geirrt.

Ein eiskalter Schauer jagte meinen Rücken hinunter, als mir ein anderer Gedanke kam.

Die fremden Reiter von damals.

Ihr Herr.

Dazai.

Begleitete mich deshalb den ganzen Tag über dieses unbestimmte Gefühl? Hatte die Vergangenheit erneut ihre Finger nach mir und Saii-ron ausgestreckt?

Tchai verdammt, wo bist du nur?

Ich sah zu dem immer dunkler werdenden Himmel hinauf, konnte ihn aber auch dort nirgends ausmachen. Langsam bewegte ich mich an der Hüttenwand entlang und spähte vorsichtig um die Ecke.

Innerhalb von ein paar Sekunden erfasste ich die Fremden. Sie waren zu dritt. Zwei Männer und eine Frau!

Sie unterhielten sich so leise, das ich nicht ein einziges Wort davon verstehen konnte.

Ich lehnte mich wieder zurück an die schützende Wand. Wer waren diese Fremden nur? Ihre Kleidung glich nicht denen von fahrenden Händlern oder Bauersleuten. Außerdem blitzte der kalte Stahl von versteckten Waffen auf. Wenn diese drei die Bedrohung von vorhin im Wald waren, wo blieb dann verdammt nochmal Tchai? Er hatte mich in der Schwertkunst und Verteidigung ausgebildet, doch üben war das Eine, ein richtiger Kampf das Andere.

Ich biss mir auf die Lippe und fluchte innerlich. Ich musste handeln, denn wenn ich noch länger wartete, dann war es bald tiefste Nacht.

Ich schob meine Angst immerhin ein kleines bisschen zur Seite, stand entschlossen auf und lief um die Ecke zur Vorderseite der Hütte. Die drei Fremden standen mit dem Rücken zu mir und hatten mich anscheinend noch nicht bemerkt.

Ich trat aus dem Schatten heraus und blieb nur ein paar Meter von ihnen entfernt stehen.

„Kann ich euch helfen?”

Meine Stimme klang fest und ich ließ nichts von meiner Angst erkennen. Die Fremden drehten sich in einer Geschwindigkeit zu mir um, sodass ich absolut sicher war das sie nichts von meiner Annäherung bemerkt hatten. Tchai konnte in der Lektion Anschleichen Stolz auf mich sein.

Auf den Gesichtern der Fremden waren die unterschiedlichsten Reaktionen zu lesen.

Überraschung, Erkennen und Verärgerung?

„Wir wollen zu Krischan!“, erklärte der Mann, der mir am nächsten stand mit dunkler Stimme.

Sein Gesicht überzog ein dichter, schwarzer Bart und auch seine Kleidung war von tiefstem Schwarz.

Was wollten sie denn von Krischan? Seit ich bei ihm war, waren noch nie solche Leute hier gewesen. Bauern, Händler und Freunde ja. Aber bewaffnete Fremde, niemals.

„Wie ihr seht, ist er nicht da. Also verschwindet!“

Panik überkam mich als ich meinen Blick zu den anderen Beiden hinübergleiten ließ. Auch sie waren in schwarze Mäntel und Hosen gekleidet. Das konnte nicht wahr sein. Mein Herzschlag verdoppelte sich und ich umgriff mein Schwert fester, sodass meine Knöchel weiß hervortraten.

Sie konnten doch nicht wirklich zu diesen fremden Reitern von damals gehören. Schnell sah ich mich um, ob ich irgendwo Pferde mit blutroten Reitgeschirr sah, konnte aber auf Anhieb keine entdecken.

Langsam wich ich einen Schritt zurück und hob mein Schwert.

„Wer bist du, das du es wagst, uns vorzuschreiben was wir tun sollen Kind?“, fragte die Frau und kam mir nach.

Ich nahm sofort meine erlernte Verteidigungsstellung ein. Mein rechtes Bein einen kleinen Schritt nach hinten, Körpermitte leicht gedreht, Knie leicht gebeugt.

Die Frau vor mir lachte leise und zog ihr bis dahin unter dem Mantel verstecktes Schwert. Ich riss erschrocken die Augen auf und verfolgte, wie sie belustigt mit ihrer rechten Hand über die geschärfte Klinge strich. Sie musterte mich interessiert und verzog ihre Lippen.

„Nett Kleines, aber weit wirst du so nicht kommen!“

Sie war schnell und ich konnte von Glück sagen, das ich Tchai als Lehrer hatte. Ihr Schwert vollführte einen horizontalen Seitwärtshieb und traf mit einem Klirren auf die Schmalseite meiner Klinge. Von der Wucht ihres Angriffs überrascht biss ich die Zähne zusammen und starrte sie panisch an. Die Frau schien von meiner Gegenwehr verwundert und eine unschöne Falte erschien auf ihrer Stirn. Mit einer schnellen Seitwärtsdrehung brachte ich mich außer Reichweite ihres Schwertes.

Der bärtige Mann wich ebenfalls ein paar Schritte zur Seite und verstellte mir, mit vor der Brust verschränkten Armen, provozierend den Weg. Fehlte nur noch der dritte Mann und sie hätten mich umringt.

Ich konnte ihn schräg hinter der Frau im Schatten der Bäume ausmachen. Wollte er sich etwa im Wald verstecken? Zumindest erweckte er nicht den Anschein seinen Begleitern helfen zu wollen.

„Mein Kind willst du uns nicht verraten, wer du bist?“

Der bärtige Schrank vor mir sah mich mit schief gelegtem Kopf und hochgezogen Augenbrauen an.

„Nein, ich kenne euch nicht und ihr seid diejenigen die bewaffnet vor unserer Hütte stehen und nach Krischan verlangt. Wenn dann müsstet ihr euch vorstellen!“

„Du lebst also tatsächlich bei Krischan?“, fragte die Frau erstaunt und näherte sich mir abermals.

Bevor ich antworten konnte, überzog ein unglaublicher Schmerz meine Brust. Ich keuchte auf und ließ mein Schwert sinken. Was war das? Ich spürte förmlich wie die schwarzen Runen und Symbole auf meiner Haut in Bewegung gerieten, als wären sie zum Leben erwacht. Eine Woge ungebändigter Wut schlug über mir herein und ich wurde mit einem starken Griff um meine Taille gepackt und zurückgezogen.

„Sie wird euch keine weitere Frage mehr beantworten!“

Ich spürte Tchais Wärme an meinem Rücken und seine linke Hand, die mich von hinten umgriff und sich auf meine Brust legte. Sofort ließ der brennende Schmerz nach.

„Tut mir leid, das es so lange gedauert hat. Ich wurde von einem gut versteckten aber schlecht errichteten Bannkreis aufgehalten.“

„Wer sind sie Tchai?“

„Ich bin mir nicht sicher. Jedoch scheinen sie eine gewisse Macht mit sich zu führen, denn sie tragen Drachensmaragde bei sich!“

Drachensmaragde also. Deshalb hatte Tchai die Ankunft der Fremden auch nicht vorhersehen können. Die grünen Steine, die mit roten Schlieren durchzogen waren, konnten einen Drachenspürsinn verwirren und täuschen.

Tchais dunkle Wut umspülte uns und richtete sich mit ihrer ganzen Kraft auf die Fremden vor uns. Die Frau wich hastig mehrere Schritte zurück und auch der Bärtige sah zumindest teilweise beeindruckt aus. Die Dämmerung schien sich enger um Tchai zusammen zuziehen und ich wusste, das er gleich seine Wandlung vollziehen würde. Wäre er erst einmal in seiner Drachengestalt hätten die Fremden keine Chance. Leider würde von Krischans Hütte auch nicht mehr viel übrig bleiben, denn wenn sich Tchai auf einen Kampf einließ überlebte im unmittelbaren Umfeld nur sehr wenig.

„Tchaikor!“

Die mahnende Stimme ließ mich erleichtert aufatmen und ich drehte mich zu Krischan um. Neben mir fluchte Tchai wütend, packte mein Handgelenk und zog mich mit zu Krischan.

„Krischan, wir wussten nicht das die Kleine wirklich zu euch gehört.“

Ungläubig beobachtete ich, wie zuerst der bärtige Mann gefolgt von der Frau in eine tiefe Verbeugung fiel. Auch der Mann im Schatten der Bäume rührte sich leicht und sank auf sein Knie, um es seinen Begleitern gleich zu tun.

„Krischan was …“

Krischan schüttelte leicht den Kopf und ich verstummte augenblicklich. Er hielt seinen braunen Kräuterbeutel, der sichtlich gefüllt war, in der einen Hand und seinen Wanderstab in der Anderen. Mir entging Krischans stille Warnung nicht und ich rutschte näher an Tchai heran. Dieser stemmte streitlustig seine Hände in die Hüfte und funkelte die drei Knieenden vor uns böse an. Noch immer loderte ein dunkles Feuer in seinen grünen Augen.

„Es ist lange her seit wir uns das letzte Mal gesehen haben Dawn. Eigentlich hätte ich euch etwas früher erwartet! Aber wir sollten zu aller erst nach Innen gehen, dort können wir in Ruhe reden“, meinte Krischan und wandte sich ohne auf eine Antwort zu warten um.

Noch immer verharrten die Fremden kniend und ich bezweifelte langsam, dass sie sich überhaupt noch rühren würden.

Tchai stieß einen abfälligen Laut aus und zog mich einfach hinter sich her in Richtung der Hütte. Kaum hatten wir uns in Bewegung gesetzt erhoben sich die drei, mir noch Unbekannten, um uns zu folgen. Tchai schob mich vor sich durch die Tür und ich betrat hinter Krischan die kleine Hütte, die seit acht Jahren mein Zuhause war.

Krischan entzündete mehrere Öllampen und entfachte das Feuer im Kamin zu neuem Leben. Tchai lehnte sich angriffslustig mit verschränkten Armen neben den alten Kamin an die Wand und beobachtete wie zuerst der bärtige Mann – Dawn -, gefolgt von der Frau eintrat. Als Letztes erschien der bis dahin im Schatten verborgene dritte Fremde. Ich merkte, wie Tchais Stimmung um schwang noch bevor er mit zwei großen Schritten vor dem Mann stand und ihn an den Schultern gepackt gegen die Wand stieß.

„Du! Ich hätte wissen müssen das du deine Finger darin verwickelt hast. Wer sonst kennt meine Schwachstellen so gut wie du?“

Die leise geflüsterten Worte erreichten mehr meine Gedanken als mein Ohr. Tchai kannte ihn tatsächlich und allem Anschein nach hatte er nicht damit gerechnet ihn hier vor sich stehend zu sehen.

„Ein Bannkreis? Shinn! Gerade du müsstest doch wissen, das es Tchai nicht aufhalten kann“, meinte Krischan belustigt und setzte sich an einen der Stühle um den großen Holztisch.

Der Angesprochene verzog sarkastisch seine Lippen und sah dabei Tchai herausfordernd in die Augen.

„Nun du kennst mich ebenfalls Krischan und weißt das ich mir keine Gelegenheit entgehen lasse ihn zu ärgern.“

Shinns Stimme glitt wie Seide über mich. Zum ersten Mal konnte ich ihn genauer betrachten. Er war groß, wobei ihn Tchai immer noch um einen Kopf überragte. Sein hellbraunes, wild fallendes Haar reichte ihm bis zu den Schultern und seiner Statur nach zu urteilen verstand er sich genauso gut auf den Umgang mit dem Schwert wie auf Bannkreise. Zwei goldene Ringe, die durch eine kleine Kette miteinander verbunden waren, blitzten an seiner rechten Hand auf, als er diese zu Tchais Gesicht hob.

„Übrigens Tchai, du hast dich kein bisschen verändert.“

Die gehauchten Worte des Fremden bewirkten das sich Tchai kurzzeitig versteifte, nur um sich dann mit einem Ruck umzudrehen und wieder zu seinem Platz neben dem Kamin zurückzukehren.

„Nun da wir uns alle herzlichst begrüßt haben … setzt euch doch. Ich denke wir haben eine Menge zu Besprechen. Jedoch hole ich uns zuvor noch etwas Wein und eine kleine Stärkung.“

Mit diesen Worten erhob sich Krischan und verschwand in den angrenzenden Raum. Die darauf eintretende Stille war beinahe greifbar. Ich stellte mich neben Tchai, denn dort fühlte ich mich sicher. Die ganze Situation überforderte mich zunehmend.

Ich sah wie dieser Dawn und die Frau, deren Namen ich noch immer nicht kannte, mich interessiert musterten. Ich ergriff unbewusst Tchais Hand und merkte, wie er sie beruhigend drückte.

„Du bist sehr still Kind, verrätst du uns nun deinen Namen? Hätten wir gewusst das du die neue Hohepriesterin bist, wären wir nicht so …“

„Unhöflich gewesen?“, fragte ich schroff.

Bevor Dawn antworten konnte, kam Krischan mit dem Wein und stellte die Becher auf den Tisch.

„Ihr müsst Layra entschuldigen. Es kommen nicht oft Fremde in diese Gegend und sie wurde von uns dazu erzogen Vorsicht walten zu lassen und nicht zu viel von sich preiszugeben.“

Ich dankte Krischan im Stillen, das er das Reden übernahm.

Er wusste bestimmt, wie hilflos ich mir momentan vorkam.

„Setzt dich zu ihnen Prinzesschen. Die Geschichte wird etwas länger dauern. Ich werde kurz nach draußen gehen, ich bin gleich wieder zurück.“

Mit großen Schritten durchquerte Tchai den Raum und verschwand ohne ein weiteres Wort durch die Tür nach draußen. Shinns Blick folgte Tchai und kaum fiel die Holztür hinter ihm zu, schob Shinn seinen Stuhl zurück und stand auf.

„Entschuldigt mich!“

Er verbeugte sich kurz vor Krischan und verschwand ebenfalls nach draußen. Wer waren diese Leute? Sie schienen voller Respekt zu Krischan aufzublicken. Ich setzte mich zögerlich neben ihn an den Tisch und nahm mir ebenfalls einen Becher Wein. Nach einem kleinen Schluck spürte ich, wie sich seine Wärme in meinem Bauch ausbreitete.

„Krischan wir hätten dich früher von unserer geplanten Ankunft in Kenntnis setzten sollen. Leider wurden wir immer wieder von Aufständischen und sonstigen Gesindel auf unserer Reise aufgehalten. Überall kommt es zu kleineren Kämpfen und man merkt, das der Frieden ins Wanken gerät. Umso wichtiger ist es, das die Hohepriesterin mit Saii-ron in die Reihen des Kristallrates zurückkehrt. Sie haben uns nun geschickt, um der Priesterin eine sichere Reise zu gewährleisten.“

Mir lief es kalt den Rücken hinab. Der Wein konnte daran nichts ändern. Hatte Krischan Kontakt zu ihnen aufgenommen?

Warum auf einmal nach all den Jahren?

Wir waren uns einig gewesen, dass wir so lange es ging Saii-ron bei uns versteckt hielten. Es war einfach sicherer, zumindest hatte ich das bis jetzt angenommen.

Krischan neben mir strich sich beträchtlich über seinen Bart und warf mir einen kurzen Seitenblick zu.

„Nun Dawn ich weiß über eure Absichten Bescheid, denn ich habe Amirallia vor einigen Wochen über Layras Aufenthaltsort in Kenntnis gesetzt und mich mit ihr über die kommenden Verpflichtungen von Layra unterhalten.“

Ich keuchte bei Krischans Geständnis kurz auf und krallte meine Hand in das Holz des Stuhles, auf dem ich saß. Langsam griff ich nach meinem Becher und trank einen größeren Schluck. Der Wein brannte sich meine Kehle hinab und ich bemühte mich nicht erneut aufzukeuchen. Krischan bemerkte meine Bemühungen und legte mir sachte eine Hand auf mein Knie.

„Wie es aussieht, hat das Mädchen von deinen Plänen noch nichts gewusst“, meinte die Frau leicht amüsiert und hob mir lieblich lächelnd ihren Becher entgegen.

Über den Tisch hinweg funkelte ich sie böse an und hätte ihr am liebsten den Inhalt meines Bechers über geschüttet. Sie lachte glockenhell auf und lehnte sich mit verschränkten Armen auf ihrem Stuhl zurück.

„Jasahra lass es gut sein“, meinte Dawn und wandte sich dann mir zu.

„Wir freuen uns dich endlich kennen zu lernen Layra. Immerhin haben wir schon sehr lange auf dich gewartet. Wir waren in tiefster Sorge, als wir vom Tod deiner Mutter erfuhren, da wir nicht wussten, was mit dir geschehen war.“

Mir wurde mit einem Mal schlecht. Was wussten denn diese Fremden schon von meiner Mutter? Woher wollten sie wissen, dass sie tatsächlich tot war? Ich klammerte mich noch immer an die Hoffnung, dass sie irgendwie den fremden Reitern von damals entkommen war. Nach acht Jahren nahm mir Dawn meine Hoffnung mit nur einem einzigen Satz. Ich legte eine Hand über meinen rebellierenden Magen und erhob mich.

„Layra, geht es dir gut? Du siehst …“

Ich hob schnell meine Hand und erstickte Dawns wahrscheinlich gut gemeinte Worte, bevor sie über seine Lippen kamen.

„Ich muss nur kurz mal an die frische Luft. Ich glaube, mir bekommt der Wein nicht sonderlich.“

Mit diesen Worten entschuldigte ich mich, warf einen kurzen Blick zu Krischan der meine Lüge durchschaute und umrundete den Tisch um auf die Tür zuzugehen. Ich musste so schnell es ging weg von hier.

Meine Vergangenheit hatte mich eingeholt.

Als ich in die lauwarme Dunkelheit nach draußen trat, fiel mir das Atmen leichter. Ich sah mich kurz um, ob ich Tchai oder Shinn sah, aber von den Beiden fehlte jede Spur. Was auch immer die Zwei für eine Vorgeschichte hatten, ich würde sie nur zu gerne kennen.

Vorerst belasteten mich aber Dawn und Jasahras Absichten, weswegen sie hergekommen waren. Krischan hatte dem Kristallrat über mich berichtet. Warum nur? Saii-ron war bei mir, bei uns Dreien sicher.

Ich ging langsam um die Hütte herum und lehnte mich erschöpft an das raue Holz. Der Tag endete nicht gerade so, wie ich ihn mir heute Morgen vorgestellt hatte. Jetzt wusste ich immerhin, weshalb ich den ganzen Tag solch ein ungutes Gefühl hatte.

Die Geräusche der Nacht beruhigten mich. Ich ließ mich auf den Boden gleiten und legte den Kopf in den Nacken. Die Sterne blitzten hell am Nachthimmel und der Mond kam langsam über den Bergen zum Vorschein. Sein Licht tauchte die Umgebung vor mir in eine unwirkliche Landschaft. Bestehend aus tiefsten Schatten und hellen Lichtpunkten die Sicherheit versprachen.

Wenn ich zurückdachte, war ich immer neugierig gewesen, wie die Leute vom Turm der Drachen wohl so waren.

Ob sie festliche Kleider oder blitzende Rüstungen trugen und welche Titel und Positionen sie innehaben würden.

Jedoch hatten sich meine teils träumerischen Vorstellungen mit Dawn und Jasahra in Luft aufgelöst. Sie waren das genaue Gegenteil. Sie waren Krieger und jagten mir ein ungutes Gefühl ein. Ich verstand Krischan immer noch nicht. Wieso nur hatte er mich nicht vorgewarnt das sie kommen würden. Ich wollte nicht von hier weg.

Ich fühlte mich hier sicher und Krischans Hütte war zu meinem neuem Zuhause geworden. Meine Mutter hatte mir nie meine Pflichten als Priesterin beigebracht und ich fühlte mich auch nicht als solche.

Ich hörte das Knacken von Zweigen und kurz darauf brach nur ein paar Meter von mir entfernt Shinn durch das Unterholz der Lichtung. Tchai folgte ihm nur einen Atemzug später. Ich konnte Shinns Gesichtsausdruck im Dunkeln nicht erkennen.

Alleine an seinen stampfenden Schritten und der Schnelligkeit, mit der er im Inneren der Hütte verschwand, konnte man seine Stimmung jedoch erahnen.

Ich wartete auf das erneute Öffnen und Schließen der Tür, doch anscheinend hatte Tchai nicht die Absicht hinter Shinn herzugehen.

Die Beiden riefen immer mehr Fragen in mir auf. Ich biss mir nachdenklich auf die Lippe, doch meine Neugier gewann mal wieder.

Vorsichtig lugte ich kniend um die Ecke der Hütte um nach Tchai zusehen, als ich in sein von weißen Haar umrahmtes Gesicht blickte. Ich schrie erschrocken auf und landete fast auf meinen Hintern, hätte mich Tchai nicht an den Armen festgehalten.

„Das kommt davon, wenn man nach spioniert“, tadelte er mich.

„Ich spioniere nicht, ich wollte nur einen Moment Ruhe vor allen“, schnaubte ich und lehnte mich wieder zurück an die Hüttenwand.

Tchai gesellte sich zu mir und eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander, nur den eigenen Gedanken nachhängend.

Die Grillen zirpten ihr Abendlied und ab und an schrie eine Eule auf der Jagd nach ihrer Beute. Ich liebte die Sommernächte, wenn die Hitze des Tages noch ausreichte, um die Dunkelheit zu erwärmen.

Wenn ich daran dachte, dass ich mit den Leuten aus dem Turm der Drachen bald abreisen würde, wurde mir zum wiederholten Male schlecht.

Abwesend zwirbelte ich mir eine lange Strähne meines Haares um den Finger, bis Tchai sanft meine Hand nahm und sie zu sich zog.

„Prinzesschen was geht in deinem Kopf vor? Du spielst nur mit deinen Haaren, wenn du fieberhaft überlegst, wie du ein Problem lösen kannst.“

Er ergriff die Strähne meines Haares und wickelte sie sich selbst um den Finger. Mit jeder Schlinge zog er meinen Kopf näher an sich heran, bis sich schließlich unsere Nasenspitzen fast berührten. Seine grünen Augen blickten mich funkelnd an und ich seufzte ergeben.

Er neigte leicht den Kopf und schon spürte ich die hauchzarte Berührung seiner Lippen. Es war ein keuscher Kuss, den ich schon viele Male zuvor von ihm bekommen hatte. Tchai wollte mich nur necken. Mittlerweile verstand ich auch, warum er jede Nacht eine andere Frau hatte. Sie mussten ihm alle zu Füßen liegen.

Er war so unsagbar schön und sein Charme konnte einem regelrecht die Sinne verwirren. Tchai hatte mir versucht zu erklären, das man zwischen den abenteuerlichen, nächtlichen Vergnügungen und der wahren Liebe unterscheiden musste. Ich konnte weder bei dem einem noch bei dem anderen mitreden, geschweige denn das ich es wirklich verstand. Wenn Tchai mich so küsste, flammte auf jeden Fall kein Feuer in mir auf und nach seinen Erklärungen war das nötig um die wahre Liebe zu finden. Für wilde Abenteuer war Tchai immer zu haben, allerdings nicht mit mir. Er betonte zwar immer das ich die richtigen Proportionen hatte, unser gemeinsamer Pakt es aber nicht zuließe auch nur in diese Richtung zu denken. Tchai löste sich langsam von meinen Lippen, lächelte mich verführerisch an und ließ meine Haarsträhne aus seinen Fingern gleiten.

„Du bist so süß geworden Prinzesschen. Ich bin gespannt auf den Mann, dem du einmal dein Herz schenken wirst.“

Ich schnaubte genervt. Bis jetzt hatte ich noch keinen einzigen Mann an mich herangelassen und ich verspürte auch nicht die Absicht es in nächster Zukunft zu tun. Da Tchai nicht infrage kam reduzierte sich die Auswahl der Männer auch schon auf null. Außer den paar Ausnahmen als ich mit Krischan in eines der größeren Dörfer gereist bin, hatte ich sowieso noch keine wirkliche Gelegenheit gehabt einen Mann kennenzulernen. Normalerweise waren die Frauen in meinem Alter meistens schon verheiratet und hatten mindestens zwei Kinder. Ich befand mich noch meilenweit davon entfernt. Eigentlich war ich mir auch nicht sicher, ob eine Hohepriesterin heiraten durfte.

„Ich glaube ich werden mich nur wilden Vergnügungen hingeben“, meinte ich nachdenklich, woraufhin Tchai in tiefes Gelächter ausbrach.

„Das glaube ich dir sofort. Vielleicht triffst du im Turm der Drachen ja mal einen netten Verehrer.“

„Tchai ich freue mich nicht wirklich auf diese Reise. Es wird alles anders werden und das Einzige was ich weiß ist, das ich Saii-ron beschützen muss.“

Eine Zeit lang verfolgte jeder von uns seine eigenen Gedanken. Ich wusste das es Tchai, auch wenn er es nicht so offen zeigte, ebenfalls schwerfiel von hier weg zu gehen. Wir hatten uns an unser Leben so, wie es war gewöhnt. Ich war nie blauäugig der Zukunft gegenüber gestanden und irgendwann wäre der Moment so oder so gekommen das ich mein Amt hätte antreten müssen.

Aber musste es doch so schnell sein?

„Kennst du Dawn und Jasahra?“, fragte ich schließlich leise.

Nach Shinn musste ich ihn nicht fragen, denn es war offensichtlich, das die beiden sich zuvor schon über den Weg gelaufen waren.

Ich lehnte mich an Tchais Schulter und wartete auf seine Antwort.

„Ich kenne die Beiden nicht persönlich. Krischan hat mir einmal von Dawn erzählt. Er ist dem Kristallrat ergeben und handelt stets in dessen Auftrag. Von Jasahra kann ich dir nichts erzählen. Ich kann bei beiden keine genauen Absichten erkennen, was vielleicht an den Ringen liegen könnte die meine Sinne täuschen. Wir müssen uns auf Krischans Wort verlassen. Er kennt die Leute vom Turm der Drachen besser als ich.“

Tchai hatte Recht, ich musste auf Krischan vertrauen der wusste, was das Beste war. Meine Neugier ließ mir keine Ruhe. Immer wieder musste ich an Shinns und Tchais Begegnung denken und die Frage brannte mir auf der Zunge und ließ sich nicht zurückhalten.

„Und Shinn?“, fragte ich schließlich und warf ihm einen kurzen Seitenblick zu.

Ich merkte, wie sich Tchais Muskeln anspannten und er zu einer Erklärung ansetzte.

„Er ist ein Magier der höchsten Kaste. Ich habe ihn schon sehr lange nicht mehr gesehen. Einen Tag bevor ich verbannt wurde haben sich unsere Wege das letzte Mal gekreuzt. Warum er mit den Leuten des Turms der Drachen reist, kann ich dir nicht sagen. Vielleicht ist er der Abgesandte des Magiers aus dem Kristallrat.“

Tchais Antwort stellte mich nicht ganz zufrieden. Es musste noch mehr zwischen den Beiden geben. Dafür war die Spannung zwischen ihnen viel zu greifbar.

„In welcher Verbindung standet ihr denn genau zueinander?“

„Layra es ist egal, in welcher Verbindung wir standen. Es ist schon viel zu lange her um es überhaupt zu erwähnen. Er ist ein alter Freund! Manchmal mehr und manchmal weniger“, knirschte Tchai durch zusammen gebissene Zähne.

„Nach all der Zeit sehen wir uns jetzt wieder und du bezeichnest mich als Freund? Ich würde unsere Verbindung zueinander enger sehen! Sehr viel enger!“, entgegnete Shinn, der mit verschränkten Armen genau vor uns stand.

Tchai schoss in die Höhe und auch ich erhob mich schnell.

„Shinn du verdammter …! Nimm diesen verfluchten Ring ab oder ich werde es tun. Mit deinem Finger daran!“, fauchte Tchai drohend und baute sich vor ihm auf.

Der silberne Drachensmaragdring an Shinns linker Hand leuchtete hell im Mondlicht. Shinn lächelte ihn provozierend an, während die Luft um Tchai sich zusammenzuballen schien. Er würde sich doch nicht ausgerechnet jetzt in einen Drachen verwandeln!

„Nimm ihn dir ruhig Tchai. Von mir aus auch meinen Finger. Die anderen beiden Ringe sind mir wichtiger, wie du bestimmt weist!“

Tchai tat einen weiteren wütenden Schritt auf Shinn zu, bis sich fast ihre Nasenspitzen berührten. Eines musste ich dem Magier lassen, er wusste, wie man Tchai reizen konnte.

Ich ergriff entschlossen Tchais Arm und zog ihn etwas zu mir zurück.

„Egal was ihr zwei miteinander zu klären habt. Bitte tut es nicht jetzt und nicht hier.“

Shinn zog eine Augenbraue in die Höhe und verbeugte sich leicht vor mir.

„Wie ihr wünscht Hohepriesterin. Ich wollte euch nur holen kommen, denn Krischan und die Anderen verlangen nach eurer Anwesenheit“, entgegnete er schmeichelnd.

Ich sah Tchai fragend an, doch er zuckte nur mit den Schultern und schüttelte leicht den Kopf. Für das Erste hatte ich die Beiden daran hindern können sich gegenseitig umzubringen. Ich bezweifelte jedoch, dass ich immer rechtzeitig da sein würde um den unausweichlichen Streit der Zwei zu schlichten.

Tchai ergriff meine Hand und gemeinsam gingen wir wieder zurück ins Innere der Hütte.

Krischan und Dawn unterhielten sich wie zwei alte Freunde, während Jasahra auf ihren Stuhl hockte und sichtlich gelangweilt ihren Becher zwischen den Händen drehte. Die Weinkaraffe war bis auf einen kleinen Rest geleert. Ich nahm sie mir und verschwand in die Küche, um sie erneut zu füllen.

„Wie es aussieht, ist sie etwas schüchtern.“

Die Worte drangen gedämpft zu mir und ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Dawn hatte Unrecht. Ich war nicht schüchtern, ich war nur nicht daran gewohnt Fremde bei uns zu haben.

Mit gefüllter Karaffe und vorgetäuschten Lächeln kehrte ich wieder an den Tisch zurück. Mir war bewusst, dass alle Augen auf mich gerichtet waren und ich stelle den Weinkrug vielleicht mit etwas zu viel Schwung auf den Tisch.

„Layra Liebes, Dawn und ich haben uns geeinigt das es das Beste ist, wenn du schon morgen mit ihnen aufbrichst. Es ist sehr wichtig, das Saii-ron zum Turm der Drachen gebracht wird. Nach Dawns Berichten wird die Reise nicht einfach werden und es ist sicherer die längere Route zum Turm der Drachen zu nehmen“, erklärte mir Krischan, als ich mich zu ihnen setzte.

Ich schrie innerlich auf. So schnell wollten sie schon wieder aufbrechen. Ich dachte, ich hätte noch etwas mehr Zeit, um mich darauf vorzubereiten.

„Ich werde mich, auf das verlassen was du für das Richtige hältst“, entgegnete ich tonlos und schenkte mir Wein nach.

Krischan merkte, das ich nicht begeistert darüber war morgen schon aufzubrechen, doch er schwieg. Jasahra gähnte ungeniert und trank ihren Becher in einem Zug aus.

„Nun wir sollten uns dann alle zur Ruhe begeben, denn der kommende Tag wird anstrengend werden. Vor allem, wenn man solch eine Reise nicht gewohnt ist“, meinte Dawn.

„Na endlich! Ich dachte schon, die Nacht endet, ohne etwas Vergnügen gehabt zu haben“, rief Tchai und stand schwungvoll auf.

Ich warf Tchai einen bösen Blick zu. Ihn schien es anscheinend nicht zu stören, das wir morgen unser Zuhause verließen.

„Prinzesschen wir sehen uns morgen und sei bis dahin brav“, er zwinkerte mir zu und ich streckte ihm die Zunge heraus.

Tchai konnte unmöglich sein. Der Blick mit dem Shinn ihn ansah, sprach Bände. Zorn und Unglauben wechselten sich auf Shinns Gesichtszügen ab und ich meinte auch eine Spur von Eifersucht darauf zu entdecken. Ich wettete, er wusste, das Tchai zu einer seiner Frauen aufbrach. Es war immerhin kein Geheimnis, das Drachenwandler ein sehr herumtriebiges Volk waren.

Shinn erhob sich mit verdrießlichem Gesichtsausdruck und verschwand ohne ein weiteres Wort in einem der angrenzenden Räume. Sein Verhalten war mehr als sonderbar.

Auf unserer gemeinsamen Reise konnte ich ihn vielleicht nach seiner und Tchais Vergangenheit fragen. Vielleicht war er gesprächiger als Tchai.

Tchai blickte ihm mit einem triumphierenden Lächeln hinterher.

„Musste das sein Tchai?“, fragte Krischan.

Tchai schnaubte genervt, klopfte Krischan auf die Schulter und hauchte mir einen Kuss auf die Wange.

„Wir sehen uns morgen“, verabschiedete er sich und war im nächsten Moment durch die Tür nach draußen verschwunden.

Ich blinzelte mehrmals und sah vorsichtig zu Krischan rüber. Es wurde immer seltsamer. Krischan kannte anscheinend die Verbindung der Beiden.

Dawn und Jasahra wünschten Krischan und mir eine gute Nacht und folgten Shinn ins angrenzende Zimmer. Ich sammelte die leeren Weinbecher auf und brachte sie in die Küche.

„Layra es tut mir leid.“

Krischans war mir gefolgt und ich hatte schon geahnt das er sich bei mir entschuldigen wollte.

„Ich hätte dich früher über meine Pläne in Kenntnis setzten sollen. Es ist wichtig das Saii-ron und vor allem das du als Hohepriesterin zum Turm der Drachen gehst. Den Frieden zu Schützen ist das Wichtigste für uns alle. Glaube mir es fällt mir nicht leicht, dich gehen zu lassen.“

Ich schloss erschöpft die Augen. Er hatte ja Recht. Hätte er mich früher eingeweiht das er mich zum Turm der Drachen schicken wollte, dann hätte ich ständig darüber nachgedacht. So hatte ich jetzt nur eine lange, schlaflose Nacht vor mir. Das Krischan mich nicht begleiten würde hatte ich schon geahnt.

Mein Leben änderte sich von einem Tag zum Nächsten.

„Krischan du musst dich nicht entschuldigen. Ich muss dir für die letzten acht Jahre danken. Du hast alles für mich gegeben und mich mit ganzem Herzen bei dir aufgenommen. Du bist wie ein Vater für mich und es fällt mir bestimmt nicht leicht von hier weg zu müssen. Aber ich verstehe es“, entgegnete ich leise.

Krischan umarmte mich von hinten und gab mir einen Kuss auf die Wange.

„Leg dich hin Liebes, es wird eine anstrengende Reise.“

Ich nickte, lächelte ihm kurz zu und ging Richtung Tür.

„Gute Nacht, bis morgen.“

--OO--

Als ich in meinem Zimmer war ließ ich mich müde auf mein Bett sinken. Langsam zog ich mich aus und schlüpfte unter die Decke.

Der herbeigesehnte Schlaf ließ auf sich warten.

Durch mein halb geöffnetes Fenster drangen die Laute der Nacht und gaukelten mir Beständigkeit vor, wo jedoch keine herrschte.

Wie erwartet konnte ich nicht einschlafen. Meine Gedanken an morgen hinderten mich vehement daran. Es verging einige Zeit, bis ich die leisen Geräusche aus dem Zimmer neben mir bemerkte.

Das Zimmer, indem Dawn, Jasahra und Shinn die Nacht verbrachten. Ich setzte mich auf und lehnte mich an die Wand direkt an meinem Bett. Vielleicht unterhielten sie sich ja über die Reise und ich konnte mehr erfahren über das, was mir bevorstand. Seltsamerweise hörte ich nur leises Gepolter und dann gar nichts mehr.

Abwesend kaute ich auf meiner Lippe herum und drückte mein Ohr noch stärker an das Holz.

Jasahras leiser Aufschrei und Dawns gedämpftes Stöhnen ließen mich erschrocken zurückzucken.

Oh ihr Götter! Machen die Zwei etwa das was Tchai versucht hatte mir zu erklären? Dass was Männer mit Frauen tun, wenn sie nachts zusammen liegen?

Wieder presste ich mein Ohr an die Zimmerwand und hörte die gedämpften Laute der Beiden. Ich merkte, wie meine Wangen heiß wurden und ein noch nie da gewesenes Gefühl regte sich in mir.

Ich war bestimmt kein braves Mädchen, denn ich hatte schon früh meinen Körper erkundet und wusste auch wie ich mir selbst Lust und Erleichterung verschaffen konnte. Doch das hier war etwas ganz anderes. Es glich etwas Verbotenem, etwas Geheimen.

Als Dritte den Zweien bei ihrem Lustspiel zuzuhören, erregte mich auf noch nie gekannte Weise.

Ich dankte innerlich allen Göttern, die gerade zuhörten, das Tchai nicht hier war. Es war schon so peinlich genug, mir einzugestehen, das mich ihr Treiben erregte.

Von Shinn hörte ich nichts. Er wusste also davon und ließ ihnen ihre Zweisamkeit.

Ich biss mir stärker auf die Lippe, als ich Jasahras kurze Atemstöße hörte. Meine Hand unter der Decke fand den Saum meines Nachthemdes und wie von selbst glitten meine Finger höher. Leicht strich ich über meinen Venushügel und berührte die Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen.

Meine Fantasie heizte meine Erregung noch weiter an und die Geräusche von Dawn und Jasahra taten ihr übriges. Mit meinem Zeigefinger drang ich in mein erhitztes Inneres und unterdrückte selbst ein Stöhnen. Wenn ich sie dort drüben hörte, dann war es umgekehrt genauso. Nur das ich alleine in meinem Bett lag.

Mit meiner Fingerspitze berührte ich meine innere Unversehrtheit. Es wäre so einfach sie zu Durchstoßen und mich voll und ganz meiner Lust hinzugeben. Ein zwanghaftes, nicht zu beschreibendes Gefühl hielt mich jedoch jedes Mal kurz davor auf.

Dawns Stöhnen wurde lauter und ich biss mir noch heftiger auf die Lippe, um keinen verräterischen Ton entweichen zu lassen.

Mit meiner linken Hand kniff ich mir fester in meine Brustwarze und übte gleichzeitig Druck auf meinen Lustpunkt aus.

Das laute Schlagen einer Tür ließ mich abrupt enden und ich erstarrte erschrocken, bis mir klar wurde, dass es nicht meine gewesen war.

Ich setzte mich halb im Bett auf und drückte wieder mein Ohr an die Hüttenwand. Stimmengemurmel und ein leises, männliches Lachen war zu hören. Shinn war zurückgekommen!

Ob er bleibt und den Beiden Gesellschaft leistet und sie dann zu Dritt … ! Oh ihr Götter!

Ich wartete noch eine Weile, aber aus dem Zimmer nebenan war nichts mehr zu hören.

Die Reise mit den Dreien konnte ja spannend werden. Ich ließ mich zurückfallen und zog meine Decke bis unter mein Kinn. Es dauerte nicht lange und ich war eingeschlafen.

--OO--

Weit nach Mitternacht, die Morgendämmerung kündigte sich schon an, kam Tchai zu mir ins Bett. Er legte sich eng an mich geschmiegt unter die Decke. Es war zu unserem eigenen Ritual geworden, das er egal wann er von seinen nächtlichen Abenteuern zurückkehrte, sich zu mir legte.

„Prinzesschen was hast du getrieben? Ich rieche deine unerfüllte Lust“, raunte er mir leise ins Ohr.

In meinem Halbschlaf kuschelte ich mich enger an ihn und schnaubte genervt. Ich würde mich jetzt bestimmt nicht auf eine Frage und Antwort Runde mit Tchai einlassen.

„Dass ich keine Antwort von dir bekomme, habe ich mir fast gedacht“, entgegnete er mürrisch.

Ich lächelte zufrieden, denn auf diese Weise hatte ich zumindest vorerst gewonnen. Kurz darauf hörte ich auch Tchais gleichmäßige Atemzüge und ich glitt nochmals in einen traumlosen Schlaf.

SAII-RON

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