Читать книгу Der Geruch des Todes - Cat Warren - Страница 11
ОглавлениеEs gibt fünfundsiebzig verschiedene Parfüms, und wer sich berufsmäßig mit der Entdeckung von Verbrechen beschäftigt, der muss sie alle voneinander unterscheiden können; mehr als einmal ist es mir passiert, ein scheinbar unerklärliches Rätsel mithilfe des Geruchssinnes sofort zu lösen.
- Sherlock Holmes, Der Hund von Baskerville, 1902 -
Wenn ich heute einen guten Hund bei der Arbeit beobachte, kann ich sehen, wie er den Geruchsfäden folgt, bis er mit der Nase ein eindeutiges Bild in die Luft gemalt hat. Ein erfahrener Hund kann den Unterschied zwischen Geruch illustrieren, der in der Hitze des Tages aufsteigt, sich an harte Grashalme anlegt oder von den Luftströmen über einem rauschenden Fluss angesaugt wird.
Auch ich setze meine Nase ein − selbst wenn ich dabei nicht so schnell und angestrengt laufe. Ich erkenne den Geruch von Urin im stickigen Stiegenhaus einer Parkgarage, Schimmel, der seinen Odeur ausbreitet, wenn man die darüberliegende Schicht feuchter Blätter zerstört, und den fischigen Duft eines Deutschen Schäferhundes, der im August in den Eno-Fluss gesprungen ist.
Schon bevor ich begann, mich intensiv mit der Hundenase auseinanderzusetzen und darüber zu recherchieren, wusste ich, dass sie wesentlich besser war als die menschliche Nase. Solos Nase war der meinen weit überlegen. Wenn David in der Küche mit der Schere ein vakuumverpacktes Schnitzel auspackte, weckte das lautlose Aufsteigen der blutigen Luft Solo und lockte ihn aus dem Nebenzimmer an. Dennoch befand ich, dass ich die Fakten erst wissenschaftlich unter die Lupe nehmen musste, bevor ich behaupten durfte, dass Hunde die Meister der olfaktorischen Domäne seien. Klar, Solos Nase war größer als meine − aber nicht immer kommt es auf die Größe an.
Was hat es mit der Nase des Hundes also tatsächlich auf sich? Ich möchte den Leser nicht lang auf die Folter spannen: Ehrlich gesagt wissen wir nicht sonderlich viel über die olfaktorischen Fähigkeiten unserer Vierbeiner. Als ich mit meinen Recherchen begann, fiel mir auf, dass die Zahlen, die sich in der wissenschaftlichen und unterhaltenden Literatur fanden, eine große Bandbreite aufwiesen: Einmal war die Nase des Hundes zehn Mal besser als die des Menschen, dann wieder hundert Mal, in einer anderen Quelle tausend oder sogar zehntausend Mal. Die große Fluktuation der vermeintlichen Fakten machte mich misstrauisch. Hätten Hundeliebhaber und Wissenschaftler beziehungsweise jene Leute, die sich auf YouTube als solche ausgeben, sich in ihren Berichten auf ein und dieselbe falsche Zahl geeinigt − zum Beispiel, dass die Nase des Hundes tausend Mal besser sei als unsere −, ja selbst wenn sie ihre unterschiedlichen Aussagen mit etwas mehr Bescheidenheit, etwas weniger absolutem Wahrheitsanspruch getätigt hätten, wäre ich vielleicht nicht misstrauisch geworden. Doch angesichts der gewaltigen Unterschiede fragte ich mich: Wie viel besser sind die Nasen unserer Hunde denn nun wirklich? Und selbst wenn sie besser sind − worin genau sind sie besser? Im Erschnüffeln von Urinmarkierungen ihrer Artgenossen?
Um Gerüchten auf den Grund zu gehen, gilt dieselbe Faustregel, die wir auch anwenden, um eine vermisste Person zu finden: Es ist am besten, an ihrem Ausgangspunkt zu beginnen. Eine wachsende Anzahl wissenschaftlicher Forschungsergebnisse deutet darauf hin, dass die Nase und ihre Rezeptoren seit mindestens hundert Millionen Jahren einen wichtigen Faktor im Überleben darstellen, und nicht nur das: Sie könnten auch einen wichtigen evolutionären Beitrag zum wachsenden Intellekt der Säugetiere geleistet haben.
Im Jahr 2011 publizierten texanische Paläontologen ihre Analyse der Schädelknochen eines unserer säugetierartigen Vorfahren, des Hadrocodium wui − ein zänkisches kleines Wesen, dessen Kopf kleiner als eine Büroklammer ist. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Hadrocodium wui keine Möglichkeit hatte, einen Geruch in seiner Umgebung zu ignorieren. Zitternd wagte es sich aus seinem Versteck, um nach Larven und Insekten zu schnüffeln; vermutlich nachts, um nicht aus Versehen von tagaktiven Sauriern zertreten zu werden. Sein Fell, seine nervös vor- und zurückzuckenden Ohren und seine Augen waren wichtig, doch am beeindruckendsten, berichten Paläontologen im Science-Magazin, war das olfaktorische System im winzigen Kopf unserer Vorfahren. „Der Grad des HD-Geruchssinns unterschied sich sogar von seinen engsten ausgestorbenen Verwandten. Die unzähligen Informationen, die es aus der Umgebung gewinnen konnte, wurden in einem noch nie dagewesenen Ausmaß von Gerüchen und dem olfaktorischen Sinn dominiert.“ Die Wissenschaftler spekulieren, dass die Schädel zeigen, welch große Rolle das olfaktorische System in der Entwicklung des Säugetier-Gehirns spielte − bis an den Punkt, an dem wir Menschen − die höchstentwickelten aller Säugetiere − heute die Nase über alle rümpfen können, die zu viel über Gerüche nachdenken.
Wir sollten dem kleinen Hadrocodium wui, das im versteinerten Zustand in China gefunden wurde, dankbar sein, dass es uns hilft, die Bedeutung des Geruchssinns zu verstehen. Und doch liegt im Zusammenhang mit diesem Sinn noch vieles im Dunklen. Erst kürzlich begannen Wissenschaftler zu enthüllen, wie unser Geruchssinn überhaupt funktioniert. Dank Linda Buck und Richard Axel, die im Jahr 2004 den Nobelpreis gewannen, wissen wir heute, dass sich flüchtige Aromamoleküle an Geruchsrezeptoren anlagern, wodurch ein Nervenimpuls ausgelöst wird. Bam! Das ist zwar nicht die einzige Theorie zum chemisch komplexesten unserer Sinne, jedoch die vorherrschende. Man würde annehmen, dass wir den Geruchssinn bereits wesentlich weiter entschlüsselt haben, doch weil dieser in der westlichen Welt nicht sonderlich ernst genommen wird und sowohl die Neuronenverbindungen, die dem Akt des Riechens zugrunde liegen, wie auch Aromen selbst enorme chemische Komplexität aufweisen, haben wir noch viel zu lernen.
Und wie viel besser sind Hundenasen nun tatsächlich? Neurobiologen haben kein besonderes Interesse daran, olfaktorische Wettbewerbe zwischen unterschiedlichen Spezies abzuhalten. Es ist ihnen egal, wer „die beste Nase“ hat. Was würde das auch aussagen? Derartige Spekulationen werden der Sendung Creature Countdowns des Fernsehsenders Animal Planet überlassen, in dem bereits die „Top 10 der tierischen Stänkerer“ und die „10 talentiertesten Tiere“ vorgestellt wurden. Der Bluthund schaffte es auf Platz neun der letzteren Liste, da sein Geruchssinn, wenn es nach den Regisseuren geht, „bis zu einer Million mal empfindlicher als der des Menschen“ ist. Die Zahl stammt nicht aus meiner Feder − Animal Planet hat sie erfunden.
Die Nasen mancher Tiere sind anderen aber tatsächlich überlegen − im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Ich wette, wenn wir Bären beibringen könnten, Fährten zu folgen, hätten sie allen Grund zum Angeben: Biologen gehen davon aus, dass Bären im Allgemeinen einen wesentlich feineren Geruchssinn haben als Hunde. Doch aus verständlichen Gründen machen die Nasen der Bären seltener Schlagzeilen als die unserer Vierbeiner. Sollten Sie je die Möglichkeit haben, einem Grizzlybären in die Nase zu schauen, könnten Sie sehen, um was für ein beeindruckendes Instrument es sich dabei handelt: am Rand nach oben gebogen, mit gigantischen, sich blähenden Nasenlöchern. Wenn man im exakt richtigen Winkel steht, kann man durch den Spalt in den Nasenlöchern den blauen Himmel dahinter sehen. Der Grizzlybär kann seine Nase ebenso geschickt manipulieren wie eine Flötistin ihre Finger. Könnte man einen Blick in die Nasenhöhle im Inneren des horribilis Totenschädels werfen, würde man delikate Strukturen erkennen, die an zwei riesige Morchelpilze oder nebeneinander liegende Bienenwaben erinnern. Ihre Aufgabe ist es, Geruch zu verarbeiten. Wie gut? Verdammt gut. Meilenweit, schätzen die Biologen.
Aber vielleicht nicht für unzählige Meilen. Dennoch verwenden der TV-Sender Animal Planet, manche Bücher und einige Bären-Websites folgende Phrase: „Manche Wissenschaftler sagen, dass Bären Aas aus einer Entfernung von bis zu achtzehn Meilen (neunundzwanzig Kilometer) riechen können.“ Ich fand es ein wenig seltsam, dass „manche Wissenschaftler“ sich auf eine dermaßen exakte Distanz einigen konnten. Wie ich herausfand, war die Quelle der Meilenangabe eine auf einer Bärenkonferenz im Jahr 1976 vorgestellte Arbeit. Darin wird erwähnt, dass ein mit einem Sender versehener Bär sich relativ zügig neunundzwanzig Kilometer weit bewegte und auf einen Tierkadaver stieß. Der Ökologe Frank Craighead schreibt: „Es war nicht klar, wann und wie der Bär auf den Kadaver aufmerksam wurde.“
Es mangle auch, sagt Larry Meyers vom Veterinärmedizinischen Institut an der Auburn University, an guten Vergleichsstudien, die sich mit den olfaktorischen Talenten verschiedener Tiere auseinandersetzen. Doch muss man Gerüchte nur oft genug wiederholen, und sie beginnen der Wahrheit zum Verwechseln ähnlich zu sehen. Den Bären ist das egal, und erfundene Geschichten bezüglich ihrer olfaktorischen Kapazitäten sind vermutlich wenig bedeutend, da Bärenführer weder Zeugenaussagen vor Gericht tätigen noch verirrte Kinder darauf vertrauen müssen, von deren Nasen lebendig gefunden zu werden.
Es gibt heute auch keine großen Stipendien für Studien zur Nase des Bären zu gewinnen. Bei der menschlichen Nase sieht das anders aus. An uns selbst sind wir immer interessiert, und zudem ist es einfacher und weniger gefährlich, menschliche Nasen im Labor zu studieren. Obwohl wir dazu neigen, unseren Geruchssinn geringzuschätzen und die Nase zu verunglimpfen, erhält er langsam, aber sicher die Aufmerksamkeit, die er verdient. Menschen können Tausende unterschiedliche Gerüche wahrnehmen. Sogar Linda Buck, eine olfaktorische Biologin par excellence, druckst herum: „Wir schätzen beispielsweise, dass Menschen zwischen 10.000 und 100.000 verschiedene flüchtige Bestandteile wahrnehmen können.“ Der Unterschied liegt hier beim Faktor zehn − weniger, als mir in der Hundeliteratur untergekommen ist, aber doch wesentlich mehr als ein kleiner Rundungsfehler.
Während es also durchaus Hoffnung für den Geruchssinn als wissenschaftliches Forschungsthema gibt, unterschätzen die meisten Bewohner der westlichen Welt die Nase im Vergleich zu den Augen ganz gewaltig. Das war nicht immer so; früher war der Geruch sogar ein wichtiges Werkzeug für Ärzte. Hunderte Jahre, bevor wir über die faszinierende Fähigkeit unserer Hunde staunten, Diabetes oder Lungenkrebs zu erschnüffeln, setzten Ärzte ihre eigenen Nasen zum selben Zweck ein: Die „Evaluation von Ausdünstungen“ galt als elementares Diagnoseinstrument. Der Schweiß eines Patienten, der an Röteln litt, roch nach „frisch gerupften Federn“, die lebensbedrohliche diabetische Ketoazidose führte zu Mundgeruch, der an „faule Äpfel“ erinnerte, und eine bestimmte Bakterieninfektion ließ die Haut nach „überreifem Camembert“ riechen. Heute überlassen wir diese Aufgabe Labortests und Lackmuspapier.
In manchen Nischen des Westens überleben Überreste des menschlichen Geruchstalents bis heute. Zum Beispiel legt „Geruchsmigrations“-Experte Larry Sunshine den Kopf zur Seite, weitet die Nasenflügel und atmet tief ein, wenn er Fuß in eine neue Stadt setzt. Er identifiziert die fauligen Gerüche in U-Bahn-Waggons, den Schimmel und die Chemikalien, die von den Plastiksitzen aufsteigen. Luca Turin, Parfüm-Experte und Biophysiker, kann ein Parfüm in seine exakten Komponenten zerlegen und in Worten beschreiben, die den Leser zum Lachen und Weinen bringen und ihn das betreffende Patschuli sogar kaufen wollen lassen: „Der Geruch war zugleich betörend, bekömmlich und giftig und fühlte sich an wie ein Parfum, das für eine mit wilder Intelligenz gesegnete Bibliothekarin entworfen worden war.“
Das Erforschen der olfaktorischen Welt des Menschen erfreut sich wachsender Beliebtheit − und schlägt überraschende Wendungen ein, die Gebrauchshundeführer gut nachvollziehen können: Der Duft von Schokolade verwandelt Menschen in Spürmaschinen, deren Leistung ausgebildeten Fährtenhunden Konkurrenz macht. Wissenschaftler zeigten einer Gruppe Studierender an der Universität Berkeley ein Video über Fährtenhunde. Dann brachten sie ihre Versuchskaninchen auf eine Wiese, die mit essentiellem Schokoladenöl präpariert worden war. Die Wissenschaftler verbanden den Studierenden die Augen und statteten sie mit Knie- und Ellbogenschützern aus. Dann ließen sie die Zweibeiner von der Leine. Würden sie, auf allen Vieren krabbelnd, der Schokoladespur folgen können? Und ob! Die Fährte, der sie folgten, erinnerte an den Zickzack-Kurs eines Fährtenhundes.
Die Wissenschaftler in Berkeley waren nicht nur von den guten Nasen der Studierenden begeistert. Anders als Ratten oder Hunde konnten die menschlichen Versuchskaninchen im Anschluss an ihre Aufgabe ausführlich befragt werden − sie konnten sogar mitteilen, auf welches Nasenloch sie sich stärker konzentriert hatten. „Menschen sind ein attraktives tierisches Modell für derartige Forschungsfragen, da sie Anweisungen folgen und über ihre Strategien zum Lösen der gestellten Aufgabe berichten können“, wie ein Artikel in der Zeitschrift Nature Neuroscience berichtet.
Glücklicherweise konzentrieren sich einige Wissenschaftler sowohl beim Erforschen des menschlichen wie auch des hündischen Geruchssinns mittlerweile auf einen wichtigen Aspekt: die Bedeutung des Trainings. Geruchswissenschaftler Avery Gilbert argumentiert schon lange, dass das geübte menschliche Hirn Gerüche anders verarbeitet und interpretiert. „Ich möchte meine Freunde in der akademischen Welt herausfordern, das flexible Verständnis von Gerüchen zu untersuchen, wo es ganz natürlich vorkommt − bei kreativen Menschen, die aktiv mit Gerüchen arbeiten. Hört auf, Studierenden in Psychologie-Labors willkürliche Aufgaben zu stellen!“
In dieser Hinsicht verhält sich Wasser wie Schokolade: Wissenschaftler an der Universität von Pennsylvania kamen in einer Studie zur Fähigkeit der Teilnehmer, Wasser zu schmecken, zu dem Schluss, dass durch gezieltes Training unsere Fähigkeit, Gerüche zu identifizieren, gewaltig steigt. Während einer Wiederholung des Schokoladenfährten-Experiments in Berkeley waren die Studierenden um beinahe zwei Drittel schneller: Sie hatten gelernt, schneller zu schnüffeln. Die Studierenden, die aus dem Klassenzimmer auf die Wiese geholt wurden, hatten begonnen, Arbeitsnasen zu entwickeln.
Seeohren, Schimmel und Schlangen. Termiten, Trüffel und TNT. Kokain und Krebs. Motten, Menschen, Melanome. Bettwanzen und Blutzucker. Paarungsbereite Kühe. Gaslecks.
Wann immer ein bestimmter Geruch in aller Munde ist gibt − illegal, gefährdet, köstlich, tödlich, aufdringlich oder gefährlich − versuchen Menschen, Hunden beizubringen, ihn zu finden − und die Liste der Gerüche wächst täglich.
Der Einsatz von Jagdhunden und ihren Nasen reicht Tausende von Jahren zurück. Auch die Suche nach vermissten Personen und Lawinen-Rettungshundearbeit wurde bereits vor mehreren Jahrhunderten begründet. Aber die explosionsartige Entstehung neuer Einsatzgebiete, die wir in den letzten vierzig Jahren für die Nasen unserer Vierbeiner gefunden haben, spiegelt nur allzu oft unsere menschliche Tendenz zu Gewalt, Sucht, Gift und Exzess wider. Die Ära des Spürhundes ist angebrochen.
Historiker, die sich mit der Geschichte des Gebrauchshundes beschäftigen, könnten darüber streiten, wann diese Ära begann. Die erste Handvoll US-amerikanischer Polizeihunde-Programme wurde Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in New York City und New Jersey entwickelt. In den folgenden Jahrzehnten entstanden Einheiten in Connecticut, Berkeley, Pennsylvania und Detroit. Bis Anfang der 50er Jahre gab es nicht einmal zwanzig Polizeihund-Programme; danach kam es zu einem rapiden Anstieg der Einheiten.
Die Expansion fiel teilweise mit der experimentellen Tierzuchtwissenschaft zusammen, die Mitte der 1960er Jahre ihren Anfang nahm und bis in die frühen Siebziger andauerte. Während des Vietnamkriegs erkannten Wissenschaftler, dass Wach- und Fährtenhunde für weitere Spüraufgaben trainiert werden konnten: Sie konnten Fallgruben und Stolperdraht finden, ganz zu schweigen von illegalen Drogen in vietnamesischen Soldatenbaracken. An der Heimatfront spekulierten Wissenschaftler, dass Hunde Bomben und Waffen aufspüren könnten. Entführungen, Bombenattentate und Mord waren in den USA im Anstieg begriffen − ein Forscher spricht von den „Leiden der 60er“.
Nicht nur in der Exekutive wurde der Einsatz der Hundenasen immer beliebter. Marcia Koenig, ein Mitglied einer der ersten freiwilligen Rettungshunde-Suchstaffeln in Seattle, verfolgte die Geschichte der freiwilligen Suchteams zurück bis zum Jahr 1962. Damals hatte der Deutsche Schäferhundeclub des Staates Washington die erste Suchhunde-Gruppe gegründet, deren vierbeinige Teammitglieder mit hoher Nase nach Vermissten suchten. Einer der Gründer, Bill Syrotuck, schrieb das kurze und präzise Buch Scent and the Scenting Dog (eines jener Bücher, die mir Nancy Hook zu lesen erlaubt hatte). Heute suchen freiwillige Rettungshundestaffeln, wann immer sie angefordert werden, in der Wildnis, bei Lawinenabgängen, im Wasser und in Katastrophengebieten. Marcia Koenig schätzt, dass es in den USA heute mehr als fünfhundert freiwillige Rettungshundeteams gibt.
Mitte der 60er Jahre war der Einsatz von Gebrauchshunden gang und gäbe, doch sollte man nicht zu sentimental sein, was die Bedeutung ihrer Verbreitung betrifft. Nicht jeder Moment, in dem ein Hund eine ihm vom Menschen gestellte Aufgabe erfüllt, ist automatisch ein Grund zum Feiern. Wir sprechen zwar von einer „Co-Evolution“ von Hund und Mensch, doch haben Hunde nicht viel zu sagen, was ihren Einsatz betrifft. Die Silbe „Co-“ erweckt einen falschen Eindruck von Gleichstellung. Tatsächlich versucht der Hund in erster Linie, uns mithilfe seiner „Werkzeugkiste an flexibler Geselligkeit, einer guten Nase und jagdlicher Expertise“ zufriedenzustellen, wie John Bradshaw, Gründungsdirektor des Anthrozoologie-Instituts an der Universität von Bristol, schreibt.
Gute Gebrauchshunde sind schnell und beweglich, hören und riechen ausgezeichnet und kommunizieren klar mit dem Hundeführer. Gelegentlich beißen sie sogar. Seit ihrer Domestikation sind sie Gehilfen, wenn Menschen Böses oder Gutes tun, und manchmal beides zugleich. Sie können eingesetzt werden, um Macht zu festigen oder zu pervertieren. Sie können der Spur eines Sklaven, eines verirrten Kindes und eines Vergewaltigers folgen, ohne einen Unterschied zwischen den dreien zu machen. Sie können dabei helfen, eine friedliche Bürgerrechtsdemonstration niederzuschlagen oder eine randalierende Menschenmenge zu kontrollieren. Menschen schaffen Probleme, und Gebrauchshunde sind an ihrer Seite. Derzeit setzen wir Hunde im Nahostkonflikt und in Südasien ein, um Bomben zu finden und die gegen uns kämpfenden Gruppen zu kontrollieren. Wenn Boas und Pythons zu groß für ihre Terrarien in Florida werden, setzen die Reptilienliebhaber sie in den Everglades aus, und wir nutzen Hunde, um sie zu finden, bevor sie die dort heimischen Wildtiere dezimieren. Hunde helfen uns auch, Schmuggelware und Handys in unseren riesigen Gefängnissen aufzuspüren.
Obwohl uns Gebrauchshunde seit zehntausenden Jahren bei der Arbeit unterstützen, beschäftigt sich die akademische Forschung erst seit relativ kurzer Zeit damit, was diese Hunde tun − und wie sie das machen. Die olfaktorischen und kognitiven Talente eines Hundes im Labor mit einigen wenigen, kaum trainierten Familienhunden zu erforschen, ist alles andere als ideal. Arbeitshunde werden in der Vorstellungskraft der Menschen zwar häufig überschätzt, in der Wissenschaft hingegen unterschätzt − doch das ändert sich derzeit rapide. Nichtsdestotrotz wurde bisher der Großteil der Forschung hinsichtlich Kognition und Geruchsvermögen an Familienhunden durchgeführt − das heißt, an Haustieren, die Gehirn und Nase nicht einsetzen, um ihr täglich Brot zu verdienen.
Die Wissenschaftler in Berkeley holten Studierende aus dem Psychologielabor auf die Wiese, um einer Fährte zu folgen, Avery Gilbert motivierte Neurobiologen, die Küche eines berühmten Kochs oder das Labor eines meisterhaften Parfümeurs zu besuchen, um zu verstehen, wie Menschen Geruch verarbeiten, und manch ein Gebrauchshunde-Experte versucht, Psychologen und Neurobiologen zu überzeugen, arbeitende Vierbeiner zum Gegenstand ihrer Forschung zu machen.
Edward Thorndike, der Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts als Präsident der American Psychological Association fungierte, war einer der Ersten, die das Problemlöseverhalten des Hundes wissenschaftlich untersuchten. Er setzte Hunde und Katzen in „Problemkäfige“ (Vorläufer der Skinner-Box) und beobachtete sie beim Finden des Auswegs. Aus der enttäuschenden Leistung beider Spezies schloss Thorndike, dass einzig und allein operante Konditionierung, nicht aber unabhängige kognitive Fähigkeiten den Tieren halfen, aus dem Käfig zu entkommen. Diese Meinung hielt sich in der Forschungsgemeinschaft über ein Jahrhundert lang. „Aufgrund der Experimente von Thorndike und anderen sind Wissenschaftler heute der Meinung, dass die Denkfähigkeit der Hunde begrenzt und der von Schimpansen (und sogar der mancher Vögel) weit unterlegen ist“, schreib John Bradshaw 2011.
So kommt es, dass die Nase des Hundes in der Wissenschaft bis heute oft unterschätzt wird, obwohl sie sich zugleich in der Öffentlichkeit wachsender Beliebtheit erfreut. Eine Studie ergab beispielsweise, dass die Leistung der Testhunde, zwischen dem auf Stoffstreifen vorbereiteten Geruch von eineiigen und zweieiigen Zwillingen zu unterschieden, zwischen „Okay“ und „Mittelmäßig“ lag. An der Aufgabe, zwischen eineiigen Zwillingen zu unterscheiden, die im selben Haushalt lebten und sich gleich ernährten, scheiterten sie kläglich. Die Studie kam zu eindeutigen Ergebnissen, was die Grenzen des hündischen Geruchssinns betraf.
Diese Art Studien sind es, die William „Deak“ Helton, Kognitionspsychologe an der University of Canterbury in Neuseeland und Gebrauchshundeexperte, irritieren. Experimente wie die Zwillings-Unterscheidungsstudie, meint er, seien, als würde man Bachelor-Studierende in einen Flugsimulator setzen, ihre Leistung untersuchen und daraus Schlüsse zur Leistung ausgebildeter Piloten ziehen. Man muss gar nicht auf die Geschichte des erfahrenen Piloten Chester „Sully“ Sullenberger hinweisen, der die Notlandung eines US-Airways-Fluges auf dem Hudson River durchführte, um zu erkennen, dass Deak recht haben könnte.
“Wir brauchen mehr Studien an fertig ausgebildeten Hunden“, sagt Deak. „Das Problem dabei ist natürlich, dass diese Hunde wahrscheinlich bereits im Einsatz und darum zu wertvoll sind.“ Die Forschung an Familienhunden sei nicht nutzlos, fügt er hinzu, aber man müsse sich bewusst machen, dass weder die Nasen noch die kognitiven Fähigkeiten dieser Hunde entsprechend trainiert und aufgebaut seien.
Die Zwillingsunterscheidungsstudie hat ein Happy End: Eine Gruppe Wissenschaftler und Ethologen in Tschechien − der Wiege der Forschung zu den kognitiven Fähigkeiten des Hundes − beschloss, eine weitere Studie zur geruchlichen Unterscheidung eineiiger Zwillinge durchzuführen. Die Wissenschaftler arbeiteten mit ausgebildeten Spürhunden, und ihre Studie aus dem Jahr 2011 zeigt, dass gut trainierte Deutsche Schäferhunde problemlos und korrekt zwischen den Geruchsprofilen eineiiger Zwillinge unterscheiden können − und zwar sogar, wenn diese im selben Haushalt leben und dasselbe essen.
Wenn wir sie entsprechend trainieren und einzusetzen wissen, können Hunde so gut wie alles finden, wonach uns der Sinn steht. Sie sind in der Lage, kleinste Mengen zahlreicher Stoffe aufzuspüren. Eine Studie aus dem Jahr 2006, die allerdings nur eine sehr kleine Versuchsgruppe umfasst, zeigt, dass Hunde 1 bis 2 ppb n-Amyl-Azetat, eine nach Bananen riechende Lösung, aufspüren können. Das entspricht einem Tropfen Wasser in 20 olympischen Swimmingpools!
Übrigens ist es nicht immer so, dass Hunde wesentlich geringere Konzentrationen erschnüffeln können als Menschen: Larry Myers beschäftigt sich seit 1982 mit der wissenschaftlichen Erforschung der Spürhundenase. Er hält es zwar für albern, zu messen, welche Rassen oder Spezies die besten Nasen haben oder auch nur die menschliche mit der Hundenase zu vergleichen, konnte aber der Versuchung nicht widerstehen, ein paar schnelle, informelle Experimente durchzuführen, in der er die Nasen seiner Labormitarbeiter denen der Hunde gegenüberzustellen. Er testete eine Gruppe Mitarbeiter und Hunde mit Azeton, einem Lösungsmittel, das sich in jedem Labor findet. „Meine Labormitarbeiter konnten es in niedrigerer Konzentration riechen als die Hunde“, berichtet Myers. Bei Eugenol hingegen, einer stark nach Gewürznelken riechenden Verbindung, die er jeweils im Pretest einzusetzen pflegt, bevor er aufwändigere Geruchsexperimente mit den Hunden durchführt, reagierten die Hunde bereits auf ein Millionstel jener Konzentration, welche seine Labormitarbeiter wahrnahmen.
Die Ammenmärchen rund um die Hundenase beschränken sich nicht auf die Konzentration des Geruchsstoffes: Auch von einem direkten Zusammenhang zwischen Anzahl der Geruchsrezeptorzellen und Riechfähigkeit ist immer wieder die Rede. Als ich begann, Nasenliteratur zu lesen, klassifizierte ich die Nase des Deutschen Schäferhundes niedriger als die des Bloodhounds, jedoch höher als jene der meisten anderen Rassen. In den entsprechenden Tabellen war Solos Nase zwar sehr gut, nicht aber ausgezeichnet. Die meisten Bestseller der Hundeliteratur verbreiten das Gerücht, dass die Riechfähigkeit eines Hundes umso besser sei, je mehr Rezeptorzellen seine Nase habe: „Der Dackel beispielsweise hat circa 125 Millionen Geruchsrezeptorzellen, der Foxterrier 147 Millionen und der Deutsche Schäferhund 225 Millionen.“ Der Bloodhound schlägt alle anderen Rassen bei Weitem: Er hat ganze 300 Millionen Rezeptoren.
Nancy Hook hält nichts von dieser Klassifizierung. Wenn sie wolle, meinte sie verächtlich, könne sie Pip, dem Chihuahua ihrer Tochter, beibringen, Leichen zu finden. Lindsay brachte die Sache selbstzufrieden auf den Punkt, indem sie uns darauf hinwies, dass Pip − anders als der große, schwerfällige Solo − selbst in die schmalsten Zwischenräume gelangen könne.
Nancy und Lindsay hatten Recht. Ich stolperte über einen Bericht des Justizministeriums, in dem Lester Shubin, damals ein leitender Angestellter des juristischen Forschungsinstituts, zitiert wurde. Er und der Wissenschaftler Nicholas Montanarelli sollten noch für eine Reihe anderer Projekte zusammenarbeiten; damals allerdings war Nick als Projektleiter für das Landkriegs-Labor des US-Militärs in Maryland tätig. Als Militärwissenschaftler gehörte er zu den Ersten, die sich Gedanken über die Möglichkeiten zum Einsatz von Gebrauchshunden machten. Bereits Mitte der 60er Jahre setzten er und und Shubin sich für die Arbeit mit Bombenspürhunden ein, obwohl zu dieser Zeit große Skepsis hinsichtlich der Fähigkeiten von Hunden im Allgemeinen herrschte. Die beiden Männer arbeiteten nicht nur mit Deutschen Schäfern und Labrador Retrievern, sondern auch mit Pudeln und weiteren Rassen. Im Gegensatz zu mir waren Montanarelli und Shubin allen Vierbeinern gegenüber aufgeschlossen, nicht voreingenommen von der Liebe zum Schäferhund.
„Es zeigte sich, dass im Grunde jeder Hund lernen kann, Sprengstoff oder Drogen zu finden − selbst winzige Hunde wie Chihuahuas, deren Größe von Vorteil sein könnte“, schrieb Shubin in seinem Bericht. „Wer wird schon misstrauisch, wenn er jemanden im Pelzmantel mit einem Hund am Arm sieht? Dieser Hund könnte eine Bombe genauso gut riechen wie ein Deutscher Schäfer.“
Genug von Chihuahuas und Deutschen Schäferhunden. Sehen wir uns den Bloodhound an. Sicherlich sind sich alle einig, dass dieser die feinste Nase hat?
Natürlich nicht. Bevor Solo einzog, dachte ich nicht viel über Bloodhounds nach. Das kleine bisschen, was ich durch den Filter von Medien und Popkultur über ihre Geschichte wusste, machte sie mir eher unsympathisch. Leider findet sich so viel widersprüchlicher Unsinn zu dieser Rasse − und leider habe ich manchem davon selbst eine Zeitlang Glauben geschenkt: Ich meine nicht die amüsanten Bilder von Pfeife rauchenden Bloodhounds mit Sherlock-Hüten, sondern den ernsthafteren Unsinn davon, dass die Nase des Bloodhounds das reinste und fortschrittlichste Wunder der Natur sei, oder die Behauptung, dass Bloodhounds in der Lage wären, vier Monate alten Fährten und Autos am Highway meilenweit zu folgen.
Und als der Bloodhound in die Marktstadt kam, lief er durch die Straßen, ohne die Menschen im Geringsten zu beachten, und ruhte nicht, bis er das Haus erreichte, in welchem der Mann, den er suchte, selbst ruhte, und ihn zur Überraschung all jener, die ihm folgten, in einem der oberen Zimmer auffand.
- Robert Boyle, Essays of the Strange Subtilty, Great Efficacy, Determinate Nature of Effluviums, 1673 -
Übertreibungen der Fähigkeiten der Bluthundenase lenken von der realen Leistung eines guten Einzweck-Fährtenhundes ab. Möchte man die Nase eines Gebrauchshundes bei der Arbeit beobachten, gibt es keinen schöneren Anblick als den eines guten Fährten-Bloodhounds. Andererseits habe ich auch Belgische Malinois herrliche Fährten ausarbeiten sehen, ebenso wie Labrador Retriever, Plott Hounds, einen Weimaraner und mehrere Mischlinge. Und − natürlich − Deutsche Schäfer. Chihuahuas als Fährtenhunde einzusetzen wäre vermutlich etwas weit hergeholt, zumindest, was große Distanzen betrifft. Doch seien wir ehrlich: Keine dieser Rassen ist ähnlich sinnträchtig und sagenumwoben wie der Bloodhound. Selbst Shakespeare beschreibt die Bloodhounds im Sommernachtstraum: „Weitmäulig, scheckig, und ihr Kopf behangen mit Ohren, die den Tau vom Grase streifen“.
Terry Flack, ein Hundeexperte der Exekutive, der seinen dritten Deutschen Schäfer führt, glaubt, dass der zeitliche Vorteil einer der Hauptgründe sei, dass den Bloodhounds ein anderer Ruf vorauseile als anderen Rassen: Bloodhounds gibt es bereits mehrere Jahrhunderte länger als Deutsche Schäfer und Malinois. „Die Geschichte arbeitet gegen uns.“
Es ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Wir halten den Bloodhound für einen großartigen Fährtenhund und gehen davon aus, dass er als Einziger in der Lage sei, selbst alten Spuren zu folgen. Wird jemand vermisst? Holt die Bloodhounds! Dazu kommt eine anhaltende Faszination vom Fährtentalent dieser Rasse. Robert Boyle, ein Philosoph des siebzehnten Jahrhunderts und der Begründer der modernen Chemie, beschreibt mit wissenschaftlicher Distanziertheit und Faszination, wie er einen Bloodhound eine gealterte, mehr als sechs Kilometer lange Prüfungsfährte, die von zahlreichen anderen Spuren gekreuzt wurde, ausarbeiten sah. „Ohne den Mann, den er verfolgen sollte, je gesehen zu haben, folgte der Hund allein seinem Geruch . . . gleichwohl unzählige Marktleute denselben Weg nahmen und Reisende ihn kreuzten.“
Die US-amerikanischen Gerichtshöfe folgten dem Vorbild der Geschichte. Früher verlangten Gerichte einen Beweis für die Reinrassigkeit der Hunde, bevor sie die Spuren, die diese ausgearbeitet hatten, als Beweismittel akzeptierten. Ein Gericht in Ohio bringt es im Jahr 1896 auf den Punkt: „Es ist allgemein bekannt, dass die unter dem Namen Bloodhound bekannte Hunderasse hochintelligent und mit einer ausgezeichneten Nase gesegnet ist, weshalb sie auch von den Gerichten berücksichtigt wird.“
Nicht nur Gerichtsverfahren, sondern auch Gewohnheit und besondere Bedürfnisse legen anderen Rassen Steine in den Weg: Ein praktisch veranlagter Beamter der Exekutive trainiert einen Diensthund, der Spur des Mannes zu folgen, der eine Stunde zuvor in die Pizzeria eingebrochen ist. Wochen oder Jahre damit zu verbringen, einem Hund beizubringen, eine zwei Tage alte Fährte auszuarbeiten, ist nicht kosteneffektiv, obwohl nicht wenige Trainer davon ausgehen, dass ein Schäfer oder Malinois mit einer zwei Tage alten Fährte gut zurechtkommen würden. Bloodhounds haben einen Vorteil, weil niemand von ihnen erwartet, irgendetwas anderem als ihrer Nase und der Fährte Beachtung zu schenken.
„Hunde jeder Rasse, die das richtige Temperament haben und so trainiert werden wie die besten Bloodhounds, können wahrscheinlich ebenso gute Ergebnisse erzielen wie diese“, schreibt die pensionierte Wildhüterin Deborah Palman aus Maine. „Ein Vorteil von Bloodhounds und anderen Einzweck-Fährtenhunden ist es, dass ihnen nicht beigebracht wird, auf jedes Wort und jede Geste des Hundeführers zu achten. Fährten auszuarbeiten ist ihre einzige Aufgabe, ohne die Befehle Sitz, Platz und Fuß ausführen können zu müssen. Das reduziert die Ablenkung.“
Die sentimentale Idee einer „schicksalhaften Bestimmung“ geht für den Bloodhound auch nach hinten los: Stellt man einen dermaßen großen und plumpen Hund auf ein Podest, ist es nur eine Frage der Zeit, bis er herunterfällt. All die Übertreibungen (von denen manche die Wahnideen einzelner Hundeführer sind) arbeiten gegen kompetente Bloodhoundführer, die gegen die Mythen ankämpfen müssen. Ein aufrichtiger, talentierter Hundeführer klingt, als würde er die Rasse oder seinen eigenen Hund schlechtreden, wenn er einfach nur ehrlich ist. Ein Bloodhound und sein Mensch können Erstaunliches erreichen, zum Beispiel einer langen, von anderen Spuren durchkreuzten, tagealten Fährte folgen. Das ist gewissermaßen kaum weniger beeindruckend, als ein beschädigtes Flugzeug sicher auf dem Hudson River zu landen − und doch denken die Leute, dass es keine große Sache sei. Schließlich machen Bloodhounds das ständig − oder etwa nicht?
Roger Titus ist ein großer Fan der Bloodhounds, und das aus gutem Grund. Er hat im Laufe seiner langen Karriere bereits vierzehn Vertreter dieser Rasse geführt. Im Training war er mit Tausenden von ihnen unterwegs, und er ist der Vizepräsident des Nationalen Polizeibloodhound-Vereins, der „der Förderung des personensuchenden Bloodhounds“ gewidmet ist. 2012 feierte der Verein sein fünfzigstes Jubiläum. Roger ist siebzig und immer noch in der Personensuche aktiv. Mit einigem Bedauern zeichnet er den Aufstieg und langsamen Fall des Bloodhounds in der Exekutive nach. Teils ist die schwindende Beliebtheit des Bloodhounds als Diensthund einfach nur eine Frage von Zeit und Geld: Heutzutage ist jeder ein Pragmatiker. Ein Hund, dessen Fährtentalent alle anderen in den Schatten stellt, der aber sonst nichts für ein kleines bis mittelgroßes Kommissariat tut, ist nicht die erste budgetäre Wahl. Wenn ein Kommissariat einen Hund kauft, stellt Roger fest, dann einen Deutschen oder Holländischen Schäfer oder einen Malinois: Der ideale Kandidat ist ein Hund, der seinen Führer beschützen, Rauschgift finden, kurzen Fährten folgen und Menschen beißen kann. Der Nachteil: Mehrzweckhunde sind nicht automatisch großartig in allem, was sie tun. Die Woche eines Diensthundeführers und seines vierbeinigen Partners hat eine begrenzte Anzahl an Stunden, in denen all die verschiedenen Aufgaben trainiert werden können. Und selbst wenn sich ein Polizeikommissariat für einen Bloodhound entscheidet, braucht es einen besonderen Diensthundeführer, der auch tatsächlich einen will. Wenn ich direkt sein darf: Ein Bloodhound erfordert einen Beamten, der seine Maskulinität nicht über seinen Hund definiert.
An einem herrlichen Herbstmorgen sahen Roger und ich zu, wie eine junge Bloodhündin direkt an der Personenfährte vorbeilief, die vier Stunden davor für sie gelegt worden war, und ihren ebenso unerfahrenen Hundeführer hinter sich herzog.
„Diese Kröte!“, kommentierte Roger. Ihre ungelenken Sprünge führten sie an der Fährte vorbei. „Sie muss lernen, ihren kleinen Hintern einzubremsen und sich zu konzentrieren.“ Das Problem lag nicht nur bei der jungen Hündin: Es ist nie nur der Hund. „Ich glaube, der Junge will einen Schutzhund führen“, sagte Roger sanft und fast ohne zu werten.
Das ist schade. Trotz all der Mythen habe ich mich in den Bloodhound verliebt. Nicht nur in seine Nase, sondern auch in den Sabber, der in großen Flocken von den Lefzen tropft, das simultane Echo der beim Schütteln gegen den Kopf klatschenden Wangen, die kirschroten Hängelider − der Preis für die prächtigen, schweren Hautfalten unter den Augen −, seinen öligen Zwingergeruch und die Art, wie er glasäugig durch einen hindurchstarrt. Und wie er zur Belohnung am Ende einer langen Fährte voller Entzücken Wienerwurstscheibchen einatmet wie ein großer, nasser Staubsauger. Später im Training brauchen gute Bloodhounds keine Würstchen mehr. Das Ausarbeiten der Fährte an sich ist die Belohnung − genau wie die Hütearbeit selbst die Belohnung für einen erfahrenen Border Collie darstellt. Das anklagende Heulen der Bloodhounds hinten auf den Ladeflächen der Pickups und in den Kofferräumen, die Basstöne verstärkt durch die metallenen Hundeboxen, klingt wie die Essenz der Hügel North Carolinas am Morgen. Bei dieser Gelegenheit will ich mit einem weiteren Mythos aufräumen: Bloodhounds folgen der Fährte nicht in Gruppen und heulen dabei wie Narren. Es ist physisch unmöglich, Geruch einzuatmen und zugleich Geräusche zu machen. Versuchen Sie mal, zu inhalieren, während Sie sprechen oder lachen! Bloodhounds werden laut, wenn sie eine Fährte verlieren und frustriert sind; finden sie die Spur wieder, verstummen sie.
Ich habe mich auch in die Tatsache verliebt, dass Bloodhounds Persönlichkeiten haben, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten − so, wie sich das für Hundepersönlichkeiten gehört. Lass dir nichts von den FCI-Lobbyisten vormachen, die behaupten, alle Bloodhounds seien ruhig, sanftmütig und verträglich. Blödsinn. Und wie langweilig das wäre! Die Hunde sollen in der Lage sein, ausdauernd zu laufen und zu ziehen; der Hundeführer eines guten Bloodhounds sollte ein Schulter-OP-Kandidat sein, wie er im Buche steht. Manch ein dienstlich geführter Bloodhound ist alles andere als die sanfte Schlaftablette, für die er gemeinhin gehalten wird. Von einem fremden Bloodhound erwarte ich Liebe auf den ersten Blick genauso wenig wie von einem fremden Deutschen Schäferhund.
Es ist verständlich, dass sich manch ein Bloodhound-Liebhaber wünscht, dass der Ruf seiner Rasse in der Öffentlichkeit einem harmlosen Couch-Potatoe entspräche − langsam von Begriff, sabbernd und liebenswert. Mehr noch als Hundehalter im Allgemeinen diskutieren liberale Hundemenschen wie ich häufig stundenlang bei dem verzweifelten Versuch, die byzantinische Geschichte einer Rasse, ihres Gebrauchs und Missbrauchs zu erklären, und stoßen doch auf taube Ohren. (Glauben Sie mir − ich weiß, wovon ich spreche. Ich habe einen Deutschen Schäfer.) Eine bestimmte Sorte Rasseliebhaber vergeudet nutzlos Zeit damit, allen und jedem zu erklären, wie unglaublich kuschelig und freundlich eine bestimmte Rasse sei. Sie lässt sanftmütige „Rassebotschafter“ aufmarschieren, um den Ruf von Bulldoggen, Pitbulls und Staffordshire Bullterriern zu widerlegen. Den Hunden beschert dies keine schlaflosen Nächte. Es kümmert sie nicht, welchen Rang sie am jährlichen amerikanischen Hundebiss-Index einnehmen. Ganz gleich, ob sie jemanden gebissen haben − mit gutem Recht oder nicht − oder ob sie der Fährte eines Unschuldigen gefolgt sind, der dann verhaftet wurde, liegen sie nicht um vier Uhr früh wach und kochen vor Wut, weil ihr eigentlicher Zweck − was auch immer dieser ist − pervertiert wurde.
Wie die Geschichten der meisten Gebrauchshunde ist auch jene des Bloodhounds durchdrungen von Legenden, kulturellen und populären Bildern und vom kurzfristigen Einfluss von Zuchtprogrammen, die später im Sande verliefen: Die Geschichten reichen vom Vorfahren des Bloodhounds im mittelalterlichen Frankreich, dem noblen Chien de Saint-Hubert, bis zum Sleuth Hound (dem Schottischen Namen für Spürhunde), der über Jahrhunderte zum Verfolgen von Wild und Menschen eingesetzt wurde. In den USA haben wir auf der Seite der Helden McGruff the Crime Dog, den Cartoon-Detektivhund aus den 1970ern, und andererseits die boshaften Gefängnis-Bloodhounds, die Paul Newman in Der Unbeugsame verfolgen. Walt Disneys Pluto basiert auf dem düsteren Zeichentrickfilm Die Sträflingskolonne, in dem Mickey Maus aus dem Gefängnis ausbricht und von zwei Bloodhounds verfolgt wird. Als sie ihre riesigen Mäuler aufreißen, um zu heulen, werden enorme Reißzähne sichtbar. Zu dieser Zeit war allerdings auch Mickey Maus selbst dünn, hatte verstörende Zähne und erinnerte an eine Ratte.
Es ist jedoch die Sklaverei, die − fälschlicherweise − den finstersten Schatten auf den heutigen Bloodhound wirft. Es ist verständlich, dass die Liebhaber der Rasse versuchen, die Richtigkeit dieser Geschichte zu bestreiten. Und sie haben recht: Jene Hunde, die während Sklaverei und Bürgerkrieg in den Südstaaten für Fährtenarbeiten und Angriff eingesetzt wurden, haben wenig mit dem heutigen US-amerikanischen Bloodhound zu tun.
Während der Sklaverei in den Südstaaten war der Überbegriff für alle Hunde, denen man beibrachte, Menschenfährten zu folgen, „Bluthund“ oder „Negerhund“. Den vierbeinigen Werkzeugen des Schreckens wurde nicht nur das Aufspüren, sondern auch das Attackieren der Flüchtenden befohlen. Der Begriff „Bluthund“ war eine willkürliche Schublade, in die man beliebige Hunderassen stecken konnte: Jagd- und Spürhunde, Foxhounds, Bulldoggen, Mischlinge. In ihrem Klassiker Onkel Toms Hütte lässt Harriet Beecher Stowe solche Hunde auftreten, ohne auch nur ein einziges Mal das Wort „Bloodhound“ zu verwenden.
Nichtsdestotrotz waren sich Gegner der Sklaverei der symbolischen Macht dieser Hunde und ihres Namens ebenso bewusst wie die Sklavenhalter selbst. Der Bluthund repräsentierte den ganzen Horror der Sklaverei und der Sklavenverfolgung. Die ikonischen Abbildungen in Zeitschriften, Zeitungen und Flugblättern der damaligen Zeit erinnern nicht an den heutigen Bloodhound, sondern entsprachen dem Kubanischen Bluthund − ein gestromter mastiffartiger Kriegshund mit kupierten Ohren, breitem Kopf und breiter Schnauze. Kubanische Bluthunde waren ein mächtiges Symbol: Es handelte sich um dieselben riesigen Hunde, die 1975 von britischen Truppen nach Jamaica importiert worden waren, um einen Sklavenaufstand zu unterdrücken. General Zachary Taylor sollte bis ans Ende seines Lebens bereuen, dass er sie nach Florida importiert hatte, um die Seminolen, ein Indianervolk, zu verfolgen und anzugreifen: Die Hunde taugten nicht dafür, die Seminolen zu finden, doch erregten sie öffentliche Empörung. Also musste man sie wieder loswerden. Wie der Geschichtswissenschaftler John Campbell bemerkt, lieferten die Sklavenhalter der Südstaaten, die Kubanische Bluthunde einsetzen, den Gegnern der Sklaverei ausgezeichnete Argumente zur Abschaffung der Sklavenverfolgung.
Die folgenden Jahrzehnte brachten Höhen und Tiefen für die echten US-amerikanischen Bloodhounds mit sich. Eines ihrer Haupteinsatzgebiete war es, Sträflinge auf der Flucht aufzuspüren. Die großen, schlanken Hunde wurden meist von Kalfaktoren trainiert − Häftlinge, die Aufgaben für die Wärter erfüllten und im Gegenzug Privilegien erhielten. Viele von ihnen waren Afroamerikaner. Bloodhound-Experte Leon Whitney zufolge fand so mancher Kalfaktor nach seiner Entlassung einen kriminellen Vorwand, um sich wieder einsperren zu lassen − einzig und allein, um weiter mit seinen geliebten Bloodhounds arbeiten zu können.
Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts erfreute sich der Bloodhound wachsender Beliebtheit, was mit seinem immer häufigeren Einsatz in Polizeikommissariaten einherging. Einige Bloodhounds wurden sogar richtige Berühmtheiten: Wenn Personensuchhund Nick Carter und sein Hundeführer V.G. Mullikin an einem Tatort in Kentucky ankamen, schreibt Whitney, „kam es zu einem Menschenauflauf − die Menge war so groß, dass sie häufig sein Hauptproblem darstellte: Die Schwierigkeit lag nicht darin, der Spur zu folgen, sondern darin, den Hund in all dem Gedränge überhaupt ansetzen zu können.“ Eine von Mullikins längsten Fährten soll fast neunzig Kilometer lang gewesen sein. Auf halbem Weg musste er eine Pause einlegen, da eine seiner Hündinnen Welpen warf. Er schickte sie und die Welpen nachhause und setzte die Arbeit mit einem anderen Hund weiter. Und als James Earl Ray, der Mörder Martin Luther King Jr.s, 1977 aus dem Gefängnis ausbrach, waren es Bloodhounds, die seiner Spur fünf Kilometer weit folgten und ihn in einem Haufen nasser Blätter aufspürten.
Anders gesagt: Der moderne Bloodhound entwickelte sich zu einer Fährtenmaschine, auf die sich Polizei- und Rettungshundeteams noch heute verlassen.
Jeder Hundeführer, Vollzugsbeamte und freiwillige Suchhelfer scheint eine Andy-Rebmann-Geschichte erzählen zu können. Andy trainiert seit vierzig Jahren Hunde. Seit seiner Pensionierung von der Connecticuter Polizei unterrichtet er rund um die Welt, von Japan über Deutschland bis Mexiko. Er trainiert Hunde und ihre Hundeführer für Personen-, Rauschgift- und Waffensuche, als Mehrzweck-Diensthunde, Brandmittel- und Leichenspürhunde. Er ist Sachverständiger vor Gericht und Autor, und noch heute trainiert er Bloodhoundführer. Seine eigenen Bloodhounds haben Hunderte Menschen aufgespürt, darunter Kriminelle genauso wie Opfer. 1972, noch keine zwei Jahre bei der Polizei, beschloss Andy, es mit einem Diensthund zu versuchen. Ein Jahr später bekam er Tina, eine Bloodhound-Hündin, und verliebte sich in ihre Nase und ihr Talent zur Personensuche. Doch Andy, der niemals sentimental wurde, bemerkte etwas, das ihn irritierte: Wenn seine Hunde einen erfrorenen Wanderer rochen, blieben sie stehen und schauten unglücklich aus der übergroßen Haut: Fährte? Welche Fährte? Tina reagierte ebenso, als sie 1973 ihren ersten Toten fand. „Arbeitet nicht ins verstorbene Subjekt hinein“, steht in Andys Notizen. Und selbst Clem, dessen berühmte Nase ganze vier Mal vom Obersten Gerichtshof des Staates Connecticut in einem Beweisverfahren zitiert wurde, der einen Mann am Ende einer acht Tage alten Fährte aufspürte, eine nationale Auszeichnung für seine Suchleistung erhielt und kein Problem damit hatte, einen Verbrecher mit den Zähnen festzuhalten, wenn er ihn gefunden hatte, war ein Angsthase, wenn er mit Leichen zu tun hatte. Er weigerte sich, bis ganz an sie heranzuarbeiten. Das eine Mal, das er mit tiefer Nase direkt bis zum Toten lief, machte er auf dem Absatz kehrt und lief auf demselben Weg, den er eben gekommen war, davon. „Er hätte mich fast umgerissen“, erzählte Andy. „Nie im Leben würde er bleiben und die Leiche beschnüffeln.“
In manchen Fällen musste Andy seinen Bloodhound an einen Baum binden und selbst im dichten Unterholz herumstöbern, um einen Toten zu finden. Das war ärgerlich.