Читать книгу Asche der Vergangenheit - Cathreen Fischer - Страница 9
ОглавлениеKapitel 4
„Wir machen einen Ausflug?!“ Obwohl der Kurs nur aus elf Schülern bestand, hatte Mr. Hudgie sichtliche Probleme gegen den Lärmpegel anzureden. Naja, zu mindestens bis seine Faust das Lehrerpult mit einem Schlag zweiteilte. Sofort war es Mucksmäuschen still, keiner traute sich auch nur zu blinzeln. Verlegen räusperte sich Mr. Hudgie und strich mit der anderen hat versöhnlich über das gesplitterte Holz. Wie aus Zauberhand setzten sich die Splitter wieder zusammen und nicht mal ein Kratzer blieb übrig. „Wo waren wir noch gleich? Ach ja. Wir besuchen ab Montag für fünf Tage das nahegelegene Wolfsdorf. Wenn Lauras Vorhersage korrekt ist, wird das Wetter angenehm warm. Trotzdem bitte ich Sie…“ „Is ja krass, das Wolfsdorf!“ Einer der Zwillinge – Shana wusste nicht wer – fand als erstes den Mut wieder und sofort verfielen die Schüler wieder in den Fragemodus. Sätze wie Was machen wir dann da? Sind da auch andere Schulen? und Haben wir da mehr Freizeit? Und ähnliches wiederholten sich sekündlich. Gerade wollte auch Shana ihren Teil dazu beitragen, als der Tisch ein zweites Mal in Einzelteile zerlegt wurde. „Nun ist aber gut!“ Wie beim ersten Mal verfehlte es auch dieses Mal nicht seine Wirkung. „Also wirklich, wenn ihr mich ausreden lassen würdet, müsstet ihr diese Fragen gar nicht stellen! Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Ich bitte Sie trotzdem wärmere Kleidung einzupacken. Der Frühling entfaltet sich gerade erst und außerdem wird es dort abends ziemlich frisch. Ich möchte nicht, dass sich einer von Ihnen erkältet. Elliot, Ihre Frage war schon ziemlich clever. Wie die Meisten von Ihnen wohl wissen, wird das Wolfsdorf nicht von Wolfsdämonen, sondern von wissenden Menschen bewohnt. Zwar streunen dort zu dem alljährlichen Ookamifest ebenfalls Wolfsdämonen rum, die bewohnen allerdings nicht die Stadt, sondern die Berge. Ein guter Freund bat mich ihn und seine Kollegen zu unterstützen. Unsere Aufgabe dort ist unter anderem die Sicherheit der Dorfbewohner und der Besucher des Festes. Zudem achten wir darauf, dass keine Konflikte zwischen Menschen und Elibianern entstehen, also die perfekte Gelegenheit Ihre Kräfte in der Praxis zu erproben. Im Gegenzug zu unserer Leistung wird er Sie im Umgang Ihrer Kräfte unterrichten.“ Dann ging er rum und drückte jedem, außer Damon, Gabriel und Amy, einen Zettel in die Hand. „Was ist das Mr. Hudgie?“ fragte Jenna. „Das ist die Einverständniserklärung Ihrer Eltern. Da sie noch nicht volljährig sind, brauche ich ihr Einverständnis. Bitte bringen Sie mir das Formular noch diese Woche, also bis Freitag unterschrieben wieder mit. Sollte einer Ihrer Eltern Bedenken bezüglich des Ausfluges haben, können sie mich gerne kontaktieren. Meine Nummer steht ebenfalls drauf.“ Dann teilte er, diesmal an alle, einen weiteren Zettel aus.
„Dies ist ein Informationsblatt. Dort stehen Treffpunkt, Abfahrtszeit und noch andere wichtigen Informationen für Sie drauf. Amy, Damon und Gabriel. Obwohl Sie es nicht müssen, bitte ich Sie Ihre Eltern über Ihren Aufenthalt im Wolfsdorf zu informieren. So! Nun ist das Wichtigste geklärt. Sind noch offene Fragen vorhanden?“ Und schon entfachte ein wildes Frage-Antwort-Spiel, das sich irgendwann zu einer hitzigen Diskussion entwickelte. Bis zum Ende der Stunde wurden solche Fragen wie z.B.: Müssen wir den verpassten Stoff nachholen? Schlafen wir in einem Hotel oder einer Jugendherberge? oder Kriegen wir Geld für den Security-Job? Und einiges mehr ausführlich diskutiert.
Gegen Shanas Erwartungen war ihr Vater nicht nur einverstanden, er fand die Idee von Mr. Hudgie sogar brillant. Sein sonderbares Verhalten machte Shana skeptisch. „Natürlich darfst du gehen! So eine fantastische Möglichkeit bietet sich sicher nicht so schnell noch mal!“ Er hielt kurz inne, um ihr frischen Orangensaft einzuschenken. „Ein Schulausflug, bei dem man seine Talente fördert und auch noch die Möglichkeit hat Freundschaften zu knüpfen, ist doch Klasse! Und das Wolfsdorf ist wirklich atemberaubend schön! Vor allem, wenn das Ookamifest naht, oh ich beneide dich meine Kleine!“ Fuhr er mit seiner Rede fort. Was ist denn hier kaputt? „Wer bist du und was hast du mit meinem Dad gemacht?“ Mit gerunzelter Stirn nahm sie das Glas an und Luca verfiel in ausgelassenes Gelächter.So positiv hatte sie ihren Vater noch nie über irgendeinen Schulausflug reden hören, nicht mal, wenn er wenige Stunden dauerte. „Ich habe einfach einen guten Tag. Außerdem halte ich das wirklich für eine gute Idee. Natürlich könnte ich es dir auch einfach verbieten. Und wäre es nur um seine Autorität auszuspielen. “ Keine Sekunde zweifelte sie daran, dass er es tun würde. Bloß nicht! „Nein, nein schon gut. Ich komm schon zurecht.“ Winkte sie ab. Bring ihn bloß nicht auf falsche Gedanken! Sonst kannst du dir deinen ersten Ausflug mit Übernachtung in die Haare schmieren! Mit stolzer Brust verkroch Luca sich wieder hinter seinem großen Schreibtisch. „Das ist meine Tochter! Aber wehe du vergisst mir was mitzubringen, ich möchte unbedingt ein Souvenir vom Wolfsdorf!“ Jetzt macht er mir aber wirklich Angst! „Ist gut.“ Sie wollte gerade die Türe seines Arbeitszimmers schließen, als er sie noch einmal zu sich rief. „Ach und Shana?“ Verwirrt öffnete sie wieder. „Ja?“ „Hab viel Spaß, ja?“ „Danke Dad, das werde ich.“ Versprach sie und trabte grinsend davon.
Montagmorgen waren alle Schüler bereits mit Sack und Pack im Kleinbus verstaut, als Mr. Hudgie schweißgebadet eintraf. Schnaubend setzte er sich neben den Fahrer und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ey, Mr. Hudgie wo waren Sie?“ brüllte Tobi quer durch den Bus. Ziemlich fertig drehte sich der Schulleiter um und wedelte sich mit der Hand Luft zu. „Tut mir wirklich leid! Es gab ein paar Komplikationen.“ „Also haben sie mal wieder verschlafen?“ Jennas Grinsen verriet Shana, dass es nicht das erste Mal gewesen sein musste. Und dem Gegröle zur Urteilen war das ein offenes Geheimnis. Selbst Mr. Hudgie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
„So kann man´s natürlich auch nennen.“ Noch etwas durch den Wind setzte er sich auf die vorderste Sitzbank und gab dem Fahrer das Zeichen zum Aufbruch. Los geht’s! Ich frage mich wie es dort sein wird. In Gedanken versunken schaute sie aus dem Fenster.
Elliot, Charlotte und die Zwillinge spielten Karten, Gabriel hörte Musik und Shana und die Anderen unterhielten sich. Nach sechs Stunden Busfahrt waren sie endlich am Ziel. Das Wolfsdorf lag hinter einer ziemlich maroden Brücke am Fuße eines riesigen Berges. Der Berg war fast vollständig mit Bäumen bedeckt, nur ein paar Schluchten und Aussichtsplattformen stachen aus dem Grünen hervor. Das ganze Dorf lag in einem Tal und war umringt von verschieden großen Bergen. Shana hatte noch nie so viel unberührte Natur gesehen. Elden war zwar eine Kleinstadt aber dort war viel Beton, Straßen und noch mehr Menschen soweit das Auge reichte. Eine Wiese oder einen Wald dessen Ausmaßes gab es dort nur in Wanderzeitschriften. Man konnte schon froh sein, wenn man ab und an einen kleinen Park zu Gesicht bekam. Sodom war im Vergleich zu Elden ein Vorort mit vielen freistehenden Häusern und genau so viel Grün. Das Wolfsdorf hingegen machte seinem Namen wirklich alle Ehre. Shana hatte das Gefühl, als wäre sie in der Zeit zurückgereist. Es gab keine Einkaufsmeilen und die Häuser wurden noch aus Holz gebaut. Selbst die Straße war nicht geteert und es gab auch keine Autos. Nur die Touristenbusse hielten dort kurz, um die Passagiere aussteigen zu lassen. Danach verschwanden sie auch wieder in Richtung Autobahn. An einem kleinen Holzhaus war auch für Shana und die Anderen die Reise beendet. „Alle Mann bitte aussteigen! Den Rest gehen wir zu Fuß!“ Die sonst so leise Stimme des Schulleiters füllte plötzlich den Bus. Shana fragte sich, welcher Art Mr. Hudgie wohl angehörte. „Zu Fuß? Wo müssen wir denn noch hin?“
Angewidert von der Idee zu Fuß gehen zu müssen rümpfte Charlotte ihre kleine Stupsnase. „Dort zum Tempel. Kommt, es ist nicht so weit wie es aussieht.“ Das war eine Lüge. Der Tempel lag auf einem Berg, der hinter dem Holzhaus aus der Erde ragte. Auf der Hälfte des Weges machten die Mädchen schon schlapp. Damon trug mittlerweile zusätzlich Shanas und Jennas Koffer. Rob und Tobi übernahmen die Koffer von Elliot und Charlotte. Chris trug Amys Koffer und Gabriel trug wundersamer Weise Lauras Koffer. Und Laura. Sie war bereits nach ein paar Minuten schon so fertig, dass sie ihren Koffer abstellte und sich auf einen der Treppenstufen hinlegte und schlief. Keiner bekam sie wach. Kurzerhand packte Gabriel sie, nahm ihren und seinen Koffer in die linke Hand und ging weiter. Er trug Laura dabei wie einen Mehlsack auf seiner Schulter. Erstaunt über sein Handeln schauten ihn die Anderen fassungslos hinterher. Nach kurzer Zeit lösten sie sich von ihrer Starre und trabten weiter Richtung Tempel.
Oben angekommen waren alle fix und fertig. Alle außer Gabriel. Er war weder außer Atem, noch sah man auch nur eine einzige Schweißperle auf seiner Stirn. Nun stellte er die Koffer ab und hielt sie wie ein schlafendes Kleinkind im Arm. Aus dem Inneren des Tempels erschienen zwei Männer.
Beide hatten ihren Kopf kahl rasiert und trugen altmodische Priesterroben. „Herzlich Willkommen im Wolfsdorf! Ich bin Meister Kirito Yamasen. Ich bin hier der Oberpriester. Es freut mich sehr euch alle kennen zu lernen.“ Meister Yamasen machte eine knappe Verbeugung und wandte such Mr. Hudgie zu. „Vor allem freut es mich meinen alten Freund nach so vielen Jahren wieder zu sehen.“ Die beiden Männer umarmten sich herzlich und der Meister sprach gelassen weiter. „Ihr müsst ganz schön hungrig und erschöpft sein. Bitte kommt mit mir mit. Ich zeige euch eure Schlafplätze.“ Der andere Mann nahm Gabriels und Lauras Koffer und ging hinein. Es war ein schmal geschnittener Tempel, der aussah, als hätte man mehrere kleine Holzhütten aufeinander gebaut. Sicherlich stammte der noch aus dem Mittelalter. Meister Yamasen zeigte den Schülern ihre Quartiere. Die Mädchen schliefen gemeinsam in einem Raum. Dort lagen genau sechs matratzenartige Matten perfekt nebeneinander gereiht. Behutsam legte Gabriel Laura auf eins der Betten und deckte sie zu. Du kannst also doch deine weiche Seite zeigen, dachte Shana als sie ihm durch den Türschlitz beobachtete. Das Zimmer der Jungs war ein paar Räume weiter und natürlich genauso ausgestattet. Nachdem alle Koffer in den Räumen abgelegt wurden, zeigte Meister Yamasen ihnen den Rest des Tempels. Er war wie ein Rechteck aufgebaut und im Innenhof gab es sogar einen traditionellen Garten mit einer Pergola und einem schönen Fischteich. Nachdem der Rundgang beendet war, konnte sich jeder noch mal frisch machen, bevor es zum Mittagessen ging. Das Mittagessen wurde ebenfalls ziemlich traditionell serviert und alle aßen gemeinsam die kulinarischen Spezialitäten.
Den Nachmittag hatten die Schüler frei. „Wir fangen morgen früh um sechs mit dem Training an, also genießt eure Freizeit und geht nicht allzu spät ins Bett!“ Erklärte Mr. Hudgie während des Mittagessens. „Was?! Um sechs Uhr?! Das ist doch mitten in der Nacht!“ Resigierend schüttelte der Schullei „Nein Rob, Sechs Uhr in der Früh ist nicht mitten in der Nacht. Sie dürfen in Ihrer Freizeit tun und lassen was Sie wollen doch, wenn Sie zum Training zu spät erscheinen, wird Ihnen auch die Freizeit gestrichen. Das gilt allerdings nicht nur für Rob. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ Seine Miene wurde hart. Im Grunde war der Schulleiter ein sehr gelassener Typ, doch er verstand keinen Scherz, wenn man seine Anweisung nicht befolgte. Wenig begeistert stimmten alle Schüler zu und widmeten sich schmollend dem restlichen Mittagessen. Schnell wurde es leerer am Tisch. Charlotte und ihrer Bully-Gruppe schien Freizeit wichtiger zu sein als eine Mahlzeit und verschwanden gackernd. Shana hatte keinen Zweifel daran, dass sie mal wieder über einen von ihnen hergezogen wurde.
Bevorzugtes Ziel: ich!
Es war ihr nicht klar was genau sie falsch gemacht hatte aber anscheinend konnte Charlotte sie auf den Tod nicht ausstehen. Und die anderen der Gummibärenbande waren für jede Art von Hänselei zu haben, dabei war das Ziel völlig gleich. „Und was machen wir gleich in unserer kostbaren Freizeit?“ Damons Stimme riss sie aus ihren Gedanken und Shana blickte sich um. Lieblos stocherte Jenna in ihrem Gemüse rum während Amy sie mit einem Aufsatz über gesunde Ernährung volltextete. Chris verwendete sein Besteck mal wieder als Sticks und Laura schien dem Schlaf näher zu sein als gedacht. Doch anscheinend täuschte der Anschein, als Lauras Gesicht vor Aufregung errötete. „Wir könnten uns die Stadt ansehen.“ „Super Idee und danach geht´s noch in die Berge!“ Verfeinerte Jenna Lauras Idee. Übereifrig nickte sie und rannte los ihr Tablett wegbringen. „Ich weiß nicht ob das so gut ist. Mr. Hudgie meinte doch, dass die Wolfsdämonen, die dort leben ihre Ruhe haben möchten.“ Ordentlich legte sie ihr Besteck zurecht. Amy ist so wahnsinnig gut erzogen! Shana hielt sich lieber heraus, dafür war sie noch nicht lang genug Mitglied dieser Gruppe. „Sei nicht so ne Spaßbremste Amychen! Die werden schon nix dagegen haben, wenn wir uns etwas umsehen. Wir tuen ihnen ja nix!“ „Ich weiß ja nicht…“ „Och komm schon, wir vertreten uns doch nur die Beine. Sagtest du nicht gerade ich solle mich mehr um meinen Körper kümmern? Ein Spaziergang an der frischen Luft kommt da doch super gelegen! Also was ist?“ Zuckersüß klimperte Jenna vor ihrer Freundin mit den Augen und Damon lachte. Stöhnend atmete sie aus.
„Also gut! Aber als erstes gehen wir in die Stadt!“ Freudestrahlend klatschten sich Jenna und Laura ab. „Oh Mann, das wird so super cool!“ Platze es aus Chris heraus. Damon und Shana starrten erst ihn und dann sich völlig perplex an bevor sie plötzlich an zu lachen fingen. Die anderen Jugendlichen fragten sich offensichtlich, ob sie was verpasst hätten. „Anscheinend dachten wir gerade gleich!“ Damons Augen wurden feucht und Shana tat schon der Bauch weh. „Anscheinend!“ Presste sie zwischen den Atemzügen heraus. „Was ist denn mit euch beiden?“ Fragte Jenna und zog die Augenbraun hoch. „Ist nicht so wichtig, vergiss es einfach. Worauf warten wir? Na los, gehen wir!“ Schnell griffen Damon und Chris nach den restlichen Tabletts. Beim Rausgehen lächelte er Shana noch einmal sehr intensiv an. Damit keiner mitbekam wie rot ihr Gesicht war, stand sie ebenfalls auf und folgte den Jungs. „Was war denn das?“ Raunte Jenna, die schnell aufgeholt hatte. Schmetterlinge bildeten sich in ihrem Bauch und Shana hoffte, dass Jenna seinen Blick nicht gesehen hatte. Noch immer gab sie sich nicht geschlagen, ein böses Zeichen. „Zwei Dumme ein Gedanke, schätze ich.“ Shana war noch nie eine besonders gute Lügnerin gewesen, doch ihre Freundin quittierte ihre Lüge nur mit einem allwissenden schiefen Grinsen. Das Dorf sah aus, als würde es aus einer längst vergangenen Epoche stammen. Die Häuser waren aus Holz und maximal 3 Meter hoch. Es gab keine Eingangstüren, sondern Schiebetüren, die aus vielen kleinen aneinander gereihten Holzrahmen mit einer Art Papier bespannt waren. Auch die Wände des Hauses waren zum Teil so. Davor war immer eine kleine Veranda oder ein Zaun, der wohl das Grundstück abstecken sollte. Damon erklärte Shana und Co. auf dem Weg durch das Dorf, dass die Häuser ca. aus dem 16. Jahrhundert stammten und die Menschen in diesem Dorf noch wie früher lebten. „Das ist doch verrückt. Wieso sollten die Dorfbewohner denn freiwillig so leben wollen. Kein fließendes Wasser, keine Privatsphäre und vor allem keinen Strom!“ Schockiert rümpfte Jenna die Nase und wedelte mit ihren Händen demonstrativ davor herum.
„Aus unserer Sicht ist es total verrückt aber die Menschen hier haben auch einen Grund dafür. Weißt du eigentlich warum das Dorf das Wolfsdorf genannt wird?“ Fragte Damon und Jenna schüttelte den Kopf. „Vielleicht, weil hier Wolfsdämonen leben?“ „Knapp daneben. Vor gut sechshundert Jahren war dieses Stück Land ein Teil von der heutigen Rhelia Insel. Sie wurde wie heute von Menschen bewohnt, doch zu dieser Zeit tobte ein weltumfassender Kampf zwischen zwei Rivalen. Die Menschen versuchten sich vor der Verwüstung der beiden Parteien zu schützen. Eines Tages wurde das Dorf von Elias dem Feuerdrachen aus heiterem Himmel angegriffen und stark beschädigt. Die Menschen waren machtlos gegen den plötzlichen Angriff und versuchten alles so gut es ging wiederaufzubauen. Als das Dorf gerade fertig war, griff er noch einmal an, doch dieses Mal waren die Dorfbewohner nicht allein. Die Göttin Ookami lebte verborgen auf der Insel und hielt Elias auf. Es entbrannte ein unglaublicher Kampf zwischen der Wolfsdämonin und dem Drachen. Mit letzter Kraft tötete Ookami Elias und schleppte sich schwer verletzt in den Wald. Die Dorfbewohner eilten ihr zur Hilfe doch sie konnten sie nicht retten. Kurz vor ihrem Tod fragte ein kleines Mädchen die Wölfin, warum sie ihr ewiges Leben für die Dorfbewohner aufgeopfert hatte. Sie bat auf ihrem Sterbebett die Dorfbewohner um ein Versprechen: >Mein Herz und meine ganze Liebe gehört diesem Dorf, denn hier fand ich meinen Geliebten. Und so wie er hier seine letzte Ruhe fand, so möchte auch ich ewig hier ruhen. Bitte verspricht mir, dass ihr das Dorf mit allem was ihr habt beschützt und es so erhaltet wie es ist. Solange das Dorf so bleibt, verweilt meine Seele hier und gibt Acht auf euch und eure Familien. < Die Dorfbewohner nehmen dieses Versprechen auch noch nach all den Jahren ernst, genauso wie die Wolfsdämonen. Die Menschen hier verehren seitdem Wölfe und benannten die Insel um.“ „Aber warum ist das Wolfsdorf jetzt eine Insel in der Nähe von Sodom?“ „Erinnerst du dich nicht an den Geschichtsunterricht von Mr. Hobkins? Wir haben vor kurzem erst besprochen, dass sich die Erdplatten vor ein paar Jahrhunderten extrem verschoben haben und die meisten Inseln von ihrem ursprünglichen Platz abgetrieben wurden. Er erwähnte die Rhelia Insel und das Wolfsdorf sogar als bekanntestes Beispiel.“ Tadelte Amy. Für eine ganze Weile legte Jenna die Stirn kraus, bis sie aufgab. „Ich glaube da war ich wohl mit was Wichtigerem beschäftigt.“
Kopfschüttelnd beäugte der Waldgeist die kleine Hexe, worauf Jenna sofort ansprang. Streitend gingen die Mädchen Richtung Wald, dicht gefolgt von Laura und Chris, die dem verbalen Schlagabtausch der zwei genüsslich lauschten. „Hören die beiden denn nie damit auf?“ Shana stöhnte. In der kurzen Zeit in der sie die beiden kannte, gerieten Jenna und Amy schon viel zu oft aneinander. „Ich fürchte nicht.“ Raunte es an ihrem Ohr. Shana hatte diese plötzliche Nähe nicht kommen sehen und zuckte kurz zusammen. Damons Lachen fuhr ihr in Mark und weckte vor allem die Schmetterlinge wieder auf. Es war einfach göttlich! „Bist du etwa schreckhaft, Shana?“ „N-nicht wirklich, h-hatte damit nur n-nicht gerechnet.“ Es war ihr unglaublich peinlich, wie sehr sie sich die Worte zusammenstotterte. „Das ist wirklich süß.“ Shana fühlte sich als wäre sie zur Tomate mutiert, als Damon sie überraschend eindringlich musterte. Ihr Herz klopfte so schnell, dass ihr schwindelig wurde und sie stehenblieb. Mit einem schiefen Grinsen im Gesicht beugte er sich erneut vor. Sein Atem kitzelte an ihrem Ohr, ließ sie erschaudern. „Wow, du bist sogar noch süßer, wenn du verlegen wirst.”
Als die Jugendlichen wieder im Tempel ankamen, war es schon spät. Chris hatte sie durch den halben Wald gezerrt, doch keiner von ihnen hatte einen Wolf gesichtet. Alle waren Hundemüde von dem anstrengenden Marsch und begaben sich direkt Richtung Bett. Leise schlichen sich Shana, Amy, Laura und Jenna in das Zimmer der Mädchen, um Charlotte und Elliot nicht aufzuwecken. Total erschöpft fielen sie in die Federn und kurz darauf hörte man nur noch gleichmäßiges Atmen gekoppelt mit einem leisen Schnarch Ton. Jenna und die anderen waren blitzschnell eingeschlafen. Alle bis auf Shana. Auch wenn sie völlig am Ende war konnte sie nicht abschalten. Immerzu schlichen sich Damons Worte in den Vordergrund ihres Verstandes. War das eine Anmache? Hat Damon Miller, der schärfste Typ unter der Sonne, wirklich mich angebaggert?! Allzu sicher war sie sich dabei nicht. Vielleicht hatte er auch nur einfach sein Spiel mit ihr getrieben. Jungs wie er konnten jedes Mädchen haben und meistens entschieden sie sich für Schönheiten wie Charlotte und nicht für den Durchschnittstyp. Unsicherheit machte sich in ihr breit. Shana hatte bisher noch keine Erfahrungen mit Jungs gesammelt, weder das Kennenlernen noch der Teil mit dem Zusammensein. Wow, warte mal zusammen sein? Halt stopp jetzt reicht´s meine Liebe! Ihre innere Stimme war mal wieder knallhart. Augen zu und schlafen, es ist definitiv viel zu früh um über solch einen Mist nachzudenken! Wehmütig entschied sie sich ihrer inneren Stimme nachzugeben, wer weiß schon was sie ansonsten plant?
Um vier Uhr morgens wurde Shana wach und konnte nicht mehr schlafen. Leise schlich sie sich aus dem Zimmer und ging in den Innenhof des Tempels. Wieder einmal dankte sie Gott zuhause einen fast unerschöpflichen Vorrat an Büchern zu haben, und sich selbst, weil sie cleverer Weise immer eins davon bei sich trug. Shana setzte sie sich in die Pergola, zündete eine Kerze an und begann zu lesen. Es war ein wohltuend erfrischendes Gefühl den typischen Papiergeruch in sich aufzunehmen. Plötzlich flüsterte aus heiterem Himmel eine tiefe Stimme in ihr Ohr. „So allein und schutzlos…“ Und erschreckte sie damit zutiefst. „Gabriel! Meine Güte erschreck mich doch nicht so! Ich habe fast einen Herzstillstand gehabt!“ Schulterzuckend verlagerte der Vampir sein Gewicht und nahm neben ihr Platz. „Ich dachte du hättest mich kommen hören.“ „Habe ich aber nicht! Nicht jeder kann so ein Supergehör haben wie du!“ Gab sie hitzig zurück. Am liebsten hätte sie ihn dafür geschlagen, hielt sich aber zurück. „Wie gesagt es tut mir leid, okay?“ Entgegnete er versöhnlich doch sie erinnerte sich nicht daran, es vorher von ihm gehört zu haben. Trotzdem nickte sie leicht und wandte sich wieder ihrem Buch zu. „Kannst du nicht mehr schlafen?“ Shana stöhnte innerlich. „Wenn ich schätzen dürfte würde ich sagen dir geht es genauso.“ Er nickte. „Was liest du da?“ Sieht er nicht, dass ich zu tun habe?! „Ist eine Familienaufzeichnung. Alle besonderen Fähigkeiten meiner Vorfahren sind dort gelistet, zu mindestens glaube ich, dass es meine Vorfahren sind. Ich dachte es könnte helfen herauszufinden was ich bin.“ Enttäuschung machte sich breit. Völlig ungeniert rutschte er näher und lugte auf das Papier. „Bisher was gefunden?“ „Noch nicht. Es tauchen zwar immer und immer wieder dieselben oder ähnliche auf aber nix was mit Feuer zu tun hat.“ Ohne Vorwarnung löste sich ihr Ärger in Luft auf. Shana schaute zu ihm rüber, seine Haut war noch immer so blass wie Marmor. Die Flamme der Kerze spiegelte sich in seinen hellen Augen. Bilder vom Abend am See tauchten vor ihrem inneren Auge auf, ließen ihre Wut nun völlig dahinschmelzen. „Kannst du deinen Durst mittlerweile wieder kontrollieren?“ Kurz sah er sie überrascht an, bis sein Gesicht wieder undurchdringlich wurde. „Ich komme schon klar.“ Skeptisch kräuselte sie die Nase.
„Klingt für mich eher nach einer versteckten Botschaft.“ „Und die da wäre?“ Abwartend verschränkte er die Arme vor der Brust und Shana musste sich beherrschen nicht hormongesteuert nur darauf zu starren. Mit einem breiten Grinsen schloss sie das Buch wieder. „Mir geht’s bescheiden, bitte bitte hilf mir meine Retterin!“ „Machst du dich über mich lustig?“ Gabriels silbernen Augen durchbohrten sie noch immer, allerdings war die Kälte fort. Noch immer grinste sie wie Meister Depp. „Bisschen vielleicht.“ Gabriel seufzte tief. „Du bist nicht ganz dicht.“ „Dann haben wir wenigstens was gemeinsam.“ Stichelte sie weiter. Einen Moment lang sagte niemand was, weil keiner wusste, wie. „Weiß Mr. Hudgie denn von deinem Problem?“ Gabriel fuhr sich durch die dunklen Haare und Shana musste schlucken. Diese Geste war wesentlich sexier als Damons Spann-Shirt. „Er war dabei, als ich mal die Kontrolle verlor. Habe damals eine Mitschülerin angegriffen und wäre er nicht dazwischen gegangen wäre sie mit Sicherheit jetzt tot.“ Die nächsten Worte passten überhaupt nicht zu seiner undurchdringlichen Außenfassade und trotzdem wusste Shana, dass dies der wirkliche Gabriel war. „Deswegen werde ich nicht zum Training erscheinen, in dem Zustand bin ich einfach zu gefährlich.“ Gabriel versuchte Shanas Blicken auszuweichen, um seinen Schmerz und seine Wut nicht preiszugeben. „Du solltest bei dem Training dabei sein. Mr. Hudgie will dir nur helfen.“ Heute Abend hatte Shana einen Lauf, schon wieder musterte er sie verwundert. „Wie stellst du dir das vor? Denkst du, wenn ich die Kontrolle verliere, dass du mich aufhalten kannst? Süß gedacht aber voll daneben Shana!“ Dieser schnippische Ton ließ sie rasen vor Wut. „Ich bin nicht dämlich Gabriel! Natürlich weiß ich das und genau deswegen lassen wir es gar nicht so weit kommen. Du wirst vor dem Training und zur Not auch noch danach etwas von meinem Blut trinken, damit du keinen Blackout kriegst.“ Ihre Stimme war sanft doch ihre Worte klangen deswegen nicht weniger bestimmend. „Warum tust du das für mich?“ Flüsterte er als wäre die Wahrheit so abwegig.
„Weil wir Freunde sind. Und ich möchte nicht, dass einer meiner Freunde leiden muss – zu keinem Zeitpunkt. Du bist nicht so wie du dich siehst und ich werde erst aufhören dir zu helfen, wenn du meine Hilfe nicht mehr brauchst.“ Shana sah ihm in die Augen und spürte wie ein Sturm in ihm tobte. Auch wenn die Fassade dick war, sie hatte Risse, durch die man das Unheil dahinter deutlich sehen konnte. Nachdem er das Gesagte verdaut hatte, nickte er erschöpft. „Keiner erfährt davon was, verstanden? Und schon gar nicht Damon, dieser Mistkerl würde…“ „Schon gut, ist angekommen, ich versprech´s dir!“ Unterbrach sie sein aufbrausendes Ego. Sie war froh einen Zugang zu ihm gefunden zu haben, denn was Amy vermutete war gar nicht so weit an der Wahrheit vorbei. Er kapselt sich nur ab, weil er niemandem wehtun will. Das an sich macht ihn schon zu einem von den Guten. Shana rutschte zu ihm rüber und legte ihren Hals frei. Ohne zu zögern beugte er sich zu ihr rüber und trank bis der Sturm in ihm verschwand.
Die nächsten drei Tage waren für alle der blanke Horror.
Um 6 Uhr morgens ging das Training los und endete meistens erst gegen 18 Uhr. Zwischendurch gab es zwar immer wieder kleinere Pausen, aber die Mönche des Tempels forderten jeden bis an seine Grenzen, sodass die Pausen ein Tropfen auf dem heißen Stein waren. Gabriel und Shana trafen sich jede Nacht im Innenhof und jedes Mal trank er etwas mehr. Mittlerweile konnte Gabriel Dinge nur mit seinen Gedanken kontrollieren und riesige Eisschwerter aus dem nichts erschaffen. Und auch Shana hatte große Fortschritte gemacht. Sie konnte nun das Feuer zügeln und es sogar als Schutzschild gegen feindliche Angriffe nutzen. Zudem lernte sie viele effiziente Angriff- und Verteidigungstechniken für den Nahkampf. Sie konnte sich nun auch wie die anderen Schüler schneller bewegen. Amy lernte zum Beispiel wie sie die Erde und die Pflanzen beeinflussen konnte. Mittlerweile konnte sie sogar schon mit Vögeln sprechen. Jenna beherrschte einige nützliche Zaubersprüche für den Kampf. Außerdem konnte sie nun Barrieren erschaffen oder auch zerstören. Lauras Vorhersagen wurden deutlicher und die Zwillinge konnten aus Lehm Totenkrieger erschaffen. Mit der Kontrolle der Lehmklopse klappte es zwar noch nicht ganz aber Elliot konnte sich an den Dingern prächtig austoben. Sie beherrschte mittlerweile fast alle Kampfsportarten und konnte die meisten Waffen problemlos nutzen. Ihre Lieblingswaffe war allerdings ein kleiner Dolch. Charlotte lernte andere zu Hypnotisieren und das Herbeirufen des Wassers.
Chris konnte sich nun in verschiedenste Tiere verwandeln und trieb wo er nur konnte mit seinen Fähigkeiten die anderen in den Wahnsinn. Damon konnte nicht nur fliegen, er konnte in der Luft kämpfen! Zudem beherrschte er nun die Schwerterkunst der alten Krieger, das Charavis. Alle konnten ihre Kräfte nun wesentlich kontrollierter einsetzten und Mr. Hudgie war zufrieden. Donnerstagabend saßen sie alle noch etwas zusammen und spielten gemeinsam Karten. Selbst Gabriel gesellte sich still zu der Gruppe. Alle waren erleichtert das Höllentraining heil überstanden zu haben und natürlich auch unglaublich gespannt auf das Fest am nächsten Abend. Das Ookamifest war den Dorfbewohnern unglaublich heilig, denn an diesem Tag ehrten sie den Todestag der Wolfsgöttin. Unzählige Touristen vermischt mit Wolfsdämonen strömten zu dieser Zeit auf die kleine Insel und die Menschen dort spielten vor Ehrerbietung fast verrückt. Die alten Straßen wurden auf traditionelle Art und Weise geschmückt und überall hingen verzierte Papierlaternen. Das Fest begann erst gegen Nachmittag und Mr. Hudgie gab seinen Schülern den Vormittag frei. Die meisten nutzen diese Zeit um etwas Schlaf nachzuholen und fit für ihre Aufgabe zu sein. Meister Yamasen hatte den Schülern erklärt, dass nicht alle Dämonen dem Dorf wohlgesonnen sind und es in den letzten Jahren vermehrt zu Angriffen gegenüber den Dorfbewohnern kam. Einige Wolfsdämonen geben den Dorfbewohnern die Schuld für den Tod ihres Alphaweibchens und wollen die Menschen von der Insel vertreiben. Jeder der Elf kannte seine Aufgabe genau. Sie mischten sich in zweier Teams unters Volk und achteten darauf, dass alles friedlich blieb. Als das Fest voll im Gange war, trafen sich Damon, Amy, Gabriel, Laura und Jenna und Shana um ein paar Souvenirs zu kaufen und anschließend etwas zu essen.
Das ganze Dorf leuchtete vor lauter Papierlaternen und überall wurde getanzt, gesungen und gelacht. Die Stimmung war ausgelassen und Fremde feierten in Harmonie miteinander. Egal ob Dämon oder Mensch, sie feiern friedlich zusammen. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass irgendwer diese Harmonie zerstören würde… Zwischen den Feiernden bemerkte Shana etwas Seltsames. „Hast du irgendetwas gesehen Shana?“ Amy stoppte ihre Mahlzeit und suchte ebenfalls die Menschenmenge ab. „Ich bin mir nicht sicher…“ Sie hielt kurz inne. „Siehst du das Wolfsjunges dort drüben? Es läuft schon den ganzen Abend ziellos durch die Gegend.“ Kurz darauf fand auch Amy das verstörte Junges. „Möglich, dass es jemanden sucht. Wir sollten…“ „Ich geh hin.“ Ohne ihre Freundin zu ende reden zu lassen stand sie auf und ging rüber. Hinter ihr hörte sie Amy die wichtigsten Selbstschutzvorkehrungen herunterrattern, während die anderen ihr mehr zujubelten. Es dauerte nicht lange, bis sie Hexe und Naturgeist streiten hörte. Auch wenn ihr das Herz bis zum Halse schlug, beruhigte sie Amy und Jennas Verhalten. Irgendwas stimmte da nicht, sie hatte ein ganz übles Gefühl dabei. Wir werden sehen! Rumorte es in ihr. Ganz bedacht ging sie auf das Wolfsjungen zu und versuchte so ruhig wie nur möglich zu klingen. Das Kleine zitterte und schaute sich immer wieder suchen um. Das herzzerreißende Jankern des Welpen brach ihr das Herz. „Hey kleiner Bursche. Hast du deine Mama verloren? Komm ich werde dir helfen sie zu finden.“ Zögerlich näherte sich der Welpe der hockenden Shana. In einem Buch hatte sie mal gelesen äußerst geduldig mit scheuen Tieren zu sein. „Hab keine Angst ich tu dir nichts.“ Nach ein paar zaghaften Berührungen setzte der Kleine sich vor ihr hin, schleckte ihr die Hand ab und wedelte wie wild mit seinem Puschel Schwanz. Shana freute sich über das Vertrauen des grauen Wolfsjungen und streichelte es. Plötzlich ertönte ein markerschütternder Knall und der Kleine rannte wie von der Tarantel gestochen in den Wald. Shana schaute hinauf und sah dichten Rauch aufsteigen. Da ist doch das Grabmal von Ookami! Sofort rannte sie dem Wolfsjungen hinterher. Was sie dort sah erschütterte sie zu tiefst. Vor Ookamis Grabstätte beugte sich eine Frau mit riesigen fledermausartigen Flügeln und einem engen aufgeschlitzten Kleid über das Wolfsjunges. In ihrer Hand hielt sie einen Dolch an dem frischen Blut herabtropfte. Der Kleine war übersät mit Schnittwunden und zitterte am ganzen Körper. Das kühle Metall ragte bedrohlich über seinem Kopf und dann ging alles viel zu schnell. Schmerz. Feuer. Rot.
Ohne lang zu fackeln beugte sich Shana schützend vor das Wolfsjungen und spürte, wie ein stechender Schmerz sich von ihrer Schulter in den ganzen Körper ausbreitete. Der Dolch wurde herausgezogen und eine weitere Welle des Schmerzes überwältigte sie. Fast wäre sie in Ohnmacht gefallen, doch sie zwang sich selbst bei Bewusstsein zu bleiben. Mit gespieltem Lächeln schob sie das Junges hinter den Stein. „Dir wird nichts passieren Kleiner, ich pass auf dich auf.“ Mit brennendem Blick musterte Shana ihr Gegenüber. Die Frau hatte lange blonde Haare, die mit Blut gesprenkelt waren. Fremden Blut. Überall lagen blutverschmierte Mönche regungslos auf dem Boden. „Verschwinde!“ Fauchte das Biest und es klang wie ein hysterischer Schrei eines Tiers. „Hau du besser ab!“ Alle Muskeln in ihrem Körper spannten sich an, brannten wie Feuer. „Ich habe keine Zeit für solche Kinderspielchen! Entweder du gehst oder du endest wie die da drüben!“ Plötzlich griff die Fledermausfrau Shana an. Instinktiv schütze sie sich und Flammen umgaben sie. Dann holte sie zu einem Gegenschlag aus doch verfehlte das Biest um Haaresbreite. Mist! Diesen Angriff hatte Shana nicht kommen sehen und landete mit voller Wucht gegen die Steinwand. In dem Moment tauchten auch schon Gabriel, Amy und Damon auf. Shana wollte eigentlich nicht, dass sie sich auch noch in Gefahr brachten, doch es war einfach nicht zu ändern. Alleine wäre sie aufgeschmissen gewesen, so viel Einschätzung hatte sie noch. Zudem war die Gefahr, dass sich Amy und Co. Verletzten durchaus geringer. Jeder von ihnen war erfahrener im Umgang mit seinen Kräften, etwas das Shana nicht mal annähernd bejahen konnte. Die Fledermausfrau beschwor unzählige Dämonen, der eine hässlicher als der Andere, die sich Shanas Rettern in den Weg stellten. Schnell rappelte sie sich wieder auf und startete einen weiteren Angriff. Treffer! Lichterloh brannte sie und schrie wie am Spieß.
Einen kurzen Augenblick lang dachte Shana, sie würden den Kampf gewinnen doch dann griffen aus dem Feuer zwei Arme nach ihr und sie wurde ruckartig in die Luft katapultiert. Viel zu spät realisierte sie was passiert war. Die Fledermausfrau flog steil nach oben und schleuderte sie dann Richtung Boden. Ihr Körper fühlte sich an wie zersplittert, der Schmerz drückte ihr die Lungen zu. Panik ergriff sie aber dafür war keine Zeit. Shana dachte an das Wolfsjunges, das völlig verängstigt vor dem Grabmal stand. Mit letzter Kraft versuchte sie aufzustehen, den Kleinen von der Gefahrenstelle wegzubringen, doch das Monster drückte sie zu Boden. Immer wieder verschwamm ihr die Sicht und neue Wunden formten sich. Shana schrie unter ihrem Gewicht auf, jede Zelle ihres Körpers war reiner Schmerz. Blut floss aus den tiefen Schnittwunden und sie spürte einen stechenden Schmerz in ihren Beinen. Doch viel mehr zerfetzte die Angst des Welpens ihre Seele. Du wirst hier nicht sterben. Nicht hier, nicht heute! Zu gerne hätte sie ihm das gesagt aber ihre Stimme war schon vor einer Weile versiegt. Shana betete innerlich, es möge schnell gehen. Ihre Freunde warnten sie solle gefälligst bei ihnen bleiben aber keiner konnte ihr helfen – nein, erstmal mussten sie sich selbst helfen. Für sie gab es nur noch den Schmerz und die Sicherheit, bald ihre Mutter wiederzusehen.
Shana war kaum in der Lage das Bewusstsein aufrecht zu erhalten. Fast reglos lag sie da, so gut wie tot und trotzdem prügelte die Schnepfe weiter. Gabriel kochte das Blut in den Adern – ihr Blut.
Er musste etwas unternehmen. Sofort. Oder sie würde diesen Abend nicht überleben. Noch immer nahm der Dämonenansturm kein Ende und sich einen Weg zu ihr zu schlagen ging auch nicht. Zu mindestens nicht so wie du jetzt bist! Das Biest in ihm flehte losgelassen zu werden, sehnte sich nach schnellerem Blutvergießen. Und als er sah wie ihre Faust Shanas zartes Gesicht traf, sah er rot. Der Schalter wurde umgelegt und dunkler Nebel mischte sich in seine Adern. Ab diesem Punkt war er nicht mehr Herr seiner Kräfte, sie taten was sie tun wollten. Neben ihn hörte er Damon fluchen, er solle das nicht tun aber warum denn nicht? Wenn sich das Blatt nicht schlagartig änderte, würde Shana als erste sterben, gefolgt von dem kläglichen Rest. Harpyien kennen keine Gnade, genauso wie Vampire. Ein letztes Mal bäumte sich die Menschlichkeit auf, bis sie mit dem ersten Schritt in die Tiefen des Äthers verschwand. Dann ging alles unglaublich schnell.
Prompt flog Damon quer über die Fläche, zog Amy, Laura und Jenna unter seine Flügel in Sicherheit. Die Dämonen stürmten auf Gabriel zu doch er wurde nicht langsamer. Er konnte nicht, denn mit jeder Sekunde in diesem Zustand wurde die Rückkehr schwieriger. Immer mehr Blut sammelte sich an seinen Händen, tropfte wie ein Springbrunnen von seinen Krallen herab. Töte, töte, TÖTE!!! Endlich hatte er die Aufmerksamkeit der Harpyie auf sich gerichtet. Kreischend stürzte sie auf ihn zu. Blitzartig wich er aus, bekam sie am Bein zu fassen und schleuderte sie so weit wie möglich weg. Holz splitterte, der Boden bebte von dem Aufprall. Es kostete ihn viel Mühe das Biest direkt wieder in den Käfig zu drängen. Zum einen bedeutete diese Form Sicherheit, auch wenn es nur seine war. Zum anderen spürte er dort keine Erschöpfung, keine Gefühle und somit auch kein Leid. Aber in diesem Zustand traute er sich nicht Shana nah zu sein. Zu groß war die Gefahr vom Helden zum Henker zu werden. Erst als alles wieder unter Verschluss war, ging er die letzten Meter zu ihr. Der kleine Welpe lag zitternd neben ihr und leckte den zerfurchten Arm. Gabriel wurde bleich, auch wenn ihr Herz noch schlug war es ernst. Behutsam hob er sie an, Blut lief ihr aus Nase und Ohren. Würde ich das nicht schon alles kennen würde ich mir spätestens jetzt die Seele aus dem Leib kotzen!
Ohne zu zögern biss er in seinen Arm und ließ sein Leben in ihren Mund tropfen. Shana verzog das geschwollene Gesicht und Gabriel atmete auf. „Trink, es wird dir helfen.“ Sie gehorchte, wenn auch äußerst ungern. Er wusste, dass sie ein kluges Mädchen war. Sein Blick wanderte zu dem atmenden Wollknäul. Niemals in seinem Leben würde er öffentlich zugeben den Kleinen niedlich zu finden. Die großen Augen, das weiche Fell, diese winzige… Hinter ihm rüttelte sich die Harpyie tobend wieder auf. Shanas Wunden waren bereits wieder am Heilen, alles in allem sah sie nicht mehr wie eine Untote aus - Nein sie sah sogar richtig lebendig aus! Vorsichtig lehnte er sie gegen den Grabstein und sofort hüpfte der Kleine auf ihren Schoß. „W-was…“ Ein Hustenanfall schüttelte sie und den Wolfsjungen. „Ich kümmere mich drum, du bleibst schön hier und spielst Totenwächter!“ Grinsend rannte er auf die Harpyie zu, was sie anscheinend noch wilder machte. Nur zu, komm und stirb bei dem Versuch! Krachend prallten die zwei Kontrahenten aufeinander. Zuerst konnte er ihren unkontrollierten Schlägen ausweichen, bis sie ihn eiskalt erwischte. Seine Magengegend fühlte sich deformiert an und kurz darauf nahm auch er Bekanntschaft mit herumstehenden Bäumen. Beim gefühlten zehnten Knacken war er sich sicher auch als Baumfäller arbeiten zu können, bis er den nötigen Halt fand und somit der Flugstunde ein Ende bereitete. Erst viel zu spät sah er die Harpyie über sich und schon flogen die ersten Fäuste. Gabriel wusste nicht wie ihm geschah, eine so starke Flederfrau hatte er noch nie gegenübergestanden. Unaufhörlich schlug sie weiter, wie vom Teufel gejagt. Gabriel traf sie in den Rippen und der Blondschopf schrie auf. Hab ich dich! Schon holte sie zum Gegenschlag aus und traf ihn an der Schläfe. Ein Ticken zu lang verschwamm seine Sicht und somit wurde er in den Boden gerammt. Fuck! Was ist das für eine Maschine? Gabriel konnte nichts anderes tun als sich so gut es ging abzuschirmen. Ein zweites Mal konnte er seine Ketten nicht lösen und musste mit seiner schwächeren Version vorliebnehmen. Sein Blick wanderte zu dem Grabmal und dem Mädchen davor.
Shana sah schon viel besser aus, bloß ein paar Schrammen waren übriggeblieben. Die Tränen auf ihren Wangen sahen wie Diamanten aus, schimmerten in allen Farben. Mit dem Wolf fest im Arm sah sie wie eine Heilige aus - Keine gespielte, sondern eine echte, wahre Kreatur des Lichts. Des Lebens. Der Götter. Gabriels Verteidigung bekam Risse, die zu Löchern wurde. Er wusste genau wie es enden würde, wie es enden musste. Und es war okay. Seine letzten Momente wollte er ihr schenken, der Kreatur des Lichts – seinem Licht. Mit letzter Kraft lächelte er sie an. Gabriel war bereit zu sterben, bis zu dem Punkt wo Shana schrie.
Noch immer schaute sie ihn an, unfähig ihren Blick abzuwenden. Dieser Schrei kam aus den Tiefen ihrer Seele und schmerzte wie jeder einzelne Schlag der Furie zusammen. Es brauchte keine telepathische Verbindung um zu fühlen was er dachte, Shana sah es klar und deutlich in seinen Augen. Du darfst nicht sterben! Schrie sie immer und immer wieder in sich hinein. Gabriel hatte nicht nur ihre Wunden geheilt, er hatte auch noch dieses Monster mit Flügeln von ihr abgelenkt. Nun war sie dran. Die Quittung kam postwendend und ohne Gnade.
Mit Raubtieraugen schritt das Monster wieder auf sie zu. Tränen ließen ihre Sicht verschwimmen und sie zitterte am ganzen Körper. Das Wolfsjunges jankerte und fürchtete sich mindestens genauso sehr. Im Hintergrund hörte sie Gabriel ziemlich unanständige Dinge fluchen und nahm sich vor ihm das nächste Mal den Mund mit Kernseife auszuwaschen. Wenn es überhaupt ein nächstes Mal gibt! Wenige Meter trennten sie von ihrem Henker. Die Fledermausfrau ging ganz genüsslich auf sie zu, denn sie wusste, dass Shana sich nicht mehr weheren konnte. Sie war ihrem Schicksal vollkommen ausgeliefert. Shana zwang sich die Augen offen auf ihren Mörder zu halten in der Hoffnung wenigstens stolz zu Grunde zu gehen. Innerlich sprach sie ihr letztes Gebet, als die Blondine sie endgültig erreicht hatte. „Ich habe keine Angst vor dir!“ Das war gelogen. Shana fürchtete sich wie noch nie in ihrem Leben zuvor. Das Monster griff nach ihrem Dolch und Shana zog den Kleinen noch dichter an sich heran. Nur ein Schnitt, nur ein einziger und es ist vorbei! Die Klinge sauste herab und… Plötzlich stand ein schneeweißer Wolf zwischen ihnen und fletschte bedrohlich die Zähne. „Du willst vor ihr sterben? Gut wie du willst!“ Uneingeschüchtert von alldem lachte die Furie auf und Shana lief es eiskalt den Rücken runter. Dann geschah alles viel zu schnell.
Mit einem Biss riss er der Fledermausfrau den Kopf ab und das Blut schoss aus dem Hals und sprenkelte das reine Weiß des Fells tiefrot. Im gleichen Moment war der Zauber vorbei und die Marionetten zerfielen zu staub. Erleichtert atmete Shana auf. Erst jetzt hatte sie bemerkt, dass sie die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte. Wie Schnee wehten graue Aschekörner durch die Luft und inmitten dieser bizarren Szene stand der Wolf. Sein Maul war wie der Rest seines Körpers blutverschmiert und seine drei langen, seidenglänzenden Schwänze wiegten im Wind. Inzwischen hatte er sich ihr zugewandt, seine lila farbenen Augen sprühten nur so vor Wildheit. Anmutig wie nichts zuvor ging er auf sie zu. Shana schlug das Herz bis zum Hals. Sofort rannten Damon und Amy zu ihr, wagten sich jedoch nicht an ihm vorbei. Wie gebannt standen sie neben dem Grundschulkind hohen Tier. Shanas Blick schweifte zu Gabriel, dessen schmerzverzerrtes Gesicht Bände sprach. Immer mehr Wölfe kamen aus dem Wald hervor und eine Wölfin jaulte herzzerreißend bei dem Anblick. Er beugte sich mit seinem riesigen Kopf zu ihr runter und betrachtete das Wolfsjungen in ihren Armen. Shana ließ den Kleinen los, doch er bewegte sich nicht weg.
Wie eine Wolfsmutter putze er das Blut vom kleinen Körper und die Wunden schlossen sich. Shana und die anderen konnten es kaum glauben. Noch etwas zittrig sprang der Welpe kurz darauf aus ihrem Arm und rannte jauchzend zu seinen Artgenossen. Die Freude bei dem Rudel war kaum zu übersehen und vor Glück liefen Shana schon wieder Tränen über die Wangen. Ja, geh zurück zu deiner Mama! Auf einmal spürte sie, wie eine sanfte warme Zunge über ihren Arm glitt. Dieses unnatürlich schöne Tier, das ihr das Leben gerettet hatte heilte nun auch noch den Rest ihrer Wunden. „Das ist unglaublich!“ Damons Augen waren so weit aufgerissen wie ihre eigenen. Amy hielt sich die Hände vor dem Mund und schüttelte ungläubig ihren Kopf, ihr Erstaunen stand ihr mit Druckbuchstaben ins Gesicht geschrieben. Der Schmerz, den zuvor Shanas Körper durchfloss verschwand mit jeder Berührung bis nichts davon übrigblieb. Nach getaner Arbeit setzte sich der Riesenwolf vor ihr hin. Dankbar und überwältigt von den ganzen Ereignissen umarmte sie das Tier herzlich und ließ ihren Tränen endgültig ihren Lauf. „Ich danke dir von ganzem Herzen.“ Ihre Stimme war brüchig und kaum hörbar. Der ganze Brustkorb vibrierte und Shana gleich mit. Kichernd ließ sie von ihm ab und Damon half ihr auf die Beine. Überall lagen umgekippte Bäume und tiefe Krater hinterließen ein Bild der Zerstörung. Gabriel lehnte sich kraftlos an einen Baum, umringt von Zähne fletschenden Wölfen. Anscheinend mögen Wölfe keine Vampire. „Undankbare Köter! Wer hat gerade fast seinen Arsch geopfert um eure tote Gottheit vor Grabräuberei zu schützen?! ICH! Ich musste eure verkackte Welt retten!“ Shana musste schmunzeln. Wenn er schon wieder so fluchen konnte, waren seine Verletzungen nicht lebensgefährlich.
Und schon ließ Gabriel eine ganze Reihe von Flüchen vom Stapel, bis der weiße Wolf der Belagerung ein Ende setzte. Schnaubend verschwand ein Wolf nah dem anderen ins Gestrüpp, bis auf das schönste Tier auf Erden. Völlig entspannt ließ er sich zwischen Gabriel und ihr nieder. „Gern geschehen, Kläffer!“ Keuchend hielt er sich die Brust.Shana wusste genau wie beschissen es ihm ging, wie wenig Kontrolle er schon im normalen Zustand über sich hatte. Wenn er dann noch so viel einstecken musste waren die Schmerzen die reinste Qual. Eine grausame Art der Folter, sowas wünsche ich wirklich niemandem! Unauffällig versuchte Shana sich Gabriel zu nähern. „Ist alles in Ordnung bei dir?“ Eine kühle Hand griff nach ihrem Arm. Es war Amy, die außer ein paar Kratzer anscheinend nichts abbekommen hatte. Lächelnd nickte sie ihrer Freundin zu. „Wäre er hier nicht gekommen, sähe die Sache wahrscheinlich ganz anders aus. Was ist mit euch, seid ihr ok?“ Shana strich dem liegenden Wolf stolz über den Kopf. „Bis auf ein paar Kratzer ist nichts passiert. Was ist mit dir Gabriel?“ Keine Reaktion. Gegen seinen Willen hockte Amy sich zu dem Vampir und betastete Rippen, Arme und Beine. „Scheint nichts gebrochen zu sein.“ Erleichtert ließ sie von ihm ab, stand aber noch immer nicht auf. „Ja nicht mehr, Geistchen. Schon vergessen was ich bin?!“ Schnaubend verzog Amy die Mundwinkel und beäugte ihn scharf. „Du interessierst mich im gleichen Maße wie ich dich interessiere.“ Amy stand auf, dabei klopfte sie den Dreck aus ihrer kaputten Jeans. „Ich finde du könntest etwas netter zu Anderen sein. Würde dir guttun.“ „Und ich finde das geht dich ´n feuchten Kehricht an!“ Der Naturgeist stöhnte.
„Nicht jeder ist dein Feind, Gabriel. Und wir, schon mal gar nicht.“ „Na, warte du…“ „Wo sind eigentlich Laura und Jenna?“ Unterbrach Shana Gabriel bevor er noch etwas Fieses vom Stapel ließ. „Sie haben unten im Tal die Menschen evakuiert.“ Damon ging ganz nah neben Shana in die Hocke und berührte beiläufig ihren Arm. „Wie ist eigentlich dein Name, Wolf?“ Große lila Pupillen starrten den Engel eindringlich an. Grade wollte er nochmal ansetzten als der Riesenwolf aufsprang, sich schüttelte Shana fixierte. Amy fing an zu kichern. „Ich glaube er möchte, dass du ihm einen Namen gibst.“ „Ich soll dir einen Namen geben?“ Wieder reagierte er auf die Worte indem hektisch bellte. Shana fühlte sich überfordert und geehrt zugleich. „In Ordnung dann nenne ich dich… ähm… wie nennt man einen Wolf?“ „Gute Frage, nenn ihn doch einfach Flohschleuder oder Sabbermaul!“ Schlug Gabriel giftig vor. Sofort sprang Damon darauf an und die beiden Männer stritten sich lauthals. Shana ignorierte die Zankereien. Wie kleine Kinder, echt. Es geht doch nur um einen Namen, einen Namen… Irgendwo habe ich doch letztens einen Wolfsnamen gelesen… „Faolan!“ Stolz verkündete sie den Namen und Faolan bellte zufrieden. „Ich glaube er mag den Namen.“ Kichernd ging sie vor dem Wolf in die Hocke. „Hallo Faolan, ich bin Amy. Es freut mich dich kennenzulernen.“ Sofort war der Wolf von Amy angetan und wusch ihr das Gesicht. Wie von Zauberhand hörten die Jungs mit ihren Streitereien auf, nur um erneut ein geeignetes Thema zu finden. Gabriel hatte eine schwere Bauchverletztung doch weigerte sich strikt, sich von Damon heilen zu lassen. „Mir geht’s gut! Ich brauche kein Heilhokuspokus von ´nem Möchtegern Samariter!“ Angewidert rümpfte er die Nase und Damon verschränkte die Arme vor der Brust. „Willst du noch mehr? Kannst du gerne haben!“
„Hört auf zu streiten alle beide! Herrgott wir sind hier doch nicht im Kindergarten!“ Shana hielt kurz inne bevor sie sich zu Amy wandte. „Am besten gehen du und Damon schon mal ins Dorf zurück. Nehmt auch Faolan mit.“ Shana musste sich zusammenreißen, um ihr Vorhaben geheim zu halten. Gabriel brauchte dringend Blut, was sie ihm nur ohne Zeugen geben durfte. „Mir wäre es lieber, wenn wir alle zusammengehen.“ Angespannt runzelte Amy die Stirn. Anscheinend vermutet sie etwas, ich muss vorsichtiger sein! Selbstsicher schüttelte sie den Kopf. „Gabriel ist schwer verletzt. Er brauch noch etwas Zeit um sich wieder einigermaßen zu regenerieren. Und unten wird bestimmt jede helfende Hand gebraucht.“ Damon nahm ihre Hand und rückte gefährlich nah heran. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich mit ihm alleine lassen kann.“ In seiner Stimme schwang so viel Sorge mit, dass Shana weiche Knie bekam. Oder war es wegen seiner Nähe?
„Ich komm schon klar.“ Damon runzelte die Brauen. „Sicher? Ich kann auch…“ „Wirklich, ich komm klar. Geh du lieber den Anderen helfen.“ Dringend brauchte sie etwas Luft zwischen ihnen. Mit der Hand auf seiner Brust versuchte sie ihn von sich zu schieben. Was allerdings blendend daneben ging. Damons durchtrainierte Bauchmuskeln ließen sie scharf einatmen. Mit einem selbstgefälligen Grinsen auf dem Gesicht entfernte er sich von ihr. „Wir sehen uns unten. Kommst du mit uns?“ Shana nickte und Faolan setzte sich schwerfällig in Bewegung. Eine ganze Weile starrte sie ihnen noch hinterher, um sicher zu gehen, dass sie es sich nicht doch anders überlegt hatten. Aus dem Augenwinkel sah Shana wie Gabriel die Augen verdrehte. „Starr lieber nicht zu lange, sonst wird dein Höschen noch feucht.“ Schnaubend ging sie auf ihn zu. „Du bist unmöglich.“ „Was denn? Es ist nicht zu übersehen, dass du auf den Schmierlappen stehst. Du hast ihm ja förmlich nachgesabbert!“ Gabriel klang zutiefst beleidigt, was Shana wie Öl die Kehle hinunterlief. So ist das nun mal: Der eine hat´s, der andere nicht! „Ich habe ihm nicht nachgesabbert.“ „Doch hast du.“ Gab er trotzig zurück und Shana stöhnte. „Wie du meinst, Mr. Besserwisser.“ Wenig elegant ließ sie sich neben ihn fallen und schob ihm ihren Arm unter die Nase. Verwirrt starrte Gabriel sie mit seinen faszinierenden Augen an. „Nun nimm schon, mein Arm wird lahm!“ Erst jetzt schien er begriffen zu haben. Schlagartig verdunkelte sich sein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. „Ich will nicht.“ Geht das schon wieder los! „Du musst aber, es ist…“ „Auch wenn der Köter deine Wunden verschlossen hat, hast du ziemlich viel Blut verloren. Gönne deinem Körper erstmal etwas Erholung!“ Maulte er und wand sich ab. Dieser Sturkopf!
„Faolan ist kein Köter und du mein Freund bist jetzt lieber gefügig.“ Ein tiefes Lachen drang aus seiner Kehle und Shana bekam Gänsehaut. So jemand undurchsichtiges hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht getroffen. Seine Nähe war aufregend und nervig zugleich. „Ähm…nein!“ Wütend funkelte sie ihn an, was Gabriel nur noch mehr anstachelte. „Solltest du aber.“ „Sonst was?“ Sein Lächeln war verführerisch, anziehend und… Mit voller Wucht schlug sie auf seine Fleischwunde. Gabriel japste auf und rollte sich fluchend auf die Seite. „Noch Fragen?“ Demonstrativ hielt sie ihm den Arm hin. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du ein verfluchter Sturkopf bist?“ Krächzte er und Shana lachte auf. „Schon öfter als ich zählen kann!”
Eine halbe Stunde später trafen nun auch Shana und Gabriel im Dorf ein. Gabriel ließ seinen Blick über die Umgebung schweifen und stellte zufrieden fest, dass die größten Schäden bereits behoben wurden. Wie ein überbesorgter Vater rannte Hudgie auf sie zu, umarmte erst Shana dann ihn. Muss das wirklich sein?!
„Ein Glück, dass nichts Schlimmeres passiert ist!“ Schnell wand er sich ihm wieder zu. Diesen Blick kannte Gabriel bereits, er verhieß nichts Gutes. „Gabriel was ist mit…“ „Ist alles in bester Ordnung.“ Genervt verdrehte er die Augen, diese Fragerei musste wirklich ein Ende haben. Verständnisvoll nickte Hudgie und wandte sich an die Anderen. Er hatte verstanden. Gut.
„Ich bin sehr stolz auf Sie. Jeder einzelne von Ihnen hat diese Situation brillant gemeistert!“ Aus dem nichts tauchte der Tempelleiter auf. Seine Kleidung war beschädigt und dreckig aber die Person dahinter war völlig Kratzerfrei. Auch das Dorf glich trotz der Aufräumarbeiten einem Schlachtfeld und Gabriel war sich nicht sicher wie er das in Verbindung bringen konnte. Zufrieden klopfte er seinem Freund auf die Schulter. „Nichts Anderes hätte ich von deinen Schülern erwartet, Adrian. Jeder einzelne ist durchaus besonders!“ Die Mädchen fingen an zu kichern und Rob und Tobi posierten wie zwei Bodybuilder auf Anabolika. Gott, mir wird schlecht! Gabriel beobachtete, wie Jenna und Amy etwas abseits miteinander tuschelten. Ab und an wanderte ihr Blick zu ihm, dann wieder zu Shana. Gabriel wurde hellhörig. Wussten sie etwa Bescheid? Eigentlich vermied er es sein Supergehör zu verwenden aber das hier war was anderes, quasi ein Notfall. Unbemerkt schärfte er seine Sinne und langsam drangen ihre Worte an sein Ohr. „So etwas habe ich noch nie gesehen! Damon und ich kamen noch nicht mal annähernd an sie ran aber er schon. Spielerisch leicht hat er das Biest von Shana abgelenkt und dazu auch noch haufenweise Marionetten beseitigt!“ Flüsterte Amy. Ihre Stimme zitterte vor Aufregung. „Gabriel ist trotzdem ein Arsch!“ Unbeeindruckt verschränkte die Hexe die Arme vor der Brust und verlagerte ihr Gewicht. „Hast du nicht gerade noch gesagt, dass er dich blöd von der Seite angemacht hat, obwohl du nur helfen wolltest?“ „Schon aber ich glaube das ist nicht sein wahres Ich. Dort oben im Wald hat er uns allen das Leben gerettet, ohne zu zögern Jen hat er sein Leben riskiert um uns da raus zu holen! Ich sage es dir nochmal: Gabriel ist nicht so schlecht, wie du und Damon immer denkst.“ „Unwahrscheinlich.“ „Dann frag Shana! Sie weiß es auch da bin ich mir sicher!“ Der Blick der beiden Freundinnen wanderte zu Shana, die regungslos in die Ferne starrte. Gabriel hatte genug gehört, sein Geheimnis war sicher. Doch Shanas ausdruckslose Augen veränderten etwas in ihm.
Etwas, dass er schon lange nicht mehr gefühlt hatte.
Am nächsten Morgen versammelte sich das ganze Dorf vor dem Kleinbus, um ihre Helden gebührend zu verabschieden. Jeder der Dorfbewohner bedankte sich für ihre Hilfe und der Dorfälteste überreichte jedem sogar einen dorfeigenen Talisman. Die kleine Wolfsfigur wurde aus den verschiedensten Steinen geschnitzt, je nachdem was verfügbar war. Shana bekam eine durchsichtige mit feinen weißen Adern durchzogene Figur. Zärtlich presste sie es an die Brust. Der Talisman würde sie für immer an das Dorf und vor allem dem wunderschönen Wolf erinnern, der ihr das Leben gerettet hatte. Faolan… Ihr wurde das Herz schwer. Nirgends hatte sie den weißen Riesen entdecken können. Abschiede waren nie ihre große Stärke gewesen und sie kämpfte darum vor ihren Klassenkammeraden nicht in Tränen auszubrechen. Sie war schon fast auf dem Weg in den Bus, als eine weiße Silhouette durch die Menschen schlich. Ihr Herz machte einen Sprung, um sich danach schmerzlich zusammen zu ziehen. Vor ihm fiel Shana auf die Knie und umarmte ihn innig. Ihre Finger krallten sich in seiner weißen Mähne fest und sie musste ein schluchzen unterdrücken. Zwar kannte sie Faolan noch nicht lange aber im inneren fühlte sie sich schon seit Ewigkeiten mit ihm verbunden. „Mach´s gut Faolan. Ich hoffe du vergisst mich nicht.“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Faolan reagierte nicht und sie ließ los. Lila Juwelen funkelten im dem Weiß – wild und ungezähmt wie Mutter Natur selbst.
Schweren Herzens stieg sie in den Bus. Sie würde Faolan vermissen, wahrscheinlich sogar mehr als klug wäre. Als sie dann ihren Platz neben Amy einnahm, brach es. Shana schloss die Augen um nicht doch noch zu Heulen, bis ihre Freundin sie plötzlich anstupste. „Was ist denn?“ „Ich glaube das solltest du sehen.“ Shana öffnete die Augen und sah, wie Faolan durch den schmalen Gang auf sie zu ging. Vor ihren Füßen ließ er sich fallen und legte den Kopf auf ihren Schoß. Sein Blick war unergründlich und Shana wünschte wenigstens einen Teil seiner Gedanken zu kennen. „F-Fao w-was machst du denn? Dein Zuhause ist doch hier?!“ Die Bustüren schlossen sich, der Motor startete. Schnaubend quittierte er es und schloss die Lieder. „Sieht wohl so aus als ob Faolan bei Ihnen bleiben möchte Shana.“ Mr. Hudgies Reaktion war vollkommen anders als erwartet. Nachdem durchzählen setzte er sich seelenruhig nach vorne, als würde nicht gerade ein Riesenwolf mit nach Hause fahren. Sanft streichelte sie ihn, innerlich machte sie einen Freudensprung. „Wenn das dein Wunsch ist, willkommen in der Familie.“ In diesem Augenblick war Shana unglaublich glücklich. Faolan leckte ihre Hand ab, wedelte zufrieden und rollte sich an ihren Füßen ein. Dann ging die Fahrt nach Sodom los. Mit gemischten Gefühlen verließen Shana, Amy, Jenna und die anderen Schüler das Wolfsdorf und blickten auf ihr bisher größtes Abenteuer zurück.