Читать книгу Das Herz der Wölfin - Cathy McAllister - Страница 7

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Kapitel 3

Der Morgen war neblig und ungemütlich. Das Feuer im Kamin schaffte es kaum, die feuchte Kälte in der Halle zu vertreiben. Auch das Stroh, das man großzügig auf dem Lehmboden verteilt hatte, vermochte kaum die Kälte aufzuhalten, die einem die Beine hinaufkroch. Fulk kaute an seinem Brot und spülte es mit einem kräftigen Schluck Wein hinunter. Brice knallte schwungvoll seinen leeren Becher auf den groben Holztisch und rülpste laut.

„War ein feiner Kampf gestern. Was hast du nun mit diesem Wikingerbürschlein vor? Du wirst ihn doch nicht etwa töten? Ist doch noch ein halbes Kind.“

„Ein halbes Kind, das für den Tod eines Mannes und der Gefangenschaft dreier seiner Männer verantwortlich ist. Von den zahlreichen Verwundeten ganz zu schweigen“, sagte Fulk grimmig. „Das ist es, was seine Unbesonnenheit ihm eingebracht hat. Ich bin sicher, dass das Ganze ein heimliches Abenteuer ohne Zustimmung seines Vaters war. Wäre er mein Sohn, würde ich ihm das Fell gerben.“

„Wir waren auch mal jung und unbesonnen. Muss ich dich daran erinnern, was wir so alles ausgefressen haben?“, hakte Brice nach.

Fulk grinste. „Nein, das brauchst du nicht.“ Er lachte leise. „Erinnerst du dich noch, wie wir dieses Kloster ausrauben wollten? Die Nonnen haben uns ganz schön verdroschen. – Wie alt waren wir da?“

„Ich war elf!“, antwortete Brice. „Ja, das war wirklich eine Blamage. Mir tut der Hintern immer noch weh von den Schlägen, die dein Vater uns verabreicht hat.“

Fulk und sein Freund lachten herzhaft über ihr Abenteuer aus vergangener Zeit. Ja, Brice hatte recht. Auch sie waren unbesonnen gewesen. Trotzdem hatte dieser kleine Wikinger eine Abreibung verdient. Er musste lernen, was Verantwortung war. Verantwortung, die er für seine Männer trug, welche er leichtfertig in den Kampf geschickt hatte, als wäre es nur ein Spiel. Er musste sich etwas ausdenken, was den Stolz des Jungen ankratzen würde. Was aber würde er dann mit seinen Gefangenen machen? Sie wären bestimmt kräftige Leibeigene. Den Jungen könnte er unter seine Fittiche nehmen und aus ihm einen richtigen Anführer machen. Er wäre ein Ersatz für Norbert. Sein Bruder wäre jetzt etwa im gleichen Alter wie der Wikingerjunge. Er vermisste seinen Bruder. Das war wohl der Grund für seine Milde dem kleinen Barbaren gegenüber.

„Einen guten Morgen.“

Die Stimme seiner Schwester riss ihn aus seinen Gedanken und er blickte Gisela an, die soeben die Halle betreten hatte. Er bemerkte die Blicke, die seine Schwester und sein Freund austauschten, und runzelte die Stirn. So ganz konnte er sich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnen, dass seine kleine Schwester bald einem Mann gehören würde. Seinem besten Freund zwar, dem er bedingungslos vertraute, doch trotzdem war es ein seltsames Gefühl.

„Guten Morgen Gisela. Die Sonne geht erst auf, wenn Ihr erscheint. Da wird einem Manne ganz warm ums Herz“, schmeichelte Brice.

Gisela errötete und senkte verlegen den Blick.

„Habt Dank für Eure schönen Worte. – Wie geht es Euer Verwundung?“

„Oh. Nur ein kleiner Kratzer. Nichts Besonderes.“

Fulk hatte dem Geplänkel der Beiden angewidert zugehört und schnaubte nun unwillig. Er erhob sich von seinem Stuhl.

„Ich werde jetzt die Runde machen und nach den Männern sehen, die verwundet wurden. Heute Abend brauche ich dich hier in der Halle.“

Brice schaute Fulk fragend an.

„Was hast du vor?“, wollte er wissen.

„Ich werde mir dieses Bürschlein vorknöpfen und ihn und seine Männer befragen.“

Brice nickte und widmete sich wieder der Angebeteten, indem er ihr die Schüsseln reichte und ihren Becher mit Wein füllte. Fulk eilte aus der Halle, um sich das nicht länger ansehen zu müssen. Er fand, dass Verliebte sich höchst albern benahmen.

***

Ylfa schüttelte ihre langen, blonden Haare. Sie hatte unter dem Wolfsfell kräftig geschwitzt und es hatte angefangen zu jucken, deshalb hatte sie ihre Tarnung abgesetzt. Mit den Fingern versuchte sie nun, die verklebten Strähnen zu entwirren, was sich als hoffnungslos herausstellte.

„Hätte ich sie mir doch nur abgeschnitten!“, schimpfte sie unwirsch.

Wenn sie doch nur ein wenig Wasser zum Waschen hätte. Sie fühlte sich verschwitzt und schmutzig. Ihr Abenteuer hatte sich wirklich ganz anders entwickelt, als sie geplant hatte. Statt mit reicher Beute Heim zu kehren und ihren Vater zu beeindrucken, saß sie nun hier in der Falle, und wenn sie ihren Vater jemals wieder sehen würde, wäre er sehr böse mit ihr. Zudem würde er seine Meinung über sie nun bestätigt sehen. Sie war eben doch nur ein Mädchen und nicht der Erbe, den er sich gewünscht und nie bekommen hatte. Ihr war zum Heulen zumute. Sie hatte doch nur gewollt, dass ihr Vater stolz auf sie war.

Draußen auf dem Hof waren Schritte zu vernehmen, die sich ihrem Verschlag näherten. Hastig stülpte sie ihr Wolfsfell wieder über den Kopf und verbarg so ihr langes Haar. Kurz darauf wurde auch schon ihre Tür geöffnet und zwei kräftige Wärter kamen herein.

„Du wirst jetzt mit uns mitkommen. Ich hoffe, du machst uns keinen Ärger, Junge, sonst müssten wir dir wehtun. Also betrag dich gut“, sagte einer der Männer.

„Wohin bringt ihr mich?“, wollte Ylfa wissen. Ihr Herz schlug aufgeregt in ihrer Brust.

„Zum Herrn“, kam die schroffe Antwort.

Sie packten Ylfa rechts und links unter den Armen und zogen sie mit sich.

In der Halle waren viele Menschen versammelt. Ylfa musterte ihre Umgebung genau, auch die Krieger, die sie allesamt düster anblickten. In einer Ecke entdeckte sie ihre drei Mitgefangenen. Da war Olaf, der Freund aus Kindertagen, mit dem sie so manchen Streich ausgeheckt hatte. Alvari der Ernste starrte mit versteinerter Miene vor sich hin und Leif, ihr Cousin, hob den Blick und schaute sie direkt an. Sie las Besorgnis in seinem Blick.

Ylfa wurde von quälender Reue geplagt. Sie trug die Verantwortung dafür, dass diese Männer, die sie auf ihrem unbedachten Abenteuer begleitet hatten, nun hier als Gefangene vorgeführt wurden. Was hatte man nun mit ihnen vor? Nervös biss sie sich auf die Unterlippe, da spürte sie einen Blick auf sich ruhen.

Sie wandte sich dem Ende der Halle zu, wo eine Art Podium aufgebaut war, auf dem drei Stühle standen. Auf dem Mittleren saß der Mann, der sie gefangen genommen hatte und er blickte sie aus lauernden, unergründlichen Augen an.

Rechts von ihm saß seine Schwester, die Ylfas Verwundung versorgt hatte und die scheinbar hinter ihr Geheimnis gekommen war. Würde sie Ylfa verraten? Hatte sie es vielleicht sogar schon getan?

Links vom Grafen saß ein Mann, den sie noch nicht gesehen hatte. Vielleicht war er ein Bruder. Jedenfalls schien seine Miene recht freundlich und auch die Schwester schien ihr milde gestimmt. Vielleicht würden sie dazu beitragen, dass man ihr nicht allzu Schlimmes antat.

Der Graf musterte sie mit strengem Blick, als man sie vor ihn hinführte. Sie war versucht, diesem forschenden Blick auszuweichen, doch sie zwang sich, ihm standzuhalten und das Kinn hochzuhalten. Er hatte ihr die Freiheit geraubt und konnte ihr das Leben nehmen, doch ihren Stolz würde sie sich nicht nehmen lassen.

***

Fulk bemühte sich, eine strenge Miene aufzusetzen, doch er musste ein Grinsen unterdrücken. Der Wikingerjüngling bemühte sich wirklich sehr, tapfer und würdevoll auszusehen, doch in den ungewöhnlichen Augen konnte er Unsicherheit und Angst erkennen. Trotzdem hielt der Junge sich gut, das musste er anerkennen. Manch gestandener Mann bewies nicht so viel Mut. Fast tat Fulk sein Vorhaben leid, doch er konnte und durfte nun keinen Rückzieher mehr machen.

Man zwang den Jungen vor ihm auf die Knie, doch der Wikinger hielt den Kopf weiterhin erhoben und nun blitzte eine kalte Wut in seinen Augen auf und das helle Blau der Iris wechselte zu einem leuchtenden Türkis. Fulk fühlte sich von diesen ungewöhnlichen Augen wie magisch angezogen. Konnte man von dem schmutzstarrenden Gesicht auch nicht viel erkennen, die Augen waren jedenfalls entschieden zu schön für einen jungen Mann. Doch im Gegensatz zu seiner Schwester, durchschaute Fulk Ylfas Verkleidung noch immer nicht, und so bereitete die merkwürdige Anziehungskraft, die der vermeintliche Wikingerjunge auf ihn ausübte, ihm einiges Unbehagen. Er konnte sich die ganze Sache einfach nicht erklären.

***

In Ylfas Inneren brodelte es. Dass man sie demütigte, indem man sie auf die Knie gezwungen hatte, machte sie unglaublich wütend. Die Wut musste dafür verantwortlich sein, dass ihr so merkwürdig im Bauch war wenn sie diesem Franken in die Augen sah. Sie registrierte seine scharf geschnittenen Gesichtszüge und den sinnlich geschwungenen Mund. Pah! Er trug ja nicht einmal einen Bart. Seine Wangen waren glatt wie die eines Weibes. Der plötzliche Wunsch, über diese glatten Wangen zu streichen, verunsicherte sie und sie wich seinem Blick aus, damit er ihre Unsicherheit nicht sehen konnte. Was war nur los mit ihr? Sie durfte auf keinen Fall ihren Stolz verlieren.

***

Fulk erhob sich und blickte in die Runde. Alle Augen waren neugierig auf das Podium gerichtet. Man wollte wissen, was nun mit den Barbaren geschehen sollte und einige von den Männern hatten nicht übel Lust, sich die verhassten Wikinger selbst vorzunehmen. Fulk atmete tief durch, dann hob er an, zu sprechen.

„Es ist lange her, dass diese Festung angegriffen wurde. Beim letzten Mal war es mein Vater, der Rabenfeld verteidigte und Gefangene machte. Ich erinnere mich genau, wie es diesen Gefangenen ergangen ist. – Mein Vater hängte sie an den Toren auf.“

***

Zustimmende Rufe ertönten und Unruhe entstand in der Halle. Ylfa war bleich geworden. Man würde sie hängen. Sie würde nicht mit dem Schwert in der Hand sterben, sondern wie ein Verräter aus dem Leben scheiden. Angst griff mit kalten Klauen nach ihrem Herzen und sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Verzweifelt kämpfte sie gegen die aufkommende Panik an. Sie wagte einen Blick auf die junge Frau, die sie versorgt hatte, und las Mitleid in den sanften Augen. Würde sie nun ihr Geheimnis verraten? Könnte sie ihrem Schicksal entgehen, wenn sie ihre wahre Identität preisgab? – Nein! Das wäre feige. Wenn ihre Männer sterben sollten, die wegen ihr in Gefangenschaft geraten waren, dann musste auch sie den harten Weg gehen. Sie flehte im Stillen alle Götter an, ihr beizustehen.

„Ich habe noch kein Urteil gefällt, aber ich werde nun die Befragung des Anführers vornehmen“, sprach der Graf weiter. Sein Blick wanderte zu Ylfa zurück. „Steh auf!“, forderte er.

Langsam und mit wild klopfendem Herzen erhob sich Ylfa von den Knien. Mit aller Kraft kämpfte sie gegen das Zittern an, das ihren Körper zu befallen drohte. Die Hände zu Fäusten geballt und mit angespannten Gliedern stand sie da und blickte trotzig zu dem Mann auf, der über ihr Leben entscheiden würde. Sollte er nach der Laune seiner Männer urteilen, stand ihr wohl Schlimmes bevor.

„Du hast mit deinen Männern meinen Besitz überfallen. Einer meiner Männer wurde getötet und viele verwundet. Ich verlange zu wissen, warum dieser Überfall stattfand.“

Ylfa schwieg. Was sollte sie auch darauf antworten? Sollte sie erzählen, dass sie ihren Vater zu beeindrucken suchte? Dass sie auf reiche Beute gehofft hatte? Sie hatte sich keine Gedanken über die Folgen eines Überfalls gemacht und die Gefahr für sich selbst und ihre Männer falsch eingeschätzt. Wikinger waren überlegene Kämpfer und ihre Überheblichkeit hatte sie wagemutig gemacht. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass so viele Krieger in dieser Festung weilten.

„Ich habe dir bereits gesagt, dass ich deine Zunge notfalls mit Gewalt lösen werde“, erinnerte sie der Graf mit drohender Stimme.

Ylfa biss die Zähne fest zusammen und schwieg beharrlich. Sie flehte im Stillen die Götter an, ihr Kraft zu geben, durchzustehen, was auch immer da kommen möge.

***

„Nun gut. – Du lässt mir keine andere Wahl“, knurrte Fulk ärgerlich.

Er wollte den Jungen nicht schlagen, aber er durfte vor seinen Männern auch keine Schwäche zeigen. Es war wichtig, sich ihren Respekt zu wahren. Es war nicht ungewöhnlich, dass Kinder für Vergehen hart bestraft wurden und dieser Jüngling war in den Augen der Meisten alt genug, für seine Taten geradezustehen. Ein bewaffneter Überfall, aus dem Verletzte und Tote hervorgegangen waren, war kein Jungenstreich mehr. Fulk musste mit allen Mitteln für Recht und Ordnung sorgen. So wandte er sich schweren Herzens an die beiden Krieger, die Ylfa fest hielten.

„Bindet ihn an!“

***

Ihre Wärter schleiften sie zu einem Stützbalken, schlangen ein Seil um ihre Handgelenke und banden sie an einem Eisenring fest, der über ihrem Kopf befestigt war.

„Nein!“, hörte sie Leif brüllen.

Sie wandte den Blick auf ihre Männer, die vergeblich versuchten, sich loszureißen. Es waren viele Krieger von Nöten, die zornigen Wikinger zu bändigen. Tränen traten in Ylfas Augen. Es war ihre Schuld. Sie verdiente alles, was man ihr antun würde – aber ihre Männer ...

„Nein, nein!“, schrie Leif erneut. „Sie Weib – nicht schlagen!“

***

Der Mann, der mit der Peitsche in der Hand auf den Befehl des Grafen wartete, blickte irritiert auf Ylfa, dann zu Fulk, der mit ungläubigem Gesichtsausdruck dastand und zu verarbeiten suchte, was er gerade gehört hatte. – Ein Weib? Der Jüngling sollte eine Frau sein? Er ging langsam auf Ylfa zu und blieb neben ihr stehen. Mit einer plötzlichen Bewegung zog er ihr das Wolfsfell vom Kopf und die Menschen in der Halle raunten, als ihre hellblonde Haarflut zum Vorschein kam.

Fulk starrte auf die blonden Flechten, die sich vor seinen Augen um die Gestalt des vermeintlichen Jungen wanden. Sie war tatsächlich eine Frau. Warum war ihm nicht vorher aufgefallen, dass die schönen Augen einer Frau gehörten? Er konnte es einfach nicht glauben. Eine Frau hatte seine Festung überfallen. Eine Frau hatte mit ihm das Schwert gekreuzt. – Eine Frau hätte er um ein Haar ...

Leise fluchend fasste er sie unter dem Kinn und drehte ihr Gesicht ihm zu. Ihre Augen, diese ungewöhnlichen Augen. Jetzt ergab es einen Sinn, warum er sich von ihnen so magisch angezogen gefühlt hatte. Jetzt fiel ihm auch auf, wie sinnlich ihre vollen Lippen waren und wie zart ihre Haut, ohne jegliche Anzeichen eines Bartwuchses. – Wie hatte er nur so blind sein können.

***

Ylfas Beine drohten unter ihr nachzugeben. Sie hatte sich immer für mutig gehalten, doch nun, wo sie nicht wusste, was sie zu erwarten hatte, zitterte sie, und ihr wurde schwindlig. Diese Katzenaugen musterten sie so eindringlich, als suchte er, ihr auf den Grund der Seele zu sehen und fast glaubte sie, dass er dies auch konnte. Vergeblich versuchte sie, etwas an seinem Gesicht abzulesen, aber seine Miene schien unbeweglich. Hatte dieser dunkle Krieger überhaupt menschliche Gefühle? Ihr erschien er so hart und undurchdringlich. Nichts an dem, was er bis jetzt getan und gesagt hatte, ergab für sie einen Sinn. Bei einem Wikinger hätte sie ihr Schicksal gewusst. Dieser Mann jedoch war ihr ein Rätsel.

Ebenso rätselhaft war ihr, warum sein eindringlicher Blick in ihr nicht nur Angst auslöste, sondern auch so eine eigenartige Hitze, die sich von ihrem Bauch ausbreitete und ihre untersten Regionen zum Kribbeln brachten. Als sein Daumen beiläufig über die zarte Haut an ihrer Wange strich, erbebte sie und sie bekam eine Gänsehaut. Unwillkürlich öffneten sich ihre Lippen. Auf einmal schien die Zeit stillzustehen. All die Menschen um sie herum begannen sich aufzulösen und nur noch sie beide existierten. Ihr Herz raste und das Blut dröhnte in ihren Ohren. Ganz langsam näherte sich sein Gesicht und sie glaubte, er würde sie nun küssen, doch plötzlich wich er zurück und ließ sie los, als habe er sich verbrannt.

***

Fulk wich erschrocken einen Schritt zurück. Beinahe hätte er sie geküsst, als sich ihre Lippen so verführerisch geöffnet hatten. Normalerweise hatte er seine Gefühle gut unter Kontrolle, doch diese Wikingerin hatte ihn vollkommen verhext. Sie brachte ihn tatsächlich dazu, dass er vergaß, wo er war und was er zu tun hatte. Hastig drehte er der blonden Versuchung den Rücken zu. Er hoffte nur, dass niemand seinen Zustand bemerken würde. Obwohl er kein Kostverächter war, hatte er seine Lust bisher immer gut beherrschen können. Dass der bloße Anblick einer, noch dazu schmutzigen und vollständig bekleideten, Frau ihn in Erregung versetzte, war ihm noch nie passiert. Mühsam versuchte er, seinen Atem und sein wild klopfendes Herz wieder zu beruhigen.

„Bringt die drei Gefangenen wieder in ihren Verschlag“, befahl er den Kriegern, die noch immer Mühe hatten, die Wikinger unter Kontrolle zu halten.

Erleichterung machte sich auf den Gesichtern der Wärter breit. Sie würden froh sein, wenn diese wilden Kerle endlich wieder sicher eingesperrt waren.

Gisela war an seine Seite getreten und zupfte ihm am Ärmel.

„Was hast du nun mit ihr vor? Du kannst sie unmöglich wieder in dieses Loch zurückstecken!“, sagte sie entschlossen.

Fulk fluchte im Stillen. Sie hatte recht. Er konnte keine Frau in den Verschlag sperren. Was aber sollte er nun mit ihr tun?

„Hast du vielleicht einen Vorschlag?“, knurrte er gereizt.

„Als Erstes muss sie ordentlich gebadet werden und sie braucht etwas Anständiges zu essen!“, bestimmte Gisela.

„Soll ich sie vielleicht auch noch persönlich bedienen?“, brauste Fulk auf. „Hast du vergessen, dass dieses Weib uns überfallen hat?“ Fulk musterte seine Schwester grimmig. „Du hast es gewusst, nicht wahr? – Natürlich! Ich Esel. Du hast es mir ja sogar angedeutet! – Verdammte Weiber.“

„Willst du sie nicht endlich losmachen?“, hakte Gisela unbeeindruckt nach.

„Von mir aus bade sie und gib ihr etwas zu essen, aber sie wird eingesperrt werden, bis ich mir über ihr weiteres Schicksal im Klaren bin! Anskar und Omer werden euch begleiten, damit sie keine Dummheiten macht“, bestimmte Fulk.

„Du kannst doch nicht im Ernst wollen, dass zwei Männer ihr beim Baden zusehen“, erboste sich seine Schwester.

Fulk stand kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. Er hatte schon immer gewusst, dass Frauen einem nur Ärger einbrachten. Er verfluchte dieses blonde Gift, dass sie ausgerechnet seine Festung überfallen musste.

Brice, der die Szene amüsiert betrachtet hatte, gesellte sich zu ihnen, um Gisela beizustehen.

„Gisela hat recht. Lass die beiden Männer vor der Tür wachen“, mischte er sich ein.

„Diese Wilde könnte Gisela etwas antun!“

„So ein Unsinn Fulk. Sie kann vor Erschöpfung ja kaum noch stehen. Ich finde, sie hat für heute genug durchgemacht“, wandte Brice ein.

„Dieses Weib ist wohl kaum eine hochwohlgeborene Dame! Sie hat eine Horde wilder Wikinger gegen diese Festung geführt und versteht sich ausgezeichnet aufs Kämpfen. Also tut nicht so, als würde die zarte Dame gleich ohnmächtig zu Boden sinken.“

„Kann sie ja wohl auch kaum, wenn sie da oben festgebunden ist“, wandte Gisela sarkastisch ein.

„Für heute magst du gewonnen haben Gisela. Nimm sie und tu, was du für richtig hältst, aber morgen werde ich entscheiden, was ihre Strafe sein wird und dann lass ich mir von niemandem reinreden!“

Gisela reckte kampflustig das Kinn und funkelte ihren Bruder herausfordernd an. Brice schaute belustigt zwischen den beiden Geschwistern hin und her.

„Bindet sie los!“, befahl Fulk den Wachen und verließ wutschnaubend die Halle.

Sollte seine Schwester doch für diese Wilde das Dienstmädchen spielen. Morgen würde ein anderer Wind wehen. Er würde sich von den Frauen nicht an der Nase herumführen lassen.

***

Ylfa hatte dem Gespräch nur bedingt folgen können, da alle Beteiligten trotz der Aufregung leise gesprochen hatten. Sie hatte jedoch verstanden, dass die Frau und der andere Mann für sie eingetreten waren und dass der Graf, dessen Name Fulk zu sein schien, wie sie dem Gespräch entnommen hatte, morgen über ihr weiteres Schicksal entscheiden würde. Wie auch immer. Für heute war sie froh, dass man sie nicht ausgepeitscht hatte und dass wohl auch nichts Schlimmes mehr geschehen würde. Widerstandslos ließ sie geschehen, dass man sie losband und hinter der jungen Frau aus der Halle führte.

Das Herz der Wölfin

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