Читать книгу Lockvogel für den Killer: 3 Strand Krimis - Cedric Balmore - Страница 14
VIII
ОглавлениеDie Nordflanke des Mont Ventoux, des Olymps der Provence, war noch dunkelblau verschattet, als die Sonne schon längst über den gezackten Graten der Bergkämme im Osten stand.
Nach der Begegnung mit Hermann Schiewe hatte er die Autobahn an der nächsten Ausfahrt, bei Tournon, verlassen und war von Romans aus einer unbedeutenden dunklen Landstraße nach Süden gefolgt. Erst als er die Dr ôme überquert hatte, fühlte er sich sicherer, weil er annahm, dass Schiewe ihn jetzt nicht mehr einholen konnte, selbst wenn er wüsste, welche Richtung Roth eingeschlagen hatte. Da hatte er endlich seiner Erschöpfung nachgegeben und auf dem Marktplatz eines verschlafenen Nestes angehalten. In unbequemer Haltung hatte er an die zwei Stunden im Fahrersitz geschlafen, während Tina hinten auf der Bank lag.
Die morgendliche Kühle und eine frühe, blasse Dämmerung hatten ihn geweckt. Trotz der unbequemen Lage hatte er tief und fest geschlafen, und er fühlte sich einigermaßen ausgeruht.
Nachdem er die Karte genau studiert hatte, fuhr er weiter.
Er hatte beschlossen, von Nyons aus über schmale Bergstraßen nach Osten bis Sisteron zu fahren und sich dann von Norden her gewissermaßen an sein Zielgebiet heranzupirschen. Ihm war bewusst, dass diese Strecke sehr viel Zeit kosten würde, doch solange er nicht sicher sein konnte, ob er nicht doch verfolgt wurde, wollte er die Autobahnen und die großen Durchfahrtstraßen meiden.
Tina wachte erst auf, als er mitten in Nyons anhielt. Sie bewegte sich und richtete sich schließlich auf, während er den Wagen rückwärts in eine schmale Parklücke setzte. Sie rieb sich die Augen und sah dann nach draußen.
»Oh Gott«, sagte sie nur, als sie die vielen bunten Marktstände sah und die Menschen, die sich zwischen ihnen herschoben. Sie zog ihre Jeans an und kletterte dann nach vorne.
»Guten Morgen«, sagte sie mit belegter Stimmer. »Habe ich lange geschlafen?«
»Es ist gleich acht«, sagte er.
»Oh Gott. Wo sind wir eigentlich?«
»Das Städtchen hier heißt Nyons«, antwortete er. »Da drüben gibt's bestimmt ein Café. Lass uns eine Tasse Kaffee trinken.«
»So wie ich aussehe?«
Er betrachtete ihr zerzaustes Haar und das verschlafene Gesicht, und er grinste. »Du siehst zum Anbeißen aus«, sagte er.
»Du willst mich doch nur veralbern. Aber ist mir egal. Ich brauche 'nen Kaffee ...«
Staunend ging sie neben ihm her an den Auslagen der Marktfrauen vorbei, die Olivenöl, Honig, Lavendel, Drosselpastete und frische Früchte aus den geschützten Tälern der Umgebung anboten. Die Luft war erstaunlich mild, und die Kraft der Sonne reichte sogar bis in den Arkadengang, wo sie vor einem Café im Schatten ein französisches Frühstück bestellten.
Sie tranken den Milchkaffee aus großen Schalen und aßen fettige Croissants dazu.
»Großartig«, sagte Tina mit vollem Mund. »Ganz prima.«
Er musste unwillkürlich lächeln. Sie hatte den Mann mit dem blutenden Gesicht anscheinend vergessen.
Während Tina in einer Bank deutsches Geld in Francs eintauschte, kaufte er in einer Bäckerei frisches Brot und in einem kleinen Supermarché Trinkwasser in Plastikflaschen, etwas Käse und ein Glas Lavendelhonig für unterwegs.
Weil er vermutete, dass es oben in den Bergen nicht allzu viele Tankmöglichkeiten geben würde, hielt er am östlichen Ortsausgang von Nyons an einer Tankstelle. Er benutzte die Gelegenheit, um die Toilette aufzusuchen und sich zu waschen! Als er zurückkehrte, hatte der freundliche alte Mann die Windschutzscheibe des Campers gründlich gereinigt. Und Tina hatte das Benzin bezahlt.
Die Straße nach Serres war gut ausgebaut, aber er bog nach wenigen Kilometern in die schmale und schadhafte D 64 ab, die mitten durch unwirtliches Bergland in engen Windungen steil anstieg. Nur hin und wieder begegnete ihnen ein Lieferwagen oder der Wohnwagen eines Touristen.
Den Verfolger im weißen Golf hatte er abgeschüttelt. Gab es noch andere? Ihm kam wieder der rote Sierra in den Sinn. Aber wenn es Schiewes Aufgabe gewesen war, ihn während der Nacht zu beschatten, so hatten auch die Männer im Sierra seine Spur verloren.
Aber wer konnte wissen, dass er Sigrid suchen wollte?
Seine Beziehung zu ihr lag lange zurück. Nach dem Mord an Blume hatte ihn niemand mit ihr in Verbindung gebracht. Wer erinnerte sich überhaupt daran, dass er sie gekannt hatte? Gräfe wusste es, natürlich. Sigrid und Monika, Gräfes Frau, hatten sich sogar ganz gut verstanden, obwohl sie sehr verschiedene Typen waren.
Gräfe wusste von seiner Beziehung zu Sigrid, aber er wusste nicht, dass er seinen Urlaub dazu nutzen wollte, um sie aufzuspüren.
Das wusste nur Tina.
Er sah sie von der Seite an. Geradezu andächtig sah sie nach draußen. Die Luft war noch klar und durchsichtig, und im Schatten der steilen Hänge war es kühl und frisch.
»Du hast mir überhaupt nicht gesagt, warum du mitkommen wolltest«, sagte er unvermittelt.
Sie wandte den Kopf. »Wie bitte?« Es schien, als hätte er sie aus tiefer Versunkenheit gerissen.
»Du hast dich ziemlich plötzlich entschieden, mitzukommen«, sagte er. »Warum eigentlich?«
Sie runzelte die Stirn. »Wieso? Ich versteh dich nicht.«
»Du verstehst sehr wohl. Es ist doch eine einfache Frage.«
»Du hast mich ja nicht gefragt, deshalb habe ich es nicht gesagt.«
»Ich frage dich jetzt«, sagte er gereizt. »Warum wolltest du unbedingt mitkommen? Sehnsucht nach der großen Schwester nehme ich dir nicht ab.«
»He, was ist denn los?«
»Du antwortest ja immer noch nicht!«
»Soll das ein Verhör sein? Ist doch ganz einfach. Ich hatte die Nase voll in dem Laden mit der alten Kuh, aber gestrichen.«
»Nur deshalb?«
»Wieso? Genügt das nicht? Was du mir da von Sigrid erzählt hast, wegen Blume und so, natürlich das auch. Muss doch 'n irrer Trip sein, hier runter. Und Sigrid suchen. Und außerdem, mit 'nem Typ wie dir ...«
»So kokett kenne ich dich ja gar nicht«, stellte er bissig fest. »Wem hast du von dem Trip erzählt?«
»Wie bitte? Himmel, was soll die Fragerei?«
»Wem hast du von unserem Vorhaben erzählt?«
»Niemandem! Warum? Ist das wichtig?«
»Wir wurden verfolgt. Hast du das vergessen?«
»Und deshalb verhörst du mich? Musst du eigentlich immer den Bullen rauskehren? Du kannst wohl nicht mehr anders, wie?«
»Ich habe mit keinem Menschen über Sigrid gesprochen! Nur mit dir!« Er sprach sehr laut, dabei musste er ihr im Stillen recht geben. Er schaffte es nicht, sein berufsmäßiges Misstrauen auszuschalten.
Er war verfolgt worden, er, Jürgen Roth. Das stand fest, denn Schiewe hatte gewusst, dass er Polizist war. Aber auch diese Erkenntnis brachte ihn nicht weiter.
Es sei denn, jemand wusste genauso gut über seine Absichten Bescheid wie er selbst. Und führte ihn am langen Draht.
Doch wie oder wer auch immer, es konnte nicht Tinas Schuld sein, dass ihnen mindestens ein bewaffneter Ganove gefolgt war.
»Entschuldige«, sagte er zerknirscht.
Sie fuhren in die grelle Sonne hinein. Stumm betrachtete Tina die Landschaft. Sie waren schon ziemlich hoch. Glasig weiße Hänge begleiteten sie, von trockenem Gebüsch bewachsen, von kargen Feldern unterbrochen. Das Land machte einen abweisenden Eindruck, wenn man es nur durch die Windschutzscheibe eines hochbeinigen Campingbusses betrachtete, der mit dröhnender Maschine Kilometer um Kilometer das staubigen Asphaltbandes fraß.
»Wir machen gleich Rast«, sagte Roth, der an Tinas unruhigem Hin- und Hergerutsche erkannte, dass sie eine Pause brauchte.
»Wann werden wir da sein?«, fragte sie.
»Morgen Abend vielleicht, aber wahrscheinlich erst übermorgen«, antwortete er. Wo immer das sein mochte, was sie mit »da« meinte. Da, wo er Sigrid vermutete.
Er nahm das Gas zurück. Eine uralte Steinbrücke mit verwitterten Mauern links und rechts führte über einen schmalen, kaum sichtbaren Felsspalt. Gleich hinter der Brücke breitete sich ein kleiner Schotterplatz aus. Ein enger Hohlweg, in den der Bus eben hineinpasste, bildete einen idealen Rastplatz.
Er lenkte den Wagen in den kühlen Schatten. Das Dröhnen in den Ohren wirkte noch nach, als er den Motor abstellte. Tina stieß die Tür auf ihrer Seite auf und sprang aus dem Wagen. Er folgte ihr und reckte sich.
Unter ihnen, im Dunkel der tiefen Spalte, gurgelte Wasser.
Während Roth den Gaskocher in Betrieb setzte und Wasser für den Kaffee aufsetzte, kletterte Tina in die Spalte zum Wasser hinunter. Nach einer Minute hörte er sie erschreckt prusten. Er sprang an die Kante, konnte sie da unten aber nicht sehen, weil ihm ein Gestrüpp die Sicht verwehrte.
»Was ist los?«, rief er. »Sei vorsichtig!«
»Es ist toll hier!«, rief sie zurück. »Das Wasser ist nur so kalt!«
Er stellte den Gaskocher wieder ab und kletterte ebenfalls in die schmale Schlucht. Als er unten auf einem schmalen, trockenen Geröllstreifen landete, drehte er sich um.
Sie stand, nur mit dem knappen Höschen bekleidet, bis zu den Knien im eiskalten Wasser. Aus großen Augen sah sie ihn stumm an. Langsam bückte sie sich und bespritzte sich mit Wasser, das glitzernd wie Perlen über ihre Haut lief.
Er starrte sie mit trockenem Mund an. Ihre Brüste waren klein, rund und unglaublich fest. Die Warzen hatten sich zu winzigen harten Punkten zusammengezogen, die wie kleine braune Knöpfe auf der weißen Haut standen.
Er zwang sich, den Blick abzuwenden, indem er sein Hemd abstreifte, die Schuhe auszog, mit den Füßen ins Wasser ging. Er schnappte nach Luft, als das eiskalte Gletscherwasser seine Zehen umspülte. Als er sich an die Kälte gewöhnt hatte, tauchte er die Hände bis zu den Oberarmen ein und spritzte dann Wasser auf seine Brust und in sein Gesicht.
Danach kletterte er schweigend wieder zum Rastplatz hinauf.