Читать книгу Knallhart aufs Kreuz gelegt: Zwei Kriminalromane - Cedric Balmore, Alfred Bekker, Frank Rehfeld - Страница 9

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„Blond“, sagte Rocco Grandini genießerisch, „ist keine Farbe. Es ist ein Zustand. Nur wenige erreichen ihn, und es wäre falsch, zu glauben, dass er sich verallgemeinern lässt. Aber die richtige Blondine, die, die ich bei meinen Worten im Auge habe, verbindet stolze Kühle mit sinnlicher Glut. Ein Mädchen wie Gloria zum Beispiel. Kennst du sie? Gloria Henderson...“

„Nie gehört“, sagte Tony Cantrell und zog sich die Boxhandschuhe über. Er war es gewohnt, sich zu schlagen, aber das von Grandini erbetene Sparring war nicht ganz nach seinem Geschmack, er fand es irgendwie überflüssig. Schließlich hatte Grandini genügend Geld und Beziehungen, um sich für seine Boxambitionen die passenden Sparringpartner zu leisten.

Tony Cantrell hatte Grandini vor einem halben Jahr in Miami Beach kennengelernt, eher zufällig, beim Surfing. Grandini hatte dabei eine blendende Figur gemacht, das war er sich und seinem Ruf als Golfchampion, Rennfahrer und Playboy einfach schuldig, aber er hatte niemals damit geprahlt; er gehörte zu den Leuten, die sich im Understatement gefielen, die Großes gleichsam aus dem Handgelenk schüttelten und darauf verzichteten, dafür Beifall einzuheimsen. Natürlich bekam Grandini diesen Applaus, besonders von den Mädchen, die er ständig um sich hatte. Aber er schien sich nichts daraus zu machen, Erfolg war für ihn eher Last als Vergnügen, jedenfalls schaffte er es mühelos, sich in dieser Weise darzustellen.

„Kann’s losgehen?“, fragte Grandini und schlug die Boxhandschuhe klatschend ineinander. Dann wandte er den Kopf. „Du übernimmst den Gong, Baby.“

Das „Baby“, dem seine Worte galten, war neunzehn Jahre alt und entsprach in etwa der überschwänglichen Schilderung, die Grandini soeben von Gloria Henderson gegeben hatte. Sie war kühl und blond, aber wer sie näher betrachtete, spürte genau, dass sich hinter der stolzen Kurve ihres schönen, vollen Mundes nicht nur Arroganz und Ehrgeiz, sondern auch Leidenschaft und Lebenslust verbargen.

Grandini hatte ihm das Mädchen als Daniela Shoppard vorgestellt. Er nannte sie Dany. Sie trug einfache, blaue Jeans und ein knallrotes T-Shirt mit dem Aufdruck Grandini, wobei ihre Brüste es mühelos schafften, den Namen grotesk zu verformen.

„Gong!“, sagte sie laut.

Die Männer tänzelten aufeinander los. Sie waren ungefähr im gleichen Alter, auch die körperlichen Anlagen ähnelten sich; schmale Hüften und breite Schultern, dazu kräftige Muskelpakete, aber nicht zu viel davon, der Gesamteindruck blieb harmonisch, fast elegant, alles an ihnen schien zu stimmen, sie sahen aus wie Bilderbuchathleten, aber weder Grandini noch Cantrell hatten jemals versucht, sich als Profis zu bewähren.

Für Tony Cantrell, dem Anwalt und Privatdetektiv aus Passion, war Boxen eher ein notwendiges Übel, eine Körperertüchtigung, die sich oft genug als brauchbare Verteidigungswaffe erwies. Für Grandini, der es sich leisten konnte, von seinem Geld zu leben, war der Faustkampf eher Selbstbestätigung und Spiel, ein Spiel, das er natürlich stets zu gewinnen versuchte.

Sie hatten auf den üblichen Kopfschutz verzichtet und waren entschlossen, die Regeln der Fairness zu respektieren. Sie hatten sich vorher wiederholt versichert, dass das Ganze nur eine Übung sei, ein freundschaftliches Messen der Kräfte.

Tony Cantrell begriff schon nach dem ersten, flüchtigen Schlagabtausch, dass es mehr war.

Er verübelte es dem Freund nicht, dass der beim Kampf Energie und Ehrgeiz entwickelte, das war einfach Rocco Grandinis Lebensstil. Cantrell antwortete dem Hausherrn mit den gleichen Waffen, auch darin lag keine Bosheit, es gehörte einfach zum Kampf, zur inneren Einstellung und zum Lebensbild.

Das Mädchen schaute ihnen fasziniert zu.

Sie hielt eine große Stoppuhr in der Hand. Grandini hatte vorgeschlagen, die Rundenzeiten auf zwei Minuten zu begrenzen und nach der sechsten Runde Schluss zu machen, es sei denn, das Sparring würde durch einen unbeabsichtigten Niederschlag beendet werden.

Tony Cantrell war damit einverstanden gewesen. Er wurde schnell warm, der Fight machte ihm Spaß. Er konzentrierte sich auf seine solide Technik, auf seine Beinarbeit und auf die Verlässlichkeit seiner Deckung.

Es entsprach Grandinis etwas aggressiver Auffassung, dass er ständig vorwärts marschierte. Er schlug hart und genau, traf aber meistens nur die abblockenden Handschuhe des Gegners.

Cantrell entdeckte eine Lücke in Grandinis musterhaft pendelnden Fäusten und schoss die Rechte ab. Sie kam voll durch, traf den Punkt und holte Grandini von den Beinen.

Grandini landete mitten im Ring.

Er blinzelte verdutzt und konnte nicht begreifen, dass er schon nach knapp einer Minute so entscheidend getroffen worden war.

„Tut mir leid, Rocco“, sagte Cantrell. „Ich hoffe, ich habe dir nicht wehgetan?“

Grandini schüttelte den Kopf, dann stemmte er sich grinsend hoch. „Meine Schuld, Tony“, sagte er. „Ich habe dich unterschätzt. Machen wir weiter?“

„Ich würde lieber einen trinken“, sagte Cantrell.

„Einverstanden, du bist sowieso zu gut für mich“, meinte Grandini.

Cantrell lächelte. Das war fabelhaft an Grandini. Erfolg und Gewinn waren sein Lebenselixier, aber er konnte auch verlieren, ohne die Contenance aufzugeben.

Das Mädchen zog den Männern die Handschuhe aus. Zehn Minuten später trafen sie sich in Grandinis großem, elegant möbliertem Wohnzimmer. Ihr Haar war vom Duschen noch nass und das Mädchen baute sich hinter Grandini auf, um ihn mit einem Föhnkamm zu bedienen.

„Lass das, bitte.“ Er winkte ab. „Ich möchte mit Tony allein sein.“

Das Mädchen verließ den Raum. Grandini füllte zwei Gläser mit Whisky und Soda. Es handelte sich um eine Whiskysorte, die er sich nach eigenem Rezept destillieren ließ, und deren Flaschen seinen Namen trugen. „Ich habe vorhin Gloria erwähnt“, sagte Grandini, als er sich Cantrell gegenübersetzte und ihm das Glas reichte. „Ich möchte, dass du das Mädchen für mich findest.“

Cantrell hob die Augenbrauen. „Hast du mich deshalb hergebeten?“, fragte er.

„Ich wollte mit dir boxen, das war ja abgemacht, aber gleichzeitig wollte ich mit dir über Gloria reden. Sie ist seit gestern verschwunden. Weg vom Fenster, einfach so!“, meinte er und schnippte mit den Fingern. „Ich begreife das nicht, ihr muss etwas zugestoßen sein. Einen Unfall kann sie nicht erlitten haben, ich habe mit der Polizei telefoniert, und die hat sich bei allen Unfallstationen erkundigt. Unter den Unfallopfern der vergangenen Nacht ist niemand, auf den Glorias Beschreibung passen würde. Moment“, fügte er hinzu und fischte ein Foto aus seiner Brieftasche. „Das ist sie, das Bild ist noch keine zwei Monate alt.“

„Alle Achtung“, sagte Cantrell. „Wie und wo hast du sie kennengelernt?“

„Hab ich vergessen, ehrlich. Aber sie ist seit ein paar Monaten Nummer eins auf meiner Liste. Ich habe ihr ein Apartment im Stone House gekauft, nur ein paar Häuserblocks von hier entfernt.“ Er zwinkerte Cantrell zu. „Ist sehr bequem für mich, weißt du.“

„Ich weiß manchmal nicht, wen ich mehr bewundern soll, dich oder deine Mädchen“, sagte Cantrell. „Ich kann ja verstehen, dass dein Faible für Blonde zu einem tollen Verschleiß führt, aber ich wüsste gern, wie sich die Mädchen damit arrangieren. Dany zum Beispiel. Gibt es da nicht ständig Eifersüchteleien?“

„Aber klar.“ Grandini nickte. „Ich sage ihnen, dass ich das nicht mag, und sie richten sich danach. Wer aus der Reihe tanzt, fliegt. Das hat Erfolg.“

„Ich wusste nicht, dass du ein Despot bist“, meinte Cantrell lächelnd.

„Frauen mögen Despoten, wusstest du das nicht? Sie reden von Emanzipation, von Gleichberechtigung, aber nichts erscheint ihnen so süß wie der Knall einer Peitsche“, spottete Grandini. „Natürlich kommt es darauf an, wer sie handhabt. Nicht jeder hat das Zeug, damit umzugehen.“

„Bleiben wir bei dem Mädchen“, sagte Cantrell. „Warum soll ich sie suchen?“

„Weil sie mir ans Herz gewachsen ist, weil ich mir Sorgen um sie mache.“

„Ich bin Anwalt, das weißt du. Als Privatdetektiv betätige ich mich nur dann, wenn es meinen Klienten und der allgemeinen Wahrheitsfindung dienlich ist. Außerdem arbeite ich ungern für Freunde. Das bringt mich einerseits in Schwierigkeiten, wenn es um das Honorar geht, und es hat andererseits den Nachteil, die gebotene Objektivität zu schmälern. Wende dich einfach an die Polizei, Rocco. Die übernimmt den Fall völlig kostenlos, immer vorausgesetzt, dass es überhaupt ein Fall ist...“

„Es ist einer, mein Wort darauf“, sagte Grandini grimmig. „Du musst wissen, dass Gloria mich liebt. Ich erwähne so etwas ungern, es klingt eingebildet, aber es ist nun mal die Wahrheit. Sie würde nicht einfach davonlaufen, ohne Grund, ohne eine Erklärung. Und da ist noch etwas. Sie hat nichts mitgenommen, weder ihren Schmuck noch die Garderobe. Ich habe einen Schlüssel zu ihrem Apartment, klar. Ich war heute dort. Alles steht oder liegt an seinem Platz. Nur Gloria ist verschwunden.“

„Hat sie noch Familie, Verwandte, Freunde? Es kann ja sein, dass jemand krank geworden ist und sie gebeten hat, vorbeizukommen.“

„Ihre Mutter lebt irgendwo im Norden der Stadt, ich habe mit ihr telefoniert. Die Alte hat Gloria seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen. Gloria schickt ihr hin und wieder etwas Geld, ansonsten gibt es zwischen den beiden keine Bindung mehr. Die Alte säuft. Aber setzen wir einmal den Fall, Gloria wäre wirklich losgefahren, um irgend jemandem zu helfen, dann hätte sie mich längst verständigt. Wir waren für den Spätnachmittag verabredet, wenn etwas dazwischengekommen wäre, hätte sie sich bei mir gemeldet.“

„Du glaubst an ein Verbrechen?“

„Ich weiß nicht, woran ich glauben soll, ich möchte nur, dass du herausfindest, was Gloria zugestoßen ist“, meinte Rocco. „Du hast mir bewiesen, dass du der Größte im Surfing bist, eine Kanone im Boxen, nun beweise mir auch, dass du so ein Superdetektiv bist, wie es die Zeitungen immer wieder behaupten.“

„Wann und wo hast du Gloria zuletzt gesehen?“

„Gestern Nachmittag, wir haben zusammen Kaffee getrunken“, sagte Grandini. „Sie wollte anschließend ins Kino gehen und mich am Abend anrufen. Ich war nicht zu Hause, ich weiß also nicht, ob sie versucht hat, mich zu erreichen.“

„Du weißt, was ich fragen muss. Hatte sie einen Freund außer dir? Hat sie jemals versucht, dich auszunehmen? War sie gestern verändert, hattest du das Gefühl, dass sie sich vor etwas fürchtete oder...

„Nein, nein“, fiel Grandini Cantrell ins Wort. „Es wäre unsinnig, ihr unlautere Motive unterstellen zu wollen. Wenn sie sagte, dass sie mich liebt, dann war das ernst gemeint, dafür habe ich eine Antenne. Und sie war nicht anders als sonst.“

„Wo soll ich beginnen?“

„Sieh dich meinetwegen in ihrer Wohnung um. Befrage die Hausbewohner. Es muss doch einen Anhaltspunkt geben, einen Aufhänger! Wenn ich selbst Detektiv wäre, würde ich mich persönlich um Glorias Verschwinden kümmern, aber ich bin grundsätzlich dafür, schwierige Probleme dem Fachmann zu überlassen.“

Sie sprachen noch eine Viertelstunde miteinander, dann schaute Cantrell auf die Uhr und sagte: „Ich muss gehen.“

Grandini brachte seinen Besucher in die Halle. „Es regnet, ziemlich stark sogar“, stellte er fest. „Soll ich dich mit dem Schirm zur Straße bringen?“

„Es genügt, wenn du mir das Ding leihst. Ruf mich an, sobald du etwas von Gloria hörst. Ach so, noch etwas. Ich brauche ihre Adresse, ihr Foto und die Schlüssel zu ihrem Apartment.“

Grandini ging nochmals zurück ins Zimmer. Als er zurückkehrte, hatte er das Geforderte bei sich. „Es regnet stärker“, sagte er und überließ Cantrell ein Sporthütchen, das in der Garderobe hing. „Nimm lieber das, es ist besser als ein Schirm.“

Cantrell stülpte sich das Hütchen auf den Kopf, verabschiedete sich an der Tür, zog wie fröstelnd die Schultern hoch und sprintete dann über die breite, in Schlangenlinien zur Straße führende Zufahrt, durch den Regen. Grandinis Haus lag im Zentrum eines großen, gepflegten Grundstücks, bis zur Straße waren es gut zweihundert Yards.

Cantrell hatte noch nicht einmal die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als es knallte. Er hatte das Gefühl, dass etwas seine Wange streifte, und rannte weiter, dann knallte es zum zweiten Mal.

Cantrell begriff, dass auf ihn geschossen wurde.

Er zuckte zur Seite und stürmte von der laternenbeleuchteten Zufahrt in das tropfnasse Dunkel des Gartens. Er stolperte über eine Wurzel und trat in eine Pfütze, dann stand er im Schutz einer alten, stämmigen Eiche und war bemüht, den Schützen auszumachen, der ihn aufs Korn genommen hatte.

Es regnete unaufhaltsam. Obwohl die zahlreichen, kleinen Laternen an der Zufahrt und das von der Straße in den Garten fallende Licht für ein Mosaik unterschiedlich heller Lichthöfe sorgten, war es unmöglich, das lastende Dunkel zu durchdringen, das sich zwischen Bäumen und Büschen staute.

Der Regen nahm zu. Cantrell stellte den Kragen seines Sportsakkos hoch. Er war dem Schützen gegenüber klar im Nachteil, denn dieser wusste, wo sich sein Zielobjekt befand, während Cantrell nur mühsam zu rekonstruieren vermochte, was geschehen war.

Vieles deutete darauf hin, dass der Schütze ein Gewehr benutzt hatte. Es war fraglos mit einem Schalldämpfer ausgerüstet, denn die beiden Schüsse waren im monotonen Geprassel des Regens fast untergegangen.

Cantrell hatte keine Lust, sich durchregnen zu lassen, also sprintete er im Zickzackkurs zurück, auf Grandinis Haus zu. Er erreichte es von der Rückseite und hämmerte mit der Faust gegen die Terrassentür.

Er wusste, dass auf der Innenseite das Scherengitter vorgelegt worden war, außerdem hatte Grandini die Vorhänge geschlossen.

„Wer ist da?“, ertönte Grandinis Stimme aus dem Hausinneren.

„Ich bin’s, Tony. Mach auf, bitte.“ Cantrell hörte, wie das Gitter geöffnet wurde. Er trat zur Seite, weil er keine Lust hatte, vor dem erleuchteten Fenster ein klares Ziel zu bieten. Grandini öffnete die Terrassentür. Cantrell huschte ins Innere des Raumes und schüttelte sich.

„Was ist los?“, fragte Grandini und starrte verdutzt auf Cantrells nasse, schmutzige Schuhe. Sie hinterließen auf der kostbaren Veloursauslegware hässliche Flecke. Cantrell nahm das Hütchen ab. „Hier, das kannst du wiederhaben, es wäre mir um ein Haar zum tödlichen Verhängnis geworden. Auf mich ist geschossen worden. Insgesamt zweimal. Trägst du das Hütchen oft?“

„Geschossen, auf dich? Hier im Garten?“, staunte Grandini und vergaß, Cantrells letzte Frage zu beantworten.

Der nickte, klappte den Jackettkragen zurück und setzte sich. „Man hat mich für dich gehalten. Wegen des Hütchens, nehme ich an.“ Grandini ließ sich in einen Sessel fallen. Er sah verdutzt aus. „Wir müssen die Polizei rufen“, sagte er nach kurzem Nachdenken.

„Das bringt nicht viel. Ich wette, der Kerl ist längst über alle Berge, und der Regen wird seine Spuren verwischen“, sagte Cantrell.

„Du hast recht. Polizei wäre nicht gut. Ihr würden die neugierigen Reporter folgen, und ich wäre mal wieder im Mittelpunkt einer dummen Pressekampagne. Geschossen! Wer sollte auf mich schießen wollen, und warum?“

„Das weißt du besser als ich.“

„Aber ich habe keinen blassen Schimmer, ehrlich!“, sagte Grandini.

„Kann es mit Glorias Verschwinden zusammenhängen?“

„Unsinn“, meinte Grandini kopfschüttelnd.

„Vielleicht will dir jemand was am Zeuge flicken. Dazu gehört auch eine durchaus denkbare Attacke auf deine Freundin Gloria“, sagte Cantrell.

„Ich sehe kein Motiv für ein solches Vorgehen“, meinte Rocco Grandini. „Was hätte unser Mann davon? Verbrecher wollen etwas erreichen, sie haben ein Ziel. Meistens sind sie hinter Geld her. Niemand hat bislang versucht, eine Forderung an mich zu richten.“

„Das kann noch eintreten. Es würde mich nicht wundern, wenn Gloria entführt worden wäre, und wenn man versuchte, ein Lösegeld von dir zu bekommen.“

„Das ist theoretisch durchaus denkbar“, meinte Grandini. „Ich gelte als reich, und ein paar Leute dürften erfahren haben, dass ich auf Gloria stehe. Aber niemand kann erwarten, dass ich für ein Mädchen, mit dem ich nicht einmal verlobt bin, eine Dollarmillion ausspucke.“

„Zehntausend Bucks sind auch ’ne Menge Geld, für viele jedenfalls. Ich wette, dass du sie springen lassen würdest, um Gloria freizukaufen.“

„Was ist mit den Schüssen im Garten?“

„Falls sie wirklich dir gegolten haben sollten, dienten sie sicherlich dem Zweck, dein Nervenkostüm anzuknacksen. Sie sollen dir klarmachen, dass du es mit Leuten zu tun hast, die vor nichts zurückschrecken. Man wollte dich nicht treffen, sondern warnen.“

„Sollen wir die Polizei einschalten?“

„Ich bin dafür“, sagte Cantrell. Er schaute sich um. „Wo steckt eigentlich das Mädchen?“

„Dany? Sie ist nach oben gegangen“, sagte Grandini, blickte Cantrell an, und lachte plötzlich. „Du hältst es doch hoffentlich nicht im Ernst für denkbar, dass Dany auf dich geschossen haben könnte?“

„Ich frage nur, wo sie ist.“

„Sie kam in die Halle, nachdem du gegangen warst“, sagte Grandini. „Sie flog in meine Arme und wollte wissen, ob ich nicht endlich Zeit für sie hätte. Ich schickte sie nach oben, ins Bett. Sie kann also nicht im Garten gewesen sein. Genügt dir diese Auskunft?“

„Okay“, meinte Cantrell und stand auf. „Ich fahre jetzt zu Glorias Wohnung und sehe mich dort ein wenig um. Wie würde Gloria übrigens reagieren, wenn sie wüsste, dass Dany die Nacht in deinem Haus verbringt?“

„Sauer, nehme ich an, aber sie würde nicht so dumm sein, es zu zeigen. Gloria kennt mich. Ich hasse Eifersuchtsszenen und lasse mir keine Vorschriften machen. Für ein Mädchen, das mich haben will, gibt es nur eine Möglichkeit, mich an sie zu binden: Sie muss im harten Konkurrenzkampf beweisen, dass sie besser ist als alle anderen.“

„Raue Sitten“, meinte Cantrell und ging zur Terrassentür. „Ich nehme diesen Weg.“

„Ist es nicht besser, wenn ich mitkomme?“

„Der Kerl, falls es ein Mann war, ist längst über alle Berge“, sagte Cantrell. „Bleibe lieber im Haus und kümmere dich um die Kleine. Ich überlasse es dir, ob du die Polizei verständigst oder darauf verzichtest. Aber lasse es mich wissen, bitte, und rufe mich an, sobald es Neues gibt.“

Wenige Minuten später war Cantrell mit seinem Wagen bereits unterwegs. Er achtete darauf, dass ihm niemand folgte und stoppte kurz darauf in der Tiefgarage des Hauses Allersby Road 41. Der erst kürzlich bezogene Wohnturm hatte 29 Etagen. Cantrell fuhr mit einem der Lifts in die 9. Etage, wo Gloria ein Zwei-Zimmer-Apartment bewohnte. Obwohl er den Schlüssel für das Apartment bei sich hatte, hielt er es für klüger, erst einmal zu klingeln.

In der Diele ertönten Schritte, die Tür öffnete sich. Auf der Schwelle zeigte sich ein etwa zwanzigjähriges, sehr attraktives Mädchen. Es hatte rotblonde Haare, tiefblaue Augen und einen Schmollmund. Zudem verfügte Cantrells Gegenüber noch über den Kurvenreichtum einer B. B. „Hallo“, sagte sie.

„Ich bin Tony Cantrell“, sagte er. „Darf ich eintreten, bitte?“

Sie starrte ihm verdutzt ins Gesicht. „Tony Cantrell? Was wollen Sie hier?“

„Ich möchte zu Gloria.“

„Sie ist nicht zu Hause.“

„Das habe ich befürchtet. Rocco hat mich gebeten, etwas über Glorias Verbleib herauszufinden.“

„Oh“, sagte das Mädchen. Mehr nicht.

„Sie sind Glorias Freundin?“

„Ja, so kann man es nennen.“

„Wäre es vermessen, sich nach Ihrem werten Namen zu erkundigen?“

„Oh, habe ich vergessen, ihn zu nennen?“, fragte sie. „Ich bin Marsha.“

Sie war nervös, sogar sehr nervös. Cantrell hatte das sichere Gefühl, dass sie nicht allein in der Wohnung war, und er wünschte herauszufinden, was sie hier wollte, und mit wem sie hergekommen war. „Darf ich eintreten?“, wiederholte er.

„Ich weiß nicht recht. Sie haben mir zwar Ihren Namen genannt, aber ich kenne Sie nicht und wüsste gern, ob...“ Sie unterbrach sich.

Cantrell wandte den Kopf und folgte ihrem Blick. Schräg hinter ihm glitt die Metalltür des Fahrstuhls zur Seite. Ein Mann mit einer braunen Einkaufstüte unterm Arm verließ den Lift, kam geradewegs auf sie zu, blieb stehen und fragte: „Was gibt’s?“

„Das ist Mr. Cantrell“, sagte Marsha hastig. Sie wirkte erleichtert, schaffte es aber trotzdem nicht, ihre Nervosität abzulegen. „Er ist von Mr. Grandini beauftragt worden, sich um Gloria zu kümmern, um ihr Verschwinden.“

Der Mann grinste. Er war knapp dreißig und hatte ein markantes Gesicht mit großporiger Haut und dunklen, tiefliegenden Augen. Bekleidet war er mit Jeans, Rollkragenpullover und ledernem Lumberjack. Trotz der saloppen Aufmachung war zu erkennen, dass seine Sachen nicht aus dem Kaufhaus stammten, sie waren teuer gewesen und zeigten die Klasse rustikaler Eleganz.

„Ah, Mr. Cantrell“, sagte der Mann. „Sie sind mit Rocco befreundet?“

„So kann man es nennen. Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“

„Ich bin Marshas Freund. Nennen Sie mich einfach Luigi. Kommen Sie ruhig herein, wie Sie sehen, habe ich ein paar Dinge für den Kühlschrank besorgt. Trinken Sie ein Glas Bier mit uns, Mister? Ein Scheißwetter ist das draußen, wirklich! Manchmal frage ich mich, warum ich in Chicago bleibe. Ich kenne keine Stadt in diesem Land, die ähnlich kalt, windig und unfreundlich ist...“

Er war während des Sprechens über die Schwelle getreten, das Mädchen und Cantrell folgten ihm ins Wohnzimmer. Luigi stellte die Tüte auf dem Tisch ab und schaute sich prüfend um. Es war zu sehen, dass Rocco in Glorias Wohnung eine Menge Geld investiert hatte. Die Einrichtung war von ultramodernem Zuschnitt und wusste durch Harmonie von Farben und Formen zu gefallen.

„Sehen Sie mal, was ich hier mitgebracht ha...“, begann Luigi und griff in die Tüte, aber er kam nicht mehr dazu, den Revolver in Anschlag zu bringen, den er auf diese Weise ins Freie befördern wollte. Cantrell hatte so etwas erwartet, das Verhalten der beiden war einfach zu verdächtig gewesen, um dabei gelassen bleiben zu können. Sein harter, gezielter Handkantenschlag traf genau. Der Mann stieß einen Schrei aus, seine Waffe flog im hohen Bogen durch die Luft und krachte dann gegen den Plastikfuß des weißen Fernsehgerätes.

Luigi stand wie erstarrt. Er brauchte gut eine Sekunde, um zu begreifen, dass er sich mit einem Gegner eingelassen hatte, der ernst zu nehmen war. Dann griff er an, mit beiden Fäusten.

Cantrell praktizierte einen zweiten Karateschlag. Luigi ging zu Boden.

Cantrell bückte sich nach dem Revolver. Es war wichtig, ihn dem Zugriff des Mädchens zu entziehen. Luigi wälzte sich auf die Seite, stemmte sich langsam hoch, und schüttelte dabei benommen den Kopf.

Cantrell schnupperte an der Waffenmündung. Der Revolver war in letzter Zeit nicht benutzt worden.

Marsha stand an der Buchwand, mit weit aufgerissenen Augen. Sie atmete mit halboffenem Mund und versuchte zu begreifen, weshalb es Luigi, ihr Idol, auf so unbegreifliche Weise erwischt hatte. Mit zwei Schlägen, deren Nachwirkung sich selbst jetzt noch in einer leichten Glasigkeit seines Blickes offenbarte.

Luigi lehnte sich an die Wand, sein Blick klarte auf, er wurde hart und war von jähem Hass erfüllt.

„Nun mal langsam, mein Junge“, sagte Cantrell. „Du wolltest mich also mit dieser Kanone beeindrucken. Eine hübsche Idee. Nur wüsste ich gern, wie sie zustande gekommen ist, und was dahintersteckt. Vor allem möchte ich erfahren, was aus Gloria geworden ist!“

„O Gott“, sagte Marsha. In ihren Knien schien ein Klappmechanismus mobil zu werden, sie musste sich plötzlich setzen.

Cantrell schaute sie an. Er sah die Angst in ihren Augen und ahnte, dass sie zum ersten Mal in ein krummes Ding verwickelt wurde. Mit Luigi war das etwas anderes. Er machte den Eindruck, als sei er mit der Kriminalität schon vertrauter, als stünde er mit ihr auf du und du.

„Du hältst die Schnauze!“, herrschte Luigi das Mädchen an und stellte damit klar, dass er als Sprecher aufzutreten wünschte.

„Wo ist Gloria?“, fragte Cantrell und spielte mit dem Revolver. Das Schnappen des Hahns erwies sich dabei als eine Begleitmusik, die Luigis Nerven keineswegs guttat.

„Woher sollen wir das wissen?“, fragte Luigi.

„Ich kann die Polizei rufen“, sagte Cantrell.

„Dann tun Sie’s doch!“, meinte Luigi. „Sie können uns nichts am Zeug flicken. Wir sind hergekommen, um Gloria zu helfen, um auf sie zu warten...“

„Wann haben Sie mit ihr gesprochen?“

„Heute morgen, am Telefon.“

„Was wollte sie von Ihnen?“

„Sie sagte mir, wie und wo ich den Schlüssel zu ihrer Wohnung finden könne. Sie bat mich, hier zu übernachten. Gloria wollte, dass ich die Stellung halte, notfalls mit Waffengewalt. Das hat sie wörtlich gesagt. Deshalb brachte ich die Kanone mit. Gloria sprach sehr schnell, sie hatte Angst, glaube ich“, behauptete Luigi.

„Warum kommt sie nicht nach Hause?“

„Das habe ich sie auch gefragt, aber sie wollte mir keine Erklärungen geben, es schien, als stünde sie unter Zeitdruck“, sagte Luigi.

„Woher kennen Sie das Mädchen?“

„Wir sind Jugendfreunde.“

„Warum hat sie nicht mit Rocco gesprochen?“

„Sie wird ihre Gründe gehabt haben.“

„Welche Gründe?“

„Weiß ich nicht“, sagte Luigi schulterzuckend.

„Ich wüsste gern Ihren vollen Namen.“

„Ich sage die Wahrheit, Mister. Sie werden noch ein paar Fragen haben, ich nehme die Antworten vorweg. Sie wollen wissen, weshalb ich Marsha mitgenommen habe. Ich lebe bei meinen Alten. Da ist es schwer, seine Puppe mitzubringen. Ich sah eine feine Möglichkeit, mit Marsha hier ein paar ungetrübte Stunden zu verbringen. Als Sie an der Tür klingelten, hat sie sicherlich geglaubt, ich sei vom Einkauf zurückgekommen...“

„Genauso ist es“, assistierte das Mädchen eifrig. „Sonst hätte ich gar nicht geöffnet.“

„Wo hat Gloria die Schlüssel für Sie hinterlegt?“

„Unten in der Tiefgarage, eine Handbreit unter dem Sand des Löscheimers.“

„Demnach muss sie hier gewesen sein.“

„Sie wohnt schließlich in diesem Haus.“

„Gegen wen sollen Sie die Wohnung verteidigen?“, wollte Cantrell wissen.

„Keine Ahnung!“

„Finden Sie nicht selbst, dass Ihre Geschichte reichlich unglaubwürdig klingt? Sie kreuzen hier mit Ihrem Mädchen und dieser Kanone auf, um das Apartment einer Jugendfreundin gegen unbekannte Angreifer zu sichern. Wer sind diese Angreifer, was können sie hier wollen? Geld vielleicht? Oder etwas anderes von Wert?“

„Kann schon sein. Diese Geschichte ist jedenfalls wahr, das genügt.“

Cantrell trat ans Telefon. Er wühlte Rocco Grandinis Nummer. Es dauerte einige Zeit, ehe der Teilnehmer sich meldete. Seine Stimme klang unwirsch, besänftigte sich aber rasch, als er Cantrells Stimme erkannte. Cantrell berichtete, wo er sich befand, was er in Glorias Wohnung vorgefunden hatte, und mit welchen Argumenten Luigi und Marsha ihr Handeln verteidigten.

„Marsha?“, sagst du?“, fragte Grandini. „So um die Zwanzig herum und rotblond? Kenne ich nicht. Auch dieser Luigi ist mir nicht bekannt. Ich wette, die beiden binden dir einen Bären auf. Lass dir die Ausweise von ihnen zeigen. Es wird am besten sein, ich stehe auf und komme hin, das schaffe ich in zehn Minuten. Bis gleich.“

Es klickte in der Leitung. Grandini hatte aufgehängt.

„Rocco kennt uns nicht“, sagte Luigi.

„Aber Sie kennen ihn?“

„Wer kennt ihn nicht?“, fragte der Mann mit einem Anflug von Bitterkeit. „Sein Bild ist fast täglich in den Zeitungen zu sehen. Ein großer Mann, nicht wahr? Reich, sozial und wohltätig, dabei gutaussehend, der Liebling aller Frauen. Ist es nicht so?“

„So ist es“, bestätigte Cantrell.

„O ja. Nur spricht niemand von den vielen gebrochenen Herzen, die er ständig hinter sich lässt, von seiner skrupellosen Art, Hoffnungen und Leben zu zerstören. Oder glauben Sie im Ernst, er könnte sich mit ein paar Stiftungen freikaufen? Für ihn sind das doch nur Almosen, steuerlich absetzbar...“

„Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen“, meinte Cantrell. „Rocco macht keinen Hehl daraus, Mädchen zu lieben. Er kann nicht jede heiraten. Meines Wissens sorgt er sogar sehr nachdrücklich dafür, dass in dieser Hinsicht keine Zweifel auf kommen. Versuchen Sie also bitte nicht, mit Ihrer melodramatischen Vorstellung vom Thema abzulenken. Rocco wird herkommen und einige Fragen an Sie und Ihre Freundin richten. Wenn die Antworten nicht befriedigend ausfallen, müssen Sie damit rechnen, dass...“

Weiter kam er nicht.

Das Mädchen erhob sich unruhig. Cantrell wandte den Kopf, um zu sehen, was sie vorhatte.

Das war für Luigi das Signal zum Angriff. Er schnellte nach vorn, direkt auf Cantrell zu. Cantrell zuckte instinktiv zur Seite, verzichtete aber darauf, zu schießen. Diesmal war es Luigi, der einen Handkantenschlag anbrachte. Er traf Cantrells Hals.

Cantrell stürzte zu Boden wie ein gefällter Baum. Irgend etwas traf seine Schläfe. Ein heißer, scharfer Schmerz durchzuckte ihn. Der Schlag wiederholte sich. Plötzlich stürzte sein Bewusstsein in einen tiefen, schwarzen Schacht, und er hörte auf, etwas zu fühlen oder zu denken.

Knallhart aufs Kreuz gelegt: Zwei Kriminalromane

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