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Kapitel 2

Ich will diesmal wissen, mit wem ich es zu tun habe. Iduna sitzt mir gegenüber. Ihr schwarzes Haar steht in Kontrast zu ihren intensiv blauen Augen und ihrem blassen Teint. »Du weißt, was mein Beruf war?«, frage ich.

»Ja, ich bin informiert. Du hast auf dem Gebiet der Psychotherapie gearbeitet.« Sie sieht mich spöttisch an. Wahrscheinlich denkt sie, dass viele Angehörige meiner Profession ähnliche Probleme haben, wie ihre Patienten. »Erzähle mir von deinem skurrilsten Fall«, verlangt sie sichtbar gut gelaunt.

Eine Weile denke ich nach. Über die Sache mit der Kannibalin will ich nicht reden. In einer frühen Phase des Kennenlernens könnte das irritierend wirken. Ich entscheide mich für einen eher alltäglichen Konflikt eines Ehepaares im Alter von 40 Jahren: »Ein Mann konsultierte mich wegen seiner Unzufriedenheit im erotischen Umgang mit seiner Gattin. Sie verstand es zwar, ihn in Erregung zu versetzen, doch unmittelbar vor der Vereinigung sagte sie immer denselben Satz: Jetzt gibt Mutti alles!«

»Und wo ist da das Problem?«

»Immer, wenn sie diese Worte vom Stapel ließ, verlor er augenblicklich sein Stehvermögen.«

»Wie frustrierend! Der Patient muss sehr sensibel gewesen sein.«

Ich nicke und bestelle noch einen Campari.

»Und wie bist du den Fall psychologisch angegangen?«

»Es stellte sich heraus, dass die Gemahlin nicht besonders glücklich in ihrer Ehe war. Sie hätte sich mehr Freiheit und Selbstverwirklichung gewünscht. Stattdessen war sie in einer traditionellen Rolle gefangen. Im entscheidenden Moment diesen Satz zu sagen, war eine Art Rache. Man könnte es auch als eine Methode betrachten, ihre Unzufriedenheit zu signalisieren. In einem symbolischen Sinn entmannte sie ihren Gatten, weil er sie als Frau nicht verstehen wollte.«

»Sie verwandelt den sinnlichen Augenblick in einen scheinbaren Inzest. Das löst die Hemmung aus. Du verstehst es, mit toxischer Weiblichkeit umzugehen. Das gefällt mir.«

»Soll das andeuten, dass du selbst ein gewisses Maß an toxischer Energie mit dir führst?«

»Aber ganz bestimmt«, entgegnet sie freimütig. »Eine ganze Menge sogar.« Sie lacht amüsiert.

Es für mich fast unmöglich, sie einzuordnen. »Was machst du von Beruf?«, frage ich.

»Ich bin Thanatologin.«

»Was sollte ich mir darunter vorstellen?«

»Das ist ein Euphemismus für den Begriff Bestattungsunternehmerin

Jetzt beginne ich, sie zu verstehen. Die Aura um sie herum passt zu dieser Angabe. Sie hat etwas Unheimliches an sich. Es ist eine Art morbider Charme, auf den ich mich zu diesem Zeitpunkt bereits unbewusst eingelassen habe. »Und was war deine unvergesslichste Bestattung?«

»So, wie sie schließlich abgewickelt wurde, war sie eigentlich sehr konventionell, aber eigentlich war gar keine Grablegung geplant gewesen. Es gibt Menschen, für die ist der Gedanke unerträglich, dass sich ihre Kinder je von ihnen lösen könnten. In meinem Fall hatte ein Ehepaar testamentarisch angeordnet, dass die Tochter nur dann in den Genuss des Nachlasses käme, wenn sie eine eidesstattliche Erklärung abgebe, ihre Eltern für den Rest ihres Lebens als Plastinate in ihrem Wohnzimmer aufzubewahren.«

»Plastinate? Du spielst auf jenen Deutschen mit Hut an, der eine Methode entwickelte, Menschen- und Tierkörper haltbar zu machen?«

»Ja, genau. Ich hatte eine seiner Ausstellungen besucht und war beeindruckt.«

»Und? Wie ging die Angelegenheit aus?«

»Der Letzte Wille enthielt einen Formfehler und wurde vor Gericht angefochten. So kamen die beiden älteren Herrschaften doch noch zu ihrer Beisetzung und die Tochter führte mit deren Geld ein betont extravagantes Leben.«

***

Seinen Ursprung hat der Narzisst in der antiken Mythologie. Doch wie das meiste der klassischen Psychoanalyse gilt auch diese Gestalt als zweifelhafte Auslegung eines sektiererischen und pseudowissenschaftlichen Kults. Mir scheint es sinnvoller zu sein, Parallelen in den kollektiven Schichten unseres Unbewussten zu suchen. In dem Märchen vom Rotkäppchen beispielsweise findet man eine sehr plakative Beschreibung der Realitätsverweigerung eines Opfers, das sich aus Leichtsinn mit seinem Häscher eingelassen hat. Mit Kuchen und allerlei anderem Backwerk wird die Heranwachsende von ihrer Mutter zum Haus ihrer Großmutter geschickt. Sie ist angehalten, nicht den Weg zu verlassen, doch dann wird sie vom bösen Wolf angesprochen und plaudert unbekümmert über ihr Ziel. Das wilde Tier bietet an, sie zu begleiten, doch Rotkäppchen lehnt dies ab. Stattdessen pflückt sie auf einer angrenzenden Wiese einen Strauß Blumen. Der Wolf hat inzwischen die Behausung der Großmutter aufgesucht und diese verschlungen. Als die Kleine schließlich in der Hütte ankommt, erkennt sie nicht das Untier, das in den Kleidern der Großmutter in deren Bett liegt. Sie hatte nicht gelernt, die ersten Anbiederungen des Wolfs als Teil einer teuflischen List zu sehen. In manchen Versionen der Fabel legt sie sich sogar zu ihm ins Bett. Aber da ist dennoch dieses typische Unbehagen, das Menschen in Gegenwart des Narzissten empfinden: »Großmutter, warum hast du so große Augen?«, will sie wissen. Wäre der Wolf ehrlich, würde er antworten: Damit ich dich auch in Zukunft kontrollieren kann. »Großmutter, warum hast du so eine große Schnauze?« – Damit ich dich jeder Zeit aufspüren kann. »Großmutter, warum hast du ein so großes Maul?« – Damit du in meinem selbstsüchtigen Orbit bleibst und ich dich weiterhin manipulieren kann. Ein aufmerksamer Jäger kommt am Ende zu Hilfe, befreit die beiden Frauen und füllt den aufgeschlitzten Leib des Raubtieres mit Steinen. Der Bösewicht kann seinen Opfern also nicht mehr nahekommen. Und Rotkäppchen hat hoffentlich gelernt, dass man Fremden keine sensiblen Informationen ausplaudert.

Wir stehen vor einem beispiellosen Bankrott jenes politischen Systems, auf das wir bisher vertrauten und das in den letzten Jahrzehnten auch einigermaßen funktionierte. Es ist den etablierten Machthabern nicht gelungen, einvernehmliche Lösungen mit der aufkommenden Opposition zu erarbeiten. Vielmehr begegnet man den Dissidenten mit unverhohlener Arroganz und bekämpft sie mit allen legalen und illegalen Mitteln. Es geht nicht mehr um die Verständigung auf einen gesellschaftlichen Konsens, sondern um die Herstellung unumkehrbarer Zustände. Angesichts des relativ kleinen Zeitfensters für eine alternative Politik ist dies eine rationale Strategie. Sie hat jedoch nichts mehr mit einer Volksherrschaft zu tun. Der Souverän wird vielmehr übergangen und der freiheitliche Rechtsstaat besteht nur noch auf dem Papier. Beim Bürger entsteht der Eindruck, dass die relevanten Fragen gar nicht mehr im Parlament debattiert und entschieden werden, sondern die Entschlüsse in undurchsichtigen Ausschüssen, supranationalen Gremien und elitären Zirkeln gefasst werden. Das lässt konspirative Theorien ins Kraut schießen. Dabei sind die wahren Gründe für das Systemversagen wesentlich einfacher. Narzissmus und Demokratie schließen sich wechselseitig aus. Die regierende Narzisstin kann ihren elementaren Fehler nicht zugeben. Würde sie ihre Fehlbarkeit eingestehen, wäre dies eine schwere Kränkung für ihr als perfekt gesetztes Ego. Ein intakter Staatsführer würde sich mit der Opposition in Verbindung setzen und berechtigte Kritik konstruktiv aufgreifen. So ließen sich vorangegangene Fehlentscheidungen revidieren und Kräfte bündeln. Was den Narzissten wahrscheinlich am meisten von dieser Zusammenarbeit abhält, ist seine Abhängigkeit von externen Einschätzungen. In Wirklichkeit ist sein Selbst so fragil, dass eine Distanzierung jener bisherigen Einflusspersonen von ihm wie eine Degradierung empfunden würde. Und diese Tatsache gibt den Theoretikern einer Verschwörung tatsächlich ein Stück weit recht. Da sind die Schmuddelkinder und die Ballprinzessinnen, letztere begegnen sich auf internationalem Parkett. Der eigentliche Souverän hingegen ist das gemeine Pack: Lästig und peinlich kommt er im eigenen Staat daher.

Immer wieder beschäftigt die Menschen die Frage, wie man Unheil abwenden könnte, wenn ein Asteroid Kurs auf unseren Planeten nähme. Der erste Gedanke ist meist, dass man den interstellaren Eisklumpen mit nuklearen Waffen sprengt. Er würde sich dann in eine Ladung Schrot verwandeln, die allenfalls punktuelle Schäden verursachen könnte. Es sind aber auch filigrane Lösungen denkbar. So könnte man beispielsweise mittels eines Sonnenspiegels eine Seite des Himmelskörpers erhitzen und die Gesetze der Physik würden ihn dann schadlos an der Erde vorbeiziehen lassen.

Viele haben eine falsche Vorstellung vom Machtmenschen. Tatsächlich erscheint er nicht in Gestalt des schwarzen Ritters, der mit einem einzigen Hieb seines Langschwertes die Tischplatte in zwei Hälften teilt. Das würde eher einen Psychopathen charakterisieren. Narzisstische Dominanz kommt ganz anders daher: Sie ist langfristig angelegt und besteht vor allem aus unterirdischer Wühlarbeit. Außerdem ist sie darauf ausgelegt, auf ihre Gelegenheit zu warten oder sie zu begünstigen. Es ist das Flicken eines Netzes, das dem Opfer zur Falle wird. Ich war immer wieder überrascht, mit welcher Zähigkeit und Intensität der Narzisst an seine Arbeit geht. Selten gibt er seine Überlegenheit zu erkennen und wenn doch, dann nur um jene einzuschüchtern, die ihm auf die Schliche gekommen sind. Seine Intentionen sind ihm selbst bewusst und er weiß sehr wohl, mit wem er sein Bühnenstück spielen kann. Paradoxerweise erkennt man den Machtmenschen manchmal auch an seiner Feigheit. Bekommt er es mit einem Stärkeren zu tun, so reagiert er mit besonderer Unterwürfigkeit. Verfängt sich jemand in den Maschen seines Netzes, dann beginnt er mit der Ausgestaltung seiner Position. Sein Einfluss ändert auf raffinierte Art die Realität des in Besitz Genommenen.

Um diesen Mechanismus auf gesellschaftlicher Ebene zu beschreiben, ist ein kleiner Exkurs in das Wesen der Wissenschaft nötig: Anders als im Fall der Religion sind deren Inhalte nur unter Vorbehalt und keineswegs umfassend gültig. Es gibt Phänomene, für die wir keine Erklärung haben und möglicherweise nie haben werden. Zudem sind die Ergebnisse der Forschung nur vorläufig gültig. Die Aussage alle Raben sind schwarz gilt nur bis zu jenem Zeitpunkt, an dem der erste bunte oder eventuell weiße Rabe gefunden wird. Vielleicht entsteht diese besondere Tierart in den Urwäldern des Amazonas oder es gibt sie bereits auf uns noch unbekannten Planeten. Wissenschaft ist deshalb nie endgültig, vielmehr stellt sie sich dauernd selbst infrage. Ihr zentrales Merkmal ist die Falsifizierbarkeit ihrer Thesen. Der Satz Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt, wie es ist kann unmöglich widerlegt werden und ist daher nicht wissenschaftlich. Diese bewusste Fragilität betrifft auch die Historiografie: Wenn die Geschichtsschreibung in Bezug auf eine bestimmte Ära nicht infrage gestellt werden darf, dann ist ihr wissenschaftlicher Wert praktisch null. Eine juristische Norm muss einen allgemeinen Anspruch haben, sie gilt dann für jeden in gleicher Weise und ist damit ein Gesetz. Wenn sie hingegen nur dazu dient, einen bestimmten Zeitraum vor unangenehmen Fragestellungen zu schützen, dann ist sie ein Privileg und somit sind wir wieder zurück beim Narzissten.

In ihrer simpelsten Form kann man Macht als die Wahrscheinlichkeit definieren, dass den Anordnungen einer bestimmten Person oder Institution Folge geleistet wird. Diese Beschreibung hat den Vorteil, dass sie messbar und damit falsifizierbar ist. Andererseits befriedigt sie nicht, da sie gewisse Merkmale der Macht unbeachtet lässt. So tritt diese eher selten in solch mechanischer Art auf, man hat oft eher den Eindruck, dass sie zirkuliert.

Nehmen wir als Beispiel den religiösen Menschen: Er ist Teil einer Glaubensgemeinschaft, die ethische Fragen verbindlich erklärt, den Rahmen für biografische Eckpunkte – Taufe, Eheschließung, Bestattung – stellt und in Notfällen humanitäre Hilfe leistet. Wer sich darauf einlässt, nimmt billigend in Kauf, dass die Kirche Einfluss auf ihn ausübt. Dabei geht es nicht nur um jene Fragen, die jenseits unserer Erkenntnis liegen. Die Macht des mittelalterlichen Klerus beruhte zum Teil auch auf der Tatsache, dass die breite Bevölkerungsmehrheit gar kein Latein verstand. Sie waren daher vom Diskurs über theologische Fragen von vornherein ausgeschlossen. Der Mangel an Transparenz ist typisch für die Kontrolle, mit der der Narzisst über sein Opfer bestimmt. Seine Macht beruht auf Lügen, Manipulation und anderen undurchsichtigen Strategien. In diesem Sinne bringt Macht Wissen hervor und macht es so zum Werkzeug des politischen Handelns. Andererseits beruht tatsächliches Wissen auf einem herrschaftsfreien Diskurs und darauf ausgerichteten Machtverhältnissen. Wir dürfen hoffen, denn mit dem Ende unseres zeitgenössischen Unrechtsstaates werden auch dessen propagandistische Spukgeschichten als das entlarvt werden, was sie tatsächlich sind.

Das führt uns zum Problem der Fremdherrschaft. Ich denke in diesem Zusammenhang weniger an Großreiche mongolischer Reiterhorden, die meist nach kurzer Zeit wieder implodierten, sondern an jene Kolonialreiche, die über Jahrhunderte Bestand hatten. Meist sind diese Weltreiche nicht mit der militärischen Überlegenheit ihrer Mutterländer zu erklären. Sie entstehen sukzessive Stück für Stück und das Militär spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Es sind diplomatische Kunstwerke und das Wesen des Imperialismus liegt in der Korrumpierbarkeit der Eliten des eroberten Landes. Im Gegenzug zu ihrer Kollaboration werden sie an der Ausbeutung des Landes beteiligt, ihr Status wird gesichert und sie haben Anteil an den kulturellen Vorzügen der Besatzungsmacht. Bis ins 20. Jahrhundert hinein haben indische Wissenschaftler, die aus dem britischen Ausbildungssystem hervorgegangen waren, beachtliche Forschungsarbeiten vorgelegt. Ist eine Region solcher Art befriedet, genügt ein minimales Kontingent an zurückgelassenen Soldaten, das Regime zu sichern und das nächste Ziel kann ins Visier genommen werden. Allerdings sind diese fein gesponnenen Netze angreifbar. Die japanische Expansion im 20. Jahrhundert hat ungewollt viel für die Dekolonialisierung Ostasiens getan. Reißt das Kolonialsystem an einer Stelle ein, dann sind die korrupten Eliten schwer wieder zu inthronisieren und dem langfristig angelegten Weltreich droht ein plötzlicher Kollaps.

Ärger gehört zu den negativen menschlichen Gefühlen. Man kann sich aus Enttäuschung ärgern oder aufgrund einer Beleidigung. Es gibt fast unzählige weitere Gründe und jeder kennt diese Emotion. Das spezifische Merkmal der Aufgebrachtheit besteht in seiner Verhältnismäßigkeit zur Ursache. Das unterscheidet sie vom Jähzorn. Dieser tritt plötzlich auf und ist schwer kontrollierbar. Sicherlich gibt es Grenzfälle, die auch dieses Gefühl rechtfertigen, zum Beispiel, wenn das eigene Kind körperlich angegriffen wird. Doch das narzisstische Ich ist zu fragil, um mit seinem Furor umzugehen. Er entlädt sich bei der kleinsten Verletzung des narzisstischen Selbst. Das Opfer ist nicht notwendigerweise jene Person, die mit der inneren Verwundung in Berührung kam. Der Narzisst unterscheidet sehr genau, welche Personen seiner Dominanz ausgeliefert sind und welche über ihm stehen. Oft bildet diese Rage den Übergang zur psychopathischen Gewalt. Man kann diesen Hass sehr plastisch betrachten, wenn eine Bevölkerung unter die Herrschaft einer sich selbst auserwählt wähnenden Elite gerät. Das beste Beispiel dafür ist das Schicksal der Palästinenser. Das Völkerrecht wird grundsätzlich den religiösen Geboten der Privilegierten untergeordnet. Die Schikane der Unterdrückten wird zum Alltag. Das kleinste Aufbegehren wird mit Vergeltungsmaßnahmen gegen Frauen und Kinder beantwortet. Der Terror macht sich in regelmäßigen Abständen Luft. Es scheint, als ob die angestaute Wut von Zeit zu Zeit Dampf ablassen muss. Der Psychopath fürchtet keine Sanktionen. Das muss er auch nicht, solange er mit seiner militärischen Überlegenheit Wehrlosen gegenübersteht. Die Staatengemeinschaft baut nach den Attacken auf eigene Kosten die Spitäler und Schulen wieder auf. Wer es wagt, auf die Menschenrechte zu verweisen, wird mundtot gemacht und gilt als geächtet. So drehen sich die Dinge über Jahrzehnte hinweg im Kreis, bis eines Tages die narzisstische Herrschaft beendet wird.

Der ganzheitliche Mensch hat zwei Zustandsformen des Selbst. Da ist zunächst das öffentliche Selbst. Es ist darauf angelegt, mit seiner weiteren Umwelt zurechtzukommen. Eine möglichst vorteilhafte Repräsentation der jeweiligen Person ist das Ziel, wenigstens soll diese möglichst wenig angreifbar werden. Wir spielen in diesem Sinne unsere Rolle und vertrauen darauf, dass die anderen uns Glauben schenken. Dass wir hier und da ein bisschen schummeln, liegt in der Natur der Sache. Vielleicht hat eine Person eine bewegte Vergangenheit und will auf die Verfehlungen in dieser Zeit nicht angesprochen werden. Mir ist beispielsweise aufgefallen, dass Menschen nur sehr ungern Fotografien aus ihrer Adoleszenz zeigen. Mir geht es genauso. In dieser Lebensphase tun sich neue Dimensionen auf und der Übergang ins Erwachsenenleben wirkt manchmal peinlich. Des Weiteren ist da das private Selbst. Es ist deutlich weniger geschminkt und muss seinen Verwerfungen ins Auge sehen. Eine Person mag öffentlich selbstbewusst auftreten und ist im familiären Rahmen dennoch unsicher und konfliktscheu. Zu diesem Teil unserer Persönlichkeit gehören auch jene Anteile, die wir nur allzu gern verdrängen oder auf andere projizieren. Zum Charakter des Narzissten gehört im Gegensatz dazu ein dritter Zustand: das geheime Selbst. Es schützt die ausbeuterischen und Empathie absorbierenden Aktivitäten des Täters und täuscht das Opfer über dessen wahre Absichten. Seiner Natur nach ist es bösartig und zerstörerisch. Nachdem sich Geschädigte aus der aussaugenden Beziehung befreit haben, stellen sie oft die Frage nach der Infamie der narzisstischen Person. Ich pflege mich in diesem Zusammenhang an einer Faustregel zu orientieren, die ich mir in jüngeren Jahren als Rucksackreisender in tropischen Ländern zu eigen machte: Für jede Schabe, die man sieht, verstecken sich zwei Dutzend weitere in den Ritzen und Fugen des Zimmers.

Die Scheinheiligkeit der Clowns

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