Читать книгу Denn du hast nur dieses eine Leben - Chantal Gawor - Страница 10

Оглавление

3

Meine Scheinwelt scheint immer realer und größer zu wirken, ich fühle mich viel wohler in ihr und sie ist nahezu perfekt. In der Außenwelt bin ich zwar noch da, aber anwesend bin ich schon längst nicht mehr.

Mein letztes Treffen mit Freunden fand heute statt. Langsam wusste mein enger Freundeskreis davon auch, wie es mir geht. Deswegen fanden sie es nicht schlimm, dass ich mich zurückgezogen habe. Mein Tagesablauf war also ab jetzt immer der gleiche. Ich kam von der schule heim, habe meistens nicht mal meine Hausaufgaben gemacht, das kam sonst nie vor, und habe mich ins Bett gelegt. Anschließend habe ich mein Zimmer abgedunkelt, um mich dann unbeobachtet selbst zu verletzen. Ich habe meine Depri-Playlist angemacht und dann einfach meinen Kopf ausgeschalten. Nebenbei habe ich mit traurige YouTube Videos angeschaut und meistens geweint. Ich wusste selbst nicht mehr, was mit mir passiert. Ich hatte nun überhaupt keine Lust mehr auf die reale Welt und wollte sterben. Ja, nun kamen Suizidgedanken auf, die sich relativ schnell an erster Stelle in meinem Kopf gesetzt haben. Also bin ich noch öfter in meine Scheinwelt, die ich mir einfach immer nur vorgestellt habe, gereist. Nicht mal in der Schule konnte ich aufpassen und bin mich jede Pause selbstverletzen gegangen. Und dann kam die erste schlechte Note, welche mich noch mehr zerfetzt hat. Dazu kam noch, dass meine Eltern getrennt leben, was meinen Orientierungssinn komplett in den Keller gebracht hat. Meine Hobbys habe ich auch vernachlässigt und ich bin immer unregelmäßiger zum Training gegangen. Da Weihnachtszeit war, habe ich sehr viele Auftritte gehabt, doch wie soll ich meine Narben bei einem kurzen Tanzkostüm überdecken? Zum Glück wussten manche aus meiner Gruppe davon und haben mir beim Abdecken geholfen. Auf einmal habe ich mich aber geschämt. Es fühlte sich nichts richtig an. Eigentlich hatte ich noch nie ein schlimmes Leben, eigentlich lief immer alles, aber irgendwie falsch. Auf einmal fange ich an zu zittern. Ich stehe steif da und wünsche mir unbeschwert zu leben, wie die anderen in meinem Alter. Ich will wieder in der realen Welt leben und glücklich sein. Ich möchte zurück in die Grundschule und sein, wie ich will. Ich wünsche mir festen Boden unter den Füßen. Doch der Boden, auf dem ich mich befinde, ist brüchig und spröde, an manchen Stellen sogar schon ganz kaputt. Ich muss jeden Morgen aufs Neue Kraft sammeln, um den Tag zu überleben. In der Schule wird die Konzentration immer schwächer. Aller paar Minuten schaue ich auf die Uhr, um zu wissen wann endlich wieder Pause ist, und ich an einen stillen Ort gehen kann. Ich komme nach Hause und finde einfach keinen Ausweg aus diesem unendlichen Teufelskreis. Mein neues „Ich“ sagt mir, was für ein Versager ich bin und mein Selbstbewusstsein bröckelt nur so ab. Mittlerweile schaue ich nicht mal mehr in den Spiegel, weil ich in mir nichts Gutes, nur Schlechtes finden und sehen kann. Doch wie soll es weitergehen? Aktuell ist dies meine häufigste Frage. Nichts interessiert mich aber auch so sehr, als dieses eine Thema: Meine Gedanken.

Denn du hast nur dieses eine Leben

Подняться наверх