Читать книгу Denn du hast nur dieses eine Leben - Chantal Gawor - Страница 9
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Auf einmal hat mein neues „Ich“ meinen Körper abgestoßen. Stimmen die total real klingen, sagen mir, dass ich viel zu dick und sowieso nicht hübsch genug bin. Für mich war das ein riesengroßer Rückschlag, weil ich doch das „Ich“ lieben lernen wollte, aber wie soll das gehen, wenn es so gemein ist?
Es ist Mitte Oktober 2018 und egal wie warm es ist, ab da habe ich nur noch lange Kleidung getragen. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ging es mir rapide schlechter. Doch ich hatte keine andere Möglichkeit, als diese Zeit auszustehen. Irgendwann hat mein neues „Ich“ einen Riegel vor „Ich schaff das“ geschoben. Meinem Immunsystem ging es immer schlechter und meine Stimmung wurde einfach nicht besser. Am 18. Oktober bin ich letztendlich in einen Kreislauf oder auch schwarzes Loch gefallen, denn ich habe angefangen mich selbst zu verletzen. Es war nicht doll und ich tat es auch nicht so oft, aber seit der ersten Sekunde an, habe ich dafür ein positives Gefühl entwickelt. Immer wenn es mir nicht gut ging, habe ich mir selbst Schaden zugefügt. Ich war so froh, etwas gefunden zu haben, was mein neues „Ich“ besiegen kann und stärker ist. Aus diesem Grund habe ich über die Folgen oder Konsequenzen nicht nachgedacht.
Heute war mal wieder ein Tag, wo ich über alte Bekanntschaften gestolpert bin. Es zerreißt mich, dass Leute gegangen sind, mit denen ich einfach so tolle Momente erlebt habe. Also habe ich meinen Spitzer auseinander gebaut, weil die Schere nicht mehr scharf genug war. Ich habe außer ein sanftes Streichen auf der Haut nichts mehr wahrgenommen, weil ich es mittlerweile gewohnt bin. Aber es war doch gerade noch eine gute Lösung. Ist es jetzt schon wieder vorbei und ein erneuter Rückschlag? Wie böse kann dieses neue „Ich“ nur sein, wenn es jeden meiner Vorschläge ablehnt.
Langsam beeinflussen mich meine inneren Stimmen immer mehr, sie machen mich schwächer und ziehen mich runter. Jetzt kommt die Zeit, dass Leute mir anmerken könnten, dass ich schneller reizbar und genervt bin, deswegen trage ich außerhalb meines Zimmers eine Maske. Ich bin echt erleichtert, als ich merke, dass niemand es merkt, nicht mal meine Familie oder meine engsten Freunde. Doch im nächstem Augenblick habe ich Angst vor mir selbst: warum bin ich im Moment so und warum verletze ich mich selbst? Vor kurzem habe ich doch sogar noch über Leute gelacht, die sich ´ritzen´(ich hasse dieses Wort so sehr). Ich erkenne mich selbst nicht mehr wieder. Warum stoße ich denn meine eigene Persönlichkeit immer mehr ab? Wie soll es weitergehen? Wie soll ich das alles meinen Mitmenschen beibringen? Und schon wieder Zweifel ich an mir selbst. Im Sportunterricht ziehe ich nur noch lange Sachen an und trotzdem schäme ich mich. Nein, ich schäme mich nicht für die Selbstverletzungen, ich schäme mich für mein neues „Ich“. Noch immer wundere ich mich warum es überhaupt dazu kommen konnte.
Mit der Zeit wird alles schlimmer, täglich schlafe ich weinend ein und wache 3 Uhr morgens endgültig auf. Ängste entwickeln sich und ich möchte nur noch in meinem dunklen Zimmer sein. Die Realität habe ich längst vergessen, stattdessen lebe ich in meiner traurigen, düsteren Scheinwelt, in der für die Schule kein Platz ist. Plötzlich reichen die Klingen vom Spitzer nicht mehr, ich greife zum Rasierer, aber wer weiß, wie lange mir dieser hilft.