Читать книгу Nikolas Nickleby - Charles Dickens, Чарльз Диккенс, Geoffrey Palmer - Страница 19
16. Kapitel: Nikolas sucht eine Anstellung und nimmt, als ihm dies fehlschlägt, eine Stelle als Hauslehrer an
ОглавлениеAm nächsten Tage war es Nikolas' erste Sorge, sich nach einem Zimmer umzusehen, wo er bis auf bessere Zeiten wohnen konnte, ohne Newman Noggs zur Last zu fallen, der natürlich mit Freuden auf der Stiege geschlafen haben würde, wenn es nur sein junger Freund dadurch etwas bequemer gehabt hätte.
Das leerstehende Zimmer, auf das sich die Anzeige an der Haustür bezog, erwies sich bei näherer Nachforschung als ein kleines Hinterstübchen im dritten Stock, von wo aus man eine entzückende Aussicht auf rußgeschwärzte Dachziegel und Schornsteine hatte.
Der Erlös aus einigen entbehrlichen Kleidungsstücken setzte Nikolas in Stand, diese Kammer zu erstehen und auch die Miete für einige notwendige Möbel, die er sich bei einem benachbarten Trödler verschaffte, auf eine Woche vorauszubezahlen. So hatten er und Smike vorläufig wenigstens das Allernotwendigste.
Als er einige Stunden später, in Grübeln versunken, durch die Hauptstraßen Londons schlenderte, fielen seine Blicke plötzlich auf eine blaue Tafel, auf der mit goldenen Buchstaben zu lesen stand:
»General-Agentur. Plätze und Stellen aller Art sind im Hause zu erfragen.«
Im Ladenfenster hing außerdem eine lange verlockende Reihe von Ankündigungen, die offene Stellen vom Sekretär bis zum Laufburschen hinunter verhieß.
Nikolas ging eine Weile unschlüssig vor der Türe des Bureaus auf und ab, faßte sich aber dann endlich ein Herz und trat ein.
Das erste, was sich seinen Blicken darbot, war ein hagerer junger Mann mit listigen Augen und einem hervorstehenden Kinn, der hinter einem hohen Pult saß und in Frakturschrift Eintragungen in ein großes Hauptbuch machte. Er warf dabei von Zeit zu Zeit fragende Blicke auf eine sehr beleibte Dame in einer Morgenhaube, augenscheinlich die Eigentümerin des Geschäftes, die sich am Feuer wärmte, und wartete offenbar auf ein Diktat.
Nikolas hatte draußen eine Tafel gelesen, die dem Publikum anzeigte, daß hier von zehn bis vier Uhr Dienstboten aller Art aufgenommen würden, und konnte sich daher die Anwesenheit von einem halben Dutzend junger kräftiger Frauenspersonen, die mit Überschuhen und Sonnenschirmen auf einer Eckbank saßen, leicht erklären. Nicht ganz so sicher war er hinsichtlich des Berufes und der Stellung zweier aufgeputzter junger Frauenzimmer, die sich mit der dicken Dame am Kamin unterhielten.
»Köchin – Tom«, diktierte die dicke Dame, nachdem sie sich mit dem einen der Mädchen genügend ausgesprochen, dem Schreiber.
»Köchin«, wiederholte Tom und schlug einige Blätter seines Hauptbuches um.
»Lesen Sie eine oder zwei leichte Stellen vor«, befahl die dicke Frau.
»Sin S' so gut, a paar recht leichte, junger Herr«, fügte die sehr modern gekleidete Dame bei, die bunt karierte Tuchstiefel trug und offenbar die Köchin zu sein schien.
»Mrs. Marker«, las Tom, »Russell Place, Russell Square. Bietet achtzehn Guineen, Tee und Zucker. Familie von zwei Personen, die äußerst wenig Gesellschaften gibt. Hält fünf Dienstboten, aber keinen männlichen. Duldet auch keine Liebhaber.«
»O je, dös is nix«, meinte die Klientin. »Lesen S' a andere vor, junger Herr.«
»Mrs. Wrymug. Angenehmer Posten in Finsbury. Lohn zwölf Guineeen, kein Tee, kein Zucker, fromme Familie –«
»Ach, lassen S' dös nur«, fiel die Klientin ein.
»Drei fromme Bediente –«
»Drei haben S' g'sagt?« rief die Dame, plötzlich sehr gespannt.
»Drei fromme Bediente«, wiederholte Tom, »Köchin, Haus- und Stubenmädchen. Jeder weibliche Dienstbote muß sonntags dreimal in die Kirche gehen, und zwar mit einem der frommen Bedienten. Wenn die Köchin frömmer ist als der Bediente, wird von ihr erwartet, daß sie einen günstigen Einfluß auf ihn ausübt, umgekehrt wird dasselbe von dem Bedienten erwartet.«
»Ich bitt um die Adress'«, unterbrach die Klientin. »I weiß net, aber i glaub, der Posten passet mir soweit.« »Hier ist noch eine«, bemerkte Tom, einige Seiten umblätternd. »Familie des Mr. Gallanbile. Parlamentsmitglied. Fünfzehn Guineen. Tee und Zucker. Die weiblichen Dienstboten dürfen männliche Verwandte empfangen, wenn diese gottesfürchtige Personen sind. – NB. Am Sabbat kaltes Mittagessen in der Küche, da Mr. Gallanbile auf strenge Observanz des Sabbats hält. Am ›Tage des Herrn‹ wird überhaupt nichts gekocht als das Mittagessen für Mr. und Mrs. Gallanbile, was natürlich als ein Werk der Notwendigkeit eine Ausnahme bildet. Mr. Gallanbile speist am ›Tage der Ruhe‹ spät zu Mittag, um der Köchin die Sünde des Ankleidens zu ersparen.«
»I glaub nöt, daß der Posten der richtige war«, meinte die Köchin nach einer kurzen geflüsterten Beratung mit ihrer Freundin. »Bitt schön, geben S' mir die Adress' von der Wrymug. I kann ja wieder kommen, wann's nöt zammgeht.«
Tom schrieb die Adresse heraus, und die modisch gekleidete Klientin entfernte sich mit ihrer Freundin.
Nikolas wollte eben den jungen Mann ersuchen, die verfügbaren Sekretärstellen nachzusehen, als eine junge Dame eintrat, deren Äußeres ihn ebensosehr überraschte wie ansprach, weshalb er auch zu ihren Gunsten sogleich zurücktrat.
Die Dame, die kaum achtzehn Jahre zählen mochte und von außerordentlicher Schönheit war, trat schüchtern an den Schreibtisch und fragte mit leiser Stimme nach einer Stelle als Erzieherin oder Gesellschafterin.
Auf ihrem ungemein sympathischen, fein geschnittenen Gesicht lag eine Trauer, die bei einem so jungen Wesen doppelt auffallen mußte.
Sie war nett, aber ungemein bescheiden gekleidet. Fast ärmlich. Ihre Begleiterin, denn sie hatte eine solche, war ein schmutziges Frauenzimmer mit rotem Gesicht und runden Augen und schien nach den abgearbeiteten bloßen Armen, die unter dem schlampig umgeworfenen Umhängetuch hervorguckten, nach den Spuren von Schmutz und Ruß im Gesicht und gewissen Blicken und Freimaurerzeichen, die sie mit den Dienstmädchen auf der Bank wechselte, dieser Klasse anzugehören.
Nachdem die junge Dame einige Adressen erhalten, glitt sie rasch hinaus und ihre Begleiterin folgte ihr. – Noch ehe sich Nikolas von dem ersten tiefen Eindruck, den ihre Schönheit auf ihn gemacht, erholen konnte, war sie bereits verschwunden.
»Wann kommt sie wieder, Tom?« fragte die dicke Dame.
»Morgen früh«, antwortete der Schreiber, seine Feder spitzend.
»Und wo haben Sie sie hingeschickt?«
»Zu Mrs. Clarke.«
»Sie wird's dort gut haben, wenn sie die Stelle kriegt«, brummte die dicke Dame und nahm eine Prise aus einer zinnernen Schnupftabakdose.
»Nun, Sir, und was wünschen Sie?« wendete sie sich dann an Mr. Nickleby.
Nikolas erklärte mit kurzen Worten, daß er wissen möchte, ob nicht irgendeine Stelle als Sekretär oder Amanuensis bei einem Herrn frei sei.
»Oh, ein ganzes Dutzend«, versetzte die Agentin.
Als man das Buch zu Rate zog, stellte sich zwar heraus, daß nur eine einzige frei sei, aber diese, hieß es, sei vorzüglich. – Ein gewisser Mr. Gregsbury, Parlamentsmitglied, suchte einen jungen Mann, der seine Papiere und die Korrespondenz in Ordnung halten solle.
»Die Bedingungen sind uns nicht weiter bekannt, da der Auftraggeber sich mit der Partei selbst zu einigen gedenkt«, bemerkte die dicke Dame, »aber sie können nur sehr vorteilhaft sein, da der Herr Parlamentsmitglied ist.«
So unerfahren auch Nikolas war, so schien ihm doch dieser Schluß nicht besonders logisch. Ohne sich aber auf weitere Erklärungen einzulassen, ließ er sich die Adresse aufschreiben und machte sich unverzüglich auf den Weg nach Manchester Buildings zu Mr. Gregsbury, dem großen Parlamentsmitglied. Eine längere Wanderung brachte ihn ans Ziel.
»Wohnt hier Mr. Gregsbury?« fragte er den Diener, einen blassen, schäbigen, jungen Menschen, der ihm öffnete und aussah, als ob er von Kindheit an in einem Keller geschlafen hätte.
Der Diener nickte nur stumm, schloß die Haustüre hinter ihm und machte sich dann ohne weitere Erklärung davon.
Das war seltsam genug, aber noch mehr verwirrte Nikolas der Umstand, daß sich auf dem engen Hausflur und den schmalen Stiegen eine Masse von Menschen drängte, die augenscheinlich auf ein bevorstehendes Ereignis warteten. – Hie und da stand eine kleine Gruppe beisammen und unterhielt sich im Flüsterton, augenscheinlich fest entschlossen, sich unter keinen Umständen abweisen zu lassen.
Einige Minuten vergingen, ohne daß etwas vorfiel, und Nikolas, der sich nicht sonderlich behaglich fühlte, wollte eben bei irgendeinem der Anwesenden Erkundigungen einziehen, als sich plötzlich eine lebhafte Bewegung auf den Treppen bemerkbar machte und eine Stimme rief:
»Meine Herren, haben Sie die Güte heraufzukommen.«
Sofort drängte sich die Menge hinauf oder, besser gesagt, die Treppen hinunter in das große Audienzzimmer Mr. Gregsburys, den kleinen Raum bis auf die Korridore ausfüllend.
Nikolas, der wider Willen mit hineingedrängt worden, begriff jetzt, daß es sich um eine Deputation handelte, die ihrem Abgeordneten irgend etwas unterbreiten wollte.
Ein gewisser Mr. Pugstyles, ein vierschrötiger Herr, war der Hauptsprecher und machte Mr. Gregsbury, der sich dabei wand und drehte, offenbar wegen nicht genügender Pflichterfüllung die unzweideutigsten Vorwürfe.
Es war ein endloses Hinundhergerede über die nichtigsten Dinge, aber endlich gab sich die Deputation mit dem Versprechen ihres Abgeordneten, irgendeinen albernen Artikel in die Zeitungen zu lancieren, zufrieden und zog ab.
Als der letzte Mann draußen war, rieb sich Mr. Gregsbury die Hände und kicherte, wie Schlaufüchse das zu tun pflegen, wenn sie glauben, einen ungewöhnlich feinen Trick ausgeführt zu haben. Er war überhaupt so sehr von sich und seinen diplomatischen Plänen eingenommen, daß er Nikolas, der beim Fenster zurückgeblieben war, nicht eher gewahrte, als dieser, besorgt, irgendein Selbstgespräch, das nicht für fremde Ohren bestimmt war, mit anhören zu müssen, zwei- oder dreimal laut hustete.
»Was ist das?« fuhr Mr. Gregsbury auf.
Nikolas trat hervor und verbeugte sich.
»Was haben Sie hier zu schaffen, Sir?« fragte Mr. Gregsbury.
»Ein Spion in meinem Privatzimmer! Ein versteckter Wähler! Sie haben doch meine Antwort vernommen, Sir? Ich muß wirklich bitten, Sir, daß Sie der Deputation folgen.«
»Wenn ich zu ihr gehörte, würde es bereits geschehen sein«, entgegnete Nikolas; »das ist jedoch nicht der Fall.«
»Aber was wollen Sie dann hier, Sir? Und wo zum Teufel kommen Sie her, Sir?«
»Ich erhielt diese Karte von der General-Agentur, Sir«, erklärte Nikolas, »und ich möchte mich Ihnen als Sekretär anbieten, da sie dem Vernehmen nach eines solchen bedürfen.«
»Das wäre alles, weshalb Sie hergekommen sind?« fragte Mr. Gregsbury mißtrauisch.
Nikolas bejahte.
»Sie stehen in keiner Verbindung mit einem dieser schuftigen Zeitungsblätter? Sie haben sich nicht in das Zimmer geschlichen, um zu horchen, was vorgeht, und es nachher drucken zu lassen, he?«
»Es tut mir leid, sagen zu müssen, daß ich vorderhand mit gar nichts in Verbindung stehe«, entgegnete Nikolas höflich, aber unbefangen.
»So. Aber wie fanden Sie den Weg hier herauf!«
Nikolas erzählte, wie er durch die Deputation heraufgedrängt worden.
»So ging es also zu?« meinte Mr. Gregsbury. »Nun, dann nehmen Sie Platz.«
Nikolas nahm einen Stuhl, und Mr. Gregsbury betrachtete ihn eine Weile mit durchbohrenden Blicken, als ob er sich erst genau überzeugen wolle, daß in dem Äußern seines Besuches nichts Verdächtiges liege, ehe er weitere Fragen stellte.
»Sie möchten also mein Sekretär werden?« begann er endlich.
»Ja.«
»Schön. Und was glauben Sie, haben Sie zu leisten?«
»Ich denke«, entgegnete Nikolas lächelnd, »daß ich das, was gewöhnlich Sekretären zukommt, zu erledigen haben werde.«
»Und das ist?«
»Wie?« fragte Nikolas.
»Worin besteht das?« forschte das Parlamentsmitglied und sah den Bittsteller, das Haupt auf die Seite geneigt, mit schlauen Blicken an.
»Die Obliegenheiten eines Sekretärs sind vielleicht etwas schwer abzugrenzen«, sagte Nikolas nach einigem Besinnen. »Sie umfassen, wie ich mir denke, die Korrespondenz.«
»Gut. Und weiter?«
»Das Ordnen von Papieren und Dokumenten.«
»Sehr gut. – Und?«
»Hin und wieder vielleicht etwas niederschreiben, was Sie diktieren. Eine Rede für irgendein öffentliches Blatt –«
»Gewiß. Was sonst noch?«
»Ich bin wirklich«, sagte Nikolas nach längerem Nachdenken, »ich bin wirklich im Augenblick nicht imstande, noch eine weitere Aufgabe eines Sekretärs namhaft zu machen. Es müßte denn die allgemeine sein, sich seinem Prinzipale soviel wie möglich nützlich zu erweisen, ohne dabei der eigenen Ehre etwas zu vergeben oder die Grenzen der Verpflichtungen zu überschreiten, die nach allgemeinen Begriffen schon durch den Titel seines Amtes angedeutet sind.«
Mr. Gregsbury faßte Nikolas eine Weile fest ins Auge, ließ dann den Blick schlau durch das Zimmer gleiten und sagte mit halblauter Stimme:
»Das ist alles recht schön, Sir. Wie ist Ihr Name?«
»Nickleby.«
»Alles recht schön, Mr. Nickleby, und vollkommen in der Ordnung. – Soweit – hm – aber es geht nicht weit genug. Es gibt auch noch andere Verpflichtungen, Mr. Nickleby die der Sekretär eines Parlamentsmitgliedes nicht außer Augen lassen darf! Ich müßte die Forderung an ihn stellen, von ihm in allem und jedem informiert zu werden.«
Nikolas machte ein erstauntes Gesicht.
»Mein Sekretär müßte sich vollständig mit der auswärtigen Politik, soweit sie in den Zeitungen behandelt wird, vertraut machen, müßte alle Berichte über öffentliche Versammlungen, sowie auch die Hauptsachen, die dabei zur Sprache kommen, durchlesen und sich alles notieren, was ihm geeignet scheint, als Effekt in irgendeiner kleinen Rede oder bei Behandlung einer oder der anderen Frage des Tages angebracht zu werden. Verstehen Sie mich?«
»Ich denke, Sir.«
»Ferner«, fuhr Mr. Gregsbury fort, »würde es für ihn notwendig sein, hinsichtlich der Tagesfragen, die in den Zeitungen besprochen werden, stets auf dem laufenden zu bleiben, und auch das ›Mosaik‹, wie zum Beispiel geheimnisvolles Verschwinden und mutmaßlicher Selbstmord eines Bierausträgers und dergleichen, woran sich eine Frage an den Staatssekretär des Ministeriums des Innern knüpfen ließe, nicht zu übersehen. Er hätte dann die Anfrage und das, was mir eventuell von der Antwort noch im Gedächtnis wäre, nebst Beifügung eines kleinen Kompliments über meine selbständige Betätigung und Emsigkeit aufzuschreiben und an irgendein Lokalblatt zu senden, könnte es allenfalls auch mit einem halben Dutzend Zeilen befürworten und darin andeuten, daß ich im Parlament stets auf meinem Platze wäre, mich nie der schweren und wichtigen Pflichten entzöge und so fort. Begreifen Sie?«
Nikolas verbeugte sich.
»Außerdem würde ich von ihm erwarten, daß er hin und wieder einen Blick in die gedruckten statistischen Tabellen würfe und einige Resultate herauszöge, die mir zum Beispiel bei der Holzzollfrage und ähnlichen finanziellen Verhandlungen einen Namen machen können. Auch wäre es mir angenehm, wenn er kleine Belege für die unheilvollen Wirkungen einer eventuellen Wiedereinführung der Zahlungen in gemünztem Gelde und des Metallumlaufes, nebst gelegentlichen Andeutungen über die Ausfuhr von Gold- und Silberbarren, den Kaiser von Rußland, Banknoten und derartige Dinge sammelte. Man brauchte es jedoch nicht besonders gründlich damit zu nehmen, da es doch niemand versteht. Ist Ihnen das klar?« »Ich glaube Sie zu verstehen«, sagte Nikolas.
»Bei Fragen von nichtpolitischem Charakter«, fuhr Mr. Gregsbury, immer wärmer werdend, fort, »und in Fällen, wo es die Wohlfahrt des Pöbels und dergleichen betrifft, hätten Sie einige allgemeine menschenfreundliche Reden auszuarbeiten. Andererseits, wenn zum Beispiel irgendeine widersinnige Bill eingebracht würde, wie etwa das Recht der Schriftsteller an ihrem geistigen Eigentum und ähnliches dummes Zeug, zu dem ich nie meine Zustimmung geben würde, so weisen Sie auf das Recht des Publikums auf das geistige Nationaleigentum hin. Dann und wann bei wichtigen Debatten hätten Sie sich in die vorderen Reihen der Galerie zu setzen und zu Ihren Nachbarn zu sagen: ›Sehen Sie jenen Herrn dort? Den mit der Hand an der Stirne, der den Arm um den Pfeiler geschlungen hat? Das ist Mr. Gregsbury! Der berühmte Mr. Gregsbury.‹ Nebst anderen kleinen Lobsprüchen, wie Sie Ihnen eben der Augenblick eingibt. – Was schließlich das Gehalt anbelangt«, warf Mr. Gregsbury hin, »was schließlich das Gehalt anbelangt, so soll es mir nicht darauf ankommen, eine runde Summe zu bewilligen. Sagen wir fünfzehn Schillinge wöchentlich, wobei Sie sich natürlich selbst zu verköstigen hätten.«
Dabei lehnte sich Mr. Gregsbury in seinem Stuhle zurück und gab sich das Air eines Mannes, der zwar verschwenderisch freigebig gewesen, aber dessenungeachtet fest entschlossen ist, kein Wort von seinem Angebot zurückzunehmen.
»Fünfzehn Schillinge wöchentlich sind nicht viel«, wendete Nikolas schüchtern ein.
»Nicht viel? Fünfzehn Schillinge wöchentlich nicht viel, junger Mann?« rief Mr. Gregsbury. »Fünfzehn Schillinge wöch –«
»Ich bitte, glauben Sie nicht, daß ich die Summe bemängle«, entschuldigte sich Nikolas. »Ich schäme mich nicht zu bekennen, daß sie, so gering sie auch sein mag, für mich immer noch bedeutend ist. Aber die Pflichten und Verantwortlichkeiten lassen das Gehalt klein erscheinen, und diese sind in der Tat so schwer, daß ich mich scheue, sie zu übernehmen.«
»Sie wollen also die Stelle nicht annehmen, Sir?« fragte Mr. Gregsbury mit der Hand an der Klingelschnur.
»Ich fürchte, ich bin ihr nicht gewachsen.«
»Das will also soviel sagen, daß Sie den Posten nicht übernehmen und fünfzehn Schillinge wöchentlich für zu wenig halten?« fragte Mr. Gregsbury und klingelte. »Sie lehnen also wirklich ab, Sir?«
»Ich habe keine andere Wahl.«
»Die Türe, Mathäus!« rief Mr. Gregsbury, als der Bediente erschien. »Es tut mir leid, Sie unnötig inkommodiert zu haben, Sir«, entschuldigte sich Nikolas.
»Mir gleichfalls«, entgegnete Mr. Gregsbury, Nikolas den Rücken kehrend. »Die Türe, Mathäus!«
»Guten Morgen«, sagte Nikolas.
»Die Türe, Mathäus!« wiederholte Mr. Gregsbury.
Der Bediente winkte Mr. Nickleby, taumelte träge die Stiegen hinunter voraus, öffnete die Türe und führte ihn auf die Straße.
Mit trauriger und nachdenklicher Miene trat Nikolas seinen Heimweg an.
Smike hatte inzwischen aus den Überresten des gestrigen Abendessens eine Mahlzeit zusammengestellt und harrte ängstlich seiner Rückkehr. Die Ereignisse des Morgens waren nicht geeignet, Nikolas' Appetit zu vermehren, und so blieb denn das Mittagsmahl von seiner Seite unangetastet. Er saß in nachdenklicher Stellung da und hatte die Schüssel, die der arme Junge sorgsam mit den auserlesensten Bissen gefüllt hatte, unberührt vor sich stehen, als Newman Noggs ins Zimmer trat.
»Wieder zurück, Mr. Nickleby?«
»Ja, aber todmüde. Und, was das schlimmste ist, ohne Erfolg; ich hätte ebensogut zu Hause bleiben können.«
»Sie dürfen nicht erwarten, an einem einzigen Morgen viel auszurichten«, tröstete Newman.
»Kann sein; aber ich bin etwas sanguinisch und hoffte eben«, sagte Nikolas. »Ich bin wirklich aufs ärgste enttäuscht.« Er erzählte sodann Newman, wie es ihm ergangen.
»Wenn ich nur irgend etwas tun könnte«, klagte er. »Irgend etwas, bis mein Onkel zurückkehrt. Ich würde ihm leichteren Herzens und in glücklicherer Stimmung gegenübertreten können. Der Himmel weiß, daß ich mich nicht scheue zu arbeiten, und es bringt mich rein zum Wahnsinn, daß ich untätig hier angebunden sein soll wie ein wildes Tier im Käfig.«
»Hm. Etwas ganz Geringfügiges wäre schließlich zur Hand«, meinte Newman Noggs verlegen; »es würde wenigstens die Miete tragen und noch etwas darüber, aber es ist nichts für Sie. – Nein, nein, Sie dürfen nicht drauf eingehen.«
»Auf was soll ich nicht eingehen?« fragte Nikolas und blickte auf. »Zeigen Sie mir in dieser weiten Wüstenei von London nur ein Mittel, durch das ich mir die wöchentliche Miete dieses armseligen Zimmers verdienen könnte. Nur ehrlich muß es sein.«
»Ich getraue mich kaum, Ihnen mitzuteilen, was es ist«, stotterte Newman.
»Rücken Sie um Gottes willen schon damit heraus, lieber Freund!« drängte Nikolas. »Bedenken Sie doch meine jämmerliche Lage und lassen Sie mich wenigstens Ihre Meinung wissen. Ich will Ihnen ja gerne versprechen, keinen Schritt zu tun, ohne mich mit Ihnen beraten zu haben.«
Newman stotterte noch eine Menge der unverständlichsten und verwirrtesten Sätze hervor, dann aber kam heraus, daß Mrs. Kenwigs ihn lang und breit über den Ursprung seiner Bekanntschaft mit Nikolas und über dessen Leben, Schicksale und Familie ausgefragt hätte. Er sei zwar diesen Fragen so lange wie möglich ausgewichen, habe aber endlich doch damit herausrücken müssen, Nikolas sei ein ganz vorzüglicher Lehrer, heiße Johnson und sei gegenwärtig leider in mißlichen Verhältnissen, deren Natur er wohl nicht weiter auseinanderzusetzen brauche. Mrs. Kenwigs hätte hierauf aus Dankbarkeit, Ehrgeiz oder mütterlichem Stolz, oder aus allen dreien mit ihrem Gatten geheime Rücksprache gepflogen und wäre endlich mit der Frage zurückgekehrt, ob nicht Mr. Johnson die vier kleinen Kenwigs in der französischen Sprache, genau wie sie von den eingeborenen Franzosen gesprochen würde, gegen ein wöchentliches Honorar von fünf Schillingen unterrichten möchte.
»So, jetzt hätte ich Ihnen die Sache vorgetragen«, schloß Newman.
»Der Antrag ist zwar, wie ich wohl weiß, unter Ihrer Würde, aber ich dachte, er könnte vielleicht –«
»Vielleicht?« rief Nikolas mit großer Lebhaftigkeit. »Nein, nein, er kommt mir außerordentlich gelegen. Sie können, mein lieber Freund, der würdigen Dame ohne Verzug erklären, daß ich bereit bin anzufangen, sobald es ihr paßt.«
Newman eilte vergnügt hinunter und kehrte bald darauf mit der Nachricht zurück, sie werde sich glücklich schätzen, Mr. Johnson, sobald es ihm angenehm sei, in der Beletage zu empfangen. Sie habe bereits um eine alte französische Grammatik und französische Konversationshefte geschickt, wie sie auf den Bücherkarren das Stück zu sechs Pence ausgerufen würden, und die erste Unterrichtsstunde könne sodann unverzüglich begonnen werden.
»Wie befinden Sie sich, Mr. Johnson?« fragte Mrs. Kenwigs, als gleich darauf Nikolas seine Aufwartung machte. – »Gestatten Sie: – Mein Onkel – Mr. Johnson.«
»Wie geht es Ihnen, Sir?« fragte Mr. Lillyvick in etwas barschem Tone, denn er hatte in der vorigen Nacht Nikolas' Stand nicht gekannt, und allzu große Höflichkeit gegenüber einem Hauslehrer hätte sich für einen Steuereinnehmer nicht geschickt.
»Wir haben Mr. Johnson als Instruktor für die Kinder gewonnen, Onkel«, erklärte Mrs. Kenwigs.
»Ich habe das eben von dir vernommen, meine Liebe«, brummte Mr. Lillyvick.
»Aber ich hoffe«, fuhr Mrs. Kenwigs, sich in die Brust werfend, fort, »daß sie dadurch nicht stolz werden, sondern ihrem Schicksal danken, das ihnen schon durch ihre Geburt eine bessere Stellung anweist als den Kindern gemeiner Leute. Hörst du, Morlina!«
»Ja, Mama«, entgegnete Miss Kenwigs.
»Und wenn ihr auf die Straße oder sonst wohin kommt, so verlange ich, daß ihr nicht gegenüber andern Kindern damit großtut«, ermahnte Mrs. Kenwigs. »Wenn ihr schon darüber sprechen wollt, so dürft ihr nur sagen, wir haben einen Privatlehrer genommen, der uns zu Hause Unterricht erteilt, aber wir überheben uns deshalb nicht, denn Mama sagt, das wäre eine Sünde. Hörst du, Morlina?«
»Ja, Mama.«
»Also dann vergiß es nicht und tu, wie ich dir sage. – Soll Mr. Johnson jetzt anfangen, Onkel?«
»Ich bin bereit zuzuhören, wenn Mr. Johnson anzufangen bereit ist, meine Liebe«, erklärte der Steuereinnehmer mit Kennermiene. »Für was für eine Art von Sprache halten Sie das Französische, Sir?«
»Wie meinen Sie das?« fragte Nikolas.
»Halten Sie es für eine gute Sprache, für eine schöne Sprache, für eine vernünftige Sprache?«
»Für eine schöne Sprache gewiß«, versetzte Nikolas, »und da es für alles eine Bezeichnung hat und auch eine gewandte und ausdrucksvolle Konversation zuläßt, so möchte ich sie auch eine verständige nennen.«
»Hm«, meinte Mr. Lillyvick kopfschüttelnd. »Halten Sie es auch für eine heitere Sprache?«
»Ganz gewiß.«
»Dann muß es sich seit meiner Zeit sehr geändert haben. Hm. Ja. Recht sehr«, sagte der Steuereinnehmer.
»War es denn zu Ihrer Zeit eine traurige?« fragte Nikolas, mühsam ein Lächeln unterdrückend.
»Allerdings«, entgegnete Mr. Lillyvick mit einiger Heftigkeit. »Ich spreche von der Zeit des letzten Krieges. Es mag meinetwegen eine heitere Sprache sein, denn ich möchte niemand gern widersprechen, das aber kann ich behaupten: ich hörte die französischen Gefangenen, die doch als Eingeborene sich darauf verstehen müssen, in einer so traurigen Weise miteinander sprechen, daß mir schon vom Zuhören ganz elend wurde. Ja, ja, das ist mir wenigstens fünfzigmal passiert.«
Mr. Lillyvick hatte sich in seiner Ereiferung in einen solchen Unwillen hineingeredet, daß es Mrs. Kenwigs für zweckmäßig erachtete, Nikolas heimlich einen Wink zu geben, um Gottes willen nichts darauf zu erwidern. Auch bedurfte es so manchen Schmeichelwortes von seiten Miss Petowkers, bis der vortreffliche alte Herr wieder ruhiger wurde und sich herabließ, das Schweigen durch die Frage zu unterbrechen:
»Wie heißt ›das Wasser‹ auf französisch?«
»L'eau«, antwortete Nikolas. »Da haben wir's«, meinte Mr. Lillyvick den Kopf schüttelnd. »Lo was? Nein, ich halte nichts – nicht das mindeste von dieser Sprache.«
»Wollen wir die Kinder nicht anfangen lassen, Onkel?« drängte Mrs. Kenwigs.
»Meinetwegen können sie ruhig anfangen, meine Liebe«, gestattete der Steuereinnehmer unzufrieden. »Ich habe nicht die Absicht, ihnen etwas in den Weg zu legen.«
Auf diese gütige Erlaubnis setzten sich die vier kleinen Kenwigs in eine Reihe, alle mit den Zöpfen auf einer Seite, und Morlina obenan, während Nikolas das Buch zur Hand nahm und mit den einleitenden Erklärungen begann. Miss Petowker und Mrs. Kenwigs sahen in bewunderndem Schweigen zu. Nur hie und da flüsterte die glückliche Mutter, Morlina werde in kürzester Zeit alles begriffen haben, und Mr. Lillyvick betrachtete die Gruppe mit finsteren Blicken, einer Gelegenheit harrend, die ihm zu neuen Erörterungen über diese traurige Sprache Anlaß geben könnte.