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17. Kapitel: Kate Nicklebys weitere Schicksale

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Mit schwerem Herzen und bösen Ahnungen stand Kate einige Minuten vor der festgesetzten Zeit im Hause Madame Mantalinis in einem Zimmer, das durch eine Flügeltüre von dem Salon getrennt war, und wartete, bis man sie holen kommen werde. Das Gemach enthielt nicht viel Sehenswertes, außer höchstens ein in Öl gemaltes Brustbild, das Mr. Mantalini darstellte, wie er sich ungezwungen am Kopfe kratzte – wahrscheinlich, damit der Brillantring am Zeigefinger voll zur Geltung komme. Im anstoßenden Zimmer hörte man jetzt Stimmen, und da die Unterhaltung ziemlich laut und die Wand sehr dünn war, erkannte Kate ohne Mühe, daß sie Mr. und Mrs. Mantalini angehörten.

»Wenn du so odiös und abscheulich eifersüchtig sein willst, Schätzchen, so wirst du dich selber sehr elend, schrecklich elend, verteufelt elend machen.«

Sodann ließ sich ein Ton vernehmen, als ob Mr. Mantalini Kaffee schlürfe.

»Ach, ich bin schon elend«, ächzte Madame Mantalini, augenscheinlich sehr übel gelaunt.

»Dann bist du eine undankbare, abscheuliche, verteufelte kleine Zauberin«, entgegnete Mantalini.

»Das bin ich nicht!« schluchzte Madame.

»Schätzchen darf nicht so übel gelaunt sein«, flötete Mr. Mantalini, ein Ei aufschlagend. »Du hast ein so verteufelt bezauberndes Gesichtchen, daß du keinem Unmut darauf Raum geben solltest, denn das beraubt es seiner Liebenswürdigkeit und macht es finster aussehen wie das eines schrecklichen, abscheulichen, verteufelten kleinen Kobolds.«

»Auf diese Weise wirst du mich nicht besänftigen«, schmollte Madame. »Den ganzen Abend hast du ihr den Hof gemacht.«

»Aber geh, Schätzchen. Was sprichst du da!«

»Ja, sage ich dir. Ich will nicht, daß du mit andern tanzst. Lieber nehme ich Gift.«

»Ach, Schätzchen wird kein Gift nehmen und sich dadurch schreckliche Schmerzen bereiten«, säuselte Mantalini, offenbar sehr gelangweilt. »Schon deshalb nicht, weil sie einen verteufelt schönen Mann hat, der zwei Gräfinnen hätte heiraten können, und eine Witwe –«

»Zwei Gräfinnen? Du sprachst doch früher nur von einer.«

»Zwei«, beteuerte Mantalini, »zwei verteufelt schöne Damen. Wirkliche Gräfinnen und immens reich.«

»Warum hast du sie denn nicht geheiratet?« fragte Madame schnippisch.

»Warum nicht? Weil ich bei einer gewissen Matinee die verteufelt süßeste kleine Zauberin gesehen habe, gegen die alle Gräfinnen und Witwen in England –« Mr. Mantalini beendete seinen Satz nicht, sondern gab Madame einen schallenden Schmatz. Dann schienen noch mehrere Küsse von Zeit zu Zeit das Geschäft des Frühstücks zu unterbrechen.

»Und wie sieht es in der Kasse aus, du Juwel meines Daseins?« fragte Mantalini nach einer Weile. »Über wieviel haben wir zu verfügen?«

»Leider nur über sehr wenig«, seufzte Madame.

»So müssen wir uns irgendwie Geld beschaffen«, rief Mr. Mantalini, »der alte Nickleby muß uns wieder einen Vorschuß geben, damit wir uns durchschlagen können.«

»Du kannst aber doch nicht schon wieder Geld brauchen?«

»Mein Leben und meine Seele, bei Serrubbs steht ein Pferd zu Verkauf – rein umsonst. Es wäre direkt eine Sünde, eine solche Gelegenheit auszulassen. Rein umsonst. Lumpige hundert Guineen! Stell dir vor, wenn ich damit grade vor dem Wagen der verschmähten Gräfinnen durch den Hydepark reite, sie werden vor Schmerz und Wut in Ohnmacht fallen. ›Er ist unsern Liebesnetzen entwischt. Verteufelte Sache das.‹ Sie werden sich gegenseitig teufelsmäßig hassen und dich tot und begraben wünschen. Ha, ha, verteufelt.«

Madame Mantalinis Klugheit, wenn sie überhaupt welche besaß, hielt nicht stand gegenüber solchen in Aussicht gestellten Triumphen. Sie klimperte ein wenig mit den Schlüsseln und erklärte, in der Kasse nachsehen zu wollen. Zu diesem Zweck öffnete sie die Flügeltüre und trat in das Zimmer, in dem Kate saß.

»Himmel!« rief sie und prallte überrascht zurück. »Wieso sind Sie hier, liebes Kind?«

»Kind!« rief auch Mr. Mantalini und eilte rasch herbei.

»Wieso sind Sie–eh–oh–zum Teufel. – Wie geht es Ihnen?«

»Ich warte hier schon einige Zeit, Madame«, erklärte Kate der Putzmacherin. »Vermutlich hat der Bediente vergessen, Ihnen zu melden, daß ich hier bin.«

»Du mußt wirklich diesen Burschen einmal beim Schopf nehmen!« sagte Madame zu ihrem Gatten.

»Ich will ihm seine verteufelte Nase aus dem Gesicht reißen, weil er ein so entzückendes Wesen so ganz allein hier läßt.« »Mantalini!« verwies Madame. »Du vergissest dich!«

»Ich vergesse dich nicht, mein Schatz, und kann und werde dich auch nie vergessen«, beteuerte Mantalini, küßte seiner Gattin die Hand und blinzelte zugleich Kate zu, die sich jedoch verächtlich abwandte.

Durch diese Schmeichelei beschwichtigt, nahm Madame Mantalini ein paar Banknoten aus ihrem Schreibpult und händigte sie ihrem Gatten ein, der sie mit großem Entzücken entgegennahm. Dann forderte sie Kate auf, ihr zu folgen, und führte sie eine Treppenflucht hinunter und über einen Gang in ein großes Hinterzimmer, in dem eine Anzahl junger Mädchen mit Nähen, Zuschneiden, Umändern und verschiedenen andern ähnlichen Verrichtungen beschäftigt war. Es war ein langes schmales Zimmer, in das durch eine Öffnung in der Decke Licht hereinfiel, und so düster und unbehaglich wie nur irgend möglich.

Dienstbeflissen eilte sofort Miss Knag, eine kleine, geschäftige, wichtigtuende, aufgedonnerte Person herbei, während die Nähterinnen einen Augenblick in ihrer Beschäftigung innehielten und einander kritische Bemerkungen über den Schnitt und Stoff von Kates Kleid zuflüsterten.

»Miss Knag, hier ist das junge Mädchen, von dem ich bereits mit Ihnen gesprochen hatte«, begann Madame Mantalini.

Miss Knag antwortete mit einem verbindlichen Lächeln, das sie Kate gegenüber geschickt in ein herablassendes umzuwandeln wußte, und erklärte dann, daß man zwar mit jungen Mädchen, die an das Geschäft noch nicht gewöhnt seien, anfangs viel Mühe habe, aber sie sei überzeugt, daß Kate sich nach Kräften anstellig erweisen werde.

»Ich denke, es wird vorderhand am besten sein, wenn Miss Nickleby mit Ihnen in das Ankleidezimmer geht und den Kundschaften beim Anprobieren hilft«, meinte Madame Mantalini.

»Sie wird sich jetzt noch in keiner anderen Weise nützlich machen können, und ihr Äußeres –«

»Harmoniert ausgezeichnet mit dem meinigen, Madame«, fiel Miss Knag ein. »Nur ist mein Teint etwas dunkler als der ihrige, und, hem, ich glaube, mein Fuß wird auch ein wenig kleiner sein. Gewiß. Miss Nickleby wird mir nicht übelnehmen, daß ich so spreche, wenn sie hört, daß unsere Familie von jeher wegen ihrer kleinen Füße berühmt war, seit – hem – seit, glaube ich, unsere Familie überhaupt Füße besaß. Ich hatte einmal einen Onkel, Madame Mantalini, der in Cheltenham wohnte und eine sehr ausgedehnte Tabakfabrik besaß, hem. Er hatte so winzig kleine Füße, wie man sie gewöhnlich an hölzernen Beinen anbringt, hem. Füße von so wunderschönem Ebenmaß, Madame, wie Sie sich sie nur denken können.«

»Dann mögen sie wohl einige Ähnlichkeiten mit Klumpfüßen gehabt haben, Miss Knag«, witzelte Madame.

»Kostbar! Nein kostbar! Das sieht Ihnen wieder ganz gleich«, schmeichelte Miss Knag. »Ha, ha, ha, Klumpfüße, köstlich, wie oft habe ich zu den jungen Mädchen schon gesagt, die treffendsten Witze, hem, die ich je gehört habe – und ich habe viel gehört, denn als mein Bruder noch lebte, hatten wir jede Woche zwei oder drei junge Herren beim Abendessen, die wegen ihres Witzes allgemein bekannt waren, Madame –, die treffendsten Witze, sage ich den jungen Mädchen immer, die ich je gehört habe, macht Madame Mantalini. Sie sind so sarkastisch und dabei doch nie beleidigend, daß es mir, wie ich erst diesen Morgen noch zu Miss Simmonds sagte, ein wahres Rätsel ist, woher Sie sie nur so aus dem Ärmel schütteln können.«

Atemlos hielt Miss Knag inne.

»Ich bitte also Sorge zu tragen, daß Miss Nickleby ihr Ressort genau kennenlernt«, kam Madame Mantalini einem neuerlich drohenden Redeschwall zuvor. »Ich übergebe sie jetzt Ihrer Obhut, Miss Knag. – Guten Morgen.«

»Eine bezaubernde Dame, nicht wahr, Miss Nickleby!« wendete sich Miss Knag, sich die Hände reibend, jetzt an Kate.

»Ich habe sie erst ein paarmal flüchtig gesehen«, wich Kate einer ausführlichen Antwort aus.

»Mr. Mantalini kennen Sie doch auch?«

»Ja, ich bin ihm schon zweimal begegnet.«

»Ist er nicht ein entzückender Mann?«

»Nun, er ist mir nicht gerade so vorgekommen«, versetzte Kate.

»Nicht?« rief Miss Knag und schlug erstaunt die Hände zusammen. »Barmherziger Himmel, ja, was haben Sie denn für einen Geschmack? So ein schöner, schlanker, vornehm aussehender Herr! Und diese Haare! Diese Zähne, der Bart! Hem. Nein, Sie setzen mich wirklich in Erstaunen.«

»Ich gebe gerne zu, daß ich recht töricht bin, aber da meine Ansicht weder für ihn noch jemand anders einen besonderen Wert hat, so bedaure ich nicht, sie mir gebildet zu haben, wie ich auch nicht glaube, daß ich sie so schnell ändern werde.«

Nach einem kurzen Schweigen, während dessen Kate ihren Hut und Schal abgelegt hatte, fragte eine der Näherinnen, ob sie sich denn in ihrer schwarzen Tracht nicht recht unbehaglich fühle.

»So staubig und heiß, nicht?«

Kate hätte sagen können, daß Schwarz die eisigste Tracht sei, die der Mensch anlegen kann. Aber sie brachte kein Wort hervor. Tränen traten ihr in die Augen.

»Es tut mir außerordentlich leid, Sie durch meine Unbedachtsamkeit verletzt zu haben«, entschuldigte sich die Nähterin.

»Sie trauern vermutlich um einen nahen Verwandten?«

»Um meinen Vater«, antwortete Kate weinend.

»Um wen, Miss Simmonds?« fragte Miss Knag laut.

»Um ihren Vater«, flüsterte die Nähterin.

»So, um ihren Vater«, wiederholte Miss Knag rücksichtslos. »Wahrscheinlich lange krank gelegen, Miss Nickleby?«

»Unser Unglück kam sehr unverhofft«, schluchzte Kate, sich abwendend, »sonst wäre ich vielleicht jetzt imstande, es leichter zu tragen.«

Das Arbeiterinnenpersonal war, wie immer in solchen Fällen, nicht wenig neugierig gewesen, das Wer, Was, Warum und Wieso von Kate zu erfahren; aber obgleich das Äußere und die Empfindlichkeit des jungen Mädchens diesen Wunsch nur vermehren konnte, so schwiegen doch alle, um ihr nicht wehe zu tun, weshalb denn auch Miss Knag weitere Versuche, Details zu erfahren, vorderhand unterließ und, wenn auch ungern, ihre Gehilfinnen an die Arbeit gehen hieß.

Die Mädchen nähten in stummer Emsigkeit bis halb zwei Uhr fort, um welche Zeit eine gebratene Schöpsenkeule mit Kartoffeln aufgetragen wurde. Als die Mahlzeit vorüber war, ging es wieder an die Arbeit, die schweigend fortgesetzt wurde, bis der Lärm von Wagen, die durch die Straßen rasselten, und laute Doppelschläge an der Türe das Zeichen gaben, daß das Tagewerk der beglückteren Glieder der menschlichen Gesellschaft seinen Anfang nahm. Bald darauf hielt die Equipage einer vornehmen Dame, oder besser gesagt: einer reichen, vor der Haustüre. Kate wurde beauftragt, zusammen mit Miss Knag, natürlich unter dem Vortritt Madame Mantalinis, die Dame mit ihrer Tochter zu empfangen und die bestellten Kleider behufs Anprobe zu bringen.

Kates Rolle bei dieser Feierlichkeit war bescheiden genug, da sich ihre Obliegenheiten darauf beschränkten, die Kleider zu halten, bis Miss Knag sie anprobierte, hin und wieder eine Schleife zu knüpfen oder eine Stecknadel zu befestigen. Zufälligerweise waren gerade die reiche Dame und ihre Tochter an diesem Tage schlechter Laune, und das ging an der armen Kate Nickleby aus. Einmal war sie tölpisch, dann hatte sie kalte, schmutzige oder rauhe Hände, kurz, sie konnte nichts recht machen. Die Damen wunderten sich, wie Madame Mantalini solche Leute nur um sich dulden könne; wenn sie das nächste Mal herkämen, wünschten sie ein anderes junges Mädchen zu sehen, usw.

Kate vergoß bittere Tränen, als sie fort waren, und fühlte zum erstenmal so recht das Demütigende ihrer Stellung. Der Mut war ihr allerdings bei der Aussicht auf Dienenmüssen und saure Arbeit sehr gesunken, aber sie hatte nichts Herabwürdigendes in dem Gedanken, um ihren Lebensunterhalt arbeiten zu müssen, gefühlt, bis sie sich jetzt auf einmal hilflos rohestem Hochmut ausgesetzt sah. Ein bißchen Philosophie würde sie zwar gelehrt haben, daß das Erniedrigende in einem solchen Falle lediglich auf Seite derer liegt, die so ohne jede Ursache ihrer Laune die Zügel schießen lassen, aber sie war zu jung, um darin einen Trost zu finden, und sie fühlte sich tief gekränkt.

Unter solchen und ähnlichen Auftritten und Beschäftigungen rückte die Feierabendstunde heran, und Kate enteilte, ermattet und entmutigt von den Vorgängen des Tages, dem engen Raume des Arbeitszimmers, um mit ihrer Mutter, die an der Straßenecke auf sie wartete, nach Hause zu gehen. Ein schmerzlicher Abendgang, denn sie mußte ihre wahren Empfindungen verbergen und sich stellen, als teile sie alle die sanguinischen Träume ihrer Mutter.

»Mein liebes Kätchen«, plauderte Mrs. Nickleby redselig drauflos, »ich habe den ganzen Tag darüber nachgedacht, wie herrlich es wäre, wenn Madame Mantalini dich mit in Kompanie nähme. Und wie leicht wäre das möglich! Die Schwägerin eines Vetters deines armen Vaters, eine Miss Browndock, ging in Kompanie mit einer Dame, die ein Erziehungsinstitut in Hammersmith hatte, und machte in ganz kurzer Zeit ihr Glück. Ich weiß nicht mehr genau, ob diese Miss Browndock dieselbe war, die zehntausend Pfund in der Lotterie gewann, aber ich glaube beinahe nein. Halt, ich kann mich jetzt wieder ganz genau entsinnen, daß sie es doch war – Mantalini & Nickleby, wie gut das klingen würde! Und wenn Nikolas nur ein wenig Glück hat, so kann er noch als Doktor Nickleby Rektor der Westminsterschule, mit dir in derselben Straße wohnen.«

»Der liebe, gute Nikolas«, rief Kate und nahm den Brief ihres Bruders, den dieser zuletzt aus Dotheboys Hall geschrieben hatte, aus ihrem Strickbeutel. »Wie glücklich können wir nicht trotz all unserem Mißgeschick sein, Mama, wo wir hören, daß es ihm so gut geht, und aus seinem Brief entnehmen, daß er heiter und glücklich ist. Ach, wie tröstet mich das für alles!«

Arme Kate, sie ahnte nicht, auf wie schwachen Füßen dieser Trost stand und wie bald sie enttäuscht werden sollte.

Nikolas Nickleby

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