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Ein Bündlein Myrrhen

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„Mein Geliebter ist mir ein Bündel Myrrhen, das zwischen meinen Brüsten ruht.“ Hohelied Salomos 1,13

Gewisse Theologen haben die Inspiration des Hohenliedes angezweifelt; andere haben es für nichts anderes gehalten als eine Probe von alten Liebesgesängen, und etliche haben sich gar gefürchtet, darüber zu predigen, weil es einen so hochpoetischen Charakter trägt. Der wahre Grund für all dieses Fernhalten von einem der himmlischen Teile des Wortes Gottes liegt in dem Umstand. dass der Geist dieses Liedes nicht leicht zu erreichen ist. Seine Musik gehört dem höheren geistlichen Leben an, und diese hat für ungeistliche Ohren keinen Reiz. Dieses Hohelied umschließt ein heiliges Gehege, durch welches niemand unvorbereitet treten darf.

„Ziehe deine Schuhe aus von deinen Füssen, denn die Stätte darauf du stehest. ist heiliges Land“, das ist die warnende Stimme, die aus dem verborgenen Gezelt heraus ertönt. Die historischen Bücher möchte ich mit dem äußeren Vorhof des Tempels vergleichen; die Evangelien, die Briefe und die Psalmen führen uns in das Heilige oder in den Vorhof der Priester; aber das Hohelied ist das Allerheiligste, vor welchem noch für geistlich unreif Wirkende der Vorhang hängt. Es sind nicht alles Heilige, die hier eintreten können, denn sie sind noch nicht zu dem heiligen Vertrauen des Glaubens und zu der innigen Vertrautheit der Liebe gelangt, die es ihnen ermöglicht, in ehelicher Liebe mit dem großen Bräutigam zu verkehren.

Man sagt uns, dass die Juden es den jungen Studenten nicht gestatteten, dies Hohelied zu lesen, dass man die Jahre voller Reife für erforderlich hielt, ehe der Mann aus dem geheimnisvollen Liebesgesang den rechten Nutzen ziehen könne; vielleicht waren sie weise, auf jeden Fall aber schattete das Verbot eine große Wahrheit ab. Das Hohelied ist in Wahrheit ein Buch für ausgewachsene Christen; es bedarf eines Mannes von völligerem Wachstum, der sein Haupt an den Busen seines Meisters legt, um die erhabenen Berge der Liebe zu ersteigen, auf denen die Braut mit ihrem Geliebten steht. Das Hohelied wird vom ersten bis zum letzten Vers denen klar sein, die die Salbung empfangen haben von dem, der heilig ist, und dies alles wissen (1.Joh. 2.20).

Sie sind so von dem Geist der Liebe durchtränkt, der aus diesem Buch heraus duftet, dass die, welche in der Schule der Gemeinschaft nicht gelehrt sind, ausrufen: „Wir können es nicht lesen, denn es ist versiegelt.“ Dieses Hohelied ist ein goldenes Kästchen, zu welchem mehr die Liebe als die Gelehrsamkeit der Schlüssel ist. Möchte es Gott gefallen, uns in der Gnade wachsen zu lassen und uns viel von dem Heiligen Geist zu gehen, dass wir mit Füßen gleich denen der Gazellen auf den Höhen der Schrift stehen und innigen Umgang mit Jesus Christus haben können.

Lasst uns hinsichtlich unseres Textes sehr einfach handeln und zuerst bemerken, dass Christus den Gläubigen sehr köstlich ist; zweitens, dass guter Grund dafür vorhanden ist; drittens, dass gemischt mit dem Gefühl der Köstlichkeit hier das freudige Bewusstsein seines Besitzes ist und dass darum viertens sich ein ernstes Verlangen nach beständiger Gemeinschaft mit ihm zeigt. Wenn ihr noch einmal auf den Text blickt, werdet ihr diese Dinge darin finden.

I.

Zunächst: Christus Jesus ist den Gläubigen unaussprechlich köstlich. Die Worte schließen das offenbar in sich: „Mein Geliebter ist mir ein Bündel Myrrhen.“ Sie nennt ihn ihren „Geliebten“ und drückt so ihre Liebe auf das nachdrücklichste aus; er ist nicht nur der Geliebte, sondern der Vielgeliebte. Dann blickt sie sich um, um etwas zu finden, das an sich wertvoll und zugleich nützlich in seinen Eigenschaften ist, und Myrrhen erblickend sagt sie: „Mein Vielgeliebter ist mir ein Bündel Myrrhen.“ Ohne jetzt das Bild näher anzusehen, halten wir uns an den Ausspruch, dass Christus dem Gläubigen köstlich ist.

Beachtet zunächst, dass dem Gläubigen nichts soviel Freude macht als die Gemeinschaft mit Christus. Fragt euch ihr, die ihr an seinem Tisch gesessen, wo solche Freude zu finden, wie ihr sie in Gemeinschaft mit Jesus genossen habt. Der Christ hat in den gewöhnlichen Gnadenerweisungen ebenso gut Freude wie andere Leute. Er kann sich an Gottes Gaben und Werken der Schöpfung freuen wie jeder andere. Er ist nicht tot für häusliche Freuden; er findet an seinem eigenen Herd glückliche Verbindungen, ohne welche das Leben wirklich traurig wäre. Seine Kinder erfüllen sein Heim mit Frohsinn, seine Frau ist sein Trost und seine Wonne, und seine Freunde sind seine Erfrischung; aber er wird euch sagen, dass er in all diesem nicht so wesentliche Wonne findet als in der Person seines Herrn Jesus. Brüder, hier ist ein Wein, wie ihn kein Weinberg auf Erden jemals liefert; hier ist ein Brot, das selbst die Kornfelder Ägyptens nicht hervorbringen könnten. Wo wir sahen, dass andere ihren Gott in irdischen Annehmlichkeiten fanden, da sagten wir: „Ihr mögt euch des Goldes, des Silbers und der Kleidung rühmen; ich will mich freuen in dem Gott meines Heils.“

Nach unserer Überzeugung sind die Freuden der Erde im Vergleich zu Jesus, dem Himmelsmanna, wenig besser als die Treber für das Vieh. Ich wollte lieber ein wenig von Christi Liebe und von seiner Gemeinschaft als eine ganze Welt voll fleischlicher Wonnen. Was ist die Spreu gegen den Weizen? Was ein Traum gegen die herrliche Wirklichkeit? Was ist dieser Zeit Freude in ihrem besten Schmuck im Vergleich zu unserem Herrn in seinem verachtetsten Zustand? Wenn ihr etwas von dem inneren Leben wisst, werdet ihr alle bekennen, dass unsere höchsten, reinsten und beständigsten Freuden die Frucht von dem Baum des Lebens gewährt, der im Paradies Gottes wächst. Wie der Prediger sagte, so sagen wir: „Ich sprach zum Lachen: Du bist toll! und zur Freude: Was machst du?“ „Eitelkeit der Eitelkeiten; es ist alles eitel.“ Alle irdische Seligkeit ist von der Erde und irdisch, aber die Tröstungen der Gegenwart Christi sind gleich ihm himmlisch. Wir können unsere Gemeinschaft mit Jesus überschauen und finden keine Leere darin; in diesem Wein ist kein Bodensatz, in dieser Salbe keine tote Fliege. Die Freude am Herrn ist wirklich und fortwährend, und sie ist in Zeit und Ewigkeit wert, genannt zu werden „die einzige wahre Wonne“.

Wir können deutlich sehen, dass dem Gläubigen Christus so köstlich ist, weil es außer Christus für ihn nichts Gutes gibt. Gläubige Seele, hast du nicht inmitten der Fülle einen schmerzlichen Hunger empfunden, wenn dir dein Herr fehlte? Die Sonne schien, aber Christus hatte sich verborgen, und die ganze Welt war dir dunkel. O welche heulende Wüste ist diese Welt ohne meinen Herrn! Wenn er sich in seinem Zorn nur einen Augenblick vor mir verbarg, verdorrten die Blumen meines Gartens, meine schönen Früchte verfaulten, die Vögel ließen ihren Gesang verstummen und schwarze Nacht senkte sich auf alle meine Hoffnungen hernieder. Nichts kann die Gemeinschaft des Heiles ersetzen; alle Kerzen der Erde können keinen Tag machen, wenn die Sonne der Gerechtigkeit untergegangen ist.

Als andererseits dir alle irdischen Tröstungen versagt blieben, hast du da nicht Genüge in deinem Herrn gefunden? Sind deine schlechtesten Zeiten nicht deine besten gewesen? Dein Krankenbett machte Jesus zu einem königlichen Thron, auf welchem du mit ihm regiertest. Jene dunklen Nächte waren nicht dunkel. Denkst du daran, als du arm warst? Wie nahe war dir Christus, und wie reich machte er dich! Du bist von Menschen verachtet und verworfen worden, und niemand gab dir ein gutes Wort; aber seine Gemeinschaft war dir süß, und es war wonnig, ihn sagen zu hören: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott!“ Als du des Leidens viel hattest, wurdest du auch reichlich getröstet durch Christus. Ja. wir können in stiller Ergebung auf Armut, Krankheit und selbst auf den Tod blicken; denn wenn alle Tröstungen uns genommen werden sollten, würden wir doch gesegnet sein, solange wir die Gegenwart des Herrn, unseres Heilands, genießen dürfen.

Ich tue auch der Wahrheit keinen Zwang an, wenn ich sage, dass der Christ lieber alles andere aufgeben, als seinen Meister verlassen würde. Ich habe etliche gekannt, welche sich fürchteten, dem Wort ins Auge zu sehen, der da sagte: „Wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert.“ Ja, ich habe gefunden, dass gerade die, die sich am meisten fürchteten, es am häufigsten bewiesen, dass sie aufrichtige Liebe zu Jesus hatten. Vielleicht ist es die beste Art, nicht ruhig dazusitzen und unsere Liebe zu wägen, denn sie lässt sich nicht mit kühlem Urteil messen, sondern deine Liebe praktisch auf die Probe zu stellen. Wenn es nun dahin kommt, dass du Christus verleugnen oder das Liebste, das du hast, aufgeben sollst, würdest du erst überlegen? Aber auch, wenn es sich darum handeln sollte: „Willst du deine Augen verlieren oder Christus aufgeben?“ würde ich gern blind werden. Oder wenn es heißen sollte: „Willst du von heute ab stumm sein und nie mehr vor der Menge reden?“

Es ist besser, stumm zu sein, als ihn verlieren. Tatsächlich kommt es mir wie eine Beleidigung meines Herrn vor, Hände und Augen und Zunge mit ihm vergleichen zu wollen. Wenn ich gefragt werden sollte: „Willst du ohne Christus leben oder mit Christus sterben?“ so würde ich nicht erst überlegen, denn mit Christus sterben heißt, mit Christus ewiglich zu leben; aber ohne Christus leben hieße, des anderen Todes, des schrecklichen Todes, des ewigen Verderbens der Seele zu sterben. Nein, hier gibt es keine Wahl. Ich denke, wir könnten weitergehen und, wenn die Liebe inbrünstig ist und das Fleisch unterdrückt wird, sagen, dass wir irgendetwas mit Christus erdulden würden. Es liegt etwas Himmlisches in dem Leiden für Christus. In seinem Kreuz liegt eine solche Majestät und geheimnisvolle Wonne, die, je schwerer es wird, desto leichter auf den Schultern der Gläubigen liegt.

II.

Aber zweitens: die Seele hängt an Christus, und sie hat guten Grund da-zu, denn ihre Worte lauten: „Mein Geliebter ist mir ein Bündel Myrrhen.“ Wir wollen zuerst die Myrrhen nehmen und dann das Bündel betrachten.

Jesus Christus ist gleich Myrrhen. Diese sind wegen ihrer Köstlichkeit mit Recht ein Bild von Christus. Es ist ein überaus kostspieliges Arzneimittel. Die Schrift spricht davon als von einem seltenen und kostbaren Handelsgut. Aber keine Myrrhen lassen sich mit Jesus Christus vergleichen, denn er ist so köstlich, dass, wenn Himmel und Erde zusammengenommen würde, beides nicht einen anderen Heiland erkaufen könnte. Als Gott der Welt seinen Sohn gab, gab er das Beste, das der Himmel hatte. Christus war Gottes Alles, denn steht nicht geschrieben: „In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“! Wie unschätzbar köstlich der Leib, den er von der Substanz der Jungfrau annahm! Wie ist er als Myrrhe köstlich in der Darbringung seines großen Versöhnungsopfers! „Erlöst nicht mit Silber oder Gold, sondern mit dem teuren Blut Christi.“ Wie köstlich ist er auch in seiner Auferstehung! Er rechtfertigt sein Volk mit einem Schlag!

Diese herrliche Sonne zerstreute mit einem Aufgehen alle Nächte seines ganzen Volkes. Wie köstlich ist er in seiner Himmelfahrt, wie er das Gefängnis gefangen führt und den Menschen Gaben gibt! Und wie köstlich heute in seiner beständigen Fürbitte, infolge derer die Gnaden Gottes gleich Engeln auf Jakobs Leiter zu unseren bedürftigen Seelen herabkommen! Ja, er ist dem Gläubigen in jeder Hinsicht gleich den Myrrhen.

Myrrhe war sodann angenehm. Es war angenehm, in einem Raum zu sein, der von Myrrhen durchduftet war. Von Christus kann gesagt werden, dass seine Kleider duften wie Myrrhen, Aloe und Kassia; aber er hat nicht allein geistlichen Duft, sondern auch der Geschmack wird befriedigt, denn wir essen sein Fleisch und trinken sein Blut. Seine Stimme ist lieblich und das Ohr unserer Seele wird von seinen Melodien entzückt. Er ist ganz lieblich. Wir können ihn nur mit Myrrhen vergleichen. Er ist alles, was gut anzusehen oder zu schmecken oder zu fühlen oder zu riechen ist; er ist, alles zusammengenommen, der Hauptinhalt aller Wonnen. Wie alle Ströme ins Meer fließen, so haben alle unsere Wonnen ihr Zentrum in Christus.

Ferner macht die Myrrhe wohlriechend. Sie wird gebraucht, um anderen Dingen Duft zu verleihen. Sie wurde mit dem Opfer vermischt, so dass es nicht nur der Rauch von dem Fett der Widder und das Fleisch fetter Tiere war, sondern auch der liebliche Duft der Myrrhe, welcher mit dem Opfer zum Himmel emporstieg. Gewiss macht Jesus Christus sein Volk wohlriechend. Macht er nicht ihre Gebete wohlriechend, so dass der Herr den lieblichen Duft riecht? Durchduftet er nicht unsere Wirksamkeit, denn steht nicht geschrieben: „Er gibt uns allezeit Sieg in Christus und offenbart den Geruch seiner Erkenntnis durch uns an allen Orten; denn wir sind Gott ein guter Geruch Christi unter denen, die selig werden, und unter denen, die verlorengehen“. Unsere Personen werden von Christus durchduftet. Woher anders haben wir unsere Narde als von ihm? „Wir sind angenehm gemacht in dem Geliebten.“ ‒ „Ihr seid vollkommen in ihm ‒ vollkommen in Christus Jesus.“ ‒ „Er hat uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott, und wir werden herrschen in Ewigkeit.“

Myrrhen haben erhaltende Eigenschaften. Die Ägypter gebrauchten sie zur Einbalsamierung der Toten, und wir finden, dass Nikodemus und die Frauen Myrrhen und Aloe brachten, um den toten Leib des Heilandes darein zu hüllen. Sie wurde gebraucht, um der Verwesung vorzubeugen. Was kann die Seele anders bewahren als Jesus Christus? Welches ist die Myrrhe, die unsere Werke bewahrt, die an sich tot und verderbt und faul sind, so dass sie vor Gott nicht stinkend sind, wenn nicht Jesus Christus? Was wir aus Liebe zu Christus getan, was wir durch seine Vermittlung geopfert haben, was durch den Glauben an seine Person durchduftet ist, wird angenehm und annehmbar. Gott blickt auf alles, was wir sagen oder tun, und wenn er Christus darin sieht, nimmt er es an; aber wenn kein Christus darin ist, verwirft er es als etwas Schmutziges.

Achtet denn darauf, dass ihr nie ein Gebet betet, welches nicht mit Christus gewürzt ist. Ich möchte nicht eine Predigt halten, welche nicht zum Überfließen voll von Christus ist, denn was ist eine christuslose Predigt! Ein Bach ohne Wasser, eine Wolke ohne Regen, ein zwiefach entwurzelter Baum, ein Himmel ohne eine Wolke, eine Nacht ohne einen Stern. O Christ, wir müssen Christus haben! Achte darauf, dass du an jedem neu begonnenen Tag durch die Betrachtung der Person Christi einen frischen Duft von ihm an dir trägst. Lebe den ganzen Tag, indem du, soviel an dir ist, dein Herz mit ihm anfüllst. Es gibt nichts, das uns bewahren und uns von der Sünde abhalten und unsere Werke heilig und rein halten kann als dieses „Bündel Myrrhen“.

Myrrhen wurden als ein Desinfektionsmittel gebraucht. Wenn sich das Fieber ausbreitet, kennen wir Leute, die kleine Beutel mit Kampfer um den Hals tragen. Sie mögen gut sein; ich weiß es nicht. Aber die Orientalen glaubten, dass zu Zeiten der Pest und anderer Krankheiten ein kleines Bündelchen Myrrhen, zwischen den Brüsten getragen, von wesentlichem Nutzen für den Träger sei. Und in den Myrrhen ist ohne Zweifel irgendwelche Kraft, vor ansteckender Krankheit zu schützen. Ich bin gewiss, dass es hinsichtlich Christi der Fall ist. Ihr müsst in die Welt hinausgehen, die einem großen Lazarett gleicht; aber wenn ihr Christus mit euch nehmt, werdet ihr nie der Welt Krankheit bekommen. Ein Mensch mag noch so reich sein, aber er wird nie weltlich werden, wenn er Christus auf seinem Herzen behält. Ein Mensch mag sehr arm sein und schwer um sein tägliches Brot arbeiten müssen; aber er wird nie unzufrieden werden und murren, wenn er in Christi Nähe bleibt. Einige unter euch müssen mit Alkoholikern und Fluchern zusammen arbeiten. O nehmt meinen Meister mit euch, und die Plage der Sünde kann keinen Einfluss auf eure moralische Natur haben.

Aber die Ärzte der alten Zeit hielten von der Myrrhe noch mehr; sie hatte nicht nur vorbeugende, sondern heilende Kraft. Ich weiß nicht, wie viele Krankheiten sie damit heilten; ich nehme auch nicht an, dass diese orientalischen Ärzte Tatsachen berichteten, denn sie schrieben manchen Drogen Eigenschaften zu, die sie nicht hatten; doch selbst Ärzte neuerer Zeit glauben, dass die Myrrhe wertvolle medizinische Eigenschaften hat. Gewiss ist, dass euer Christus die beste Arznei für die Seele ist. Sein Name ist: „Ich bin der Herr, dein Arzt.“ Er rührte den Aussätzigen an, und er wurde gesund. Er sah nur die Lahmen an, und sie sprangen wie die Hirsche. Seine Stimme durchbrach die Stille des Hades und brachte die Seele zum Leibe zurück. Was könnte Christus nicht heilen? Ihr, die ihr an diesem Morgen krank seid von Zweifeln und Befürchtungen und Versuchungen, ihr, die ihr mit einem erregten Temperament oder mit einem todesähnlichen Schlaf der Trägheit zu kämpfen habt, nehmt Christus, und ihr seid geheilt. Hier treffen alle Dinge zusammen, und in allen diesen Dingen können wir sagen: „Mein Geliebter ist mir ein Bündel Myrrhen.“

Ich bin noch nicht fertig, denn Myrrhen wurden im Morgenland zur Verschönerung gebraucht. Wir lesen von Esther, ehe sie dem Ahasveros zugeführt wurde, dass sie samt den Jungfrauen die Weisung erhielt, sich vorzubereiten, und dazu gebrauchte sie u. a. Myrrhe. Die orientalischen Frauen glaubten, dass sie Falten und Flecken von dem Gesicht entferne, und sie gebrauchten sie beständig zur Vervollständigung ihrer Reize. Ich weiß nicht, wie das sein kann; aber das weiß ich, dass den Gläubigen nichts so schön macht als sein Umgang mit Jesus. Er ist schön in Gottes Augen, in den Augen der Engel und in den Augen der Menschen. Ich kenne einige Christen, mit denen umzugehen eine große Wohltat ist. Lasst mich euch sagen, dass der beste Maßstab für die Nützlichkeit eines Christen in dem Grad zu finden ist, in welchem er mit Jesus gewesen ist und von ihm gelernt hat. Sagt mir nicht, dass es der Gelehrte oder der Mann der Beredsamkeit oder der Reiche ist, sondern der wirklich starke Mann ist der Mann Gottes. Der mit Jesus gewesen ist, der ist eine Säule in der Gemeinde und ein Licht der Welt.

Und ich darf diesen Punkt nicht schließen, ohne zu sagen, dass die Myrrhe sehr wohl wegen ihrer Verbindung mit dem Opfer als ein Zeichen unseres Herrn angesehen werden kann. Die Myrrhe gehörte zu den köstlichen Rohstoffen, die zur Bereitung des heiligen Öls zur Salbung der Priester verwandt wurden, und ebenso zu dem Räuchwerk, das beständig vor Gott brannte. Es weist hin auf den Charakter Christi als das Opfer, welches allem zugrunde liegt, das Christus seinem Volk köstlich macht. Du Lamm Gottes, unser Opfer, wir müssen dein gedenken!

Mit dem allem ist sicherlich genug über die Myrrhe gesagt worden. Habt noch Geduld, da wir eben noch bemerken müssen, dass er ein Bündel Myrrhen genannt wird oder auch, wie einige übersetzen: ein Beutel Myrrhen oder eine Büchse Myrrhen.

Es gab drei Arten von Myrrhen: die Myrrhe im kleinen Zweiglein als Sträußchen, die, wenn sie verbrannt wurden, einen lieblichen Duft ausströmten; dann die Myrrhe als getrocknete Spezerei und dann drittens die Myrrhe als flüssiges Öl. Wir wissen nicht, auf welche Art hier Bezug genommen wird. Aber warum heißt es „ein Bündel Myrrhen“? Zunächst wegen der Menge. Es ist nicht ein Tröpflein, sondern eine Flasche voll, nicht ein winziges Stielchen oder Blüte, sondern ein ganzes Bündel. In Christus ist genug für meine Bedürfnisse.

Ein Bündel ferner wegen der Mannigfaltigkeit, denn in Christus ist nicht nur das eine, das not ist, sondern „ihr seid vollkommen in ihm“, in ihm ist das Nötige Nimm Christus in seinen verschiedenen Ämtern, und du findest eine wundervolle Mannigfaltigkeit: Prophet, Priester, König, Bräutigam, Freund, Hirte. Nimm ihn in seinem Leben, in seinem Sterben, in seiner Auferstehung, Himmelfahrt, Wiederkunft, in seinen Vollkommenheiten: Sanftmut, Mut, Selbstverleugnung, Liebe, Treue, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit ‒ in jedem Fall ein Bündel. Er ist wegen seiner Mannigfaltigkeit „ein Bündel Myrrhen“.

Er ist ferner ein Bündel Myrrhen wegen der Bewahrung und Erhaltung und Dauer ‒ nicht lose Myrrhen, die herabfallen, auf denen herumgetreten wird, sondern Myrrhen zusammengebunden, als ob Gott alle Vollkommenheiten und Vortrefflichkeiten in seinem Sohn zusammengebunden hätte; nicht auf die Erde geschüttete Myrrhe, sondern Myrrhe in einer Büchse, bewahrt in einem Kästchen. Die Kraft und Vortrefflichkeit, die von Christus ausgeht, ist heute noch ebenso stark wie an dem Tage, da die Frau seines Kleides Saum anrührte und geheilt wurde. Er kann heute noch „selig machen aufs völligste alle, die durch Ihn zu Gott kommen“.

Ferner ein Bündel Myrrhen, um zu zeigen, wie fleißig wir davon nehmen sollten. Wir müssen ihn gleichsam zusammenfassen, unsere Gedanken von ihm und unsere Erkenntnis von ihm wie unter Schloss und Riegel halten, damit uns der Teufel nichts davon stehle. Wir müssen seine Worte sammeln, seine Anordnungen schätzen, seinen Vorschriften gehorchen ‒ alles zusammenbinden und ihn als ein köstliches Bündel Myrrhen beständig bei uns behalten.

Und doch wieder ein Bündel Myrrhen wegen der Besonderheit, als ob er nicht für jedermann gewöhnliche Myrrhe wäre. Nein, hier ist auszeichnende, unterscheidende Gnade, ein Bündel zusammengebunden für sein Volk und bezeichnet mit dessen Name vor Grundlegung der Welt. Ohne Zweifel ist hier eine Anspielung auf das Riechfläschchen, das in jedem Land gebraucht wird. Jesus Christus gibt seinen Geruch nicht jedermann, sondern denen, die es verstehen, den Pfropfen zu lüften, die es verstehen, in die Gemeinschaft mit ihm einzugehen und vertrauten Umgang mit ihm zu haben. „Mein Geliebter ist mir ein Fläschchen Myrrhen.“

III.

Unsere dritte Wahrnehmung sollte sein, dass mit dem Gefühl von Christi Köstlichkeit ein Bewusstsein des Besitzes verbunden ist. Es heißt: „mein Geliebter“. Mein Zuhörer ist Christus ein Geliebter? Ein Heiland, das ist gut; aber mein Heiland, das ist das Beste von allem. Was nützt mir das Brot, wenn es nicht mein ist? Dann kann ich Hungers sterben. Was hat Gold für einen Wert, wenn es nicht mein ist? Dann kann ich doch im Armenhaus sterben. Diese Köstlichkeit muss mein sein. „Mein Geliebter.“ Hast du je mit der Hand des Glaubens Christus erfasst?

Brüder, wollt ihr ihn heute wieder erfassen? Ich weiß, ihr wollt. Ich wünschte, dass auch die, die ihn noch nie aufgenommen haben, ihn jetzt aufnehmen und sagen: „Mein Heiland!“ Hier ist sein Sühnopfer, das freiwillig für euch geopfert ist. Möchtet ihr Gnade genug haben, es anzunehmen und zu sagen: „Mein Heiland. Mein Heiland!“ Hat dein Herz ihn aufgenommen? Es ist wünschenswert, dass wir beide Hände gebrauchen, die Hand des Glaubens und die Hand der Liebe, denn das ist die rechte Umarmung wenn wir beide Hände um den Geliebten legen. Sprecht nicht von einer Religion, die im Kopf wohnt, aber nie ins Herz kommt; sie wird dir nie den Himmel bringen. Es muss nicht nur heißen: „Ich glaube dies und das“, sondern auch: „Ich liebe.“

Aber dies ist nicht das einzige Wort. „Mein Geliebter ist mir ein Bündel Myrrhen.“ Vielen ist er das nicht, sondern nur eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Ein dreibändiger Roman ist ihnen lieber als dieses Buch. Sie gehen lieber ins Theater oder zum Tanz, als dass sie Gemeinschaft mit ihm suchen. Nun, sie mögen erwählen, was sie wollen, denn jedes Geschöpf hat so sein eigenes Vergnügen; mir aber, mir ist er ein Bündel Myrrhen, und wenn kein anderer ihn so findet, mir wird und soll er es sein. Der Ungläubige sagt: „Es ist kein Gott.“ Der Atheist möchte mich verspotten. Sie mögen sagen, was sie wollen; aber mir ist mein Geliebter ein Bündel Myrrhen. Ich weiß, es gibt etliche, die da sagen, sie haben ihn erprobt und ihn nicht köstlich erfunden; sie haben sich deshalb von ihm gewandt und sind zur Welt zurückgegangen, weil sie nichts Begehrenswertes an Christus fanden; aber mir ist mein Freund ein Bündel Myrrhen. O Christ, was du nötig hast, das ist eine persönliche Erfahrung, eine positive Erfahrung, und keine Religion ist auch nur einen Strohhalm wert, welche nicht aus deiner Seele entspringt. Ja, du musst sagen können: „Mag die ganze Welt irregehen; aber ‚mir ist mein Geliebter ein Bündel Myrrhen’. “

IV.

Der praktische Punkt soll den Schluss bilden. Ein Bewusstsein des Besitzes und des Genusses wird den Christen stets veranlassen, beständige Gemeinschaft zu wünschen. „Er“ oder richtiger „es soll zwischen meinen Brüsten ruhen“. Die Gemeinde sagt nicht: „Ich will dieses Bündel Myrrhen auf meine Schultern nehmen.“ Christus ist dem Christen keine Last. Sie sagt nicht: „Ich will dieses Bündel Myrrhen auf den Rücken nehmen“ ‒ die Gemeinde hat nicht Ursache, Christus vor ihrem Angesicht zu verbergen. Sie wünscht ihn zu haben, wo sie ihn sehen kann, ihrem Herzen nahe. Das Bündel Myrrhen soll auf meinem Herzen liegen, und da soll er immer seinen Platz haben. Ich vermute, dass dieser Ausdruck drei Dinge bezeichnet. Es ist der Ausdruck des Verlangens, beständig das Bewusstsein von Christi Liebe zu haben. Trägst du nicht dasselbe Verlangen in dir? Wenn du erst einmal Christus geschmeckt hast, wirst du das Bedürfnis fühlen, solange du lebst, dich an ihm zu weiden. Mein Verlangen ist, dass Jesus von früh bis spät bei mir bleibe, und ist das nicht auch dein Verlangen?

Aber dann ist es auch ihr Vertrauen. Die Gemeinde scheint zu sagen: Er wird so bei mir bleiben. Ihr mögt die sichtbare Gemeinschaft mit Christus unterbrechen, aber Christus wird nie von seinem Volk sich zurückziehen, sondern wird ihm zu allen Zeiten treu bleiben. Er mag sein Auge schließen und sein Angesicht vor euch verbergen; aber sein Herz wird nie von euch weichen. Er hat euch wie ein Siegel auf sein Herz gedrückt und wird euch das je länger je mehr zum Bewusstsein bringen.

Gebt euch nicht mit Menschen zufrieden, liebe Freunde; ihr mögt Wünsche haben und nichts weiter. Lasst eure Augen nicht schlafen und eure Augenlider nicht schlummern, bis ihr Christus im einfältigen Glauben als euer Alles in Allem angenommen habt.

Vom Geheimnis der schönsten Liebe

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