Читать книгу Weihnachtliches aus der Geschichtenküche - Charlie Hagist - Страница 11
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Die Kirchturmuhr
Der Weihnachtsmann hat in diesem Jahr wieder alle Hände voll zu tun. Er hat den Eindruck, als wünschten sich die Kinder in jedem Jahr immer mehr Geschenke oder es werden immer mehr Kinder. An irgendetwas muss es doch liegen, dachte er, dass von Jahr zu Jahr die Menge an Geschenken, die er zu transportieren hat, steigt. Seine Helferinnen stellten alle Geschenke, die bei der folgenden Tour an die Kinder zu verteilen waren, in eine Reihe. Der Weihnachtsmann nahm seine Liste mit den Wünschen und Anschriften der Kinder und verglich vorsichtshalber nochmals die Adressen der Kinder auf den Wunschzetteln mit den auf den Päckchen vermerkten Anschriften. Alles stimmte überein.
Jetzt packte er Päckchen für Päckchen sorgfältig in seinen großen Sack und lud den Sack auf seinen Weihnachtsschlitten. Das war für ihn eine anstrengende Sache. Gott sei Dank hatte er mit dieser Arbeit rechtzeitig angefangen.
„Weihnachtsmann“, sagte ihm eine Helferin, „du hast noch ein wenig Zeit. Die Kinder werden jetzt noch einen kleinen Mittagsschlaf machen, damit sie heute Nachmittag und heute Abend nicht zu müde sind, denn sie hatten ja vor Aufregung heute Morgen nicht besonders lange geschlafen. Lege dich doch auch noch ein wenig hin und ruhe dich aus. Ich wecke dich dann rechtzeitig.“
„Das ist ein guter Vorschlag“, erwiderte der Weihnachtsmann, „nur ein wenig Dösen, ich will ja gar nicht schlafen, nur Ausruhen.“
Die Rentiere scharrten schon mit den Hufen im Schnee und zeigten dem Weihnachtsmann damit an, dass es nun aber Zeit wäre, abzufahren. Der Weihnachtsmann rief den Tieren zu, dass er nur noch schnell seine Handschuhe von drinnen holen müsse und dass es dann sofort losgehe. Er lief schnell ins Haus, griff seine fellbesetzten Handschuhe und setzte sich dann auf den Schlitten. Eine Helferin nannte ihm auch noch die Zeit, es war genau fünf Uhr. Nach einem kurzen Peitschenknall liefen die Rentiere los, der Weihnachtsmann rief den Helferinnen noch ein donnerndes „Danke schön“ und „Hohohooo“ zu und bald war er nicht mehr zu sehen.
Nach kurzer Fahrt blickte er auf seinen Zettel, auf dem vermerkt war, welches Kind in welcher Stadt das erste sein würde, das auf dieser Tour besucht und beschenkt werden sollte. Es war Isabel. Isabel wohnte in einer kleinen Stadt, zu der außer einer Kirche, einem Einkaufsladen und drei Häusern nur noch ein Bauernhof gehörte. Und weil in dieser kleinen Stadt, also eigentlich könnte man besser sagen diesem kleinen Dorf, wenig Menschen unterwegs waren, lag auf den Straßen und Gehwegen überall dick der Schnee. Nichts war geräumt. Die Rentiere, die durch das energische Ziehen des Weihnachtsmannes an den Zügeln wussten, dass sie in diesem kleinen Dorf zum Stehen kommen mussten, hatten große Mühe, nicht wegzurutschen. Spiegelglatt war der zugefrorene kleine See am Anger gleich neben der Kirche. Sie glitten beim Bremsen über den See hinaus und kamen erst zwei Meter vor der Kirchenmauer zum Stehen.
„Das war aber knapp, meine Freunde“, sagte der Weihnachtsmann zu seinen Rentieren und wischte sich dabei die Schweißperlen, die er vor lauter Angst bekommen hatte, von seiner Stirn.
Dann stieg er vom Schlitten und stapfte im Schnee einige Meter zurück, um auf die Kirchturmuhr zu schauen. „Na Donnerwetter“, dachte er sich, „da bin ich aber schnell gewesen. Meine Helferinnen sagten mir doch, dass es fünf Uhr sei, als ich mich verabschiedet hatte. Und nun ist es hier vier Uhr, also eine Stunde früher. Da bin ich ja schneller als die Zeit gewesen. Wie ist denn so was möglich?“
Und weil er es nicht glauben konnte, lief er um den Kirchturm und entfernte sich in der nächsten Straße so weit vom Turm, bis er die Kirchturmuhr sehen konnte. Er schaute nach oben und traute seinen Augen nicht. Die Uhr zeigte sechs Uhr an. Das ist zwar eine Stunde später als die Zeit, zu der er abgefahren war, aber andererseits zwei Stunden später als die Uhrzeit auf der anderen Kirchturmseite. „Potztausend“, entfuhr es ihm. „Also nun will ich’s wissen. Ein Kirchturm hat vier Seiten, also auch vier Kirchturmuhren“, dachte er sich. Er machte sich auf den Weg zur dritten und vierten Seite des Kirchturms. Zu seiner vollkommenen Verblüffung zeigten die Uhren Nummer drei und vier jeweils eine ganz andere Zeit an. Die Uhr Nummer drei nämlich 11 Uhr und die Uhr Nummer vier zeigte 1 Uhr.
Der Weihnachtsmann nahm trotz der Kälte und des einsetzenden erneuten Schneefalls seine Mütze ab und kratzte sich am Kopf. Welche Zeit mochte wohl stimmen? Er schob den linken Ärmel seines dicken roten Mantels zurück und wollte auf seine Armbanduhr schauen. Aber er hatte seine Armbanduhr nicht um gemacht. Er erinnerte sich, dass seine Helferinnen ihm gesagt hatten, dass ein Weihnachtsmann am Heiligen Abend keine Armbanduhr trägt. Das gehört sich nicht. Aber wie spät ist es nun wirklich?
Dann fiel ihm ein, dass es doch das Einfachste wäre, an einer Haustür zu klingeln und nach der Uhrzeit zu fragen. Das wollte er auch sofort machen. Er musste unbedingt wissen, wie spät es inzwischen war, denn Isabel wartete doch auf ihn. Und Kinder am Weihnachtsabend unnötig lange auf den Weihnachtsmann warten zu lassen, gehört sich nicht!
Er klingelte bei Familie Bernhauer. Vater Bernhauer öffnete die Tür und bat den Weihnachtsmann sofort ins Haus. Der Weihnachtsmann hatte große Mühe, Herrn Bernhauer zu erklären, dass er sicherlich keine Zeit habe, da er ja auf dem Weg zu Isabel sei und nur wissen wolle, wie spät es ist, denn ... Und dann erklärte er ihm seine Schwierigkeiten mit den angezeigten Zeiten an der Kirchturmuhr und seiner nicht vorhandenen Armbanduhr.
„Lieber Weihnachtsmann“, begann Herr Bernhauer, nachdem der Weihnachtsmann seinen Redefluss beendet hatte. „Lieber Weihnachtsmann, keine Aufregung. Es ist genau zwanzig Minuten nach fünf Uhr. Und ...“, er machte eine kurze Pause, „du bist hier bei Isabel. Auf die Minute pünktlich. Du kannst nun den Weihnachtssack vom Rentierschlitten holen und die kleine Isabel beschenken. Sie ist in ihrem Zimmer und schon ganz aufgeregt.“
Der Weihnachtsmann stapfte zu seinem Schlitten, holte den großen Sack und nannte den Rentieren die Hausnummer, wohin er nun den Geschenkesack bringen werde.
Als er die kleine Isabel ganz glücklich gemacht hatte, fragte er Herrn Bernhauer, weshalb die Kirchturmuhren denn so unterschiedliche Zeiten anzeigten.
„Das ist ganz einfach“, erklärte Herr Bernhauer, „die Kirchturmuhren sind alle eingefroren. Jede zu einer anderen Zeit. Aber da das jedes Jahr passiert, stört sich keiner im Dorf mehr daran. Hier hat jeder Bewohner eine Uhr in seiner Wohnung und das reicht doch.“
Der Weihnachtsmann wollte sich gerade von Isabel verabschieden, als er merkte, dass ihn irgendetwas am linken Ärmel zog. Er versuchte, mit seiner rechten Hand das störende Etwas abzustreifen. Dann schüttelte er sich kurz. Aber es zog erneut an ihm. Davon nun ... wurde der Weihnachtsmann wach. Er blickte um sich und sah, dass die Helferinnen noch um ihn standen und ihn mahnten, doch endlich aufzuwachen und loszufahren. Er hatte von den eingefrorenen Kirchturmuhren doch nur geträumt. Es sei doch schon fünf Uhr und die Kinder warteten.
Na, da schreckte der Weihnachtsmann aber hoch. Er hatte keine Zeit mehr, seinen Helferinnen zu erzählen, was er soeben Schlimmes geträumt hatte. Ganz schnell zog er seinen Mantel an, setzte seine Mütze auf, griff den Weihnachtssack, bestieg den Schlitten und rief noch ein schallendes „Hohohooo!“ Dann machte er sich auf den Weg zu den Kindern. Schließlich wollte er nicht zu spät kommen. „Hoffentlich“, dachte er flehentlich, „hoffentlich sind keine Kirchturmuhren eingefroren. Es ist doch so bitterkalt.“
Wenn ihr aus dem Fenster schaut, könnt ihr ihn bestimmt schon in der Ferne mit seinem Rentierschlitten kommen sehen. Und wenn ihr das Fenster öffnet, könnt ihr die Glöckchen am Zaumzeug und den Zügeln der Rentiere schellen hören. Klingt das nicht schön am Weihnachtsabend?