Читать книгу Weihnachtliches aus der Geschichtenküche - Charlie Hagist - Страница 13
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Engel dringend gesucht!
Während der Weihnachtsmann gerade die Schleife des letzten Weihnachtsgeschenkesacks band, bemerkte er, dass sein Engelchen, das ihn Jahr für Jahr begleitete, noch nicht da waren.
„Engelchen, Engelchen, wo bleibst du denn? Engelchen, wir müssen bald los. Kommst du bitte, um mir zu helfen, die Namensschilder an die letzten Weihnachtssäcke zu binden!“
Aber kein Engelchen kam.
Stattdessen antwortete ihm eine Stimme aus dem Nebenraum: „Weihnachtsmann, dein Engelchen kann heute nicht kommen, es ist nicht da!“
„Na gibt’s denn sowas? Nicht da, was soll das heißen?“
Jetzt kam eine ältere Dame in sein Zimmer. Sie brachte einen Schreibblock und einen Stift mit und sagte mit ernster Miene: „Weihnachtsmann, von den vielen, vielen Engelchen, die im letzten Jahr geholfen hatten, ist heute nicht ein einziges erschienen. Alle sind zu Hause geblieben. Und nun rate mal, warum? Da kommst du bestimmt nicht drauf“, setzte sie noch hinzu.
„Da hast du recht, da komme ich nicht drauf. Sag’ schon, warum ist heute kein Engelchen hier?“
„Weihnachtsmann, die Engelchen streiken heute. Die Engelchen haben sich darüber beklagt, dass sie für ihre anstrengende Arbeit viel zu wenig Anerkennung bekommen.“
Der Weihnachtsmann machte ein ernstes Gesicht und schnaufte erregt: „Die können doch das ganze Jahr über streiken. Sie können das ganze lange Jahr über mit Schildern umherlaufen und allen Weihnachtsmännern und Menschen ihre Forderung nach Beachtung und Anerkennung zeigen. Aber warum gerade heute, wo sie so gebraucht werden? Das kann ich nicht verstehen!“
„Ich kann das schon verstehen“, versuchte die ältere Dame, ihn zu beruhigen. „Schau mal, Weihnachtsmann, wenn die Engelchen im Laufe eines Jahres streiken, wenn gerade nicht Weihnachten ist, dann interessiert es doch überhaupt keinen Menschen oder irgendeinen Weihnachtsmann. Das wäre so, als ob die Nachtwächter tagsüber streiken würden, weil sie nachts so viel Arbeit haben. Oder ein anderes Beispiel: Das wäre so, als ob die Lehrer in den Schulferien, also in ihrem Urlaub, streiken würden. Keinen Schüler und keinen Erwachsenen würde das interessieren. Also, was bleibt den Leuten übrig? Richtig: Dann zu streiken, wenn sie am Dringendsten gebraucht werden. Und für die Engelchen bedeutet dieses am Dringendsten gebraucht werden eben heute. So ist das, ob es dir gefällt oder nicht, lieber Weihnachtsmann.“
„Das sehe ich ja ein.“ Er wollte noch ein Aber nachschieben, als die ältere Dame ihren Block anhob, ihre Brille auf der Nase hochschob und meinte: „Ich habe aber schon etwas unternommen. Ich habe viele, viele junge Mädchen eingeladen, die sich bereit erklärt haben, heute als Engelchen auszuhelfen. Ich habe sie per Mail und per Telefon zu uns gebeten und fast alle sind gekommen. Während du die Weihnachtssäcke befüllt hast, habe ich mit ihnen gesprochen. Dabei stellte sich heraus, dass leider die meisten für diese Aufgabe nicht geeignet waren. Bis auf drei Mädchen. Diese drei Mädchen stehen in meinem Zimmer und warten darauf, mit dir zu sprechen.“
Der Weihnachtsmann beruhigte sich dank dieser guten Nachricht wieder und bat die ältere Dame, die drei jungen Mädchen in sein Zimmer zu bringen. Er wollte die Entscheidung treffen, welches von ihnen in diesem Jahr sein Begleitengel sein würde.
Die drei jungen Mädchen hatten alle eine schlanke Figur und blonde, schulterlange, leicht gelockte Haare. Sie trugen die Alltagskleidung, wie sie jedes gleichaltrige Mädchen trug. Die Augen aller drei Mädchen leuchteten.
„Nun“, begann der Weihnachtsmann in ruhigem Ton, „eine von euch darf in diesem Jahr mit mir zu den Kindern gehen, um mit ihnen zu sprechen, ihre Gedichte und Geschichten zu hören und die Geschenke zu verteilen. Ich glaube schon, dass ihr alle drei dazu geeignet seid, aber zwei von euch kann ich leider nicht mitnehmen. Ich werde euch jetzt eine Frage stellen. Wer von euch sie richtig beantworten kann, der kommt in die nächste Auswahlrunde. Einverstanden?“
Die drei Mädchen waren einverstanden und nickten eifrig.
„Ihr kennt doch sicherlich alle die Bibelstelle Lukas 2, Absatz 1 bis 17?“
Das Gesicht eines jungen Mädchens wurde ernst, während bei den beiden anderen Mädchen das Strahlen der Augen weiterhin den Weihnachtsmann begeisterte.
„Weihnachtsmann, es tut mir leid, ich kenne diese Stelle nicht“, flüsterte das ernste Mädchen.
„Dann kann ich dich leider nicht zu den Kindern mitnehmen, schade“, sagte der Weihnachtsmann zu ihm. Er drückte ihm zum Abschied die Hand und steckte ihm noch als Dank für seine Bereitschaft, helfend einzuspringen, einen kleinen Glitzerstern zu, dessen Leuchten nie aufhören würde, solange sie lebe, und an seinen Besuch beim Weihnachtsmann erinnern würde.
Dann wandte er sich wieder den verbliebenen zwei Mädchen zu. Nachdem das erste Mädchen den ersten Teil der Geschichte erzählt hatte, setzte das zweite Mädchen die Geschichte fort. Alles war richtig. Es konnte den Text fast wörtlich, wie er in der Bibel steht, wiedergeben.
Der Weihnachtsmann lehnte sich zufrieden zurück. Die Beantwortung seiner nächsten Frage sollte die Entscheidung ermöglichen, welches der Mädchen ihn als Engel in diesem Jahr begleiten durfte. Die Frage musste also wohl überlegt sein.
„Weshalb brauche ich, weshalb brauchen die Menschen überhaupt einen Engel? Weshalb sollte mich eine von euch beiden begleiten?“
„Ich glaube“, begann das erste Mädchen, „die Kinder wollen einfach einen Engel sehen. Besonders die Mädchen finden es toll, wenn eine Gestalt im weißen, langen Kleid vor ihnen steht. Und außerdem“, jetzt schaute es den Weihnachtsmann ernst an, „haben sie vor dir, lieber Weihnachtsmann, nicht so viel Angst, wenn ein Engel dabei ist. Sie denken, dass ich schon aufpassen werde, dass du nicht zu böse zu ihnen schaust und sie zu mehr Ordnung ermahnst.“
„Du meinst also, dass ich zu den Kindern manchmal zu streng bin und dass ein Engel härtere Strafen und Anweisungen für das neue Jahr verhindern könnte?“
„Ja, das ist die Aufgabe eines Engels. So sehe ich das jedenfalls“, antwortete das Mädchen.
Der Weihnachtsmann sagte dazu nichts. Er wollte erst die Antwort des zweiten Mädchens hören. Er war sehr gespannt, wie es seine Frage beantworten würde.
„Lieber Weihnachtsmann“, begann das zweite Mädchen, „ja, ein wenig hat sie recht. Die Kinder möchten gerne ein wenig Beistand haben. Sie denken, wenn ein Engel in der Nähe ist, also ganz dicht bei ihnen im Zimmer steht, dann kann es nicht so schlimm werden. Der Engel wird darauf achten, dass der Weihnachtsmann nicht zu hart bestraft. Und dass er schließlich auch den Geschenkesack auspackt. Das ist das eine.
Das andere ist, dass jeder Mensch, ob Kind oder Erwachsener, ob groß oder klein, jemanden braucht, auf den er vertrauen kann. Alle brauchen jemanden, dem sie ihre Sorgen und Nöte mitteilen können, jemanden, der ihnen zuhört, der für sie da ist. Das sind Kinder, die vor einer Aufgabe im Kindergarten oder später in der Schule ängstlich sind und aus dieser Ängstlichkeit heraus ganz aufgeregt meinen, die gestellte Aufgabe nicht richtig lösen zu können. Da ist dann eine Kindergärtnerin oder in der Schule die Lehrerin oder der Lehrer der Engel, auf den sie vertrauen können, weil sie oder er beruhigend und vertrauensvoll mit dem Kind spricht und die Angst nimmt und Mut zur Antwort macht.
Oder nimm einen Kranken, der im Bett liegt und starke Schmerzen hat. Wenn derjenige dann eine Schwester oder einen Arzt hat, die oder der zuhört und sich Zeit für ihn nimmt, dann empfindet es der Kranke als hilfreich, als wohltuend, als beruhigend. Da wird die Schwester oder der Arzt zum Engel.
Oder, lieber Weihnachtsmann, nimm irgendwelche Situationen, in denen du selbst nicht weiterwusstest, aber als dir dann der sogenannte rettende Einfall oder die rettende Person zur Lösung des Problems kam, hast du gesagt: Dich schickt der Himmel. Du bist mein rettender Engel. Stimmt’s?“
Der Weihnachtsmann war zunächst sprachlos. Das junge Mädchen hatte die Aufgabe eines Engels richtig erkannt und mit guten Beispielen deutlich gemacht. „Das war gut, sehr gut. Du hast mit deinen wenigen Sätzen genau richtig gesagt, warum Engel so wichtig sind. Du hast recht mit deiner Feststellung, dass jeder Mensch jemanden braucht, auf den er sich jeder Zeit verlassen kann, jemanden, der jeder Zeit, wenn man ihn braucht, hilfreich zur Seite steht. Und weil die Kinder auf diesen hilfreichen Freund auch an Heiligabend vertrauen und an ihrer Seite Unterstützung haben wollen, deshalb ist es so wichtig, dass mich ein Engel gerade an diesem Abend begleitet. Und wenn, wie in diesem Jahr, die Engel streiken, dann, ja dann muss mich ein Ersatzengel begleiten. Und dieser Ersatzengel bist du. Ich freue mich, dass du mich begleiten wirst.“
Der Weihnachtsmann verabschiedete noch das andere junge Mädchen und übergab auch ihm einen kleinen Glitzerstern als Andenken an seinen Besuch bei ihm.
Dann ließ er das dritte junge Mädchen in ein weißes Gewand mit einem weißen Mantel einkleiden, holte noch ein wenig Goldstaub, den er über ihr blondes Haar rieseln ließ, und zeigte ihr auf einer großen Landkarte, wohin sie heute reisen würden.
Nachdem er seinen Mantel zugeknöpft und die Kapuze übergestülpt hatte, griff er nach dem ersten Weihnachtssack und stapfte zu seinem Weihnachtsschlitten. Die Weihnachtswichtel hatten diesen inzwischen mit vielen, vielen prall gefüllten Geschenkesäcken beladen.
Der Weihnachtsmann rief ein schallendes „Ho, ho, ho“ und die Rentiere zogen den Weihnachtsschlitten an.
Weihnachtsmann und Weihnachtsengel sind auf dem Weg zu den Menschen. Bald werden sie auch bei euch sein.
Anmerkung:
Bei der abgefragten Bibelstelle Lukas 2, Absatz 1-17 handelt es sich um die Schilderung der Geburt Jesu. Dieser Teil ist allgemein auch als Weihnachtsgeschichte bekannt.