Читать книгу Waves - Charline Dreyer - Страница 4
Blühende Fantasien, realistische Fakten und beunruhigende Tatsachen
ОглавлениеGulls in the sky and in my blue eyes
You know it feels unfair
There's magic everywhere.
Seeed
A D E L I N E
„No, no, no“, lache ich und halte dem Typen den Mund zu. „Ssscccht! Not so loud.“ Sagt man das so? Egal, englisch war noch nie meine Stärke. Er nimmt meine Hand, sieht mir direkt in die Augen und küsst sie lange. Ich muss wieder kichern. Eher aus Nervosität. Nicht, weil es mich in irgendeiner Weise anmacht. Wir befinden uns direkt vor unserer Villa und mir ist total bewusst, dass mich jederzeit Joe erwischen könnte, wie ich mich von einem spanischen Barkeeper abschlabbern lasse.
Perfekt. Genau das ist der Plan. Kindisch? Umso besser.
Ich schließe die Tür auf und stolpere fast über einen Gegenstand, der in der Dunkelheit auf dem Boden liegt. Isabellas Strandtasche, wie sich herausstellt, als ich das Licht einschalte. Merkwürdig, wieso liegt sie auf dem Boden? Ihr gesamter Inhalt ist im Raum verstreut. Die Fliesen glitzern nass im Licht, Wasser rinnt zwischen die Fugen. Mir bleibt keine Zeit, darüber nachzudenken, denn der Typ, sein Name ist Alejandro, packt mich von hinten und hebt mich hoch. Er küsst mich, schießt die Gegenstände auf dem Boden zur Seite und trägt mich zielstrebig zum Schlafzimmer. Woher weiß er ... Nun ja, er arbeitet in dieser Ferienanlage. Da muss er ja auch die Häuser, Wohnungen und Bungalows kennen. Wir haben hier drei Schlafzimmer, er trägt mich in das bisher ungenutzte, schmeißt mich auf das Doppelbett und beginnt, sich sein schwarzes Hemd aufzuknöpfen. Ich kichere extra laut, hoffe, dass Joe hier irgendwo ist und mich hört. „You're so hot“, sage ich und ziehe Luft zwischen zusammengebissenen Zähnen ein. Tatsächlich hat er einen relativ durchtrainierten Körper, gebräunte, glatte Haut und ... Sein Blick ist unfassbar intensiv. Okay, er ist einen Kopf kleiner als ich und benutzt definitiv eine ganze Menge zu viel Haargel, aber das tut gerade nichts zur Sache. Mit nacktem Oberkörper beugt er sich über mich, sagt irgendetwas auf spanisch, was sich verdächtig nach einem Pornotitel anhört, fährt mit der Zunge über meinen Hals und zerrt an meinen Klamotten. Die leichte Strickjacke lässt sich schnell abstreifen, nur das mit dem weißen Kleid ist etwas komplizierter, es liegt an meinem Körper wie eine zweite Haut.
Mir schießen tausend Gedanken durch den Kopf. Wird Joe auftauchen und uns sehen? Was ist eigentlich mit Elijah und der Rothaarigen? Wieso liegen Isabellas Sachen verstreut auf dem Boden? Ob sie doch ins Krankenhaus gefahren sind, wegen Joes Hand?
Ich weiß genau, dass ich mich jetzt nicht auf Sex mit diesem Mann hier einlassen werde, wieso habe ich ihn dann mitgenommen? Ich spüre rein gar nichts, wenn er mich küsst, bin wie betäubt. Seine Berührungen lösen nichts, außer Unwohlsein in mir aus. Das ist nicht richtig, das sollte so nicht sein. Joe sollte rechtzeitig hereinplatzen, Alejandro von mir zerren und sich mit männlicher Eifersucht und besitzergreifender Wut zwischen uns stellen. Das ist der Plan.
Doch wo bleibt Joe? Im Krankenhaus, sagt mir eine kleine Stimme meines Unterbewusstseins. Mit Isabella, ergänzt es mit einem boshaften Lachen.
Um noch einmal genau auszutesten, ob sich tatsächlich niemand im Haus befindet, stöhne ich so laut ich kann auf, als Alejandro mit seiner Hand zwischen meine Schenkel fährt. Aber niemand kommt zur Tür hereingestürmt, kein Joe stürzt sich beschützend zwischen mich und diesen Barmixer. Nichts passiert, außer, dass er mich überrascht anschaut, mit verschleiertem Blick und selbstgefällig grinst. Dass er nur Mittel zum Zweck ist, begreift er erst, als ich ohne Vorwarnung aufspringe und übertrieben geschockt zur Uhr schaue. Mit meinem schlechten englisch versuche ich zu erklären, dass meine Eltern jede Sekunde hereinschneien könnten und ich völlig vergessen habe, dass sie ja genau um zwei Uhr nachts von einer Veranstaltung zurückkommen sollten. Realistisch, ich weiß. Welcher normale Mensch ist bis zwei Uhr nachts während seines Urlaubs auf Fuerteventura bei einem Event?
Das hatte er auch gefragt. „Save the wizards“, antworte ich schnell. Zu schnell. Er schaut mich an, als sei ich komplett übergeschnappt. „Lizards! Herrgott nochmal. Ich meine lizards. Save the lizards. Eidechsen, nicht Zauberer.“ Ich laufe knallrot an und lache nervös. „Meine Eltern sind Mitglieder einer Tierschutzorganisation und ich weiß wirklich, wirklich nicht wie man das auf englisch sagt, aber ich bitte dich einfach nur, schnellstmöglich zu verschwinden. Please... äh ... go away. My parents will kill you. And me.“ Anscheinend hat er wenigstens das verstanden. Zerknirscht knöpft er sein Hemd zu und verlässt das Haus, ohne ein weiteres Wort.
Stöhnend lasse ich mich im Wohnzimmer aufs Sofa fallen und vergrabe mein Gesicht in den Dekokissen. Es liegt immer noch der süßliche Geruch von Kokos und Ananas in der Luft. Widerlich. Ich kann nie wieder Pina Colada trinken. Als ich die Küche betrete, was ich ja eigentlich vermeiden wollte, spüre ich an meinen nackten Füßen, dass der Boden noch klebt und das Waschbecken voller Glasscherben ist. Nicht einmal richtig sauber gemacht, haben die. Hoffentlich kleben hier bloß die Rückstände des Cocktails und nicht ... Ja. Ich muss würgen und verlasse die Küche, stolpere ein zweites Mal über Isabellas Krempel, rutsche auf den nassen Fliesen aus und lande fast auf meinem Hinterteil, kann mich gerade so an der Sofalehne festhalten. Schluchzend lasse ich mich vollends zu Boden gleiten, wo ich, mittlerweile schon zum fünften Mal an diesem Tag in Tränen ausbreche.
***
E L I J A H
Mein Schädel brummt. Brummt. Brummt.
„Guck mal Mami, ein Obdachloser!“
„Das ist kein ... Sophie, komm sofort mit. Der hat bestimmt Flöhe.“
„Ich will ihn aber streicheln.“
„Nicht doch. Komm jetzt, sonst gibt es kein Frühstück mehr.“
Keuchend öffne ich die Augen und sehe, als sich mein Blick endlich schärft, gleißendes Sonnenlicht zwischen Palmenblättern auf mich hinab scheinen. Ich will mich aufrichten und spüre einen Haufen Fell neben mir, in meiner Armbeuge liegen. Der Haufen bewegt sich jetzt und macht Geräusche, ähnlich wie die eines kleinen Motors. Eine Katze, ganz offensichtlich. Die laufen hier alle frei herum. Ich bin kein großer Katzenfan. Schnell schiebe ich sie von mir weg und sehe mich orientierungslos um. Ich bin tatsächlich gestern auf dem Boden eingeschlafen. Was für ein Absturz. Neben mir auf dem Weg steht ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen, starrt mich mit großen Augen an und ihre Mutter zerrt an ihrer Hand. „Er ist wach“, flötet die Kleine und betrachtet mich, als sei ich ein Tier im Zoo. Oder vielleicht betrachtet sie auch einfach das Tier neben mir, was weiß ich.
„Das darf doch wohl alles nicht wahr sein.“
Die Mutter räuspert sich beschämt und zieht ihre Tochter mit sich, die den Blick nicht von mir, oder der Katze, oder beidem wendet, bis sie hinter Hibisken verschwunden sind. Mein Blick wandert an dem Gewächs vor mir hinauf und bleibt an einem vertrockneten Blatt hängen. Diese Insel hat wirklich eine nicht besonders spektakuläre Vegetation. Nun ja, zumindest soweit ich das bis jetzt beurteilen kann.
Ich brauche gute zwanzig Minuten, um unsere Finka wieder zu finden. Das Gelände scheint endlos und ich bin nicht gerade bekannt für einen ausgeprägten Orientierungssinn. Adeline sitzt allein, vor ihr ein leerer Teller und eine Tasse Kaffee in beiden Händen, auf der Terrasse starrt und gen Ozean. Ein Tablett mit etlichen Lebensmitteln vor sich. Croissants, Brötchen, Obst. Bei dem Anblick dieses üppigen Frühstücks läuft mir das Wasser im Mund zusammen. „Schön, du beehrst mich also doch noch", pampt sie, ohne mich anzusehen.
„Wo sind die anderen?“, frage ich, setze mich neben sie und gieße mir eine Tasse Kaffee ein. Bis auf leichte Übelkeit mit Kopfschmerzen, scheint mein Körper nicht besonders unter dem Alkohol von gestern zu leiden.
„Weg“, flüstert sie so leise, dass ich es über die übliche, kanarische Brise, kaum verstanden hätte.
„Wie meinst du das, weg?“
„Weg, wie weg sein! Weg, das Adverb. Nicht da. Gegangen. Verlassen.“ Jetzt sieht sie mich von der Seite an, ihre Augen von der Sonne noch heller als gewohnt. Sie haben diese Farbe, die man nicht genau definieren kann. Je nach Licht. Mal eher grau. Mal eher grün. Manchmal blau. Oder wie jetzt, im Sonnenlicht. Ein zartes Türkis mit dunklen Sprenkeln versehen.
„Sollen sie doch“, erwidere ich mit einem Achselzucken und trinke die Tasse mit wenigen Schlucken leer. Ich muss dringend duschen, meine Haare sind mit Grünzeug verklebt von der Nacht auf der Wiese und meine Schultern verspannt. Da hilft nur heißes Wasser. Oder eine Massage. Am besten beides. Ob Ady massieren kann? Unwillkürlich schaue ich auf ihre zarten Hände, die so klein sind, dass sie die Tasse nicht ganz zu umfassen schafft.
„Ich finde es beunruhigend“, seufzt sie jetzt. Sie seufzt wirklich viel, in den letzten Stunden. Kein Wunder, eigentlich.
„Mach dir mal keinen Kopf, die kommen schon wieder. Vielleicht haben sie sich ein eigenes Zimmer genommen, um ...“ Doch ich breche ab, denn ich sehe wieder diesen Schmerz in ihren Augen, den ich, wie ich bemerkt habe, noch weniger ertragen kann, als meinen eigenen. „Tut mir leid.“
„Ist schon okay, du hast ja recht. Es nicht auszusprechen, macht es nicht weniger schlimm.“
„Nein, ich meine ... Alles. Dass ich dich allein gelassen habe und dann die ganze Nacht weg war, ohne Bescheid zu geben.“ Ich senke den Blick und kratze mich am Kopf. Dieses verdammte Grünzeug. Ich habe einen halben Kräutergarten im Haar. Unter anderen Umständen, hätte Ady mich vermutlich damit aufgezogen. Das wäre eine riesige Story gewesen. Ich penne stink besoffen auf der Wiese des Feriengeländes. Unter freiem Himmel und wache mit Katze unterm Arm auf. Alle hätten darüber gelacht.
„Ach, das meinst du“, sie zögert und wenn mich nicht alles täuscht, werden ihre Wangen leicht rosa.
„Was ist?“
„Nichts.“
„Sicher?“
„Ich, äh ... Ich war sowieso nicht allein. Jedenfalls nicht die ganze Zeit.“
Ich starre sie an. „Oh, bitte, doch nicht etwa der Kellner.
„Er ist Barkeeper“, verbessert sie mich und versucht ihr Gesicht hinter ihrem rötlich, gewellten Haar zu verstecken, welches vom Sommerwind in alle Richtungen geweht wird. Diese Insel und ihr Klima. Daran würde ich mich nie gewöhnen, wenn ich hier leben müsste. Ist beinahe schlimmer, als zuhause an der Nordsee, mit dem Sturm. Nun gut, die heißen Saharawinde mit denen der kalten Nordsee zu vergleichen, ist dann vielleicht doch etwas weit hergeholt.
„Alles das gleiche“, erwidere ich jetzt. Warum stört der Gedanke mich so sehr, dass der schleimige Typ ihr an die Wäsche gegangen sein könnte?
„Willst du nicht etwas essen? Ich hätte dir in deinem Zustand ehrlich gesagt gar nicht zugetraut, dass du so geistreich bist und Frühstück aufs Zimmer bestellst.“
„Habe ich nicht“, gebe ich stirnrunzelnd zu.
Sie legt den Kopf schräg. „Vielleicht die anderen beiden.“
„Vielleicht. Jetzt gehört es jedenfalls uns“, ich zögere, „ich gehe erst einmal duschen, setzt du noch einen Kaffee auf?“
„Auch wenn es mir sehr zuwider ist, dich für dein Verhalten auch noch mit Kaffe zu belohnen“, ich will gerade protestieren, da sehe ich, dass sie schief grinst, „hast du Glück gehabt, da ich selbst noch dringend einen vertragen könnte.“
***
A D E L I N E
Es ist merkwürdig. Als Elijah im Bad verschwunden ist und ich in der Küche den Kaffee aufsetze – ich habe den Boden inzwischen gewischt und das zerbrochene Glas weggeräumt – kommt es mir annähernd so vor, als hätte er wirklich die Wahrheit gesagt. Dass er auf der Wiese eingeschlafen ist, meine ich. Normalerweise ist er bekannt für seine spektakulären Ausreden, deshalb zweifelte ich seine Geschichte an. Aber er sah wirklich nach einer Nacht im Freien aus, um ehrlich zu sein. Sein gesamtes Haar ist voller vertrocknetem Gras gewesen und verkrusteter Schmutz hatte seine rechte Wange überzogen. Aber was mache ich mir überhaupt Gedanken darüber? Im Grunde ist es egal, wo er die Nacht verbracht hat. Ich bin nicht seine Babysitterin.
Mich wundert aber trotzdem, wie locker er es sieht, dass Isabella und Joe urplötzlich verschwunden sind. Ein bisschen macht mich die ganze Sache doch verrückt. Ich habe zwar noch nicht versucht, die beiden telefonisch zu erreichen – wer bin ich denn? – aber dennoch ... Irgendetwas stimmt hier nicht. Sie haben ihre Sachen nicht einmal mitgenommen. Ich habe sogar Isabellas Reisepass in ihrer Strandtasche gefunden, die gestern Nacht auf dem Boden gelegen hatte. Niemand geht doch einfach ohne seine Personalien weg, oder?
„Ist der Kaffee fertig?“
Ich fahre zusammen und hätte um ein Haar das Tablett los gelassen, welches ich in der Sekunde auf die Terrasse tragen wollte. „Ja,klar. Erschreck mich doch zu Tode“, gifte ich und will ihm gerade noch mehr Beleidigungen entgegenwerfen, als ich sehe, dass er nichts anhat. Okay, bis auf ein Handtuch, welches er tief um die Hüften geschlungen trägt. Sein Haar ist nass und hängt ihm in die Stirn. Das leise Flüstern eines Deja-vus huscht mir durchs Bewusstsein, doch verschwindet wieder, ehe es irgend greifbar wird. Warum sollte mir der Anblick eines halbnackten Elijahs auch bekannt vorkommen? Schnell schüttele ich den Kopf und sage so gefasst wie möglich: „Das ging ja schnell.“ Ich zwinge mich, ihn nicht anzustarren. Klar, ich habe Elijah schon das ein oder andere Mal oben ohne gesehen, wir sind oft zu viert Schwimmen gewesen und alles. Aber das ist ein Weilchen her. Inzwischen haben sich die Tattoos seines rechten Armes erweitert und er scheint es mit dem Sport ernster zu nehmen, als damals. Joe hat in solchen Dingen meist immer mehr Motivation und Disziplin, obwohl es lange dauert, bis man bei ihm erste Trainingserfolge sehen kann. Elijah hingegen muss nur den einen oder anderen Monat ein bisschen stärker durchziehen und man sieht sofort die Ergebnisse. „Ungerecht, der Scheiß“, hatte Joe immer gejammert. Mir ist es egal gewesen, ich finde den ganzen Kram ohnehin so überhaupt nicht wichtig. Aber dennoch, ich kann schon verstehen, wieso Elijah von allen als ‚schön' bezeichnet wird und Joe dagegen eher als ‚süß'. Diesen Unterschied habe ich immer zu ignorieren versucht. Jetzt, wo Elijah jedoch halbnackt, mit nassem Haar und als frisch gebackener Single vor mir steht und Isabella so gesehen auch nicht mehr meine beste Freundin ist ... Stopp. Ich sollte diesen Gedanken nicht weiter ausführen.
„Wenn ich allein dusche, dauert es für gewöhnlich auch nicht länger“, erwidert er nun mit einem Augenzwinkern, nimmt mir das Tablett ab und geht nach draußen.
„Willst du dir nichts anziehen?“, rufe ich ihm mit heißen Wangen hinterher. Was ist bloß los mit mir? Oder viel eher, was ist los mit ihm? Was sollen diese Kommentare?
„Später, wenn es dich nicht stört.“ Er wackelt mit den Augenbrauen und lässt seine Buchmuskeln spielen. Ja, genau das. Was soll das, er soll damit aufhören, und zwar sofort. Ich folge ihm und kann nur mit dem Kopf schütteln. Was für ein Mensch. Dass wir jetzt scheinbar alleine hier wohnen, stimmt mich nachdenklich. Ich wünsche mir nicht, dass Joe und Isabella wieder auftauchen, aber dass sie jetzt wegbleiben könnten, macht mich auch nervös.
„Mach dir keinen Kopf, Kleine. Die sind ganz sicher in ein anderes Hotel umgesiedelt und fallen da jetzt ... Übereinander her“, bei den letzten beiden Worten verzieht er das Gesicht und mir wird schlecht. Das alles ist noch zu frisch, um darüber so locker zu reden. Das merkt er anscheinend auch, aber immer erst nachdem er es ausgesprochen hat.
„Ohne Reisepass?“, frage ich vorsichtig und Elijah hört auf, an seinem Kaffee zu nippen.
„Was?“
Ich halte Isabellas Pass hoch, auf dem ihr definiertes, symmetrisches Gesicht abgebildet ist. Sie trägt ihr braunes Haar als strengen Bob mit geradem Pony und denkt man sich ihre Nerdbrille dazu, sieht sie aus wie eine sexy Sekretärin. Das hatte Elijah jedenfalls immer gesagt. Dazu hat sie mandelförmige, ockerfarbene Augen und hochgeschwungene Augenbrauen. Viele bezeichnen Isabella als rassig und überdurchschnittlich attraktiv. Eine italienische Schönheit. Dabei hat sie keine ausländischen Wurzeln, was niemand so richtig glaubt, der sie das erste Mal sieht. Allein schon aufgrund ihres Namens, Isabella Rosa.
„Gut, das ist wirklich seltsam.“ Elijah nimmt mir den Ausweis ab und dreht ihn in seiner großen Hand, als würde er ihn auf seine Echtheit prüfen.
„Ich sagte doch. Beunruhigend.“
„Mal den Teufel nicht an die Wand, Ads“, sagt er behutsam und legt das Dokument vor sich auf den massiven Holztisch. „Was soll denn deiner Meinung nach passiert sein?“
Ich zögere, sehe hinaus aufs Meer und blinzele der Sonne entgegen. „Überfallen? Von Einbrechern?“
Elijah fährt sich mit der rechten Hand durchs feuchte, lange Haar. „Mit Sicherheit nicht. Dann wäre das Haus verwüstet gewesen.“
„Als ich ... Äh, als wir gestern Abend nach Hause gekommen sind, lag Isabellas Strandtasche auf dem Boden und der Inhalt war im ganzen Zimmer verstreut.“
„Du machst Witze.“
„Sehe ich in deinen Augen danach aus?“, ich mustere ihn mit zusammen gekniffenen Augen und versuche mir nicht vorzustellen, wie er ohne dieses Handtuch aussehen würde ... Oh Gott, das darf doch wohl nicht wahr sein. Innerlich verpasse ich mir eine schallende Ohrfeige.
„Komm schon“, er nimmt mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. „Du musst einen klaren Kopf bewahren. Deine Fantasie gewinnt mal wieder an Oberhand.“
Ich räuspere mich und ziehe meinen Kopf weg. „Was weißt du schon von meiner Fantasie?“ Ich atme zitternd aus und bete, dass er nicht mitbekommen hat, wie ich ihm gerade ziemlich deutlich auf den Schritt gesehen habe und meine Fantasie tatsächlich in diesem Moment recht blühend gewesen ist. Jedoch nicht auf die Einbrecher-Theorie bezogen.
„Du bist mir ähnlicher, als du denkst.“ Er hört nicht auf, mich anzusehen. „Ich kann mir gut vorstellen, was in deinem Kopf vor sich geht.“ Gott, hoffentlich nicht.
„Wir sind wirklich alles andere, als ähnlich“, schnaube ich entsetzt und verschränke die Arme vor meiner Brust. Dabei fällt mir auf, dass ich keinen BH trage. Auch das noch.
„Wir sind beides Künstler“, argumentiert er weiter.
„Du malst. Ich schreibe“, erwidere ich trocken.
„Wo liegt da der Unterschied?“
Ich suche in seinen klaren Augen, worauf er aus ist. „Mh.“
„Also?“, hakt er nach.
„War ein zustimmendes ‚mh'!“, antworte ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
„Ach, jetzt klaust du auch noch meine Angewohnheiten“, lacht er.
„Du spinnst doch.“ Ich schüttele den Kopf und lege mir die Arme noch fester um die Brust.
„Ob man nun mit Farbe und Stift seine Kreativität zum Leben erweckt, oder eben mit Worten, erzielt doch beides denselbigen Effekt.“ Er nimmt noch einen Schluck Kaffe und leckt sich die feuchten Lippen. Ich beobachte viel zu auffällig jede seiner Bewegung. „Man muss es nur richtig machen.“
Völlig perplex ziehe ich beide Augenbrauen hoch. Wow, so ein Satz aus Elijah Granits Mund? Ich muss an Isabella denken, die ihn als ,zu schwärmerisch' bezeichnet hatte und dass er manchmal ,so pseudo-tiefgründiges Zeug von sich gibt'. Für mich klingt es jedoch nicht schwärmerisch und realitätsfern, sondern ich bin regelrecht fasziniert von dieser Seite an ihm. „Und dann dieses ständige Gefasel um diesen schwachsinnigen Blog“, hatte sie immer gesagt und dabei die Augen verdreht. „Es kräht am Ende kein Hahn danach, ob er dort eine halbe Millionen Follower hat oder nicht. Realistisch gesehen zählt nur das Diplom, welches er in der Hand halten wird. Nicht diese Träumerei, ein brotloser Künstler zu werden, der seine Malereien auf Instagram mit Teenagern teilt, die eigentlich nur darauf wartet, dass er ein heißes Selfie von sich postet.“ Die Verachtung in ihrem Tonfall hatte mich immer etwas schockiert. Die Art und Weise, wie sie über die Leidenschaft ihres Freundes gesprochen hat. „Ich erhoffe mir nicht, dass ich so meinen Lebensunterhalt verdienen kann“, hatte er immer dazu gesagt. „Es bereitet mir einfach Freude, andere Menschen zu inspirieren.“
„Ja...“, beginne ich nun, „im Allgemeinen hast du recht.“
„Im Allgemeinen, also?“ Er lächelt mich an, trinkt einen weiteren Schluck, beißt von einem Croissant ab, das ich auf dem Tablett zurückgelassen habe.
„Okay, okay. Ich bin wahnsinnig beeindruckt von deinem Statement und gebe zu, dass wir eventuell die ein oder andere Eigenschaft besitzen, die wenigstens im Ansatz ähnlich ist.“
„Mehr wollte ich nicht hören“, sagt er zufrieden und ignoriert gekonnt den Sarkasmus in meinem Tonfall.
Weil ich gerade auf diesen Gedanken gekommen bin, frage ich: „Wie läuft es eigentlich mit deinem Blog?“
Ein kühler Ausdruck huscht über sein kantiges Gesicht. „Pausiert.“
„Wieso das denn?“
„Sie war der Meinung, ich sollte mich auf meinen Abschluss konzentrieren.“
Ich verziehe das Gesicht. „Ist klar.“
Nach kurzem Schweigen fügt er hinzu: „Es war unfassbar. Ich saß manchmal so rum und habe locker skizziert ... und kaum kam sie in meine Nähe ...“, er lacht kurz tonlos auf, „war meine Inspiration gleich null. Wie eine kalte Dusche. Ihre Anwesenheit allein war schon ... Abstumpfend. Sie hatte eben immer eine kühle Ausstrahlung. Kontrolliert und … irgendwie glatt.“
„Ihr scheint euch ja wahnsinnig begehrt zu haben“, erwidere ich, aber ich kann sofort verstehen, was er meint. Seine Beschreibung trifft absolut auf meine beste … ex beste Freundin zu.
„Weißt du, die schlechten Eigenschaften eines Menschen übersieht man leider immer sehr schnell, wenn man von der Liebe berauscht ist.“
„Von der Liebe berauscht?“, frage ich prustend.
„Es ist doch so, oder?“
Verwirrt blinzele ich. „Ach, das meintest du ernst?“ Schade nur, dass Joe ein so guter Mensch ist, dass ich scheinbar vergeblich nach schlechten Eigenschaften suchen muss. Außer natürlich der Tatsache, dass er mich betrogen hat. „Ich muss sagen, ohne die tägliche Dosis Isabella entwickelst du dich zu einem richtigen Softie.“ Ich kann nicht aufhören über seine Worte zu lachen und er sieht mich amüsiert an. Ich kann nicht sagen, was es ist. Aber Elijah hat etwas an sich, was mich ständig zum lächeln bringt. Eine losgelöste, lockere Art, die trotz dieser deprimierenden Situation einfach gut tut.
„Sie hat immer versucht, mich abzuhärten, das stimmt schon“, sagt er jetzt achselzuckend.
„Es ist wirklich erschreckend, wie man sich von anderen Menschen beeinflussen lässt, nicht wahr?“ Wieder ernst beobachte ich, wie er mit der Hand über seinen Bart fährt. Eine geschmeidige Bewegung, die ein leises Kratzen erzeugt. „Ist es“, stimmt er zu und steht auf. „Mir wird das jedenfalls nie wieder passieren.“
Ohne ebenfalls aufzustehen, komme ich aufs eigentliche Thema zurück und frage stöhnend: „Was machen wir denn jetzt?“
Auch wenn er ganz genau weiß, dass ich auf unser momentanes Problem „Such den Exfreund/die Exfreundin“ anspiele, lenkt er gekonnt ab. „Also ... Ich weiß nicht was du machst, aber ich werde mich jetzt umziehen, schwimmen gehen und das Paradies genießen. Es ist Urlaub!“ Schmunzelnd ignoriert er also erneut die Tatsache, dass Joe und Isabella offensichtlich spurlos verschwunden sind.