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Die Ballade vom schönen Schmetterling

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Meine Freundin Gabriela war ein Glückskind: Geboren mit einem silbernen Löffel in der Wiege, umgeben von einer exquisiten Verwandtschaft, Geld im Überfluss, Ausbildung in feinem Internat am Genfersee und ebenso feinem Collage in Oxford, Kunst- und Sprachstudien an besten Adressen in Europa, Foto- und Video-Kurse in den USA. Nicht genug der Himmelsgaben, Gabriela war auch schön: anmutige, etwas puppenhafte Gesichtszüge, kupferrote Lockenpracht und sanftes Mona-Lisa-Lächeln, dazu vielseitige Begabungen. Sie lernte Sprachen im Flug, redete fachkundig über Musik, fotografierte fast professionell. Äusserlich gesehen entsprach sie ziemlich weitgehend dem Idealbild, das in den Siebzigerjahren von den Frauenzeitschriften hochgejubelt wurde: hübsch, fraulich gebildet, gehobener sozialer Status, bei Heirat unbedingt gute Partie. So lesen wir in «Ganz Annabelle – eine Zeitschrift als Freundin»: «Die Annabelle offerierte eine bestimmte Sicht der Eigenschaften und Aufgaben, der Lebensziele und der Lebenserfüllung, Eigenschaften und Aufgaben, welche eine richtige Frau haben soll. Und die Annabelle lebte vor, wie sich Weiblichkeit und im weiteren Sinn auch Häuslichkeit über Zeichenträger wie den Körper, die Kleidung und die Wohnung symbolisch ausdrücken lassen. Das Spezielle war, dass sie die entsprechenden Verhaltungsweisen zu popularisieren suchte. Schönheit, Bewegung, gute Formen in sämtlichen Lebensbereichen pflegte sie mit dezidierter pädagogischer Grundhaltung. Disziplin, ja Selbstzucht führte laut Annabelle zum Erfolg als Frau. Zu diesem Erfolg gehörten ein gepflegtes Äusseres, Liebenswürdigkeit und jene schöne Häuslichkeit, in der sich Mann und Kinder wohl fühlen. Hinter einem richtigen Annabelle-Leben stand ein zutiefst bürgerlicher Habitus, wie ihn die Chefredakteurin Claudine verkörperte.»

Die Reportagen «So lebt die Schweiz», für die auch ich als junge Journalistin Beiträge lieferte, zeigten im Detail, wie es geht. Die zu portraitierenden Familien wurden von Claudine ausgewählt und gaben stets ein ähnliches Bild ab: Adrette, fein gestylte Dame, Ehemann in hoher Position und mit üppigem Einkommen (Chefarzt, Bankdirektor, Juwelier, Top-Grafiker, Geschäftsmann etc.) zwei oder drei wohlerzogene Kinder, gepflegtes Haus, Swimming Pool und Hund. Ganz selbstverständlich, dass die Mustergattin gut kochen konnte, gerne den Garten pflegte, oft Gäste empfing, sich für Mode interessierte, sportlich war und kulturelle Hobbys pflegte. Hinzu gehörte gelegentlich auch eine ausserhäusliche Tätigkeit, zum Beispiel Mitarbeit in einer Galerie oder einer Boutique, dies allerdings meist nur auf Sparflamme. Irgendwelche Mängel am Bilderbuchglück mussten verschwiegen werden. Niemals hätte ich erwähnen dürfen, dass eines der Kinder Schulschwierigkeiten hat, der ganze Haushalt von Hilfskräften besorgt wird oder gar, dass der Mann zur Freundin gezogen ist. Ebenfalls verschweigen musste ich alles Unschöne wie unmodische Strickjacke oder zu wenig Zeit für die Familie. Die Erwähnung eines trockenen Kuchens wurde von Claudine ebenso gestrichen wie das Geständnis, die Galerie könne nur dank grosszügiger Unterstützung des Mannes überleben.

Ohne gut gepolstertes Bankkonto aber ging gar nichts. Die Frauenvorbilder der Annabelle waren nicht nur hübsch, gepflegt und oberflächlich gebildet, sie waren auch alle wohlhabend. Geld zählte noch mehr als Schönheit, denn mit Geld konnte man laut Kosmetikindustrie die Schönheit kaufen. Ich nannte die Rubrik im Stillen «So lebt die Schweiz nicht.»

Wichtiges Thema in der Annabelle war die Schönheit oder genauer die Kosmetik, denn die Kosmetikindustrie gehörte zu den wichtigsten Inserenten. Wir hatten stets ganze Berge von Lippenstiften, Lotions, Nacht,- Tag-, Falten- und Handcremes, Wimperntuschen, Puderdosen etc. in der Redaktion herumliegen und wöchentlich kam Neues. Noch erfreulicher waren die Presse-Einladungen. Ein Lunch bei Maxim in Paris, ein Weekend in Monte Carlo oder ein Empfang bei einem Schlossherrn durfte es gerne sein.

Schönheit ist ein Milliardengeschäft, Schönheit und Geld können bei einer Frau wie Gabriela manche kleine Mängel überstrahlen. Die Glamourfrau schaffte nie einen Schulabschluss, hat nie einen Beruf ausgeübt, brauchte weder sie noch die Annabelle- Frauen. Ihre Ehe mit einem deutschen Baron erwies sich als Irrtum, Kinder hatte sie keine und eine gute Hausfrau war sie schon gar nicht. In ihrer Villa herrschte Chaos, Bücher und Fotos lagen überall herum, das Silberbesteck bewahrte sie in Schuhschachteln auf und neue Kleider packte sie manchmal gar nicht aus. Unordnung störte sie nicht, Unordnung konnte sie sich wie vieles andere leicht leisten. Vielleicht genoss sie das Durcheinander von schön und hässlich, kostbar und banal, sah darin das Markenzeichen eines ganz besonderen Wesens. Entschuldigt für die Unordnung hat sie sich jeweils mit lässiger Fröhlichkeit zum Beispiel: «Der Mann, der aufzuräumen versprochen hat, ist momentan beim Golfen in Südafrika, da muss ich eben warten.» (Mir krabbelte es in den Fingern, ich hätte die chicen Blusen gerne selbst in den Spiegelschrank gehängt, doch das wäre wohl schlecht angekommen.)

Kennengelernt habe ich Gabriela an einer Vernissage, wo sie eigene, recht originelle Fotos zeigte. Sie hatte beim Spazieren auf Grossveranstaltungen ihre Kamera laufen lassen, später aus vielen tausend Bildern die interessanten und attraktivsten ausgesucht und zu einer Schau zusammengestellt. Das Resultat war ungewohnt, ebenso die Organisation. Um den Besuchern den Kunstgenuss zu versüssen, gab es Schokoladentorte, es waren Vertreter weltbekannter Galerien und Museen eingeladen, die natürlich nicht kamen, es fehlten die Informationen und bald auch die Drinks, mir aber dämmerte ein Problem. Hier ist kein Profi am Werk, sondern jemand, von dem nicht viel verlangt wird, den die Banalitäten des Alltags kaum kümmern (Die Ausstellung war dank guter Beziehungen zustande gekommen und blieb die einzige).

Gabriela war ein Paradiesvogel, ein Mädchen, das alles hat, dem alle Türen offen stehen, das stets ein Champagnerglas hoch über der Erde schwebt, ein Schmetterling, der von einem Honigtopf zum nächsten flattert, von der Jugend in einer prächtigen Jugendstilvilla entschwebte sie bald in die Arme eines noblen Herrn. Dass die Ehe nicht von Dauer war, belastete sie kaum. Es warteten schliesslich viele andere verlockende Möglichkeiten, zum Beispiel das Reisen und auf Reisen traf ich Gabi bald öfters, so in Ecuador, Peru, Venezuela, Osttibet, der Mongolei und in der Volksrepublik Korea.

Schwierige Reisen führe ich gern, nicht zuletzt, weil man unterwegs immer wieder neue und oft ganz ungewöhnliche Leute trifft, zum Beispiel Gabriela. Sie war an allem interessiert, oft enthusiastisch, sprach in Südamerika fliessend Spanisch und setzte sich in der Mongolei frohgemut auf ein Pferd. Sie hätte der Darling jeder Gruppe sein können, doch sie war zu hübsch und zu reich. Man belächelte ihre Einkaufsfreude – fünf Panamahüte in Ecuador und mehr als ein Dutzend Kaschmirpullis in der Mongolei, zwei Hängematten in Venezuela, Mengen von Seide und Jade in China. Es sah für Sparsame nach Verschwendung oder gar nach Angeberei aus. Ich habe das anders gesehen, die verwöhnte Gabi spielte mit den schönen Dingen, freute sich, wenn ein goldfarbener Schal mit ihren kupferroten Haaren harmonierte oder wenn ein resedagrüner Pulli ihre grünen Augen noch heller strahlen liess und sie machte sich einen Spass draus, verschiedene Hüte auf ihre Wirkung zu testen. Eine finanzielle Bremse aber gab es für sie nicht. Nein, ich war nie neidisch, auch nicht am Airport von Ulan Bator, wo ich kurz vor dem Abflug einen schwarzen Kaschmirpullover entdeckte. Ich hätte ihn gut brauchen können, doch er gefiel auch Gabriela und so verzichtete ich. (Freundschaften sind für mich wichtiger als Klamotten.) Dann die Überraschung: eine Woche später erhielt ich in Zürich ein kleines Paket mit einem Brief: «Liebe Charlotte, der schwarze Pulli ist mir zu eng, du kannst ihn gerne haben.»

Die Geschichte eines hässlichen Mädchens

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