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DREI

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Der Bogenschütze war zufrieden. »Die drei Ritter und der Knappe sind geflohen«, nickte er befriedigt. »Sigurd habe ich getroffen … jetzt bleibt nur noch Bodo.« Aus seinem als Versteck genutzten Gebüsch schob er sich vorsichtig nach vorne und blickte in die Tiefe. »Von hier aus kann ich den Strand leider nicht sehen«, überlegte er. »Hm … ich muss es wagen. Bodo darf auch nicht überleben!« Vorsichtig kletterte er den Hang hinab.

*

Zum Glück war es Bodo inzwischen gelungen, seinen Freund auf das felsige Ufer zu ziehen. »Großer Himmel, bist du verletzt?«, rief er aus.

»Keine Angst, Bodo«, beruhigte Sigurd seinen Freund mit noch etwas matter Stimme. Er lehnte sich gegen die Felsenwand und zog mit einem Ruck das Geschoss aus der Brust. »Der Pfeil ist nur ganz wenig durch das Panzerhemd gedrungen. Aber der Anprall hat mir die Luft genommen.« Ein leichtes Lächeln überzog sein Gesicht. »Es … geht … mir schon wieder besser«, fügte er noch etwas stockend hinzu, als er sich aufrichtete. Bodo war davon noch nicht ganz überzeugt. Aber er war froh, dass Sigurd so ein Glück im Unglück widerfahren war. »Was ist mit Cassim?«, fragte Sigurd mit etwas besorgter Stimme.

»Ich habe ihm zugerufen, dass er fliehen solle«, deutete Bodo nach oben.

Sigurd setzte an, sich zu erheben. »Ich bin doch noch etwas wackelig auf den Beinen. Hilf mir beim Hinaufklettern … dann schaffe ich es.«

Bodo blickte prüfend nach oben. »Gut! Ich … schnell, hinter den Felsen«, unterbrach er sich selbst, während schon wieder ein Pfeil die beiden Freunde knapp verfehlte.

*

Zeitgleich donnerten immer noch die Hufe der galoppierenden Pferde über den schmalen Felsensaum. »Fliehe nicht«, rief Ritter Hagard.

Doch Cassim hatte, wie von Furien gehetzt, seinen Vorsprung schon etwas vergrößert.

»Wir schwören dir, dass wir nichts mit dem heimtückischen Bogenschützen zu tun haben!« Cassim reagierte nicht.

»Er hört nicht«, gab Hagard auf und zügelte sein Pferd. Auch die anderen beiden Ritter hielten ihre schnaubenden Pferde an. »Lasst uns zurückreiten. Diese Schmach will ich nicht auch noch tragen.« Zum Glück waren auch die drei reiterlosen Pferde stehen geblieben. Die drei Ritter wendeten vorsichtig ihre Reittiere.

Cassim hatte seine Flucht ebenfalls gestoppt und folgte nun seinerseits den Rittern in sicherem Abstand, nachdem er die drei reiterlosen Pferde mit einem langen Seil gesichert hatte.

Da sie alle schon ein beträchtliches Stück des Weges hinter sich gebracht hatten, ritten die Ritter Hagard, Udo und Gernot in scharfem Galopp zurück und hatten bald darauf ihren Ausgangspunkt wieder erreicht.

Hagard deutete hinauf. »Wir müssen den Bogenschützen fassen! Dort oben müsste er verborgen sein.« Die drei Ritter stiegen, so schnell es ihre Rüstungen zuließen, von ihren Pferden.

Udo von Hohenberg, vom Kampfgeist erfüllt, begann bereits, die der Wand vorgelagerten Felsen zu besteigen. »Leise!«, raunte er Hagard und Gernot zu.

Endlich hatten sie die Wand überwunden. »Wir sind zu spät zurückgekommen, der Vogel ist ausgeflogen«, stellte er enttäuscht fest. Doch da entdeckte er den Schützen mit schussbereitem Bogen, der sich unter ihnen über den Rand der Schlucht beugte. »Seht mal, da unten auf dem Weg!«

Hagard drehte sich um und griff blitzschnell nach einem der umherliegenden Steine. Mit einem wütenden Schrei schleuderte er den zu einem Wurfgeschoss umgewandelten kleinen Felsbrocken hinab. Ein schepperndes Geräusch verriet die Treffsicherheit von Hagards Wurf, als der Stein gegen den Helm des Mordschützen prallte. Mit einem entsetzten Aufschrei verlor dieser den Halt, und während ihm der Bogen und der angelegte Pfeil aus den Händen glitten, stürzte nun auch er, den Kopf voran, in die Brandung.

Dicht vor Sigurd und Bodo tauchte er in die Fluten. Nur eine Hand ragte noch aus dem Wasser. »Hole ihn heraus, Bodo«, bat Sigurd seinen Freund. »Ich will wissen, wer der feige Schütze ist!«

»Gut«, entgegnete Bodo und sprang dem Untergehenden hinterher.

In diesem Moment beugten sich Hagard, Udo und Gernot über die Klippe. »Sigurd! Bodo!«, hallte Hagards Ruf hinunter.

»Oh«, blickte Sigurd überrascht hinauf. »Die drei Ritter?«

»Ich hoffe, unser Eingreifen überzeugt Euch, dass wir nichts mit dem Mordschützen zu tun haben«, setzte Hagard nach.

Im selben Moment ertönte Bodos Ruf aus dem Wasser. »Ich habe ihn, Sigurd.«

Während Sigurd sich wieder Bodo zuwandte, begannen Hagard und seine beiden Mitstreiter, etwas mühselig durch die Behinderung ihrer Rüstungen, die Uferklippe hinunterzuklettern. »Wir kommen und helfen Euch«, rief Hagard und erreichte Sigurd als Erster.

Als Bodo mit dem bewusstlosen Bogenschützen nahe ans Ufer heranschwamm, stutzte Ritter Hagard. »He! Das … das ist ja Benno! Er gehört zur Leibwache von Fräulein Margarete, der Nichte des Fürsten. Sie …« Weiter kam er nicht.

»Schnell ans Ufer! Dort … ein Haifisch«, fuhr Gernot von Giesenhain noch beim Herunterklettern dazwischen.

So schnell er konnte, drehte sich Sigurd um und zog Bodo im letzten Moment auf den sehr schmalen, felsigen Strand. »Großer Himmel«, rief er entsetzt aus. Da war der Hai heran, bohrte seine scharfen Fangzähne in Bennos Schulter und zog ihn unter Wasser.


»Er hat ihn erwischt«, stieß Ritter Gernot etwas außer Atem aus. »Doch er soll mit ihm nicht davonkommen.« Er zückte seinen Dolch und schleuderte ihn dem Hai nach. »Getroffen«, rief er erregt aus. Das Wasser schäumte auf.

»Da!«, meldete sich nun auch Ritter Udo zu Wort. »Der Haifisch flieht ohne seine Beute!«

Ehe es Sigurd verhindern konnte, sprang Bodo zurück ins Wasser und hievte Benno mithilfe von Ritter Udo auf die Uferfelsen.

»Hier kommt jede Hilfe zu spät! Benno ist tot«, konstatierte Hagard. »Er hat es nicht besser verdient! Am besten, wir überlassen ihn dem Meer!«

»Nein«, wandte Sigurd sofort ein. »Ich glaube Euch, dass Ihr drei nichts mit diesem Meuchelmörder zu schaffen habt, Hagard. Aber gerade deshalb möchte ich wissen, warum er uns aufgelauert hat. Meine Freunde und ich kennen diesen Benno nicht. Er hat bestimmt nicht aus eigenem Antrieb gehandelt. Jemand muss ihn dazu angestiftet haben.«

»Ja«, antwortete Bodo, der völlig durchnässt anfing zu frieren. »Aber wer könnte das gewesen sein? Ich wüsste niemanden am fürstlichen Hof, der uns feindlich gesinnt ist.«

Sigurd hob Benno mit beiden Armen vom Boden hoch. »Kommt! Ich will vom Fürsten Aufklärung verlangen.«

Mit Unterstützung von Bodo und Hagard kämpften sie sich den Hang hinauf. Während Sigurd den toten Benno über den Klippenrand zog, trabte Cassim mit den Pferden heran.

»Erwartet nicht von uns, dass wir Euch begleiten«, ächzte Udo von Hohenberg, als er sich ebenfalls über die Felsenkante zog. »Ich möchte nicht noch einmal von dem Fürsten gedemütigt werden.«

»Ich verstehe Euch«, antwortete ihm Sigurd, während er Benno quer über sein Pferd legte.

»Gut«, warf Hagard mit sehr ernstem Gesichtsausdruck ein, während er und seine Mitstreiter ihre Pferde an den Zügeln festhielten und aufsaßen. »Dann versteht Ihr sicher auch, dass meine Forderung zum Zweikampf mit Euch bestehen bleibt!« Die drei Ritter trieben ihre Pferde mit kräftigem Schenkeldruck an. Das Pferd ihres gefallenen Begleiters, Ritter Balderich von Pinzenau, führte Ritter Udo mit sich.

Hagard blickte sich noch einmal um. »Der Zwischenfall hat ihn nur aufgeschoben! Wenn wir uns einmal wieder begegnen sollten, dann begrüße ich Euch mit dem Schwert in der Hand.«

Sigurd und Bodo blickten den davonreitenden Rittern nach. »Lebt wohl«, rief Sigurd hinterher. »Und … vielen Dank. Ihr habt Bodo und mir ja immerhin das Leben gerettet!«

»Ein seltsamer Mensch, dieser Hagard«, schüttelte Bodo den Kopf.

»Das kann man wohl sagen«, nickte Sigurd zur Bestätigung.

Die beiden Freunde stiegen nun ebenfalls auf ihre Pferde und machten sich mit Cassim in die entgegengesetzte Richtung zur Burg des Fürsten Friedrich auf den Weg. Sigurd hatte etwas Mühe, den toten Benno mit einer Hand festzuhalten und mit der anderen Hand die Zügel seines Pferdes nicht zu locker zu führen. Doch auf seinen Braunen konnte er sich wie stets verlassen, der genau in der Spur blieb.

*

Es dauerte nicht lange, bis sie nach scharfem Ritt das der Burg vorgelagerte Dorf wieder erreicht hatten. Staub wirbelte unter den Hufen ihrer Pferde auf und trieb über den Dorfplatz.

Kurz darauf sprengten die Freunde in vollem Galopp über die Zugbrücke. Im letzten Moment konnte sich eine der Torwachen mit einem verzweifelten Sprung vor den Hufen von Cassims Pferd in Sicherheit bringen.

Burghauptmann Gerolf, der gerade den neu angekommenen Söldnern Hinweise gab, sah überrascht auf und trat den Freunden entgegen. »Was wollt Ihr noch? Ihr seid hier unerwünscht.« Der Groll in seiner Stimme war nicht zu überhören.

»Das ist einerlei«, rief Sigurd ihm entgegen. »Wir müssen mit dem Fürsten sprechen.« Sie zügelten ihre Pferde, die sich anschickten, an dem Hauptmann vorbeizutraben.

»Halt!«, donnerte seine kräftige Stimme über den Burghof. »Das möchten viele«, schickte er aufgebracht hinterher.

Sigurd ließ sich nicht mehr abwimmeln. Dennoch stoppten die Freunde, jeder mit einem leichten Zug am Zügel, ihre Pferde. »Davon bin ich überzeugt, Hauptmann Gerolf«, entgegnete Sigurd mit fester Stimme. »Allerdings … nicht jeder hat so triftige Gründe wie wir. Hier«, er deutete mit seiner rechten Hand auf den leblosen Körper vor sich. »Dieser Mann wollte uns umbringen. Es ist Benno aus der Leibwache Fräulein Margaretes!«

»Was?«, entgegnete der Burghauptmann ungläubig. Doch als Sigurd den Kopf des toten Benno anhob, änderte sich die Ablehnung Hauptmann Gerolfs schlagartig. »Wartet hier«, bedeutete er den Freunden, die nun befriedigt von ihren Pferden stiegen. »Ich mache dem Fürsten Meldung!«

*

Hauptmann Gerolf beeilte sich, nach der Eröffnung von Sigurd, Fürst Friedrich zu benachrichtigen. Während er sich der Pforte näherte, die den Zugang zur Treppe in die oberen Räume freigab, schloss sich schräg über ihm ganz leise ein Fenster.

Es dauerte nicht lange, und ein Söldner der Burgbesatzung trat an Sigurd, Bodo und Cassim heran. »Der Hauptmann schickt mich. Folgt mir bitte«, sagte er in verbindlichem Ton. »Unser Herr erwartet Euch.«

Die Freunde schauten erleichtert auf und nahmen das Angebot dankbar an. Endlich war es so weit, und sie konnten mit Fürst Friedrich persönlich sprechen. Sie waren auch nicht verwundert, als der Bedienstete, statt in die oberen Gemächer, die Treppe nach unten in den Kellerbereich hinabstieg. Mit ausdrucksloser Miene öffnete er eine Tür. »Bitte«, deutete er mit seiner linken Hand in den schwach erleuchteten Raum.

Ohne Argwohn ging Sigurd als Erster durch die Tür und stieg ein paar Stufen hinab. Er wunderte sich etwas über die kühle und feuchte Luft, die ihm entgegenschlug. Er dachte sich aber nichts Arges dabei, da Räumlichkeiten in Burgen, selbst bei heißen Sommertemperaturen, durch ihre dicken Wände stets kühle Temperaturen aufwiesen. Die Treppe war so schmal, dass Bodo und Cassim nur nacheinander folgen konnten.

Plötzlich bekam der Junker einen kräftigen Stoß in den Rücken, sodass er gegen Bodo und der wiederum gegen Sigurd stolperte. Ein dumpfer Schlag ließ die Tür ins Schloss fallen. Das Echo schlug von den Wänden des hallenartigen Raumes zurück. Zum Glück konnten sie alle ihr Gleichgewicht bewahren und drehten sich zur Tür um. »Bei allen Teufeln«, rief Cassim entsetzt. »Der Kerl riegelt die Tür zu!«

»Was hat denn das nun wieder zu bedeuten?«, setzte Bodo mehr überrascht als erschreckt nach.

Sigurd schien in diesem Moment fast nichts mehr aus der Ruhe bringen zu können. »Auf keinen Fall etwas Gutes«, stellte er sachlich fest. »Seht euch nur an, in was für einem seltsamen Raum wir eingesperrt sind.«

Nur allmählich gewöhnten sich die Augen der Freunde an das Dämmerlicht, nachdem sie gerade erst aus dem sonnendurchfluteten Burghof hereingekommen waren.

»Hier ist ja ein riesiges Bassin, aber …«, stockte Bodo im ersten Moment der Atem. Die einzige Lichtquelle bildete ein schwaches Schimmern, das durch die Wasseroberfläche vom Grund des Bassins nach oben drang. Da schäumte plötzlich die bisher ruhige Wasseroberfläche des großen Beckens auf, und vier Flossen durchpflügten das dämmerige Nass. »Seht … was darin umherschwimmt«, überschlug sich Bodos Stimme.

In diesem Moment tauchte der riesige Schädel eines Haifisches aus dem Wasser. Sein Maul war geöffnet, und seine furchtbaren Zähne deuteten seine Fressgier an.

»Verdammt«, entfuhr es Sigurd. »Wir sind in eine Falle geraten! Der Bursche, der uns hierhergeführt hat, war gar nicht vom Hauptmann geschickt worden.«

»Bestimmt nicht«, warf Bodo aufgeregt ein. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Fürst Friedrich uns so einen üblen Streich spielen würde. Ich verstehe nur nicht, was das soll. Früher oder später wird man uns doch hier finden.«

Sigurd überlegte kurz. »Vielleicht will unser unbekannter Feind nur Zeit gewinnen … ja, so wird es sein! Er weiß ja nicht, dass Benno tot ist und ihn nicht mehr verraten kann.«

Da unterbrach ihn Cassim kurz mit einem erschreckten Ausruf.

»Was ist, Cassim?«, wandte sich Sigurd an den jungen Freund.

Cassim wies nach vorne. » Seht doch, das Wasser im Becken steigt.«

»Allmächtiger«, reagierten Bodo und Sigurd gleichzeitig. Nachdem sich ihre Augen immer besser an das diffuse Dämmerlicht gewöhnt hatten, schauten sie sich um.

»Seht«, zeigte Bodo auf die Wand neben der Treppe, nachdem sie die vier Stufen hinabgestiegen waren und nun auf der Umrandung des Wasserbeckens standen. »Die Mauer ist bis zur Unterkante der Tür dunkler gefärbt. Sie ist feucht! Das bedeutet …«

»… dass das Wasser bei Flut bis dort hinaufsteigt«, vollendete Sigurd den Satz seines Freundes.

»Himmel«, stieß Cassim angstvoll aus. »Und wir dachten erst, unser Feind wollte nur Zeit gewinnen!«

Sigurd ballte seine rechte Hand zur Faust. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Fürst Friedrich unseren Tod beschlossen hat.«

»Natürlich nicht«, bestätigte ihm Bodo. »Der Kerl, der uns hierherbrachte, wurde von jemand anderem geschickt.«

Sigurd nickte. »Es ist unschwer zu erraten, dass dieser Jemand derselbe ist, der den Mordschützen Benno beauftragt hat!«

»Aber wer …?«, rätselte Bodo.

Doch Sigurd unterbrach ihn. »Darüber können wir uns den Kopf zerbrechen, wenn wir lebend aus diesem Raum herauskommen.« Ohne auf eine Antwort von Bodo zu warten, stürmte Sigurd plötzlich die Treppenstufen hinauf und warf sich mit seiner rechten Schulter in voller Wucht gegen die Pforte. Schmerzvoll zuckte er zurück. »Die Tür ist zu stark«, bemerkte er angestrengt. »Ich breche mir eher die Schulter, als dass sie auch nur erschüttert wird.«

»Lass es uns gemeinsam versuchen«, munterte Bodo ihn auf.

Sigurd sah ihn an. »In Ordnung«, nickte er. Langsam stieg er die Treppe wieder hinunter, um im gleichen Moment, gemeinsam mit Bodo, wieder hinaufzuhasten. Beide prallten mit ihren linken Schultern gegen das feste Holz. Doch auch diesmal ohne Erfolg. Sigurd wirkte niedergeschlagen.

»Was nun?«, fragte ihn auch Bodo ratlos.

»In diesem Raum gibt es nichts, an dem wir hinaufklettern und uns festhalten könnten, bis die Ebbe das Wasser wieder sinken lässt«, trat Cassim zu ihnen und hämmerte mit seinen Fäusten gegen die unnachgiebige Tür. »Aufmachen, aufmachen«, rief er verzweifelt. »Hört mich denn niemand? Aufmachen!« Immer wieder trommelte er gegen das starke Eichenholz der Pforte.

»Gib es auf«, hielt Sigurd ihn zurück. »Wenn man dich hören könnte, hätte sich unser unbekannter Feind bestimmt etwas anderes ausgedacht, um uns zu beseitigen.« Er wandte sich wieder dem Becken zu. »Wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen … und diese Tatsachen sind Haifische, vier sehr große Haifische!«

Bodo und Cassim gesellten sich zu ihm. Die Haifische hatten sehr wohl die Bewegungen der Freunde außerhalb ihres Elements wahrgenommen. Unruhig durchpflügten die vier Rückenflossen die Wasseroberfläche des Bassins.

Cassim hielt eine Faust vor den Mund. »Wir haben keine Chance«, presste er mit einem angstvollen Blick heraus. »Wir sind verloren!« Sie traten noch einen Schritt näher an den Beckenrand. »Wenn das Wasser so weitersteigt, erreicht es in einer halben Stunde die Treppe«, kombinierte Cassim weiter.

Sigurd staunte über seinen jungen Gefährten, der trotz seiner sichtbaren Angst die Lage so treffend beurteilen konnte. Er wollte gerade etwas erwidern, als urplötzlich der gewaltige Leib eines Hais aus dem Wasser schoss und genau auf sie zukam. »Vorsicht!« Mit aller Kraft stieß Sigurd den erstarrten Cassim zur Seite. Der Junker riss Bodo im Fallen mit sich, und beide landeten unsanft rückwärts auf dem Steinfußboden. Noch ehe der Hai den Beckenrand berührte, hatte Sigurd blitzschnell seinen Dolch aus der Klingenscheide gezogen und stürmte von der Seite auf den Meeresräuber zu. »Deine Voreiligkeit soll dir zum Verhängnis werden«, rief er ihm zu. Mit einem beherzten Sprung landete er auf dem Rücken es mächtigen Tieres. Mit der linken Hand hielt er sich an der Rückenflosse fest und trieb mehrmals das Messer in den Körper des Fisches hinein. Keuchend richtete er sich auf.

»Er … er ist tot«, stellte Sigurd befriedigt fest. Er packte die Fressmaschine in Fischgestalt und zog sie parallel zum Rand des Bassins. »So«, meinte er trocken. »Nun zurück ins Wasser mit ihm! Hilf mir, Bodo, aber sieh dich vor. Er schlägt noch mit dem Schwanz!« Beide drückten, unter Aufbietung ihrer ganzen Kräfte, den blutenden Kadaver ins Wasser zurück. Seine drei Artgenossen schwammen wild heran. Die Freunde hatten sich sofort auf der Treppe außer Reichweite gebracht.

»Der Blutgeruch macht die anderen Haie toll«, rief Bodo aus. »Sie zerfleischen sich gegenseitig!«

»Das hatte ich gehofft«, nickte Sigurd zur Bestätigung.

Der mörderische Kampf der außer Rand und Band geratenen Tiere dauerte nicht lange. Am Ende hatte nur einer der Haie schwer verletzt überlebt.

Sigurd zögerte keinen Moment. Mit dem Dolch noch immer in der Hand, stieß er sich vom Rand des Beckens mit einem Kopfsprung ab. »Ich gebe ihm den Gnadenstoß«, rief er seinen Freunden zu und war Augenblicke später untergetaucht. Zwischen den leblos im Wasser treibenden Haifischen erblickte Sigurd den aus vielen Bisswunden blutenden Hai im dunklen Wasser. Vorsichtig schwamm er näher heran. Als Sigurd den großen Fisch an der Flanke erreichte, wälzte sich der Hai instinktiv langsam herum. Vorsichtig legte Sigurd seinen Arm um das waidwunde Tier. Trotz seiner großen Schwäche durch den Kampf mit seinen Artgenossen zuckte reflexartig der massige Schädel des Haifisches nach oben. Das Maul war weit aufgerissen. Sigurd hatte die gefährlichen Zähne vor seinem Gesicht. Doch noch ehe die Bestie weiter reagieren konnte, stieß Sigurd zu. Immer wieder jagte er seinen Dolch in den Kopf des Raubfisches.

Endlich …, ein letztes Zucken, und der leblose Körper trieb von Sigurd weg. Das Wasser im Umkreis war rot gefärbt. Gierig saugte Sigurd Luft in seine angespannten Lungen, nachdem er die Oberfläche dieses nun nicht mehr tückischen Gewässers wieder erreicht hatte. »Es ist geschafft, Freunde«, schnappte er noch etwas außer Atem. »Ich …«

»Es ist nicht zu fassen«, rief Cassim mit großer Erleichterung dazwischen.

Sigurd winkte den Freunden zu. »Ich suche nach der Öffnung, durch die das Wasser hereinströmt. Vielleicht können wir dort diesen unfreundlichen Raum verlassen!«

Sigurd atmete ein paar Mal kräftig ein und aus. Mit einem tiefen Atemzug füllte er seine Lunge mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff und tauchte nach dem Grund des Bassins hinab. Je tiefer er kam, desto mehr erhellte sich seine Umgebung, und er fühlte eine stärker werdende Strömung. Endlich entdeckte er den Ursprung des Lichtscheins. Sigurd spannte seine Muskeln an und schwamm mit kräftigen Zügen darauf zu. Da ist die Öffnung, durchfuhr es ihn erleichtert. Doch seine Zuversicht wurde gleich wieder getrübt, als er beim Heranschwimmen ein eisernes Gitter bemerkte, das den Durchgang versperrte. Mit letzter Hoffnung ergriff er zwei der dicken Gitterstäbe und stemmte seine Füße auf den Grund. Ja, erhellte sich sein Gesicht. Es lässt sich hochdrücken. Sigurd wusste, dass er bald auftauchen musste. Die Luft wurde ihm knapp.

Nachdem er das eiserne Gitter einen größeren Spalt hochgedrückt hatte, zwängte er sich unter ihm hindurch. Er schwamm, so schnell er konnte, durch einen kleinen, dahinter gemauerten Tunnel hindurch, während es um ihn herum immer heller wurde. Mit letzter Kraft schoss sein Oberkörper durch die Meeresoberfläche.

»Endlich … Luft«, rang er nach Atem. Hinter ihm erhob sich die Mauer, auf der die trutzige Burg des Fürsten Friedrich ruhte. Zum Glück war das Meer relativ ruhig, sodass Sigurd nicht befürchten musste, gegen die Mauer geworfen zu werden. Nachdem er sich etwas erholt hatte, erfüllte ihn wieder volle Zuversicht. Bodo und Cassim können es auch schaffen, war er sich sicher und tauchte mit großem Schwung wieder in die Tiefe.

Sigurd Großband 2: Laban der Schreckliche

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