Читать книгу Die Liebesgöttin in Höchstform - Chloé Césàr - Страница 5

Prolog

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Das Straßencafé lag noch im Schatten, ebenso der Haupteingang des Pantheons, auf das man von hier aus blickte.

Es war früh am Morgen. So früh, dass die meisten der umliegenden Restaurants verlassen wirkten, als wären ihre Besitzer gar nicht in der Ewigen Stadt anwesend, sondern irgendwo auf einer lauschigen Insel zur Sommerfrische abgetaucht.

Eine für den Platz ungewöhnliche Stille lag über der Szenerie, aber das würde sich bald ändern.

Grinsende Kellner würden auftauchen wie aus dem Nichts und umgehend geräuschvoll Stuhlreihen und Bistrotische rücken, Sitzpolster verteilen, den ersten leichtbekleideten Touristinnen des Tages frech hinterherpfeifen und sich gegenseitig auf Italienisch anzügliche Bemerkungen zurufen.

Bald darauf würden die Geräusche zunehmen. Den ganzen Tag über, bis weit nach Mitternacht. Die hochgerüsteten Vespas junger Platzhirsche würden wie verrückt knattern, und die Trillerpfeifen der römischen Carabinieri vergebens dagegen anzuschrillen versuchen.

Touristen würden vor Entzücken in sämtlichen Sprachen der Welt Rufe ausstoßen, Frauen kokett und laut lachen, Kinder kreischen und Hunde bellen.

Rom am frühen Morgen …

Amanda liebte die Stadt, und ganz besonders liebte sie das Pantheon. Diesen uralten Tempel, den man später rücksichtslos seiner ursprünglichen Bestimmung entrissen und kurzerhand dem christlichen Glauben verfügbar gemacht hatte. Und den Touristen, die tagtäglich in Scharen hinein- und wieder herausströmten, sich dabei gegenseitig drängelten und schubsten und genervt die Augen verdrehten, weil alle interessanten Sehenswürdigkeiten in der Ewigen Stadt so hoffnungslos überlaufen schienen.

Amanda zog es vor, den ersten doppelten Espresso des Tages früh am Morgen zu nehmen, wenn allein dieses eine kleine Café bereits geöffnet hatte. Auf diese Weise konnte sie die Illusion genießen, den Tempel Pantheon für sich alleine zu haben. Zumindest ein kostbares halbes Stündchen lang.

Peter hatte sie auch an diesem Morgen begleiten wollen – wie jeden Tag, seit sie gemeinsam in der Stadt waren.

Sie hatte, wie stets in letzter Zeit, fast unwirsch abgelehnt – »ich muss alleine sein, Pilot, das weißt du doch! Diese tägliche Auszeit ist mir heilig!« –, sich dann seinen Armen entwunden, während er noch protestierte: »Jetzt sieh nur mal, was du mit mir gemacht hast! Soll ich jetzt vielleicht in dem Zustand hier liegen bleiben?«

Seine Morgenlatte hatte ein beachtliches Zelt aus der dünnen Bettdecke gebaut, aber selbst dieser vielversprechende Anblick konnte Amanda nicht umstimmen.

»Ich habe immerhin Urlaub!«, rief Peter ihr nach, während sie schon unter der offenen Badezimmertür stand.

»Na und? Was ist das überhaupt? Als Künstlerin kenne ich das Wort gar nicht. Ich bin immer unterwegs und suche dabei nichts weniger als die göttliche Inspiration!«

»Du bist so was von durchgeknallt, Göttin!«, tönte es von dem breiten Doppelbett zurück. Das Laken flog zu Boden, und ein prächtiger, voll erigierter Schwanz kam zum Vorschein.

»Was für eine Vergeudung«, jammerte Peter weiter. »Hast du denn gar kein Herz, keine Gefühle? Wenn ich erst wieder im Cockpit maloche, wird es dir leidtun, nicht jede Sekunde mit mir allein ausgekostet zu haben.«

»He, mein Möschen ist bereits so wund, dass es sogar brennt, wenn ich nur aufs Klo muss, Flugkapitän! Wenn hier jemand Urlaub braucht, dann meine Muschi!«

Peters Gesichtsausdruck wechselte spontan und zeigte, was er gerade empfand: Freude, Stolz und Liebe zugleich.

Diese Mischung war zu viel des Guten für Amanda. Sie entfloh verschreckt rasch unter die Dusche.

Ich bin ein Biest – dachte sie, nur wenig schuldbewusst, während der erste lauwarme Strahl auf sie herunterprasselte.

Es ist Peter ernst damit, ganz im Gegensatz zu mir. Ich muss mir bald über meine wahren Gefühle klar werden und ihm dann alles beichten. Er hat es verdient, dass ich zumindest ehrlich zu ihm bin. Warum nur muss er auch so anhänglich sein in letzter Zeit, so unerhört … verliebt?

Wäre er ein »Bad Boy« geblieben, hätte er eine wirkliche Chance gehabt auf Dauer!

So aber fürchte ich, die ich mich kenne, dass es mir bald schon fürchterlich langweilig wird in dieser … Beziehung. Falls es überhaupt schon eine ist.

Diese Sehnsucht nach dem Alleinsein, woher kommt die? Das ist doch nicht normal, wenn man in einer liebevollen Partnerschaft steckt! Oder doch?

Sie seufzte leise und versuchte sich ganz auf die morgendliche Körperpflege zu konzentrieren, um die lästige Grübelei loszuwerden.

Leider vergebens …

Was könnte ich nicht alles erleben, alleine in der Stadt!

Während Amanda sich von Kopf bis Fuß mit der cremigen Badelotion einseifte, schüttelte sie unwillig den Kopf bei dem Gedanken daran, was sie in Rom alles würde anstellen können, wenn sie tatsächlich ohne Peter und die anderen hier gewesen wäre.

Es konnte ein herrliches Abenteuer sein, allein in einer Stadt wie dieser auf die Pirsch zu gehen. Amanda hatte schon als junges Mädchen ein Faible für Streifzüge durch unbekannte Straßen und Gassen entwickelt. Nie hatte sie sich dabei bedroht gefühlt – vom sprichwörtlichen Großstadtdschungel.

Sie fand schon das Wort albern! Wen hatten seine Schöpfer damit wohl verunsichern oder beeindrucken wollen?

Es gab keinen Dschungel hier in Rom.

Es hatte auch keinen gegeben in Paris, wo Amanda erst kürzlich allein einige höchst abwechslungsreiche und in jeder Hinsicht beeindruckende Tage verbracht hatte – eine erholsame Unterbrechung der immer gleichmäßig ruhigen Arbeitsroutine in ihrem Atelier auf Teneriffa. Ein tiefer Brunnen voller Inspiration, Erotik und Lebensfreude war Paris für sie gewesen.

Gegen Ende war sie so erholt und steckte voller neuer Ideen, sie hatte schon auf die Kanaren zurückfliegen wollen. Um sofort in die Arbeit an ihrer nächsten Skulptur abzutauchen.

Doch dann hatte sie es sich in letzter Sekunde anders überlegt.

Na ja, eigentlich verdankte sie diesen Sinneswandel ja auch Peter! Besser gar nicht daran denken, sonst kam das schlechte Gewissen wieder, stärker sogar als zuvor.

Rom war einfach umwerfend, wie immer. Allerdings wäre es mit Sicherheit noch umwerfender gewesen, wenn sie so unabhängig hätte agieren können wie zuvor in der französischen Metropole.

An dieser Einsicht änderte auch ein noch so schlechtes Gewissen nichts. »Freiheit, die ich meine …« – von wem stammte dieser Spruch gleich wieder?

Stattdessen musste Amanda jetzt an manchen Tagen stundenlang für die Fotografin Dominique posieren und für deren Freund Karel, einen Journalisten und freien Mitarbeiter beim Männermagazin LEANDER, eine tragende Rolle spielen in der Artikelserie mit dem beziehungsreichen Titel Sex around the World.

Selbst die Titelzeile ging Amanda inzwischen auf die Nerven. Sie klang in ihren Ohren mittlerweile nicht mehr vielversprechend oder gar exotisch, sondern nur noch banal und langweilig. Etwas für gestresste Bürohengste, die in solcher Lektüre einen entspannenden Ausgleich zur täglichen Hausmannskost in Sachen Sex suchten.

Verflixt! Warum habe ich mich bloß jemals darauf eingelassen? Im Grunde ist auch dies nur Peters Schuld! Jetzt aber in negativem Sinn. Er hat mich – und uns – an diese Schreiberlinge verschachert. Unsere gemeinsame Geschichte! Das ist völlig unverzeihlich, dafür hat er die Höchststrafe verdient, der Herr Flugkapitän.

Zum Teufel aber auch mit dem schlechten Gewissen! Was anfangs auf Teneriffa noch ein durchaus nettes und amüsantes Spielchen gewesen war, artete jetzt immer mehr in echte Arbeit aus. Vor allem diese endlosen Fotoshootings.

Gut, es gab ein ansehnliches Honorar dafür vom LEANDER, aber trotzdem, es war auf Dauer einfach nervig, die weibliche Hauptperson geben zu müssen. Noch dazu für ein gesichtsloses Millionenpublikum.

Mein Hang zum Exhibitionismus scheint urplötzlich erschöpft zu sein. Und auf Dauer ist es auch nervtötend, die unersättliche Voyeurin zu geben. Anfangs war alles noch neu und erregend, jetzt nicht mehr. Jetzt will ich völlig neue Abenteuer und Erfahrungen. Ganz für mich allein. Zum Teufel mit dem LEANDER und »Sex around the world«!

Nachdem Amanda sich abgetrocknet und ein leichtes Make-up aufgelegt hatte, tigerte sie drüben im Zimmer vor dem Kleiderschrank ein Weilchen auf und ab wie eine Raubkatze. Schweigend und mit gefährlich funkelnden grünen Augen.

Peter, der sie vom Bett aus beobachtete, gewann den Eindruck, dass es besser war, Madame nicht anzusprechen und sich einfach schlafend zu stellen.

Schließlich entschied sie sich für eine weiße Leinenhose von Armani und ein ebenfalls weißes Leinenhemd darüber.

Als sie fertig angezogen war, wirkte sie mehr denn je wie eine Tigerin. Wie eine weiße Tigerin.

Ebenso gefährlich schön wie kostbar.

Sie zu reizen konnte lebensgefährlich sein. Mann musste sie ziehen lassen, sie wollte Beute machen. Draußen in der freien Wildbahn. Wenn sie gesättigt zurückkam, sah die Welt sicher wieder anders aus. Die Tigerin verwandelte sich für einige unkalkulierbare Zeit in ein Schmusekätzchen, zog die spitzen Krallen ein und schnurrte zur Abwechslung.

Dies waren definitiv die schönsten Momente, um die es bei dem Spielchen wirklich ging. Bis zum nächsten Ausfallversuch der Raubkatze.

Wort- und grußlos verließ Amanda an diesem Morgen das gemeinsame Hotelzimmer.

Jetzt saß sie hier und sah zu, wie das bunte Leben auf der kleinen Piazza vor dem Pantheon allmählich an Fahrt aufnahm.

Sie rührte ein wenig Zucker in ihren Espresso. Ich wollte, ich könnte den ganzen Tag hier sitzen und den Leuten zusehen, wie sie leben und lieben und flirten und streiten.

Das Buttercroissant war natürlich viel zu fett und kalorienhaltig, um als gesundes Vollwertfrühstück zu gelten. Na und, was machte das schon, es schmeckte köstlich!

Daheim auf der Inselfinca gab es solche Genüsse höchst selten. Außerdem hatte Peter erst gestern betont, wie gut ihm die beiden zusätzlichen Kilos gefielen, die Amanda sich in Paris zugelegt hatte.

»He, die kommen sofort runter, sobald ich wieder auf Teneriffa bin und normal arbeite und lebe, mein Lieber!«

»Mein Schatz, das wäre unklug. Wir Männer lieben Kurven!«

Voller Genuss biss Amanda in ihr Croissant, es war frisch und locker und zerging auf der Zunge. Ein fast schon erotisches Erlebnis. Es wäre ein Frevel, diesen Genuss durch eine banale Unterhaltung zu stören. Sogar ihr Handy hatte sie ausgeschaltet. Dermaßen heilig waren ihr diese Momente.

Aus solchen in der Erinnerung abgespeicherten Momentaufnahmen konnte eine Künstlerseele oft ewig schöpfen, immer wieder. Oder wenigstens bis zum Ende eines – dieses gegenwärtigen – Lebens.

Eine ewige Endlichkeit – gibt es so etwas?

Amandas Gedanken schweiften ab, wanderten weiter zu Rosalie: Ob die alte Dame den Umzug von Paris nach Rom schon hinter sich hat? Und ist der ersehnte Urenkel bereits geboren?

Ich muss sie unbedingt besuchen, ehe ich abreise. Der »Schwarze Magier«, von dem sie gesprochen hat, geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ebenso wenig die Marmorskulptur mit dem Titel »Liebesgöttin auf Abwegen«, die Rosalie in Trance gesehen haben will.

Bin tatsächlich ich selbst diese Liebesgöttin?

Habe ich einst diese Skulptur erschaffen, nach meinem eigenen Abbild? Oder meinen eigenen Wunschvorstellungen von mir selbst?

Ich muss Rosalie dazu bringen, tiefer zu schürfen, wenn sie mir nächstes Mal die Karten legt.

Wer ist der Schwarze Magier? Was hat er mit mir zu tun? Kenne ich ihn bereits, oder wird er mir bald begegnen?

Zum Teufel auch, ich kann mich nicht mehr an die Einzelheiten erinnern, die Rosalie an jenem Nachmittag in ihrer Pariser Wohnung aufgetischt hat.

Es schien alles so … unwirklich, ungreifbar, irgendwie glaubte ich ihr tief im Innern wohl nicht.

Und jetzt quälen mich diese Träume und mit ihnen die Erinnerungen, die eigentlich gar keine sind. Seit Tagen geht das jetzt schon wieder so … der arme Peter! Da hat er endlich mal Urlaub vom Fliegen, und dann muss ich ihm alles verderben mit meinen Launen.

Dabei gibt er sich solche Mühe: die besten Restaurants, Geschenke, Blumen, Parfüm, Champagner, heiße Liebesnächte!

Wieso geht mir das alles zunehmend auf die Nerven?

In den ersten Tagen konnte ich doch gar nicht genug kriegen davon. Ich war unersättlich, und jetzt scheine ich dafür nur noch gelangweilt zu sein.

Schwarzer Magier – wo steckst du? Erlöse mich.

Die Liebesgöttin in Höchstform

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