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DREI

Zombie Inc. Firmenhandbuch

Kleiderordnung: Bekleidung des Assessment-Teams

(Stand: 01.12.52)

Zombie Inc. (nachstehend «ZI» genannt) ist stolz auf die Professionalität seiner Mitarbeiter, besonders die derjenigen Teams, welche direkt und physisch mit der Öffentlichkeit im Allgemeinen und ZI-Kunden im Speziellen in Verbindung treten. Angesichts dessen legt ZI die nachfolgende VERBINDLICHE Kleiderordnung nahe (sämtliche Kleidung ist über das ZI-Firmengeschäft oder online über einen von ZI autorisierten Textilvertrieb, wie z.B. Amazon, zu beziehen):

Assessment-Team, Kleidung im AUSSENDIENST: von ZI genehmigtes weißes Oxfordhemd, jahreszeitabhängig lang- oder kurzärmlig, mit dem ZI-Logo auf der vorderen linken Brusttasche. Dunkelbraune Kakihosen, gerade geschnitten, mit aufgerolltem und gebügeltem Aufschlag. WICHTIGE KLEIDUNGSÄNDERUNG, BITTE AUFMERKSAM DURCHLESEN: Die frühere Kleidungsvorschrift für Schnürschuhe oder Slipper wurde geändert. Vom Änderungsdatum dieser Mitteilung an WERDEN ALLE GUTACHTER AUSSCHLIESSLICH GENEHMIGTE HALBLEDERSTIEFEL MIT STAHLKAPPEN TRAGEN. Dies geschieht aufgrund des Zwischenfalls vom 27.09.2042 in New Trenton, als ein Mitglied des Assessment-Teams seine oder ihre Zehen während eines Reinigungsauftrags verlor.

Assessment-Team, Kleidung im INNENDIENST: Wird ein Mitglied des Assessment-Teams zum FIRMENINTERNEN Dienst, wie zum Beispiel zu beruflicher Aus- und Fortbildung (auch inklusive Waffentraining, Übung von Ausweichmanövern, Erkennung Echten Todes) oder ähnlichem eingeteilt, so entspricht die Arbeitskleidung des Assessment-Teammitglieds der oben genannten, mit Ausnahme der Erfordernis hablederner Stahlkappenstiefel.

Assessment-Team, FREIZEITkleidung: Als wesentlicher Bestandteil der ZI-Familie ist Ihr persönliches Auftreten ebenso wichtig wie Ihr professionelles. Wir von ZI sind uns bewusst, dass Eingriffe in die Wahl der Freizeitkleidung missliebig sind, und haben uns daher dazu entschieden, KEINE solchen Eingriffe zu machen, MIT AUSNAHME des folgenden:

UNTER KEINEN UMSTÄNDEN ALS AKZEPTABEL GELTENDE KLEIDUNGSSTÜCKE:

Jegliche Kleidung, die die Aufmerksamkeit auf Geschlechtsmerkmale oder -organe lenkt, einschließlich, aber nicht beschränkt auf: pofreie Hosen, schrittoffene Hosen, brustfreie Oberteile, rückenfreie Oberteile, jegliche durchsichtige Kleidung, Kleidung, die in jedweder Art im Bereich der Geschlechtsmerkmale oder -organe leuchtet, flimmert, piept, rotiert oder blinkt. Hoch geschnittene Shorts, welche Geschlechtsmerkmale oder -organe zeigen (inklusive des Hinterteils), Schuhe, die die Körpergröße um mehr als anderthalb Zentimeter nach oben oder unten verändern, Schals oder Gürtel JEGLICHER ART und Flip-Flops.

***

«Was jetzt? Gehen wir zurück oder warten wir hier auf den nächsten Anruf?», fragte Dill.

Carl blickte auf seine Uhr, ein nostalgisches Überbleibsel aus der Zeit, als er ein junger Mann gewesen war. Der grüne Schaum war verschwunden und die Straße frei von Blut. Der Tag war um etwa zehn Grad wärmer geworden, während die Sonne zur Himmelsmitte gewandert war. Diese Zeit des Jahres war früher einmal Herbst genannt worden und freilich fielen die Blätter noch immer in großer Fülle von den Bäumen, aber ohne Feiertage hatten Gliederungen wie Herbst oder Frühling nur noch wenig Bedeutung. Trotzdem konnte Carl eine kleine Regung der Vorfreude auf das alte Thanksgiving nicht unterdrücken – ein weiterer wehmütiger Rückblick. Obschon man munkelte, dass manche Menschen das Fest noch immer feierten, war es 2024, kurz vor der Seuche, von President Clooney offiziell abgeschafft worden, zusammen mit all den anderen Feiertagen. Man hatte sie für zu anstößig befunden.

«Wir fahren zurück», sagte Carl. «Essen was. Schauen nach, was der Verkauf im Schilde geführt hat. Und ich will diesen Bericht in die Forschungsabteilung bringen, sodass sie ihn haben, sobald die Wrangler das Halsband abgeben.»

«Haben sie ihn nicht schon? Kann man die Informationen nicht einfach verschicken, sobald man sie eingegeben hat?»

«Ja, klar, natürlich.» Carl ließ seinen Sicherheitsgurt einrasten. «Aber wenn es etwas Seltsames oder Ungewöhnliches ist, dann will man direkt mit jemandem reden. Man will nicht, dass es sich in der Bürokratie verliert.»

Dill drückte oben aufs Lenkrad und ließ den Wagen vorwärts gleiten. Sie beschrieb eine weite Kurve um das Areal, in welchem der Zombie gelegen hatte, obgleich keine Spur von ihm übrig war. Die Drei im Garten Verbliebenen verfolgten das Auto mit Blicken, die – auf Dill zumindest – leidvoll und verlassen wirkten.

«Die haben ihn. Sie haben den Bericht», sagte Dill. «Ich verstehe nicht, warum Sie direkt mit jemandem darüber reden wollen.»

«Bleib unter vierzig, Andretti», sagte Carl. «Wir wollen lebend ankommen.»

«Was? Wer ist Andretti?» Dill hasste diese kryptische Ausdrucksweise älterer Menschen. Euphemismen, altmodische Anspielungen … Es war befremdlich. Noch war sie sich nicht sicher, ob sie Carl mochte oder nicht, und langfristig spielte es wahrscheinlich so oder so keine Rolle … aber sie wollte nicht von ihm in Verlegenheit gebracht werden.

«Ein Rennfahrer. Vergiss es. Hör zu», sagte Carl und drehte sich dann, um aus dem Fenster zu sehen. «Man will direkt mit jemandem sprechen, weil manche Dinge wichtiger sind als andere. Ich weiß, das ist eine schwierige Vorstellung für dich … für deine Generation. Ein Halsband, das nicht explodiert ist – und ein ziemlich neues noch dazu … dem muss nachgegangen werden. Vielleicht haben sie etwas verändert, etwas modifiziert, das wieder rückgängig gemacht werden muss. Wenn du im Assessment arbeitest, dann triffst du nicht nur Entscheidungen darüber, was im Augenblick getan werden muss, sondern für das, was zukünftig getan wird. Ein Gutachten bedeutet jede Menge Haftung und Schuld. Verstehst du das? Menschen sind, ähm, wertvoll. Wir können sie nicht aufs Spiel setzen, während wir uns zurücklehnen und darauf warten, dass das System die Dinge erledigt.»

Beim Wort «wertvoll» hatte er geschnaubt und seine Körperhaltung verändert, und Dill wunderte sich über die Sentimentalität dieses Wortes. Aus Carls Mund klang es verkehrt und tatsächlich schien es ihn zu verdrießen.

«Weil sie Kunden sind?» Dills gesamte Ausbildung hatte Phrasen über die Wichtigkeit, den Kunden an erste Stelle zu setzen, beinhaltet.

«Nein! Herrje», sagte Carl. «Na ja, okay, ja, deswegen auch, aber nicht nur deswegen.»

Danach sagte er nichts mehr. Sein Schweigen wirkte absichtlich und verärgert. Vielleicht war das der Grund für den Ruf der Gutachter. Dieses Übermaß an Emotionen … Aber eine Menge älterer Menschen waren so. Es ließ Dill und ihre Generation die Stirn runzeln – warum sich so aufregen? Was sollte das Theater?

Sie steuerte den Geländewagen durch ausgedörrte Straßen heruntergebrannter Wohngegenden, in welche gelegentlich ein unversehrtes Haus hineingestreut war wie eine Insel der Vernunft. Sie alle hatten mit dem ZI-Logo gekennzeichnete Sicherheitssysteme. Näher bei New Trenton kamen sie an den kleinen geschlossenen Wohnanlagen vorbei, welche die Halbreichen beherbergten – Menschen, die nicht wirklich reich reich waren, aber genug besaßen, um sich ein kleines Haus leisten zu können, eine Reinigungskraft, Lebensmittel. Manche der Halbreichen hatten sogar Ehen und Kinder, wie Dill gehört hatte. Der Gedanke, dass hinter diesen Mauern Kinder sein könnten, die mit Eltern aufwuchsen – ihren eigenen, echten Eltern – war seltsam. Kinder, die aufwuchsen, ohne je lernen zu müssen, wie man sich versteckt oder wie man kämpft. Die regelmäßig zu essen bekamen. Die gute Hygiene gewohnt waren. Fast keine Angst kannten.

Dill konnte sich das nicht vorstellen.

Sie überquerten die Grenze zu New Trenton.

Nach dem, was Dill gehört hatte, war Old Trenton, kaum sichtbar, die Stadt etwa sechzehn Kilometer westlich von New Trenton. New Trenton war nicht New Trenton gewesen, bevor Old Trenton wie alle anderen Städte zusammengefallen war. Die Verseuchung der Stadtgebiete war schlimm gewesen, dank all der dicht an dicht gedrängt lebenden Menschen. Nach dem ersten Jahr hatte alleine der Geruch jeden davon abgehalten, zurückzugehen. Nach zehn Jahren, als die alten Gebäude sich aufzulösen begannen, waren die Städte vollständig unbewohnbar gewesen. Die wirklich großen Städte wie Old Philadelphia hatten noch immer hohe, hohe Wolkenkratzer, die in der Sonne funkelten und jetzt größer denn je wirkten, nachdem die kleineren Gebäude und Vorstädte um sie herum kollabiert waren. Dill hatte sie jedoch nie gesehen, war nie in die Nähe einer dieser Städte gekommen. Es gab Fotografien, aber die älteren Menschen sagten immer, «Oh, Fotos werden dem nicht gerecht! Es war die Atmosphäre!» Dill wusste auch davon nichts. Sie war erschüttert von den Lichtermeeren auf den Nachtfotos. Wie konnte man Energie derart verschwenden?

Falls es jetzt Menschen in den Städten gab – wie gemunkelt wurde –, dann lebten sie außerhalb des Sicherheitsnetzes von Regierungs- und ZI-Schutz. Warum irgendjemand das tun wollte, war Dill unbegreiflich.

New Trenton basierte auf einer in den frühen Zwanzigerjahren planmäßig angelegten Gemeinde. Geschäfte, Restaurants und gewerbliche Büros lagen unter einem hohen Apartmentgebäude. Die Idee war (so glaubte Dill), dass die Menschen aus jenen Wohnungen in diesem einen Gebiet lebten, aßen und arbeiteten. Wie in einem Bienenstock. Wie Insekten. Westlich der Kombination aus Wohnungs- und Gewerbebau befand sich ein Siedlungsbau. In den ersten vier Straßen standen kleinere, zusammenhängende Reihen von Häusern, die man einst auch Stadthäuser genannt hatte. Dann folgten zehn Straßen voller Farmhäuser und nach denen vier Straßenzüge voller zweistöckiger Kolonialhäuser. Innerhalb der Gemeinde gab es auch eine Schule, Tennisplätze, Felder und ein Schwimmbad mit längst geleertem Becken.

Nachdem das schlimmste Gemetzel sich gelegt hatte, hatten die Überlebenden der Seuche zuerst das Apartmentgebäude besiedelt, wurden zueinander hingezogen und verschmolzen miteinander wie graue und erschöpfte Schneeflocken. Dann hatte Zombie Inc. in einem großen Firmengebäude weniger als fünfhundert Meter entfernt sein Geschäft aufgenommen, und während ZI wuchs, hatten sie die gesamte geplante Gemeinde übernommen, sie New Trenton getauft und sie umfriedet. Entlang der Grenzen New Trentons waren noch immer einige der ersten Zombieabwehrsysteme in Betrieb.

Die verlassenen Geschäfte und Büros im Parterre des Apartment-/Geschäftsgebäudes wurden wieder an die wenigen verbliebenen Regierungsmitglieder vermietet. Die Wohnungen und Regierungsbüros waren als «Innere» bekannt, während die Reihen- und Einfamilienhäuser «Äußere» genannt wurden.

Dill lebte in den Apartments in der Inneren. Ihre Miete wurde direkt von ihrem Gehaltsscheck abgezogen, wie es auch bei ihren fünf Mitbewohnern, die allesamt für ZI arbeiteten, der Fall war. Nach Dills Meinung eine weitere Annehmlichkeit der Arbeit für die größte, erfolgreichste Firma der Nachseuchenzeit. Man munkelte, dass ZI sogar noch mächtiger war als die Restregierung, welche unter dem Gesamtgewicht aller – selbst der niedrigsten – ZI-Mitarbeiter eingezwängt operierte.

Als sie durchs Tor fuhren, nickte Carl dem Wächter zu. Sie passierten die Innere und die Äußere auf ihrem Weg zum ZI-Gebäude, welches fünf Stockwerke hoch war und von einem leeren, rissigen Parkplatz und einem weiten Feld umgeben dalag. Nur wenige Menschen fuhren noch. Sogar die Angestellten wurden mit Bussen hergebracht, oder sie gingen zu Fuß. Als sie als Praktikantin für diese Stelle akzeptiert worden war, hatte Dill zusätzlich zu ihrer Ausbildung an der Ze-Cross Armbrust eine spezielle Schulung zum Umgang mit dem elektrischen SUV des Assessments erhalten.

Sie steuerte das Fahrzeug langsam um das Gebäude herum und verlangsamte auf Schneckentempo, als sie sich dem Tor zur Tiefgarage näherten. Das Auto summte im Leerlauf, als sie anhielt. Sie hupte kurz. In der Dunkelheit erwachte das Kameraauge des Tors zu rotem Leben und scannte die Vorderseite des Geländewagens ab. Es dauerte einen Moment, ehe das Tor – ein komplex gegliedertes Drahtgeflecht – sich mit einem Klingeln wie von Glocken nach oben rollte.

Dill drückte wieder oben auf das Lenkrad und sie glitten ins Halbdunkel.

«Die Glocke klingt, Batman stinkt … hm hmm hmmm, du-dum», sang Carl nachdenklich.

Dill warf ihm einen Blick zu, aber er hatte sich von ihr abgewandt. Er war in sich selbst zusammengesunken und suchte die Winkel der Garage ab.

«Was ist das?», fragte sie.

«Was ist was? Das Lied? Oh, es ist nur … ein altes Weihnachtslied. Die Kids habe es immer gesungen. ‹Robin legt ein Ei; Batmobil kann nicht viel?› Du hast es noch nie gehört?»

«Vor meiner Zeit», sagte Dill. Alte Menschen liebten ihr Feiertagsgerede. Brächte man zwei von ihnen zusammen, würden sie ewig weiter und weiter reden, über Weihnachten, Ostern, Allerheiligen, oder wie auch immer man das genannt hatte. Dill kam es so vor, als hätte es sich immer nur ums Essen gedreht. Sie steuerte ihren zugewiesenen Parkplatz an. Zwei andere Gutachterautos parkten in der Nähe. Eine Handvoll Wranglertrucks standen weiter weg. Nirgendwo war ein Cleanerkombi zu sehen. Wahrscheinlich wurden sie in einem anderen Teil der Garage aufbewahrt, oder vielleicht hinten, wo die Tests abgehalten wurden.

«Wir gehen zuerst zu ‹Forschung und Entwicklung›, und dann essen wir was, wenn dir das recht ist?», fragte Carl beim Aussteigen. Er ließ seinen Blick durch die Garage streifen. Seine Hand lag auf der Pistole an seiner Hüfte.

Dill stieg aus und sah sich ebenfalls um. Sie hockte sich sogar hin, um die Fläche unter den nebenstehenden Autos zu überprüfen. Vorsicht war besser als Nachsicht. Carl war vorausgegangen, ohne ihre Antwort abzuwarten. Es war nicht nötig; sie war die Praktikantin und sie würde seinem Beispiel folgen.

Sie nahmen die Treppe auf der Vorderseite des Gebäudes, nahe des Empfangs. Es gab keine Alternative; Aufzüge wurden als Energieverschwender betrachtet. Niemand verschwendete noch irgendwas. Das war einer der Gründe, warum das Feiertagsgerede einen so verärgerte. Ein ganzer, sich um Maßlosigkeit drehender Feiertag? Ein weiterer, der geheiligtes Betteln um Süßigkeiten beinhaltete? Hatte es früher irgendetwas gegeben, das kein Übermaß verlangt hatte?

***

Der dritte Stock beherbergte F&E, ZIs Forschungs- und Entwicklungsteams. Ein Irisscanner gewährte Carl und Dill Zugang zu einer Art Wartebereich, wo eine leise Stimme Carls Ankunft anmeldete. Sein geflüsterter Name hallte einen unscheinbaren Flur entlang. Dill stand gleichgültig da, aber Carl verursachte die Stimme – wie sie es immer tat – Unbehagen. Sie war ätherisch und geisterhaft. Jedes Mal stellte er sich flüchtig vor, er sei gestorben und stünde nun in einer Art Jenseits-Abfertigungshalle.

«Hey, Carl! Was gibt’s?» Aarons Stimme, angenehm und tief und immer an der Schwelle eines Lachens, ließ die Jenseitsfantasie zerplatzen.

Carl zögerte; er wartete auf die Anweisungen aus dem Off.

«Bitte sprechen Sie natürlich. Ihre Antworten werden vom Ze-Listen/Speak-System aufgezeichnet und weitergeleitet», betete die Maschine leise herunter.

«Ach, halt den Mund, Matilda!» Aarons Stimme krächzte und hallte von den kahlen Wänden wieder. «Was ist los, Carl? Beunruhigt dich etwas?»

«Ja, Aaron, ich wollte dir von einem Problem mit einem Halsband heute Morgen erzählen. Kommst du raus?»

Es gab ein kurzes Brummen. Dann erklang Aarons Stimme wieder. «Ich kann jetzt gerade nicht rauskommen, Kumpel. Wir sind mittendrin. Wie lautet das Aktenzeichen?»

«Atlanta 1280», sagte Carl. Ein seltsamer Zwang ließ ihn immer zu den Deckenplatten hin sprechen, wenn er bei F&E war. Vielleicht lag es an den kleinen Löchern dort, aber was der Grund auch war, er kam sich immer wie ein Blödmann vor, sobald er merkte, dass er es tat. Jetzt suchte Dill die Decke verunsichert ab. Verwirrung trübte ihre Züge, während sie herauszufinden versuchte, was er fixierte. Carl senkte sein Kinn und verschränkte die Hände hinter seinem Rücken. «Es war ein neues Halsband. Blaues Schild. Die Wrangler haben es wahrscheinlich schon hergebracht.»

Brummen. «Was war der Fehler?»

«Nur halb explodiert. Der Zombie hat seinen Kopf behalten, obwohl er den gesicherten Quadranten verließ», sagte Carl. Dill war seiner Blickrichtung wieder gefolgt und suchte jetzt den Boden ab. Carl hob den Kopf mit einem Ruck und suchte sich einen Fokus in mittlerer Entfernung. Ze-Listen/Speak war eine irritierende Nervensäge.

Lange Pause. Brummen. «Waren die Laser in Ordnung?»

«Ja. Da waren noch drei andere Gartenzombies, die nirgendwo hingegangen sind.»

Längere Pause. Brummen. «Ich werd's mir ansehen. Halb explodierende Ladungen an den Halsbändern können wir nicht gebrauchen, nicht wahr?» Eine weitere Pause und ein weiteres Brummen. «Wirst du an Tag Achtzehn dabei sein?»

«Klar, klar. Und bereit, dir den Hintern zu versohlen», sagte Carl.

Dieses Mal wurde das Brummen von knisterndem Lachen unterbrochen. «In deinen Träumen, alter Mann. Ende.»

Carl lächelte. «Ende und aus.»

Während er Dill zurück ins Treppenhaus führte, sah er auf seine Uhr. «Okay. Zeit, was zu essen.»

«Was passiert an Tag Achtzehn?», fragte Dill. Sie wirkte zurückhaltend, als ob sie glaubte, nachzufragen brächte sie in Schwierigkeiten. Ihre Stimme war gedämpft, ganz so als hielte sie Tag Achtzehn für eine Art Code.

«Bowling», sagte Carl und lachte beinahe über die Enttäuschung, die ihr sich schnell senkender Kopf signalisierte. «Wir bowlen an allen Achten, Achtzehnten und Achtundzwanzigsten.»

«Hm, ja», sagte Dill. «Das ist toll.»

«Du bowlst wohl nicht, nehme ich an?», fragte Carl. Er öffnete die Tür zum Erdgeschoss. In diesem Stockwerk waren der Empfang und der Verkauf – die attraktivste Abteilung – und dann noch die Kantine.

«Bowlen? Nein», sagte Dill. «Das ist irgendwie, na ja … älter. Etwas, das Ältere so tun.»

«Okay. Wie vergnügt ihr euch denn? Du und deine Generation?»

Sie betraten die Kantine und gingen zur Rückseite durch, wo ein langer, büffetartiger Aufbau stand. Sandwiches. Carl seufzte. Warmes Essen war besser, aber das war auf jeden dritten oder vierten Tag limitiert.

«Vergnügen?», fragte Dill. Sie nahm ein Tablett vom Stapel und schnappte sich das nächstliegende Sandwich, ohne es anzusehen. Carl, der das Angebot nach seinem Lieblingssandwich durchsucht hatte, verstand dieses Level von … mangelnder Anspruchslosigkeit nicht. Er stellte eine Schüssel Hummus und eine Tüte Pitachips auf sein Tablett. Dill nicht. Hatte sie keinen Hunger?

«Ja, du weißt schon, während deiner überreichlichen Freizeit. Die ganzen vier oder fünf Stunden, bevor du in die Federn kriechst.» Carl achtete darauf, ob Dill sich ein Dessert nehmen würde. Sie tat es nicht, griff aber nach einem Obstsaft, den sie lange betrachtete und dann wieder in die Kühlvorrichtung zurückstellte.

Sie richtete ihren verdutzen Blick auf Carl. «Sie meinen, nach der Arbeit? Was ich da mache?»

Carl nickte. Etwas in ihrem Ausdruck, ungeschützt und traurig, in Verbindung mit der Wiederkehr des wahrscheinlich zu teuren Getränks ließ sie ihm leidtun.Nein, dachte er. Lass dich da nicht reinziehen. In der heutigen Welt heißt es jeder gegen jeden. Jedem das Seine oder Ihre.

Er wandte sich ab und schob sein Tablett zur Kassiererin. «Hey, Dee.»

«Hey, Carl.» Die Lunch-Lady war älter, mindestens um die siebzig. Der Gedanke, dass sie bestimmt Mitte fünfzig gewesen sein musste, als die Seuche ausgebrochen war, bestürzte ihn. Hatte sie gekämpft? Hatte sie eine Familie gehabt, die sie zu schützen versucht hatte? Hatte es jemand von denen mit ihr zusammen geschafft? War sie ganz alleine?

«Geht es Ihnen heute gut?», fragte Carl.

Dee nickte. «Aber ja, sehr gut. Was ist mit Ihnen, mein Lieber?» Sie saß auf einem Hocker, und sie trug eine altmodische weiße Schürze, die sie von der Brust bis zur Mitte ihres Schienbeins bedeckte und um ihre Taille herum gebunden war. Carl hielt sein Handgelenk unter den Laser neben der altertümlichen Registrierkasse. Der Laser piepte, aber die Kasse blieb stumm, unbenutzt. Weder sie noch Dee waren ein Teil des Vorgangs; die Menschen mochten einfach nur das Aufrechterhalten der alten Sitten. Der Chip zeichnete Lohn und Ausgaben auf. Physikalisches Geld hatte nach der Seuche jegliche Bedeutung verloren. Mittlerweile war alles elektronisch.

«Mir geht's gut», sagte Carl und lächelte. Dee lächelte zurück, und obwohl es echt war, lag etwas Entrücktes in ihren Augen, etwas Geschlagenes und Benommenes. Vielen Menschen war das passiert. Das Blutbad war zu heftig gewesen, aber manche hatten das Pech, einfach trotz ihres traumatisierten Verstandes weiterzuleben. «Passen Sie auf sich auf», sagte Carl und trug sein Tablett zu einem freien Tisch. Er spürte Blicke auf sich. Nicht so viele wie auf einem Wrangler oder, schlimmer, einem Cleaner ruhen würden, aber angestarrt wurde er trotzdem. Besonders von den Jüngsten, die sich niemals jenseits von New Trenton und der Mauern der ZI-Anlage wagten. Für sie war er ein waghalsiger Superheld, wie die aus ihren Videospielen … oder so schmeichelte er sich jedenfalls selbst.

Dill setzte sich ihm gegenüber. Sie hatte schon mit Essen begonnen, bevor das Tablett den Tisch berührte. Beinahe ohne Atempause machte sie sich über ihr Sandwich her. Carl betrachtete sie dabei und schob dann die Pitachips und den Hummus über den Tisch. «Magst du das?», fragte er.

Ihr Kauen verlangsamte sich und ihr Gesicht flammte leuchtend rot auf. Sie schüttelte den Kopf, legte ihr Sandwich zurück aufs Tablett und wich seinem Blick aus. Ihre Kehle verengte sich, als sie mit Mühe schluckte.

«Nimm es ruhig», sagte Carl. Was er gerade getan hatte – was sie dachte, dass er angedeutet hätte – war ihm unangenehm. «Es hat nichts zu bedeuten. Ich will's einfach nicht.»

Er hatte davon gehört, dass zwischen manchen Menschen der Inneren ein gewisses System in Kraft war. Essen für Sex, so was eben. Vor zehn Jahren war es schlimmer gewesen, als Essen noch viel mehr von einer Handelsware gehabt hatte. Dill wäre gerade in einem Alter gewesen, in welchem man in ein solches System geraten konnte. Wie sie so da saß, in ihren Kakis und dem weißen Hemd, war das allerdings schwer vorstellbar. Sie sah ziemlich ehrbar aus.

Dill zögerte. Ihre Augen wanderten zu seinen. Ihr Blick war skeptisch. Carl nahm sein Sandwich in die Hand und ignorierte sie. Er war ein wenig verstimmt, aber ob seinet- oder ihretwegen konnte er nicht entscheiden. Als sie das Essen auf ihr Tablett packte, spürte er, wie ein Teil seines Ärgers sich auflöste.

«Okay, erzähl schon. Es interessiert mich», sagte er. «Was tut ihr da drüben in der Inneren, um euch zu amüsieren?»

Während die Worte seinen Mund verließen und ihr Gesicht sich zu verschließen begann, begriff er, dass er einen weiteren Fehltritt begangen hatte. Obwohl die Hälfte, oder mehr, von ZIs Belegschaft dort wohnte, hatte die Innere einen miesen Beigeschmack. Angesichts dessen klangen seine Worte sogar in seinen eigenen Ohren lüstern.

Dazu bereit, das Thema zu wechseln, räusperte er sich, doch dann antwortete Dill.

«Nicht viel», sagte sie und zuckte mit den Schultern. «Ich war in der Nachtschicht, bevor ich bei Ihnen angefangen habe. Meistens hab ich tagsüber gelesen. Wir sind zu sechst im Apartment, also ist es ziemlich voll. Aber in manchen der Zweizimmerwohnungen leben acht Menschen, und das wäre viel, viel schlimmer. Ich hab wenigstens auch das Glück, dass meine Mitbewohner ruhig und ehrlich sind. Man hört ja echt einige Horrorgeschichten.»

Carl nickte, obwohl sie ihn nicht ansah. Er verspürte ein Ziehen von Sympathie. Dieses Mädchen könnte seine Tochter sein, sie könnte … Nein. Auf keinen Fall. Vergiss den Gedanken. Vorbei ist vorbei. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

«Das glaub ich gern», sagte er, dann ließ er das Thema fallen. Ihr Blick musterte ihn wieder; sie schien verwirrt von seinem plötzlichen Rückzug. Er verspürte ein weiteres Ziehen, das er aber unterdrückte. «Ich geh zum Verkauf und schau mir die Zahlen an. Möchtest du hier warten oder mitkommen?»

Im Aufstehen stopfte sie die halb leere Tüte Chips in die Tasche ihrer Kakihose. «Ich komme mit.»

«Das musst du nicht.»

«Ich möchte es. Ich will das Assessment kennenlernen, jeden Aspekt davon, und je eher, desto besser. Es ist …» Sie schüttelte den Kopf. «Ich war auf Nachtschicht, seit ich sechzehn war – zehn Jahre lang, Carl. Ich konnte es mir nicht leisten, einen der für die anderen Stellen erforderten Abschlüsse zu machen. Es ist wichtig, dass ich diese hier bekomme, okay?»

Carl runzelte die Stirn und nickte. «Klar, Dill. Kein Problem», sagte er. Er hatte das schreckliche Verlangen, ihr auf die Schulter zu klopfen, aber er zügelte seine Hand im letzten Augenblick. Der letzte Ort, an den er gehen wollte, war die Personalverwaltung.

ZOMBIE INC.

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