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VIER

Zombie Inc. Firmenhandbuch

Belästigung

§8: Mitarbeiterkontakt: Körper und Blick

(Stand: 17.08.51)

Zombie Inc. (nachstehend «ZI» genannt) verbietet OHNE AUSNAHME das Berühren von Angestellten durch andere Angestellte. Dieses beinhaltet, beschränkt sich jedoch nicht auf: Umarmungen, Händeschütteln, Küssen (auch Luftvariationen), das Legen von Händen auf Nacken, Schultern, Arme, Hände, Knie, Oberschenkel, Rücken oder Rückseiten, oder das Drücken selbiger. Alle Angestellten sind verpflichtet, ihre Hände jederzeit bei sich zu behalten.

Angestellte sollten von andauerndem Augenkontakt absehen, welcher als «Starren» verstanden werden könnte. Obgleich ZI unmöglich jeden einzelnen Fall beschreiben kann, in dem es zur Notwendigkeit wird, einen anderen Mitarbeiter «anzusehen», so sollte das Folgende als Richtlinie betrachtet werden:

1) Augenkontakt während freizeitlicher (nicht arbeitsbedingter) Gespräche sollte nicht länger als zwei bis fünf Sekunden aufrechterhalten werden, ehe eine «Pause» gemacht wird.*

2) Augenkontakt während Arbeitsgesprächen sollte nicht länger als fünf bis sieben Sekunden aufrechterhalten werden, ehe eine «Pause» gemacht wird.*

*Während der oben in 1) und 2) erwähnten «Pausen» des Augenkontakts ist ferner zu beachten, dass eine Unterbrechung darin besteht, vom Arbeitskollegen zu einem leblosen Objekt in naher oder weiterer Entfernung zu blicken, wie zum Beispiel, aber nicht ausschließlich: Wände, Schreibtische, Tische, Stühle, Computer, Pflanzen, usw. Unter KEINEN UMSTÄNDEN darf der Blick während der Unterbrechung des Augenkontakts auf den Körper des Arbeitskollegen fallen.

Zu keiner Zeit sollen Mitarbeiter einen Arbeitskollegen anstarren, mit oder ohne dessen Wissen. Einen Arbeitskollegen länger als drei Sekunden zu «beobachten», erschafft ein feindseliges Arbeitsklima und kann eine Begründung für die fristlose Entlassung sein.

Bitte folgen Sie den obengenannten Richtlinien zu innerbetrieblichem Starren und Augenkontaktvorschriften. Zu Verhaltensregeln bezüglich Besuchern von ZI lesen sie §19, «Belästigung: Besucherkontakt: Körper und Blick». Für Verhaltensregeln bezüglich Lieferanten von ZI lesen sie §20, «Belästigung: Lieferantenkontakt: Körper und Blick».

***

Dill riss ihre Augen von Candys tiefem Ausschnitt los, nur um sich dabei zu ertappen, wie ihr Blick stattdessen zum glänzenden, klebrigen Schmollen von Candys Lippen wanderte. Als sie nach unten schaute, sah Dill sich mit Candys Beinen konfrontiert, glatt und milchig und bei den Knien überschlagen, nackt bis beinahe zur Mitte des Oberschenkels am einen und bis hinunter zu ihren aufreizend in Stilettos steckenden Füßen am anderen Ende.

Dill zwang ihren Blick zum Boden. Die Bewegung brachte ihren eigenen bescheidenen Busen in Sicht, den der weiße, merzerisierte Baumwollstoff noch unscheinbarer machte. Darunter zeichneten sich ihre geschlechtslosen Kakihose und die schweren, schwarzen Stahlkappenstiefel ab. Es war beinahe so, als wären sie und Candy komplett verschiedene Spezies.

Dill hatte mit sechzehn bei Zombie Inc. angefangen, in der Nachtschicht der Industrieabteilung, was putzen bedeutet hatte, Briefzustellung, Geländekontrollen, generelle Botengänge – alles in dem eindrucksvoll unattraktiven Outfit eines gräulichen Overalls samt Kopftuchs. Sie war noch nie in der Verkaufsabteilung gewesen, wenn Menschen dort waren – der Verkauf machte keine Nachtschicht –, aber die Male, die sie im Halbdunkel dort gewuselt hatte, war sie vom Geruch, würzig und manchmal blumig, hingerissen gewesen.

Sie ließ ihren Blick wieder umherstreifen, darauf bedacht, dass er nicht an irgendeiner Person hängen blieb. Sogar die Wände im Verkauf, die Schreibtische, die Stühle, besaßen eine Aura von Überfluss, Verlockung und reichlichem Genuss. Aus den geräumigen Bürozellen drangen verführerisch säuselnde Stimmen, flüsternd, vertraulich. Das äußerst schmucke ZI-Verkaufsteam bestand aus gepflegten Männern und stark geschminkten Frauen.

«Vielleicht ist es besser, wenn du ihn anrufst», sagte Carl gerade. Er erschien ungerührt von Candys offensichtlicher Üppigkeit, was Dill nicht verstehen konnte. Candy war wunderschön und sie roch nach … Süßigkeiten.

«Och … war er aufgebracht? Mein armer Kleiner!» Candys Tonfall war wie ein weicher Fellumhang, ein Schluck warmen Whiskeys, seidene Laken. Sie schlug die Beine auseinander und wieder zusammen und lehnte sich in ihrem hochrückigen, stark gepolsterten Stuhl nach vorne. Sie presste ihre Hände leicht aneinander, sodass die Spitzen ihrer sich berührenden Daumen direkt auf den parfümierten Höhleneingang zwischen ihren Brüsten zu deuten schienen. «Was ist mit dir, Carl? Wie ich sehe, bist du mal wieder mit heiler Haut davongekommen. So tapfer!»

Carl lachte, aber es war ein zynisches Bellen, laut und schroff, fehl am Platz in der vornehmen Stille des Raumes. Gut frisierte Köpfe erschienen über Bürozellenwänden und gezupfte Augenbrauen erhoben sich wie schmale Mondsicheln. Dills Gesicht wurde heiß vor Verlegenheit, doch Candys Ausdruck bewundernden Verlangens veränderte sich nicht und ihr Blick blieb fest auf Carl gerichtet.

«Du weißt, dass du dem Kerl zu viel verkauft hast», sagte Carl. «Vier für vorne? Das ist ein bisschen extrem. Sogar für dich, Candy.»

Ihr Lächeln wurde so breit, dass ihre Grübchen sichtbar wurden. «Jeder hat das Recht sich sicher zu fühlen, Carl. Jeder möchte behaglich und geborgen leben. Du nicht? Magst du es nicht kuschelig, Carl?» Ihre Wimpern flatterten. Mit dem «du» hatte sie gemächlich einen rosarot bespitzten Zeigefinger geneigt, um – nicht zufällig – auf seine Leistengegend zu zeigen.

Carl hielt ihrem Blick stand, aber seine Augen verengten sich vor Abneigung. Ob diese echt war oder vorgetäuscht, vermochte Dill nicht zu sagen.

«Du musst deine Talente nicht an mich verschwenden, Candy. Ich bin kein Geldsack.»

Die Herzlichkeit in Candys Augen kühlte um mehr als nur ein paar Grad ab und wurde von Desinteresse ersetzt. Sie wandte sich ab wie eine Katze, deren Spielzeug letztlich verendet war. «Ich werde ihn anrufen», sagte sie, während sie durch einen Terminkalender blätterte. Ein Hauch von Parfüm zog an Dills Gesicht vorbei, als die Seiten umgedreht wurden … War alles in dieser Abteilung parfümiert? Ohne sich umzudrehen, sprach Candy weiter: «Wer ist deine kleine Freundin, Carl?»

«Das ist Dill. Sie …»

«Dillalia!», platzte Dill dazwischen, ohne es zu merken. Carl musterte sie verblüfft – entweder ob ihres Tonfalls oder der Unterbrechung an sich. «Ich … mein Name ist … ist Dillalia. Mein voller Name.» Sie konnte beinahe spüren, wie sich Carls Blick in die Seite ihres Gesichts bohrte. «Aber alle nennen mich Dill.» Aus irgendeinem Grund ließ sie die Bestätigung ihres Spitznamens sich ernüchtert und enttäuscht fühlen.

«Sie wird Gutachterin», beendete Carl, der Dill noch immer voller Verwirrung anstarrte.

«Gutachterin? Ein hübsches Mädchen wie Sie?» Candy hatte sich umgedreht und ihre Augen wurden ganz rund vor Ungläubigkeit. «Dilly, Liebes, was denken Sie sich dabei?» Ohne ihren Blick von Dill zu lösen, rief sie: «Robert, Augustus, kommt mal einen Moment her. Seht euch an, wen Carl diesmal zugrunde zu richten versucht.»

Zwei Männer, gut gekleidet und umwerfend, schlenderten herüber. Einer von ihnen sah sportlich und adrett aus in seiner Stoffhose und einem Pullover mit V-Ausschnitt. Einen zusätzlichen Pullover hatte er sich über die Schultern geworfen und vorne verknotet. Der andere Mann war kräftig, mit einem sorgfältig gestutzten Bart und einem makellosen und offensichtlich frisch gebügelten rot-schwarz karierten Flanellhemd zu neu aussehenden, dunklen Bluejeans. Sie beide schienen Ende zwanzig zu sein, genau wie Candy, aber wer konnte das schon sagen? Sie hatten eine dicke Schicht Grundierung aufgetragen und waren abgepudert, ebenso wie Candy.

«Was ist los, Zuckerschnecke?», fragte Sporty. Candy hob ihre Fingerspitzen an ihre Lippen und kicherte. Sogar ihr Kichern hörte sich wie das Schnurren einer Katze an.

«Das ist Dilly, und ist sie nicht eine Wucht?» Candy deutete mit einem kleinen Nicken zu Dill. «Carl bildet sie im Assessment aus. Mit seinem Ruf; könnt ihr euch das vorstellen?»

Flanell beäugte Dill von oben bis unten, was sie dazu veranlasste, einen Schritt zurückzuweichen. Sie war keinerlei prüfende Blicke gewohnt … Das Handbuch untersagte das ausdrücklich. Der Verkauf musste wohl nach einem völlig anderen Regelwerk spielen.

«Hm, sie ist eine Wucht!», sagte Sporty. Der Blick, mit dem er Dill in die Augen sah, war so intensiv, so fest und fokussiert, dass es ihr beinahe den Atem verschlug. Denny hatte sie niemals so angesehen. Nicht mal während der wenigen Momente, die sie fanden, um einander nackt auszuziehen. «Haben wir uns schon einmal getroffen? Sie kommen mir so bekannt vor.» Er lächelte. Die feinen Linien um seine Augenwinkel sahen aus wie die Schnurrhaare einer Katze. Dill spürte, wie ihr eigener Mund das Lächeln erwidern wollte. Seine Aufmerksamkeit war überwältigend.

Flanell griff nach ihrem Oberarm, was sie noch mehr verwirrte. Nicht anfassen!, schrie ihr panischer Verstand, aber seine Hand war warm, beinahe heiß, als er sie drückte.

«Sie sind zu hübsch, um draußen auf der Straße zu sein, schönes Kind», sagte er, und das tiefe Grollen seiner Stimme jagte ihr einen Schauder der Resonanz die Wirbelsäule entlang. Seine Finger fuhren bis zu ihrem Ellbogen hinab, aber die sinnliche Wirkung wurde von der festen Baumwolle ihres Ärmels gebremst.

«Ja, nur Gesichtsbaracken und alte Leute sollten sich der Gefahr aussetzen», sagte Carl und bellte wieder sein hässliches Lachen, wie um die Aussage zu unterstreichen.

Dill schreckte aus der durch die Männer verursachten Träumerei auf und blinzelte.

Sporty sah Flanell an. Unsicherheit verdunkelte seine schönen Augen, aber Flanell nickte mit selbstsicherer Zustimmung. «Aber ja, natürlich, Carl», sagte er, als ob man darüber nicht sprechen müsse – als ob es schlicht zu offensichtlich sei. «Diejenigen unter uns, die mit guten Genen gesegnet sind, sollten im Verkauf sein. Das gereicht jedem in der Firma zum Vorteil. Und genau so sind die wirklich mutigen Menschen, die geradlinigen, starken, klugen, einfallsreichen – wie Sie – am Nützlichsten im Assessment. Das ist der schwerste Job, den es gibt.» Nun packte Flanell Carls Arm und drückte ihn. Dabei starrte er ihm direkt in die Augen. Der Kontakt war anders als der, den er mit Dill hergestellt hatte, männlicher, ernst. «Wir brauchen euch Jungs da draußen, Carl. Ihr seid die Helden. Ohne euch wären wir nichts.»

Dill hielt den Atem an. So viel Berühren und Starren, so viel Unangemessenheit, und doch so schmeichelhaft. Carl schüttelte Flanell mit einem weiteren Lachen ab.

«Sparen Sie sich das, Robert», sagte er. «Heben Sie sich das für Ihre Kunden auf. Sie wollen nichts von mir. Und hören Sie auf, mich zu betatschen. Dill sollte das nicht sehen müssen; sie hält sich genau an die Vorschriften. Sie wird Sie anzeigen, Robert.»

Flanell-Robert wandte seinen traurigen, verletzten Blick von Carl zu Dill. «Das würden Sie nicht tun, nicht wahr? Nein, ich weiß, das würden Sie nicht.» Er lächelte. «Sie sind eine von uns, Dilly. Sie sind voll und ganz Verkauf.»

Dill spürte, wie es sie vorwärts zog, hypnotisiert, magnetisiert von seinem Tonfall, seinem Bart und seinen männlichen Augen.

Über ihnen und um sie herum heulte eine Sirene auf. Rote Notlampen erwachten zu einem sich schwindelerregend drehenden Leben.

«Fünf Sekunden», blaffte Candy. Jegliche Vortäuschung von Koketterie war aus ihrem knappen Tonfall verschwunden. Sie zog eine Machete aus ihrer Schreibtischschublade. Wie durch Magie erschien eine Pistole in Flanell-Roberts Hand und Sporty hielt plötzlich ein Messer. Ein sehr großes Messer. Dill war schockiert von dem Umfang der Bewaffnung, die sie plötzlich vor Augen hatte. Nachtteams wurden energisch dazu angehalten, keine Waffen jeglicher Art zur Arbeit mitzubringen. «Carl, schaff sie hier raus. Das Tor wird sich schließen. Vier Sekunden.»

Carls Hand legte sich fest auf Dills Bizeps. «Komm schon», sagte er und wandte sich zu einem der Abteilungseingänge. Von der Decke erklang ein mechanisches Ächzen, tiefer als die Alarmsirene, unter deren Ton grollend. Die Vorderkante eines Edelstahltors – ähnlich denen zur Sicherung von Ladenfronten, früher einmal – begann von der Decke herabzusinken.

«Drei Sekunden», sagte Candy. Ihr Gesicht war blass und angespannt. Sie und Robert brachten ihre Rücken aneinander, während der andere Mann, der sportliche, sich mit dem Blick zum herabfallenden Tor stellte. Überall in der Abteilung hatten die Verkaufsteams sich den herabsinkenden Toren gegenüber positioniert.

«Keine Lücke, keine Lücke», sagte Sporty in einem Beinahesingsang. «Bisher sind wir sauber. Das Tor ist beinahe unten. Fast geschafft.»

Carl und Dill verließen die Verkaufsabteilung und das Tor rollte sich hinter ihnen nach unten. Dill sah im letzten Moment zurück. Die roten Lichter blitzen von der Decke, rotierten Übelkeit erregend. Die lässigen, coolen Mitglieder des Verkaufs hatten sich in den vier Sekunden, seit der Alarm begonnen hatte, komplett verändert – sie waren zu scharfsichtigen, ernsten, waffenschwingenden Soldaten geworden. Candy nickte Dill kurz und ernst zu und verschwand dann, als ein zweites Tor – diesmal ein massives – in den Boden zwischen ihnen sank.

«Was ist los?», fragte Dill. Sie musste schreien, um über den Alarm hinweg gehört zu werden.

Carl hatte sie in einen Trab Richtung Kantine gezogen.

«Vielleicht nichts; vielleicht nur eine Übung», sagte er. Er sah zu seiner Hand auf Dills Arm, blinzelte und ließ sie los. «Tut mir leid. Gewohnheit.»

Sie liefen am Empfang vorbei, wo drei attraktive Mädchen in militärischer Haltung standen, Rücken an Rücken und jede Richtung absichernd.

«Ist das eine Übung?», rief Carl, während er und Dill vorbei eilten.

Das Mädchen, das zu ihnen gewandt stand, ließ ihren Blick zu Carl und wieder fort schnellen. «Wir wissen es nicht», sagte sie. Ihre Stimme war mit kontrollierter Angst durchwoben. «Wenn es eine ist, hat man es uns nicht gesagt.»

Carl nahm das nickend zur Kenntnis. Er zog das Tempo an und holte im Laufen seine Waffe aus dem Holster. Dills Magen verknotete sich. Warum hatte sie keine Knarre? Oder wenigstens ein Messer. Sie brauchte ein Messer. Mit einem Mal vermisste sie Carls Hand auf ihrem Arm. Sie hatte festen Trost gespendet, ungeachtet der unangemessenen Berührung.

«Was ist los?», fragte Dill. «Was hat den Alarm ausgelöst?» Nachts war das nie passiert. Sie hatte niemals auch nur davon gehört. Als sie den einen großen Eingang zur Kantine erreichten, hielt Carl an. Er streckte seinen Arm aus, um sie auch zu stoppen. «Carl? Was passiert hier?»

Sein Blick überprüfte die Kantine. Jeder, der beim Essen gewesen war, stand mit dem Blick zum Eingang, sogar Dee. Der untere Rand ihrer Schürze bebte.

«Irgendwas?», rief er in den Raum hinein. Köpfe wurden geschüttelt, aber niemand entspannte sich. Carl drehte sich mit einem finsteren Blick zum Flur, der zu den Treppen führte.

«Carl?», fragte Dill und konnte die Panik nicht aus ihrer Stimme verbannen. Ihr Magen schien sich um sich selbst zu drehen wie eine sich windende Schlange. «Bitte.» Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm. Das zu tun, kam ihr seltsam vor, aber sie wusste nicht, wie sie sonst seine Aufmerksamkeit erregen sollte. Seine Augen fanden ihre.

«Dieser Alarm bedeutet eine Sicherheitslücke im Inneren. Du würdest es nachts nicht hören, weil sie dann normalerweise diese Übung nicht machen – es sind nicht genügend Leute da, damit es sich lohnt, nehme ich an.» Er langte nach oben, drückte ihre Hand, und schenkte ihr ein halbseitiges Grinsen, obwohl seine Augen ernst blieben. «Es ist wahrscheinlich – wahrscheinlich – nur eine Übung. Sie halten die zufällig ab. Aber man kann nicht sicher sein, also muss man bereit sein.» Er musterte Dill, und Besorgnis verdunkelte seine Augen. «Wo ist deine Armbrust?»

Sie blickte nach unten, als ob sie die Waffe an ihrem Körper finden könnte, aber natürlich war sie nicht da. Sie hatte sie im Geländewagen gelassen. Mit offenstehendem Mund sah sie Carl wieder an. Seine Lippen zogen sich zusammen und er schüttelte den Kopf.

«Was zum Teufel, Dill? Das ist Anfängerscheiße», sagte er. «Was denkst du dir eigentlich? Man lässt seine Waffe niemals zurück!»

Die Wut in seiner Stimme ließ Tränen in ihren Augen brennen, aber sie würde sie nicht vergießen.

«Ich bin ein Anfänger!», sagte Dill und schluckte. Die Sirene heulte und heulte, und bohrte sich in ihren Verstand. «Das ist in der Wartung nie passiert! So was muss man einem doch sagen!» Beim Wort «sagen» stampfte sie auf; sie konnte es nicht ändern. Sie führte sich auf, als wäre sie neun – sie fühlte sich wie sechs oder sieben.

«Du wirst hier in der Kantine bleiben müssen. Ich werde dich holen, wenn Entwarnung ist.» Er begann sich abzuwenden, drehte sich dann aber noch einmal um. Seine Lippen zogen sich wieder zusammen. Er beugte sich näher, sodass sie ihn ohne Schreien verstehen konnte. «Du hast recht. Es tut mir leid. Ich hab nicht gut genug aufgepasst. Von jetzt an werde ich das.»

Panisch packte sie ihn am Arm. «Lassen Sie mich mitkommen!»

«Bleib in der Kantine. Geh nach hinten, wo die Ausgänge sind. Scheiß drauf, was irgendjemand zu dir sagt, okay? Bleib hinter den anderen; bleib von jedem weg. Schaff dir einen Reaktionsspielraum, falls irgendwas schief geht.» Er schüttelte den Kopf. Dann lachte er, was sie erschreckte. «Wenn irgendwas schief geht, sind wir alle am Arsch.» Er gab ihr einen leichten Schubs. «Geh!»

Carl drehte sich um und lief mit schussbereiter Waffe die Haupthalle entlang. Ein paar Menschen schlossen sich ihm an, aber sie alle bewahrten eine große Distanz zueinander. Dill wandte sich wieder der Kantine zu. Die Menschen darinnen verhielten sich ähnlich; sie waren in Gruppen von höchstens drei Personen zusammengedrängt und zwischen diesen Gruppen lagen große, leere Flächen. Es sah sowohl zufällig als auch absichtlich aus. Sie warf einen Blick über ihre Schulter, aber Carl war verschwunden. Dill betrat die Kantine.

***

Carl ließ die Reihe ungenutzter Aufzüge hinter sich, bog um eine Ecke und sah sich der unbeschrifteten Tür zum Treppenhaus gegenüber. Sie war aus massivem Stahl, mit einem Rechteck aus Glas und Drahtgeflecht in Augenhöhe. Die Menschen, die ihm durch den Korridor gefolgt waren, hielten an. Er warf einen Blick über seine Schulter. Sie waren mindestens viereinhalb Meter hinter ihm. Gut. Das gab ihnen die Möglichkeit zu reagieren, falls etwas schiefgehen sollte.

Er brachte sein Gesicht an das Glas und überprüfte das Treppenhaus. Er reckte den Hals, um den Treppenlauf hinauf zu spähen, aber nach nur acht Stufen beschrieb die Treppe eine Kehrtwende und verschwand aus seiner Sicht. Zwischen jedem Stockwerk lag eine solche zweiläufige Treppe.

Außer dem schwindelerregenden roten Licht bewegte sich nichts. Carl hörte die Sirene fast schon nicht mehr; er hatte sie ausgeblendet. Er sah wieder nach oben, streckte sich, um durch das kleine Fenster zu blicken, und dann drückte er die Tür auf.

«Sollen wir ihn da alleine reingehen lassen?», erklang es hinter ihm. Während die Tür zu schwang, hörte er: «Er ist vom Assessment. Er weiß sich …» Die Tür schloss sich mit einem leise fauchenden, dumpfen Schlag.

Im Treppenhaus war es etwas leiser als im äußeren Flur und es gab keine pulsierenden roten Lichter. Carl blickte die Treppe hinauf. Keine Bewegung. Er überprüfte die Uhrzeit. Der Alarm war vor vierzig Sekunden losgegangen. Wenn er über eine Minute lang anhielt, dann war das auf gar keinen Fall eine Übung.

Er rannte den ersten Treppenlauf hinauf, dann den zweiten. Dort ging er zur Tür und spähte in den Flur des zweiten Stocks. Nichts sah ungewöhnlich aus. Es gab keine Leichen und keine Schüsse, aber die roten Lichter wirbelten weiter ihr Gefahrensignal vor sich hin. Carl sah nach unten, dann nach oben, und rannte die Stufen zum dritten Stock hinauf.

Forschung und Entwicklung. Wenn es ein Problem gab, dann höchstwahrscheinlich auf dieser Etage.

Er sah durch das Glasrechteck und schob die Tür auf, um von dem langen, leeren Korridor begrüßt zu werden. Die innere Tür scannte sein Auge. Die weißen Wände hatten eine rosafarbene, blutende Schattierung angenommen, und hier war die Sirene wieder laut.

«Aaron!» Carl musste brüllen, um sich über den Lärm hinweg verständlich zu machen. Die Sprachansage funktionierte nicht, solange der Alarm an war. «Aaron, seid ihr Jungs hier oben okay?»

Sie würden alle sicher in ihren Räumen stecken. Sollten sie. Dieses war das gefährlichste Stockwerk, weil sie in der Forschung, wie Aaron immer sagte, mit Zombies spielten, und manchmal war es ein raues Spiel.

«Aaron!», rief Carl wieder. Dann lauschte er. Nichts. Nichts außer diesem langen, rosafleckigen Flur. «Scheiße», brummte er vor sich hin. «Ich komme rein!» Er setzte sich den Gang entlang in Bewegung.

Der Alarm stoppte. Die roten Lichter verlangsamten sich und blinkten schließlich ein letztes Mal.

«Carl. Hier ist Aaron. Wir sind okay.» Seine Stimme klang matt durch das ZE-Listen/Speak-System. «Warte. Ich komme raus.»

Eine Tür etwa auf der Hälfte des Korridors öffnete sich. Ein Mann in einem weißen Overall eilte auf Carl zu. «Hey», rief er mit einem kleinen Winken, «uns geht’s gut. Wir hatten einen kleinen Zwischenfall. Ein unbedeutender Ausbruch.»

«Ein Ausbruch? Gottverdammt, Aaron», sagte Carl und senkte seine Waffe, «was zum Teufel treibt ihr Irren denn hier oben?»

Aaron war noch immer gut zwölf Meter weit weg, verkürzte aber die Distanz. Er lächelte und schüttelte den Kopf. Sein Gesicht verwandelte sich in eine Flut freundlicher Falten, als er lachte. «Ja, einer der Techniker muss es vermasselt haben, als wir …»

Eine Tür zwischen Aaron und Carl flog auf. Ein weiterer Mann, klein und kompakt in seinem weißen Overall, krachte mit der Schulter zuerst in die Wand gegenüber der Tür. Seine Augen hinter seinen dicken Brillengläsern waren geweitet. Er riss seine Hand in Aarons Richtung nach oben und hielt die Handfläche in einer stoppenden Geste nach vorne. Sein Overall war vom Kragen bis zur Leiste rot besudelt und der Fleck breitete sich weiter aus. «Aaron, nein!», schrie der Mann. «Geh wieder in …» Hinter ihm flog die Tür erneut auf, um einen Albtraum auszuspucken.

Ein Zombie, fast zwei Meter groß, stand schwankend im Korridor. Er war nackt. Carls erster, verwirrter Gedanke war, dass er ein Korsett trug, doch dann begriff er, dass das «Korsett» der Reif aus Muskeln und Sehnen seiner Bauchgegend war … Sein Torso war gehäutet worden. Einer seiner Arme war vom Ellbogen abwärts verschwunden und eine grobe metallene Armatur war über den Stumpf geschnallt worden. In den rasierten Kopf gesteckte Drähte pendelten und zitterten hin und her. Die Schmutz/Kaffeesatz-Substanz war getrocknet und hatte sich um das Ende jedes Drahtes verkrustet. Seine Augen wurden von Metallfedern offen gehalten und seine Ohren waren entfernt worden. Als er stöhnte, sträubten sich die Haare auf Carls Armen. Der Zombie baute sich schwankend über dem kleinen Mann auf, der sich mit den Händen über dem Kopf niederkauerte. Aaron war stehen geblieben und beobachtete die Szene mit offenem Mund.

«Aaron! Beweg dich!», rief Carl durch den Flur. Er konnte den Zombie nicht sicher anvisieren, solange Aaron hinter ihm stand wie ein benommenes Lamm. «Runter! Runter mit dir, Aaron! Auf die Knie!»

Aaron ließ sich fallen. Carl schoss. Ein Loch erschien im Kopf des Zombies, und dann prasselten Knochen, Gehirn, Drähte und dunkle Körnchen gegen die Wand wie ein Sprühnebel moderner Kunst. Der Zombie kollabierte, als sei er ein Elektrogerät, dessen Stecker gezogen wurde. Neben ihm zitterte und winselte der kleine Mann in seiner weißen Hülle. Seine Hände waren noch immer über seinem Kopf. Seine Brille war auf den Teppichboden des Flurs gefallen. Sie war nicht zerbrochen.

Carl kam näher. «Kopf nach oben, Kumpel», sagte er zu dem zitternden Mann im Laborkittel. Seine Stimme war neutral, seine Züge ruhig aber wachsam, und seine Waffe hielt er unauffällig außer Sichtweite neben seinem Oberschenkel. Zu seinen Füßen teilten sich die Hände des bebenden Mannes. Er sah zu Carl auf. Perlengleiche Tränen rannen aus seinen Augen und hinterließen funkelnde Spuren. Ohne die dicke Brille wirkte sein Gesicht nackt. Die Färbung seiner Regenbogenhaut hatte schon begonnen, zu dem ausgewaschenen Grau der Untoten zu verblassen.

Der Mann sagte, «Hey. Hey, nicht …»

Carl erschoss ihn.

***

«Was ist passiert?», fragte Carl an Aaron gewandt, der sich über den kleinen Mann gebeugt hatte. Carls Tonfall war noch immer ruhig, kontrolliert. Er hatte seine Waffe nicht ins Holster gesteckt.

«Du hast ihn erschossen.» Aaron sah Carl mit umnebelten, angstgefüllten Augen an. «Du hast auf Randy geschossen. Du hast ihn erschossen.»

«Was ist passiert, Aaron? Warum hast du den Alarm abgestellt, obwohl dieser Zombie noch immer mobil war?»

Aaron schluckte und blickte nach unten. Seine Hände flatterten über Randy herum, als ob er den Techniker wieder von den Toten herbeizaubern könnte. «Matilda!», sagte er mit Nachdruck. «Matilda!»

Der in der Decke versteckte Lautsprecher des ZE-Listen/Speak-Systems summte kurz. «Ja, Aaron? Wie kann ich Ihnen helfen?» Die Stimme war weiblich, jedoch nur dem Anschein nach, nur aufgrund der Tonhöhe. Es war eine Reihe von Lauten, die Worte nachbildeten, und während diese Worte aneinandergereiht wurden, verschliffen sie geringfügig. Der Tonfall war zufällig und bisweilen zum Verrücktwerden. Würde die Tonhöhe verringert, klänge die Stimme maskulin. Carl hatte keine Ahnung von der Psychologie hinter dieser künstlichen Intelligenz; er wusste nur, dass irgendetwas im menschlichen Gehirn sie ablehnte. Zumindest war das bei ihm der Fall.

«Matilda, wir brauchen eine Bahre für Randy. Kontaktiere Dr. Patel. Kontaktiere Dr. Morris. Wir treffen uns in …»

«Aaron», unterbrach ihn Carl. Es schien, als brummte der Lautsprecher über ihm mit Missbilligung. «Du brauchst keine Ärzte; er ist tot. Tot-tot. Er steht nicht wieder auf. Ich hab ihm die Kugeln direkt ins Gehirn gejagt.»

Aaron sah Carl an. Sein Mund arbeitete. «Ich … ich weiß. Das weiß ich, Carl.» Er schluckte. «Sie sind seine Freunde. Sie werden … werden helfen wollen. Wir sind alle … wir sind alle Freunde hier oben.»

«Okay. Okay, tut mir leid», sagte Carl und lehnte sich gegen die Flurwand. Er steckte seine Waffe ins Holster und rieb sich mit der Hand über das Gesicht. «Es tut mir leid, Kumpel. Nur zu.»

Zwei Techniker in weißen Overalls waren schon mit einer Bahre aufgetaucht, und Aaron half ihnen nun, Randy darauf zu legen. «Bringt ihn nach C», sagte Aaron. «Patel und Morris sollten schon dort sein. Sagt ihnen …» Aarons Blick streifte Carl, «… sagt ihnen, ich bin gleich da.»

Die Techniker nickten und schoben die abgedeckte Bahre durch den langen Korridor weg.

«Matilda», sagte Aaron, «wir brauchen einen Cleaner und die Bleiche.»

Ein Paneel klappte auf und etwas, das wie ein altmodischer Feuerlöscher aussah, kam zum Vorschein. Aaron zog es aus der Wand. Seine Bewegungen waren langsam und verzweifelt. Er richtete die Sprühdüse auf die Stelle, an der Randys Leiche gelegen hatte, und betätigte den Druckhebel. Grüner Schaum schoss in einem flachen Strahl heraus. Aaron bedeckte methodisch die Blutflecken am Boden und an der Wand und achtete darauf, nicht zu nah zum Zombie hin zu sprühen. Der Schaum knisterte und fauchte, als er zu fressen begann.

«Das hätte der Cleaner getan», sagte Carl. Seine Stimme verhärtete sich wieder. Etwas erschien ihm merkwürdig, ungewöhnlich.

Frustriert drehte Aaron sich zu Carl um. Sein Blick war noch immer schockiert und traurig. Er sah aus, als stünde er am Rand der Tränen. «Er war unser Freund, Carl. Wir hier oben kümmern uns um einander. Ich will nicht, dass seine DNA mit der des Zombies vermischt wird, okay? Ist das Grund genug für dich?» Sein Gesicht war nur Zentimeter von Carls entfernt, während er brüllte. «Wir sind nicht wie das Assessment mit seiner beschissenen Einzelkämpfermentalität. Wir helfen einander. Wir interessieren uns dafür, was mit unseren Arbeitskollegen passiert. Okay? Ist das Okay für dich?»

Carl legte seine Fingerspitzen auf Aarons Brust und schob ihn sanft aber bestimmt von sich weg. Aaron trat zurück und sein Blick senkte sich.

«Es tut mir leid, Carl. Ich bin nur … du weißt schon.» Er deutete hinter sich. «Randy war ein guter Techniker und ein guter Freund. Ein netter Kerl», sagte er und sah wieder auf. «Sogar du hättest ihn gemocht.»

«Vielleicht», sagte Carl. Ein Anflug von Zorn und Scham hatte seine Züge gefärbt, als Aaron geschrien hatte. Der Einzelkämpfer hatte ihn ein bisschen zu heftig getroffen, besonders im Hinblick auf seine letzten beiden Praktikanten. Jetzt allerdings kehrte seine Gleichmut zurück wie ein Schild. «Wenigstens hatte der Kerl nur einen Tod und bekommt die volle Auszahlung. Keine Sorgen für seine Familie, falls er eine hatte …», Carl musterte den Zombie einmal mehr, «… aber für mich gibt das einen riesigen Haufen Papierkram.»

Erneute Wut flackerte in Aarons Augen auf und erlosch sofort wieder. Seine Schultern sackten ein und er sank gegen die Wand zurück. «Großer Gott, Carl», flüsterte er.

Ein Cleaner trat durch die Tür zum Treppenhaus. Er öffnete gegenüberliegende Doppeltüren und schob eine Maschine heraus, die etwa die Größe eines früheren Zimmermädchenwagens besaß. Dieser Cleaner trug den weißen Schutzanzug, der ihn von Kopf bis Fuß bedeckte und seine Züge und Identität komplett verschleierte, aber nicht den schwarzen Anzug oder den Hut, sondern stattdessen den gräulichen Overall der Hausmeister. Die meisten Straßencleaner kamen aus der Wartung. Der Cleaner oder die Cleanerin nickte stumm, als Aaron auf die metallene Prothese am Arm des Zombies deutete und ihm oder ihr Anweisungen gab, die Carl nicht hören konnte.

«Lass uns von hier verschwinden», sagte Aaron. «Ich will das jetzt nicht sehen. Ich mache Pause.»

Carl nickte und folgte Aaron durch den Ausgang, blickte aber zurück, ehe die Tür sich schließen konnte. Er blockierte sie mit seinem Fuß.

Der Cleaner legte einen Schalter an der großen Maschine um, wodurch sie brummend zum Leben erwachte. Er holte eine Stichsäge hervor und drehte sich zum Zombie um.

Der Zombie war Carl zugewandt, seine Augen mit weißer Linsentrübung überzogen. Aus den noch immer fest an seinem rasierten Kopf sitzenden Elektroden ragten farbenfrohe Drähte – ein gruseliger Häuptlingskopfschmuck. Als der Cleaner sich an die Aufgabe machte, den Arm des Zombies von seiner Schulter zu sägen, ruckte und zuckte der Kopf des Zombies und die Kabel wogten fröhlich hin und her. Eine der Augenklammern rutschte heraus und das Auge schloss sich zu einem unzüchtigen Zwinkern.

Carl ließ die Tür zufallen.

***

Dill stand direkt vor der Kantine. Ihre Armbrust hing vergessen in ihrer Hand. Ihr Gesicht war vor Sorge angespannt. Als Carl vom Treppenhausflur her in Sicht kam, machte sie ein paar stolpernde Schritte auf ihn zu. Sie stieß den Atem aus und zeigte ein Lächeln.

«Was ist passiert?», rief sie gerade in dem Moment, als Carl sagte: «Wann hast du deine Armbrust geholt? Ich hab dir gesagt, du sollst hinten in der Kantine bleiben.»

Dills Lächeln verblasste. Sie warf einen Blick auf ihre Waffe, als sei sie überrascht, sie zu sehen. «Nach … nachdem der Alarm aufgehört hat», sagte sie mit einem Achselzucken. «Es war Entwarnung – oder?»

Carl schüttelte den Kopf und lief an ihr vorbei. Der Mann, der ihm folgte, schenkte ihr einen mitfühlenden Blick und bedeutete ihr, mitzukommen. Sie schloss sich ihm an, während Carl resolut vorwärts stapfte.

«Sie sind Dillalia, richtig? Carls neue Praktikantin? Ich bin Aaron. Wir haben miteinander gesprochen, kurz bevor der Alarm losging. Als ihr beide bei F&E wart.» Er zog einen Stuhl an dem runden Tisch, an den Carl sich gesetzt hatte, für sie vor. Verärgerung ob dieser Geste huschte über Carls Gesicht.

«Oh, ja, ich erinnere mich», sagte Dill. «Sie haben Matilda verflucht.»

Obwohl Aaron und Carl wahrscheinlich ungefähr im selben Alter waren, bildete Carls raues, verwittertes Äußeres einen starken Kontrast zu Aarons sanftem, blassem, beinahe kantenlosem Gesicht. Er erinnerte eher an Dills und nachfolgende Generationen. Die meisten von denen sahen die Sonne nie für längere Zeit. Abgesehen davon, dass es gefährlich war, gab es draußen einfach nichts zu tun.

«Stimmt, das hab ich. Diese Stimme ist …» Aaron schüttelte den Kopf und schauderte. Sein kleines Lächeln zerbröckelte. Einen abgelenkten Moment lang starrte er die Tischplatte an. Dann schüttelte er seinen Gedanken ab und lächelte Dill wieder an. «Tja, also, wie gefällt es Ihnen bisher? Kommen Sie gut zurecht? Aus welcher Abteilung kommen Sie?»

Dill beantwortete die Frage, während ihr Blick zu Carl schoss, der sie von gegenüber finster ansah. «Ich war in der Wartung. Nachtschicht.»

«Ah. Dann kennen Sie dieses Gebäude gut, nicht wahr?»

«Was meinen Sie?»

«Ach, nur dass Sie beinahe jede Abteilung zu sehen bekommen; die meisten Menschen sehen nur ihre eigenen Schreibtische! Die Wartung erfüllt die Aufgaben, die jedem anderen erlauben, seinen kleinen, speziellen Job zu erledigen. Sie sind das Rückgrat der Firma. Ihre Lebensader.» Aarons Tonfall war bewundernd.

Dill lächelte unsicher. «Wahrscheinlich, ja.»

«Ja», schnaubte Carl. «Die Müllleute sind eine seltene und edle Rasse. Wie wär's, wenn du uns Kaffee holst, da du ja unsere oh-so-wichtige Lebensaderbist?»

Ein tiefes, beschämtes Rot überzog Dills Gesicht. Sie schob ihren Stuhl zurück, ohne die Männer anzusehen, und legte ihre Armbrust auf den Tisch.

«Nimm sie mit», sagte Carl und schlug zum Nachdruck auf den Tisch. «Lerne, Dill. Versuch wenigstens, nebenbei auch mal was zu lernen.»

Sobald sie sicher entfernt in der Schlange stand, wandte sich Aaron Carl zu. «Warum warst du so gemein zu ihr? Was ist in dich gefahren?»

«In mich gefahren? Nichts! Sie muss eben etwas lernen, das ist alles», sagte Carl. Er verschränkte die Arme über der Brust und stieß genervt die Luft aus. «Ach, Scheiße.»

«Was?»

Carl warf einen Blick zurück, um zu sehen, wo in der Schlange Dill stand. Sie hatte ihre Armbrust über die Schulter gehängt und sprach mit dem jungen Mann hinter sich. Anscheinend hatte sie sich gefasst. Carl drehte sich wieder um und schüttelte den Kopf.

«Was, Carl?», fragte Aaron. «Machst du dir Sorgen um deine Ausbilderquote?»

«Nein, Grundgütiger. Sie werden mich nicht abservieren, weil ich die letzten beiden verloren habe.»

«Allerdings zwei hintereinander.»

«Na und? Dann waren es eben zwei hintereinander. Und weiter?», fragte Carl. «Es kommt nur auf die Zahlen an, nicht die Reihenfolge. Ich hab keinen hohen Verlust, wenn du alles zusammenrechnest. Besonders nicht fürs Assessment!»

«Assessment ist hart. Sehr gefährlich», stimmte Aaron zu. «Also, warum dann? Warum reagierst du so heftig auf sie?» Ein Gedanke zeichnete sich hinter seinen Zügen ab und er beugte sich näher zu Carl und senkte die Stimme. «Glaubst du, sie ist vom Mitarbeiterassessment? Man hört so viele Gerüchte.»

Carl zuckte mit den Schultern. «Eine Weile dachte ich das. Sie wirkte ziemlich eigenständig da draußen im Einsatz. Für ein kleines Weilchen jedenfalls, aber dann ist sie zusammengebrochen. Bekam es mit der Angst zu tun.» Er verstummte für einen Moment, dann sah er Aaron an. «Sie hat einen Zombie getötet, mit dem die Wrangler Probleme hatten.»

«Was?», fragte Aaron. «Machst du Witze?»

Carl schüttelte den Kopf und lachte. «Ich verarsch dich nicht, Mann. Das Ding stolperte rum und warf sich hin und her, und es hat einen von ihnen zu fassen bekommen – keine große Sache, die Wrangler hatten die Situation ganz klar im Griff –, aber dann tauchte sie auf und machte den Penner mit einem Bolzen platt!»

«Mit einem Bolzen?» Aarons Erstaunen hatte sich zu unverblümter Ungläubigkeit gesteigert.

«Ja, Kumpel, das sag ich doch.» Carl lachte wieder. «Beinahe hätte sie auch die Wrangler erledigt.»

Aaron lachte mit einer Hand über dem Mund und bebenden Schultern. «Oh, Gott … Wie haben sie darauf reagiert? Haben sie versucht, sie umzubringen?»

«Nein. Das war das Beste», sagte Carl. «Sie haben das arme Mädchen hochgehievt, haben sie mit Zuwendung überhäuft und ihr unverbrüchliche Treue geschworen. Sie sind eben einfach wie verdammt große Hunde, wenn du verstehst?» Er wischte sich über die Augen. «Das war vielleicht ein Anblick.»

«Ich kann mir das nicht mal ansatzweise vorstellen», sagte Aaron, während er sich wieder beruhigte. «Aber dann … Warum?»

«Warum was?», fragte Carl und schaute dorthin, wo Dill gerade ihren Arm unter das Lesegerät hielt, um die Kaffees abrechnen zu lassen. Ein Stich von Schuld überkam ihn – er wusste, dass sie wahrscheinlich nicht genug Geld hatte, um das zu bezahlen. Er würde morgen ihr Mittagessen übernehmen.

«Warum gehst du so hart mit ihr um?», fragte Aaron. Er hatte sich komplett beruhigt und in seinem Tonfall lag echte Neugier.

Carl zuckte mit den Schultern. «Ich denke, ich will einfach nicht, dass ihr was passiert, und als ich hörte, dass sie ganz alleine in die Garage gegangen war … wurde ich sauer. Und jetzt kein Wort mehr darüber; da kommt sie.»

Carl konnte Aarons Blick auf sich spüren, während Dill die Kaffeetassen auf den Tisch stellte.

«Also», sagte sie in die Stille hinein, «was ist passiert? War es nur eine Übung?»

«Nein, keine Übung», sagte Carl. «Deswegen hättest du auch nicht in die Garage gehen sollen, bevor du wusstest, was vor sich ging.» Er sprach in seine Kaffeetasse hinein. «Die Garage ist gefährlich. Zu dunkel und zu beengt.»

Dieses Mal wies Dill ihn nicht darauf hin, dass der Alarm geendet hatte, bevorsie den Ausflug zur Garage machte; sie nickte lediglich, doch ihr vorheriger Protest ließ Carl sich an die Entwarnung erinnern. Er wandte sich an Aaron, der gemächlich in seinem Kaffee rührte.

«Warum hat der Alarm aufgehört? Hast du ihn ausgeschaltet?»

Ohne aufzusehen, zog Aaron die Augenbrauen nach oben. Seine Hand zögerte kurz und rührte dann weiter. «Ich fürchte, das hab ich. Ich dachte, wir hätten es unter Kontrolle.» Er verzog das Gesicht. «Ich weiß, dass du das in deinen Bericht schreiben musst, Carl, aber ich glaube nicht, dass es irgendetwas geänderte hätte, wenn der Alarm weitergebrüllt hätte. Randy wäre trotzdem gebissen worden.»

«Was ist passiert?», fragte Carl. «Wie hat das Ding sich befreit?»

«Ich weiß es wirklich nicht; ich war nicht dabei. Natürlich werde ich anfangen das zu hinterfragen, sobald ich wieder in der Forschungsabteilung bin, aber fürs Erste werde ich hier sitzen und Kaffee trinken. Ich bin völlig mit den Nerven runter …» Aaron fröstelte leicht, «… und ich will die Reinigung nicht mit ansehen.»

«Willst du mir erzählen, dass du zart besaitet bist? Komm schon, Aaron», sagte Carl und lächelte. «Ihr Jungs seht und tut diese Dinge doch die ganze Zeit, wenn man Z.A.M.S. Glauben schenken darf.»

«Ach, diese Leute. Die sind der Fluch meiner Existenz», sagte Aaron. «Ich würde gerne mal ein paar von denen auf unsere Etage bekommen.»

Carl und Aaron lachten, aber Dill starrte nur in ihre noch immer volle Kaffeetasse.

ZOMBIE INC.

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