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Kapitel 3

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»Na huch, immer schön langsam«, lächelte Christian und hielt Anna, die blind für sein Erscheinen um die Ecke geschossen kam, an beiden Armen von sich.

»Oh, entschuldigen Sie, Dr. Marx.«

»Nichts passiert. Stress?«, fragte er immer noch lächelnd.

Der Tag hatte es wirklich in sich. Nichts lief nach Plan. Zuerst waren es nur zwei erkrankte Patienten, die von der Nachtschicht gemeldet worden waren. Sie klagten über grippeähnliche Symptome. Nichts Alarmierendes. Nur war inzwischen ein zweites Krankenzimmer betroffen. Man musste nun aufpassen, dass sich der Infekt nicht noch weiter ausbreitete. Vor allem die frisch operierten Patienten mussten von den Erregern ferngehalten werden, was einiges an Organisation nach sich zog. Zwei Krankenschwestern waren bereits nach Hause geschickt worden. Jeder, der auch nur die kleinsten Anzeichen einer Erkältung zeigte, musste gehen.

Anna brachte Christian kurz auf den neuesten Stand, auch wenn das eigentlich Claudias Aufgabe gewesen wäre. Sie hoffte, keine Kompetenzen zu überschreiten, aber für solche Kleinigkeiten hatten sie nun wirklich keine Zeit, befand sie.

Christian machte nun auch kein ganz so fröhliches Gesicht mehr, ließ alles kurz auf sich wirken, und plötzlich war es Anna, als ginge ein Ruck durch den Mann.

»Gut. Wo ist Schwester Claudia?«

»Sie versucht noch einige Kräfte aus anderen Stationen aufzutreiben und wollte dann einen neuen Belegungsplan machen.«

»Sehr gut. Ich muss in einer Stunde in den OP, werde mir aber erst einmal die Erkrankten anschauen. Haben Sie Zeit, mich zu begleiten?«

»Ich müsste die Oberschwester …«

Claudia bog gerade um die Ecke und wäre Christian ebenfalls fast in die Arme gelaufen. Sie wirkte, obwohl sie sich schneller bewegte als gewöhnlich, genauso ruhig wie eh und je. Anna bewunderte sie immer mehr und war sich sicher, mit ihr die nächsten Jahre sehr gut zusammen arbeiten zu können.

»Dr. Marx.«

»Guten Morgen, Schwester Claudia. Na, hier ist ja mal wieder ordentlich was los.« Christian lächelte.

»Ach was«, winkte Claudia ab. »Das haben wir schnell unter Kontrolle, wenn wir die Erkrankten isolieren.«

»Ich werde mir diese gleich mal ansehen und leihe mir Schwester Anna kurz dafür aus, wenn Sie einverstanden sind.«

»Sicher. Aber ich hätte sie dann gern zurück«, grinste Claudia und war schon wieder verschwunden.

»Dann wollen wir mal«, befand Christian und setzte sich gefolgt von Anna in Bewegung.

Sie führte ihn ins erste Krankenzimmer, in dem vier Patienten untergebracht waren. Nacheinander untersuchte Christian sie, hörte Lungen ab, ließ sich von Anna Vitalwerte und Temperatur nennen und entschied schließlich, dass man zur Sicherheit noch einige Bluttests machen sollte. Während Anna allen Blut abnahm, machte sich Christian auf ins nächste Zimmer, in dem weitere fünf Patienten auf eine Untersuchung warteten.

Er war vor Anna im Schwesternzimmer und nahm sich einen Kaffee, setzte sich an den Tisch und wartete. Schwester Claudia kam zu ihm.

»Was meinen Sie?«, fragte sie, während auch sie sich mit einer Tasse bewaffnet neben ihm niederließ.

»Momentan halte ich es für einen einfachen grippalen Infekt. Wir müssen nur darauf achten, dass es sich nicht noch weiter ausbreitet. Gibt es weitere Fälle?«

»Ja, aber es ist ein Privatpatient in einem Einzelzimmer.«

»Dann schicken Sie doch Schwester Anna nachher auch zu ihm. Sie soll allen Blut abnehmen … Nur zur Sicherheit.«

»Wird gemacht, Herr Doktor. Wir haben hier alles im Griff, Sie können sich gern für Ihre OP vorbereiten.«

Wie nebenbei sah Christian auf seine Uhr, nahm noch einen letzten Schluck Kaffee und stand schließlich auf. »Sie kennen meinen Dienstplan besser als ich.«

»Das ist mein Job«, lächelte Claudia, erhob sich ebenfalls und ging Richtung Tür, um diese Christian aufzuhalten. »Wir geben Ihnen Bescheid, wenn die Blutergebnisse da sind.«

»Dann bis später und bleiben Sie mir schön gesund.« Schnellen Schrittes wandte sich Christian zu den Fahrstühlen. Claudia sah ihm nach und dachte nicht zum ersten Mal, wie froh sie war, so einen Chef zu haben. Er war nicht nur ein fantastischer Arzt, sondern auch eine wahre Führungspersönlichkeit. Er vertraute ihr, sah ihr nicht wegen jeder Kleinigkeit über die Schulter und lobte sie, wenn sie es verdiente. Nach all den Jahren als Krankenschwester wusste sie, wie wenig selbstverständlich das war.

In diesem Moment verließ Anna eines der Krankenzimmer, im Arm die Blutproben der Erkrankten. Claudia nahm ihr das Tablett ab und schickte die Schwester ins Einzelzimmer, um auch hier noch ein Röhrchen voll zu machen. Sie selbst ging zurück ins Schwesternzimmer und rief im Labor an, die jemanden schicken sollten, um die Proben abzuholen. Anna war vor dem Mitarbeiter des Labors da, Claudia gab die entsprechenden Anweisungen und nahm dem jungen Mann mit ihrer gewohnten Autorität das Versprechen ab, spätestens bis zum Mittag die Ergebnisse vorliegen zu haben.

»Was ist als Nächstes zu tun?«, fragte Anna, die durch die ganze Hektik am Morgen voller Tatendrang steckte.

»Wenn wir alle Patienten mit Infektion isoliert haben, sollten wir das Frühstück verteilen. Wir sind schon ganz schön spät dran.«

Beide versuchten sie nun mit all den anderen Kollegen, alles wieder in geregelten Bahnen laufen zu lassen, und es fiel ihnen erstaunlich leicht. Die Patienten, die natürlich mitbekommen hatten, dass irgendetwas nicht stimmte, schienen wegen so einer Erkältungswelle nicht beunruhigt zu sein. Und dazu gab es auch keinen Grund, wie Schwester Claudia jedem bestätigte. Nur um Frau Scharschmidt machte sich Anna Sorgen. Bei der Wundversorgung hatte die ältere Dame einige Male gehustet, erklärte aber immer wieder, dass sie sich nur verschluckt hatte.

»Wir sollten sie isolieren, aber wir können sie nicht in eines der betroffenen Zimmer legen. Falls sie wirklich gesund ist, würde sie sich dann anstecken. Falls sie aber krank ist, steckt sie Frau Adam an und …«

»Anna, nun beruhigen Sie sich doch. Wir werden uns was überlegen. Kommen Sie, wir trinken einen Kaffee und schauen uns die Zimmerbelegung noch einmal an.«

Und schnell hatten sie auch dieses Problem gelöst. Frau Adam wurde in ein Dreibettzimmer geschoben. Sie zeigte keinerlei Anzeichen einer Erkrankung. Das Risiko, dass auch sie das Virus in sich hatte, mussten sie nun eingehen. Frau Scharschmidt blieb allein im Zimmer, worüber sie sich beschwerte, wann immer eine Schwester oder ein Pfleger in ihre Nähe kam. Sie war eine nette Dame und jeder mochte sie. Alle machten sich Sorgen, denn sie litt immer noch an ihrem ›Verschlucken‹ vom Vormittag. Und alle wollten ihr etwas Gutes tun. Am Nachmittag aber kamen ihre Söhne samt Familien und schon war sie ganz froh, nun ein eigenes Zimmer zu haben, in dem sie mit ihren Lieben allein sein konnte.

Erschöpft ließ sich Anna im Schwesternzimmer auf den nächstbesten Stuhl fallen. Sie war nicht zum Verschnaufen gekommen. Und auch nicht zum Essen, wie ihr knurrender Magen ihr nun deutlich machte. In diesem Moment öffnete sich die Tür und Christian betrat das Zimmer. Er sah müde aus. Und offensichtlich war er es auch, denn auch er ließ sich auf einen Stuhl fallen und stöhnte. Kurz schloss er sogar die Augen.

»Anstrengender Tag?«, fragte Anna.

Christian öffnete die Augen und sah sie an, als würde er sich ihrer Gegenwart erst jetzt gewahr werden. »Ja, sehr. Und ich bin am Verhungern.« Er stand auf und tigerte im Zimmer auf und ab.

»Hier werden Sie nichts finden. Gäbe es was Essbares, würde ich mit allen Mitteln darum kämpfen.« Anna grinste, auch wenn sie es nur halb ernst meinte. Sie musste schnell was zwischen die Zähne bekommen.

»Sie haben wohl auch noch nichts gegessen?«

»Es war einfach so hektisch, da bin ich nicht dazu gekommen.«

»Haben Sie denn hier jetzt alles unter Kontrolle.«

»Ja, es hat etwas gedauert, aber nun …«

Claudia kam ebenso abgekämpft wie die anderen beiden in den Raum. »Ach, Doktor Marx, gut, dass Sie hier sind.«

»Haben Sie schon die Ergebnisse aus dem Labor?«

»Gerade bekommen.« Sie wirbelte mit einer Akte herum. »Es ist alles bestens. Nur ein Infekt. Nichts, worüber man sich Sorgen machen muss.«

»Sehr gut. Und danke auch für die gute Arbeit heute. Das haben Sie beide sehr gut gelöst. Und jetzt muss ich was essen. Schnell.«

Claudia schlug vor, dass er Anna mit in die Cafeteria nimmt. Sie selbst hatte schon gegessen und konnte im Moment gut auf ihre Kollegin verzichten. Christian zögerte, nur einen kurzen Moment, für Anna aber lang genug, um zu erwidern: »Gehen Sie nur allein. Ich halte es schon noch eine Weile aus und würde dann erst einmal die Laborwerte in die Krankenakten eintragen.«

»Seien Sie nicht albern. Kommen Sie schon. Wir gehen jetzt was essen. Schwester Claudia, Sie bekommen sie bald zurück.«

Diese winkte nur ab. »Ach, zwingen Sie sie ruhig zu einer ordentlichen Pause. Sie soll sich ja nicht gleich verausgaben. Bis später.«

Schnell wandten sich beide Richtung Cafeteria. Während Anna sich überlegte, wonach ihr jetzt am meisten war und sich letztlich für viel egal von was entschied, grübelte Christian über die unerwartete Nähe nach. Was sollte er mit ihr reden? Die Cafeteria war ja nun doch etwas anderes als die unpersönliche, professionelle Atmosphäre des Schwesternzimmers. Hier war es leicht über die Arbeit zu sprechen, distanziert zu bleiben, ihren Augen auszuweichen … Er spürte sein Herz schlagen. Stärker als ihm lieb war.

Doch seine Nervosität war unbegründet. Durch ihre lockere Art brachte Anna, beladen mit einem Teller voller Kartoffelbrei mit Hackbraten, das Gespräch ganz unverkrampft in Gang. Sie plauderte von ihrer alten Arbeitsstelle, von ihrem Traum, hier irgendwann einmal arbeiten zu können, davon wie sie immer sehnsüchtig an dem schönen Gebäude vorbei gefahren ist. Sie schwärmte von dem guten Ruf, die die Einrichtung überall genoss, von den tollen Ärzten … Sie schaute Christian an. Ja, auch er zählte dazu. Sie arbeitete noch nicht lange mit ihm, aber das, was sie bislang von ihm gesehen hatte, begeisterte sie. Und sie schämte sich nicht, ihm das auch zu sagen. Hier, inmitten all der Gerüche, der Gespräche fremder Menschen, zum Teil sogar mit vollem Mund. Christian musste lachen. »Ich meine das ganz ernst, Herr Doktor«, bekräftigte Anna, nachdem sie den letzten Bissen hinunter geschluckt hatte. »Ich habe schon mit so vielen, so verschiedenen Ärzten zusammen gearbeitet. Und ich erkenne einen guten, wenn ich ihn vor mir habe.«

Sie lächelte und Christian fand, sie wirkte in diesem Moment eher wie eine Lernschwester. Auch er lächelte, empfand das Kompliment nicht als die übliche Schmeichelei, sondern spürte, wie ernst es gemeint war. Er sah ihr in die Augen und fühlte sich sofort wieder gefangen in dem Blau. Schnell senkte er den Blick. Sein Herz hatte für einen Moment ausgesetzt. Dem folgte ein tiefer Atemzug, ein Luftschnappen … Er erinnerte sich an diese Begegnung, die dies schon einmal hervorgerufen hatte und er schüttelte den Kopf. Nur ganz leicht, für Anna – hoffentlich – nicht wahrnehmbar. Wie um sich selbst zur Ordnung zu rufen.

Sie hatten inzwischen aufgegessen, Anna hatte ihm so viel von ihren früheren Wirkungsorten erzählt. Selbst in Afrika hatte sie ein halbes Jahr verbracht, war dort den ›Ärzten ohne Grenzen‹ gefolgt und zur Hand gegangen. Sie machte ihrem Beruf wirklich alle Ehre. Und so gern hätte er berichtet, dass auch er einer dieser Menschen war, die sich für andere aufopferten und einem guten Zweck Willen ihren gewohnten Wohlstand verließen. Doch wäre das gelogen gewesen. Sein jetziger Wirkungsbereich musste genügen, ihr zu gefallen … Abermals vertrieb er den Gedanken mit einem Schütteln seines Kopfes. Er musste ihr nicht gefallen. Sie durfte ihm nicht gefallen. Schnell stand er auf. »Wollen Sie auch noch einen Espresso?«

Anna nickte nur, etwas verwirrt von der plötzlichen Unruhe, die in Christian gefahren war. Von seiner Distanz, die ihr entgegen schlug. So unvermittelt. Er bewegte sich zielstrebig durch den Raum. Und sie ertappte sich dabei, wie sie ihm auf den Hintern sah und anerkennend eine Augenbraue hob. Er sah wirklich gut aus. So insgesamt. Männer seines Alters wiesen dieses Phänomen ja oft auf. Dass sie immer attraktiver wurden. Und faszinierend war er auch. Er konnte sich artikulieren, strahlte dabei eine Bescheidenheit aus, die man selten sah. Sie spürte Akzeptanz und Respekt, als sie ihm von ihren beruflichen Träumen und von ihrer Vergangenheit erzählt hatte. Die Fragen, die er ihr stellte, waren mehr als Höflichkeit. Er interessierte sich wirklich.

Nun kam er mit einem Tablett beladen mit zwei Kaffeetäschen, zwei Gläsern Wasser und einem Minimilchkännchen an ihren Tisch zurück. Einen tollen Gang hatte er auch noch. So aufrecht. Ob das seinem Beruf geschuldet war? Er sah sportlich aus. Ob sie ihn danach fragen konnte, oder war das dann doch zu privat? Sie entschied sich dagegen, bedankte sich artig für die Getränke und schnupperte an ihrem Espresso.

»Ich liebe Kaffee …« Anna rümpfte etwas die Nase.

»... aber dieser hier ist wirklich eine Katastrophe«, beendete Christian ihren Satz und lachte.

Anna nippte an ihrem Getränk und beschränkte sich auf ein »Ja«. Dann lachte auch sie.

»Und, Schwester Anna, werden Sie bei uns bleiben oder wird es Sie nach der Probezeit wieder woanders hinziehen.«

Anna war überrascht. Warum diese Frage? »Nun ja, ist das nicht eher die Entscheidung der Klinikverwaltung als meine?«

»Nicht ganz«, entgegnete Christian. »Schließlich haben ja auch wir als Arbeitgeber eine Probezeit bei Ihnen.« Und nach einer kurzen Pause, in der er seinen Espresso leerte: »Ich würde mich jedenfalls freuen, wenn Sie uns erhalten bleiben.« Und schon erhob er sich, schaute noch einmal auf seine Uhr und erklärte: »Ich muss noch ein bisschen operieren. Vielleicht sehen wir uns später noch, ansonsten einen schönen Feierabend.«

»Ihnen auch, Doktor Marx.«

Anna fühlte sich komisch, als sie Christian zu allen Seiten grüßend die Cafeteria verlassen sah. Sie glaubte vorhin noch, einen guten Draht zu ihm gefunden zu haben, doch plötzlich war es so distanziert zwischen ihnen, dass ihr nun ganz unwohl war. Vielleicht lag es auch an dem Kaffee. Sie verzichtete auf den letzten Schluck und räumte das Tablett weg. Dann ging auch sie zurück auf Station.

Hier war inzwischen alles unter Kontrolle und lief wieder seinen gewohnten Gang, wenn es nun auch durch die zusätzliche Erkrankung einiger Patienten den einen oder anderen Handgriff mehr zu tun gab und weniger Personal zur Verfügung stand. Ein Pfleger und eine Lernschwester waren nach Hause geschickt worden, berichtete Claudia, als Anna das Schwesternzimmer betrat. Sofort erklärte sie sich bereit, länger auf Station zu bleiben. Auf sie wartete schließlich niemand und nach der Pause fühlte sie sich frisch und ausgeruht genug, um ein paar Stunden mehr zu arbeiten. Claudia nahm das Angebot dankend an, da sie selbst heute, wie sie strahlend erzählte, mit ihrer besten Freundin fürs Kino verabredet war. Etwas, das sie sich nur sehr selten gönnte. Anna freute sich, dass sie ihr dies ermöglichen konnte, nur würde sie daran denken müssen, später Tom anzurufen, um ihr geplantes Telefonat abzusagen. Aber gerade würde er sicher wieder bei irgendeinem wichtigen Termin oder in einer Sitzung sein. Sie verschob das Problem und ging ihrer Arbeit nach.

Immer wieder an diesem Nachmittag sah sie Christian über den Gang laufen, aber nicht ein Mal blieb er stehen. Dass sie vor ein paar Stunden zusammen ihre Pause verbracht hatten, schien ihr nun sehr unwirklich. Irgendetwas daran störte sie. Ob sie was Falsches gesagt hatte? Nein, da war nichts, egal wie angestrengt sie nachdachte. Die meiste Zeit hatte sie ja auch von sich erzählt. Vielleicht hatte er ja ihre Komplimente falsch verstanden und dachte nun, sie wolle sich bei ihm einschmeicheln, um schneller an einen unbefristeten Vertrag zu kommen. Konnte er so etwas von ihr denken? Ach, und wenn schon. Sie wusste, wie es gemeint war. Und so jedenfalls nicht. Jetzt war aber kaum die Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.

* * *

Christian hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Sobald er im OP stand, hatte er sich zum Glück sofort unter Kontrolle, aber sobald er diesen verließ, tauchten diese Augen auf, das Gefühl, das ein Blick in dieses Blau in ihm auslöste. Gott verdammt, er war doch kein Teenager. Er war ein bekannter, gestandener Arzt. Glücklich verheiratet. Solche Gefühle brauchte er nicht. Wollte er nicht. Er wusste, was daraus werden würde. Chaos und Schmerz. Immer nur dieser Schmerz. Selbstaufgabe und Unruhe versprachen diese Augen. Leid. Sein Leid. Nein, er würde ihr aus dem Weg gehen. So weit das eben möglich war. Vor allem musste er sich locker machen. Er nahm schon wieder alles viel zu ernst.

Nach einem weiteren tiefen Atemzug machte er sich auf in die zweite Etage, zur plastischen Chirurgie. Ein Weg, den er nur äußerst ungern einschlug. Kollege Barth hatte in einer Viertelstunde eine Konsultation mit einem Privatpatienten, der sich etwas Fett absaugen lassen wollte. Christian schüttelte abermals den Kopf. Mit ein wenig Disziplin und Sport ließen sich solche Probleme nun wirklich auf natürlichem Wege lösen. Aber wenn man dazu zu faul war … Nein, er durfte derlei Urteile nicht fällen. Wenigstens sollte er warten, bis er den Patienten kennengelernt hatte. Dieser hatte ihn als assistierenden Allgemeinchirurgen bestellt, ein Privileg, das ihm durchaus zustand und dessen Christian sich nicht entziehen durfte.

Wenig später betrat er nach einem Klopfen das Büro seines Kollegen. Der Patient war noch nicht da. »Setz dich doch«, wurde Christian begrüßt und kam der Aufforderung sofort nach. »Ich hätte dir das gern erspart, aber wer selbst zahlt, darf auch die Ärzte aussuchen. Und du hast nun mal einen guten Ruf.« Sebastian Barth lächelte. Christian erwiderte es, er mochte ihn, auch wenn sie privat bislang kaum mehr als ein Feierabendbier vor einigen Monaten verband. Aber dem einnehmenden Wesen des Kollegen konnte und wollte er sich nicht entziehen.

»Es ist schon okay, Sebastian, mach dir keine Gedanken.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. Aber viel Zeit zum Entspannen blieb nicht, da meldete Barths Sekretärin bereits das Eintreffen des Patienten. Durch die Tür kam ein wenig attraktiver, ziemlich beleibter Mann, der ordentlich schwitzte und sich gerade mit einem Taschentuch die Stirn abwischte.

Sebastian stand sofort auf und ging auf seinen Patienten zu. »Herr Voigt, ich grüße Sie.« Die beiden Männer reichten einander die Hand. Und was Christian dann sah, verschlug ihm fast den Atem. Der Mann, Voigt hieß er wohl, strahlte. Sein ganzes Gesicht wurde freundlich und liebenswert. Dass Christian ihn zuvor nicht attraktiv gefunden hatte, war sofort vergessen. Dieses Lächeln strahlte so eine Herzlichkeit aus, dass auch Christian sich nun erhob und sich zu seinem Kollegen gesellte. Dieser wies sofort auf ihn und sagte: »Darf ich vorstellen; Kollege Marx. Er wird mir bei der OP assistieren.«

»Oh, Herr Doktor«, Voigt nahm mit beiden Händen Christians Rechte, »ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie sich die Zeit nehmen.«

»Sehr gerne, Herr Voigt, sehr gerne.« Und Christian meinte es aufrichtig.

Die Männer ließen sich einen Kaffee bringen und setzten sich gemeinsam in die gemütliche Sofaecke, die Sebastians Büro schmückte. Die Einzelheiten des Eingriffs wurden besprochen. Johannes Voigt hatte viele Fragen, auch wenn er sich, das erkannte Christian während des Gesprächs durchaus, sehr gut informiert hatte. Auch an ihn richtete er nun das Wort. Die Nebenwirkungen und Gefahren bescherten ihm doch noch einiges Kopfzerbrechen. Christian fragte sich, ob …

»Ich nehme einfach nicht weiter ab, verstehen Sie, Herr Doktor«, erklärte Voigt da mitten in seine Gedanken hinein. »Egal, wie hart ich trainiere, wie sehr ich mich an meinen Ernährungsplan halte, nichts passiert.« Er klopfte sich ein paar Mal auf den Bauch und er tat Christian ganz plötzlich leid. Nun erzählte Sebastian, dass sie beide sich im Fitnessclub kennengelernt hatten. Schon vor über einem Jahr. Johannes hatte bereits 20 Kilo verloren und nun ging es nicht weiter. Vor Monaten war es ins Stocken geraten und immer öfter verlor Johannes den Mut, fiel in alte Muster zurück. Wahrscheinlich hielt er sein Gewicht nur, weil er zumindest mit dem Training nicht aufhörte. Dringend wurde hier ein Erfolgserlebnis benötigt, um die Arbeit nicht wieder zunichte zu machen. Und da hatte Sebastian einen Weg aufgezeigt, der für Johannes bis dato gar nicht zur Debatte gestanden hatte. Bis etwas passierte: Er hatte sich verliebt. Unsterblich. Und sie sich auch in ihn. Aber er spürte, dass sie sich ihn ein paar Kilo leichter wünschte, schon allein seiner Gesundheit zuliebe. So hatte er sich schließlich dazu entschieden, ein wenig nachzuhelfen.

Christian verstand nun. Er konnte diesen Weg nicht gut heißen, da sich die Männer so ehrlich miteinander unterhielten, wollte er mit dieser Meinung auch nicht hinter den Berg halten, aber er verstand zumindest die Beweggründe und er wäre gern bei der OP dabei.

Sie besprachen noch die letzten Kleinigkeiten und machten letztlich einen Termin für die kommende Woche. Christian fühlte sich erstaunlich gut, dafür dass er mit so einer Abneigung gekämpft hatte. Er musste erkennen, dass er mehr unbegründete Vorurteile hatte, als er sich selbst eingestehen wollte. Und er nahm sich vor, vorbehaltloser zu seinen Terminen zu gehen.

* * *

Zufrieden ging er zurück auf seine Station. Noch einen letzten Blick wollte er auf die Patienten werfen, dann konnte er in den wohlverdienten Feierabend gehen. Er freute sich auf ein gutes Essen, ein Glas Wein auf dem Sofa und auf …

Da stand sie. Und telefonierte. Sie lächelte, hörte interessiert zu und nickte, so als würde ihr Gesprächspartner neben ihr stehen – oder ihre Reaktionen ganz genau kennen. Plötzlich verfinsterte sich ihr Blick ein wenig. »Ich muss arbeiten, Tom. Es tut mir leid …«

... Tom. Ihr Mann? Aber sie war nicht verheiratet, so stand es in ihrer Personalakte. Ihr Lebensgefährte wahrscheinlich. Irgendwas sagte er nun, das ihr nicht besonders zu gefallen schien. Sie versuchte, etwas zu sagen, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen, worauf Anna nun ganz leicht die Augen verdrehte … und dann lachte sie. »Natürlich habe ich mit den Augen gerollt. Du spinnst ja auch, mein Süßer.« Und dann lachte sie wieder, sehr herzlich sogar.

Christian bewunderte das. Wegen irgendetwas, offensichtlich wegen ihrer Überstunden, hatten sie eine kurze Meinungsverschiedenheit und doch, binnen weniger Augenblicke, lachten sie gemeinsam. Wie lange sie sich wohl schon kannten?

»Du fehlst mir auch sehr. Und bitte, versuch, am Wochenende nach Hause zu kommen.« Sie lächelte, brachte noch ein fast gehauchtes »Ich liebe dich« in ihr Handy und beendete das Gespräch.

Christian kam sich vor wie ein Voyeur, mehr noch, als Anna nun in seine Richtung kam. Noch hatte sie ihn nicht entdeckt, aber das würde sie. Also blieb ihm kaum etwas anderes übrig, als sich schnell in Bewegung zu setzen, auch wenn er ihr nun direkt in die Arme laufen würde …

Ein höfliches Nicken. Ein angedeutetes Lächeln. Und schon war er vorüber. Nur ging er nun in die falsche Richtung, sofort wieder umzudrehen, getraute er sich aber nicht …

* * *

Anna erreichte die Station. Im Kopf immer noch bei dem Gespräch mit Tom. Erst war er etwas böse, weil sie ihr geplantes Telefonat abgesagt hatte. Aber das Beste an ihm war, dass ihm schnell einfiel, was er mit seiner freien Zeit anstellen konnte. Er hatte ihr keine Minute später voller Freude erzählt, mal wieder ins Kino zu gehen, sich vorher ein leckeres Essen zu gönnen und dann mal früh zu Bett zu gehen. Sie hatte gewusst, dass er es durchaus ernst meinte, diese Vorfreude. Andere Frauen hätten sich an ihrer Stelle sicher eine etwas länger andauernde Traurigkeit gewünscht. Nicht Anna. Sie wusste es zu schätzen, dass sein Freiheitsdrang ihren möglich machte und dass beide damit glücklich waren. Wie oft hatte Clara nun schon gefragt, was denn ihre Beziehung wert sei, wenn sie so gar nicht aufeinander angewiesen und sogar noch froh waren, wenn der andere etwas nur für sich tat. Aber sie lebte eben ein gänzlich anderes Leben, dessen Glück Anna nachvollziehen konnte. Doch war sie in noch keiner Beziehung so glücklich und zufrieden gewesen wie in der zu Tom. Noch nie hatte es so wenig Streit gegeben. Und das war ihr mehr wert, als irgendwelchen Normen nachzueifern. Ob Dr. Marx wohl glücklich verheiratet war?

Sie blieb stehen und wunderte sich über diesen Gedankensprung. Doch schloss sie schnell, dass es wohl damit zu tun hatte, dass er gerade erst wieder an ihr vorbeigeeilt war. Wieder so distanziert. Und sie tat es ihm nach. Was sollte sie auch sonst tun? Irgendwas war da in der Cafeteria passiert, doch es stand ihr nicht zu, ihn danach zu fragen. Und gerade hatte sie auch gar keine Zeit. Sie musste Claudia auf Station ablösen. In den nächsten vier Stunden würde sie die Verantwortung tragen. Aber Angst machte ihr das nicht. Sie kannte sich inzwischen gut aus und hatte nun so viele Jahre als Oberschwester gearbeitet, dass sie sich eigentlich mehr darauf freute, sich beweisen zu können.

A true Love Story never ends

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