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Kindersegen

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Tolioro sah angewidert auf seine schluchzende Frau herab. Ihre blassen Rundungen wirkten in den blauen Kissen noch mehr als sonst wie die Haut eines toten Fisches. Hässlich, hässlich, hässlich. Mit Kleidern hatte er sie schon hässlich gefunden. Ohne war sie regelrecht abstoßend. Na gut, für heute Nacht hatte er seine Pflicht bei ihr erfüllt. Die dunkelroten Flecken auf den Kissen zeugten davon. Kanata würde zufrieden sein. Man sah den Flecken nicht an, dass die meisten davon aus Sirits gebrochener Nase stammten. Nicht, dass ihre Nase dadurch gewonnen hatte. Sie war vorher schon zu klein gewesen. Jetzt war sie fast ganz platt. Dumme Pute. Jedenfalls wusste sie nun, wer der Herr im Haus war. Noch einmal würde sie es nicht versuchen, ihn zurückweisen zu wollen. Nur weil sie noch nicht bereit gewesen war. Pah. Eine Frau hatte immer für ihren Mann bereit zu sein. Tolioro versetzte Sirit noch einen letzten Fußtritt, dann schlenderte er aus dem Zimmer. Nur gut, dass Graf Chilikit seine Versprechungen immer schnell in die Tat umsetzte. Ihm war jetzt nach einer richtigen Frau.

*

Kanata schüttelte ungläubig den Kopf. Wie konnte Tolioro nur so dumm sein! Seine Frau in der Hochzeitsnacht alleine zu lassen, und noch dazu in dem Zustand? Hielt Tolioro jeden im Palast für stumm und taub? Oder, noch schlimmer, für dumm? Wie ein Lauffeuer war es durch alle Gemächer gegangen. Tolioro hatte keinen Gefallen an seiner neuen Frau gefunden. Gut, er hatte Verkehr mit ihr gehabt, schließlich war es seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den nächsten Thronerben zu zeugen. Aber er hatte es auf seine übliche, abstoßende Art getan. Sirit wurde gerade von ihren Dienerinnen verbunden, ihre Nase gerichtet und mit kühlenden Kompressen versorgt. Sollte König Dacas je zu Ohren kommen, wie es seiner geliebten Tochter erging, dann, Vertrag hin, Vertrag her, würde Dacas rot sehen. Dafür kannte Kanata seinen königlichen Kollegen gut genug. Die Familie ging dem über alles.

Er gab dem Hofmarschall einen Wink. Der Mann nickte und verschwand. Er würde dafür sorgen, dass die Kunde von Tolioros Benehmen nicht über die Mauern des Palastes hinausdrang. Was Tolioro anging, dem würde er selbst die Leviten lesen müssen. Wieder beschlich ihn das unangenehm nagende Gefühl, den falschen Sohn als Thronerben gewählt zu haben.

*

Arme Sirit. Ioro verspürte einen Anflug von Mitleid. Auch wenn die junge Frau seines Bruders wirklich hässlich war, so etwas hatte sie nicht verdient. Die junge Prinzgemahlin besaß alle Qualitäten für eine gute Königin, von ihrem Äußeren einmal abgesehen. Und sie vereinte die Zukunft zweier Königsreiche. Ioro seufzte. Sein Bruder war ein Vollidiot. Eine intelligente, gutwillige Frau, die strategisch denken konnte und ihm später bei der Regierungsarbeit eine wirkliche Stütze gewesen wäre, so zu verprügeln. Keine Chance, dass Sirit nach dieser Hochzeitsnacht jemals mit mehr als Hass an ihren Mann denken würde. Dafür kannte Ioro sie mittlerweile zu gut. Er konnte nur hoffen, dass ihre Loyalität zum Reich und zu dem Friedenspakt ihres Vaters Sirit dazu bewegen würde, ruhig zu bleiben und keinen Aufstand zu machen.

Sonst würde der nächste Krieg nicht gegen die Wüstenstämme, sondern gegen Tolor geführt.

***

Jo legte seine Hand auf die Wand seines Turmes und lauschte dem Strom der Energie. So viel Kraft! So unendlich viel Kraft!

Wie lange bestand die Kristallkammer schon?

Seit mehr als tausend Regenzeiten hatten diese Kristalle nichts weiter gemacht, als die Energie der Stadt Sawateenatari anzuzapfen und zu speichern. Und die Kristalle wuchsen weiter. Regenzeit um Regenzeit. Wofür wurde all diese Energie gespeichert? Und warum war Meister Go lieber aufs Land geflüchtet und hatte in einem primitiven kleinen Steinturm gewohnt, wenn er doch hier hätte leben können?

Jo verzog das Gesicht. Für jede Frage, die er beantworten konnte, taten sich ein Dutzend weiterer, unbeantworteter auf. Aber vielleicht konnte sein derzeitiger Lehrer, Meister Ri, ihm wenigstens ein paar davon beantworten. Es wurde Zeit für seinen täglichen Unterricht.

Meister Ri empfing ihn mit seinem üblichen leutseligen Lächeln. „Ein wunderschöner Tag!“, strahlte er über beide Pausbacken und wippte auf den Zehenspitzen, dass sein kugeliger Bauch wie Brei wackelte. „Was lernen wir denn heute? Ach ja, wir waren bei den einfachen Feldzaubern stehen geblieben.“

Jo stöhnte. Noch ein Tag mit Schädlingsbekämpfungszaubern, Anti-Rostpilz-Zaubern und primitiven Fruchtbarkeitszaubern. So würden seine Fragen nie beantwortet werden. Er wagte einen direkten Vorstoß.

„Meister Ri, ich weiß, das hat nichts mit unserem heutigen Thema zu tun, aber ich muss unbedingt etwas wissen.“

„Schieß los, Junge.“

„Die Kristallkammer besteht aus reiner Energie“, begann Jo zögernd.

Meister Ris Lächeln wurde etwas weniger leutselig.

„Das heißt, wir benutzen Energie, um Materie zu erzeugen.“

Meister Ris Lächeln fror ein.

„Könnte man dann nicht auch umgekehrt Materie benutzen, sie zerlegen, um Energie zu erzeugen?“

Meister Ris Lächeln zersplitterte. Er holte tief Luft. „Nein!“ Mit Nachdruck setzte er hinzu: „Auf gar keinen Fall!“

„Warum nicht?“

„Das hat schon einmal jemand versucht. Meister Ki, vor rund 600 Regenzeiten.“

„Und?“

„Von ihm und seinem Turm ist nur noch ein ziemlich großer Krater übrig geblieben.“

*

Jo musterte seine Bibliothek. Nicht gerade umwerfend. Ein paar zerfledderte alte Bände über Spiegel-Magie-Grundlagen, die er aus der allgemeinen Bibliothek entliehen hatte. Und ein Buch über Rufzauber. Keines dieser Bücher hatte ihm umwerfende Neuigkeiten verkünden können. Außerdem hatte er im Moment absolut keine Lust auf weitere trockene Traktate über irgendwelche kleinlichen Zaubereien. Er beschloss, sich zur Entspannung heute einfach einmal der Vergangenheit zu widmen. Entschlossen griff er nach dem kleinen blauen Büchlein aus Meister Gos Bibliothek.

Der Einband fühlte sich wie Seide an. Ein sehr unpraktischer Einband für ein Gebrauchsbuch. Na ja, ein Zauberer hatte natürlich Möglichkeiten, Bucheinbände zu säubern. Jo öffnete das Buch.

Ungläubig starrte er auf die Zeichnung. Auf der ersten Seite prangte eines der alten königlichen Wappen von Karapak. Darunter das Namenszeichen des Besitzers. Goratamonahne. Das durfte doch nicht wahr sein! Go war aus königlichem Geschlecht! Die Sippe Nahne hatte Karapak fast 600 Regenzeiten lang regiert, bevor die heutige Königssippe, die Mehmes, die Führung übernommen hatte. In allen Geschichtsbüchern stand, dass das königliche Haus Nahne damals mangels Erben ausgestorben war. Was niemanden wunderte, hatte doch die Sippe Mehme alle männlichen Mitglieder der Sippe Nahne kurzerhand umbringen lassen, bis hin zum letzten noch ungeborenen Kind.

War das der Grund, warum Go sich in der Provinz verkrochen hatte? Weil er sich verstecken wollte, um sein Leben fürchtete? Oder – Jo kam ein anderer Gedanke. Hatte Meister Go nur einen Platz gesucht, an dem er ungestört gegen das Haus Mehme konspirieren konnte? Plötzlich machte König Kanatas allseits bekannte Abneigung gegen Zauberer sehr viel mehr Sinn.

Vorsichtig, als könne das Buch ihn beißen, wandte Jo die nächste Seite um. Schöne, geschwungene Buchstaben, vielleicht ein klein wenig zittrig geschrieben, die er nur zu gut von den Kochbüchern her kannte. Nur dass dies kein Kochbuch war. Es schien sich vielmehr um private Aufzeichnungen Gos zu handeln. Das war wirklich ein interessanter Fund. Jo suchte sich einen bequemen Sessel, zauberte mit einer Handbewegung ein paar Kleinigkeiten zu Essen und zu Trinken herbei, und begann zu lesen.

Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Mein Kopf will keine Worte formen. Die schrecklichen Bilder, die ich gesehen habe, überdecken alles. Mein Bruder, der König. Seine leeren Augen in dem hohlwangigen Gesicht, die zur Decke heraufstarrten. Er war der einzige, der nicht blutüberströmt war, ihn hatte das Flussfieber getötet und damit die Bahn frei gemacht für den Putsch. Ich weiß nicht mehr, warum ich so wild darauf war, im Palast nachzusehen. Meister Ow hatte recht, dass er mich zurückhalten wollte. In meiner jugendlichen Narrheit wollte ich nicht hören. So habe ich sie alle gesehen. Meine Brüder, meine Schwestern, die vielen Kinder. Alle tot. Ströme von Blut sind durch den Palast geflossen. Auch wenn die Mehmes selbst die meisten Frauen des Königshauses verschont hatten, so war doch kaum noch eine von ihnen am Leben. Meine Schwestern hatten es vorgezogen, ihrem Leben auf ehrbare Weise ein Ende zu bereiten, anstatt als niedere Dienerinnen und Konkubinen im Hause Mehme ein elendes Dasein zu fristen.

Auch meine Zwillingsschwester Laranainata fand ich mit dem Dolch im Herzen. Ihr Unterleib war entblößt, ihre Beine blutüberströmt.

Hätte mein Eid mich nicht zurückgehalten, ich hätte in diesem Moment mit dem größten Vergnügen den ganzen Palast dem Erdboden gleich gemacht.

Oh-oh. Das klang aber ganz anders als in den Geschichtsbüchern. Wie hatte einer seiner Lehrer es noch mal gesagt? Ach ja: „Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben.“ Zu den Siegern zählte das Haus Nahne offensichtlich seit diesem Putsch nicht mehr.

Jo blätterte weiter. Die ersten sechs Dutzend Seiten schienen mehr eine Art inneres Zwiegespräch zu sein. Go schrieb hier über sich, über die Geschichte seiner Familie, seine vergeblichen Hoffnungen und seine Alpträume. Die Schrift war unregelmäßig, fast wie zerhackt. Im zweiten Drittel des Buches wandelte sich der Schreibstil. Die Buchstaben wurden wieder flüssiger und gleichzeitig kleiner. Es war, als ob zwischen diesen beiden Eintragungs-Teilen eine längere Zeit verstrichen war. Hier schrieb Meister Go über seine Arbeit als Zauberer.

Sieh an, da tauchte auch etwas auf, was Jo dringend interessierte! Meister Go beschrieb seine eigenen Zauber-Experimente. Vielleicht konnte er hier mehr über die Spiegelmagie lernen.

Ich habe heute wieder versucht, Kontakt mit Adept Rak im Spiegel aufzunehmen. Es ist, als würde man mit einem Schlafwandler zu kommunizieren versuchen. Aber ich bin überzeugt, dass Raks ganze Wesenheit noch vollständig erhalten ist. Solange man den Spiegel nicht verbraucht, bleibt die Lebensenergie der Seelen erhalten, heißt es. Ich glaube, es ist mehr als nur die Seele, die im Spiegel erhalten bleibt. Theoretisch müsste es möglich sein, eine Seele mitsamt ihrem Körper wieder aus dem Spiegel herauszulösen. Theoretisch. Ich traue mich nicht, tiefer in den Spiegel einzutauchen. Meisterin Ak hat mich gewarnt. Ein Spiegel vermag einen zu schwachen Zauberer aus eigener Kraft zu schlucken.

Jo setzte sich fasziniert auf. Man konnte Seelen aus dem Spiegel wieder herausholen? Sein Freund Tev saß in so einem Spiegel fest. Was, wenn er ihn retten könnte? Wie weit war Go mit seinen Experimenten gekommen?

Ich denke, ich werde erst einmal eine Reihe von Experimenten starten. Kleine Spiegel, klitzekleine. Vielleicht aus der Seele einer Maus oder auch nur einer Kellerassel. Die dürften klein genug sein, dass ich gefahrlos damit arbeiten kann.

Jo blätterte weiter.

Die Maus war ein Fehlschlag. Selbst ihr nur handtellergroßer Seelenspiegel entfaltete einen solchen Sog, dass ich das Experiment abbrechen musste. Die Kellerassel war besser geeignet. Ihr Seelenspiegel war kaum mehr als ein Staubkorn. Es gelang mir, sie aus dem Spiegel wieder herauszuziehen. Leider nicht ganz nebenwirkungsfrei. Sie war anschließend deutlich kleiner und die Restenergie des Spiegels entlud sich in einer Explosion, die mein halbes Labor verwüstete. Die Assel habe ich sicherheitshalber in ein Glas gesperrt. Mal sehen, ob sie jetzt normal weiterlebt.

Ein weiteres Blatt. Dem Datum nach über drei Regenzeiten später.

Gut, dass ich die Assel aufbewahrt habe. Sie ist … außergewöhnlich. Sie wächst nicht, sie frisst nichts, und sie altert nicht. Sozusagen eine unsterbliche Assel. Ansonsten sieht sie ganz normal aus und benimmt sich auch normal. Ihr Lieblingsplatz ist unter einem feuchten Blatt. Ich habe versucht, sie zu zerquetschen. Kein Erfolg. Genauso hätte ich versuchen können, einen Diamanten zu zerdrücken. Was, wenn sie entkommt? Was, wenn sie diese Eigenschaften an etwaige Nachkommen vererbt? Die Welt würde in Asseln ersticken. Ich werde sie umgehend wieder in einen Spiegel verwandeln müssen.

Jos Hand zitterte. Wenn das für jede befreite Seele zutraf, dann konnte, dann durfte er Tevi nicht befreien. Eine solche Freiheit, die ihn außerhalb der Menschheit ansiedelte, würde Tevi zugrunde richten. Kein Mensch war für die Ewigkeit geschaffen.

Die Assel ist wieder ein Spiegelkorn. Mir ist nicht wohl mit diesem Spiegel. So winzig er ist, seine Gegenwart stört mich kolossal. Ich werde ihn so schnell wie möglich verbrauchen.

Jo legte das Buch weg und griff nach dem Weinglas. Für heute hatte er genug, über das er nachdenken konnte. Jetzt brauchte er etwas, was ihm einen schnellen, traumlosen Schlaf bescherte.

***

Sirits Hand verharrte einen Moment, bevor sie die Pinselspitze auf das Papier setzte. Sag ihm, deine Dienerinnen seien am Flussfieber gestorben, hatte Tolioro ihr befohlen. Das war durchaus glaubhaft, nicht einmal die Zauberer hatten es geschafft, das Flussfieber auszurotten. In regelmäßigen Abständen flackerte es in Karapak auf. Und im Gegensatz zu den Karapakiern hatten ihre tolorischen Damen kaum Widerstandskräfte gegen dieses Fieber. Tolioro. Sirit musste ihre Hand zwingen, ruhig zu bleiben. Die Buchstaben durften nicht verschmieren. Tolioro hatte befohlen und sie würde gehorchen. Wortwörtlich.

Ich soll Euch sagen, dass meine Dienerinnen alle am Flussfieber gestorben sind, sagt mein Gatte. Ihr Vater würde wissen, was er davon zu halten hatte.

Ihre Hand begann jetzt doch zu zittern. Sirit legte den Pinsel ab und starrte auf das fast leere Blatt Papier. Das Papier leuchtete unschuldig hell. Fast so, wie die Haut ihrer kleinen Leibsklavin ausgesehen hatte, der letzten Frau, die aus ihrem tolorischen Gefolge noch im Palast verblieben war, zarte, helle Haut auf ihrem blutleeren, zerstörten Leib, in ihren schmerzverzerrten Zügen, die nicht einmal der Tod hatte glätten können. Dala war erst zwölf Regenzeiten alt gewesen, kaum mehr als ein Kind, das gerade erst lernte, was es bedeutete, eine Frau zu sein.

Tolioro hatte sie all das gelehrt, was eine Frau nie kennenlernen sollte.

Und es war ihre, Sirits, Schuld. Sie hatte Tolioro gebeten, sie mit seiner Aufmerksamkeit zu verschonen, weil sie schwanger war. „Ach ja?“, war seine einzige Reaktion auf die Neuigkeit gewesen. Dann hatte er sich von ihr erhoben, sich kurz im Raum umgeschaut und war zielsicher auf die winzige Schlafkammer der Zofe zugesteuert. Das schlaftrunkene Mädchen hatte kaum begriffen, was ihm geschah.

Wenn sie ihren Mann bloß nicht abgewiesen hätte! Göttin, was hatte sie getan!

Ihr Mann war ein Monster. Dessen war sie sich jetzt sicher, unumstößlich sicher. Die Art, wie er gelacht hatte, als er über dem schreienden Mädchen stand, die Art, wie er sie verspottet hatte, als Dala vergeblich versuchte, ihre hervorquellenden Eingeweide wieder in ihre Bauchhöhle zu drücken. Seine glitzernden Augen, als er ganz dicht über dem sterbenden Mädchen kniete und zusah, wie sie ihren letzten Atemzug tat. Und dann die Art, wie er anschließend seine Frau musterte.

Sirit schauderte. Tolioro hatte sie angesehen wie Ungeziefer. Alles, was er von ihr wollte, war ein Sohn, Sie selbst war es ihm nicht einmal wert, sie zu töten.

*

Tolioro starrte auf das kleine Geschöpf, das die Hebamme ihm mit zitternden Händen hinhielt. Es war nackt, sodass er jede Einzelheit genau sehen konnte. Nase, Augen, Mund, Arme, Beine, Hände, Füße. Nur das, was er suchte, fand er nicht. Es war ein Mädchen. Nur ein Mädchen.

Verdammt, er brauchte keine Mädchen. Wenn er je eine Chance haben wollte, Tolor ohne Krieg zu erobern, brauchte er einen Sohn. Mit jäh aufwallender Wut packte er zu. Ein Kinderhals war klein. Er konnte ihn mit einer Hand umfassen. Das Kind zappelte. Tolioro drückte fester. Etwas knackte. Dann war der kleine Körper reglos.

Sirit, die fassungslos zugesehen hatte, stieß einen erstickten Schrei aus.

„Hab´ dich nicht so“, beschied Tolioro ihr. „Hättest du einen Sohn geschafft, wäre das nicht nötig gewesen. Ich habe nur dafür gesorgt, dass wir keine unnötige Zeit verlieren. In fünf Tagen werde ich dich wieder aufsuchen. Dann zeuge ich dir einen Sohn.“

Sirit presste die Hand vor den Mund, um ihr Würgen zu unterdrücken.

„Was sollen wir mit ihr machen?“, fragte die Hebamme zögernd.

Tolioro runzelte die Stirn. Einen Moment lang war er versucht, den kleinen Kadaver als Hundefutter mitzunehmen. Allerdings hätte er sich damit ziemlich sicher massiv Ärger mit seinem Vater eingehandelt. „Da ist doch dieser langweilige Liliengarten, in dem meine Gattin immer sitzt“, sagte er. „Trennt ihn mit einer neuen Mauer ab von den Teichen. Dann braucht meine Mutter diese Hässlichkeit bei ihren Spaziergängen nicht mehr zu sehen. Und die Asche dieses unnützen Dings könnt ihr meinethalben dort mit einmauern.“

Als Tolioro hinausstolzierte, konnte die Hebamme einen erleichterten Atemzug nicht unterdrücken. Wenigstens hatte er der Mutter einen Ort zum Trauern erlaubt. Wenigstens das.

Falkenkrieger

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