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Die Besatzung

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Der Wind blies durch die Wipfel der Tannen in den Hängen. Hier unten gab es keinen Schnee mehr um diese Jahreszeit. Durch den wilden Tannenwald ritt eine Frau auf einem Pferd. Sie kam sehr schnell voran - offensichtlich eine gute Reiterin. Ihre Haare wehten im Wind.

In der Grenzregion zwischen den hohen Bergen von Akasha und den fruchtbaren Niederungen von Mula lebte so gut wie keine Menschen, dafür aber zahlreiche wilde Tiere. Die Reiterin schien das nicht zu stören, sie ritt zielstrebig und geschwind weg von den Bergen, hin zu den flacher werdenden Ebenen.

Der Name der Reiterin war Phenoma – Herrin von Phen. Sie lebte in Akasha, dem alten Reich in den Bergen. Aber wie alle Bewohner dort war sie nicht dort geboren. Vor 20 Jahren war sie als junge Frau aus Samskara aufgebrochen, um in Akasha ihre Bestimmung zu finden. Jetzt kehrte sie nach Samskara zurück.

Allerdings wählte sie nicht den direkten Weg. Samskara grenzte genau wie Mula an da Hochgebirge, in dem Akasha lag. Wenn Phenoma direkt geritten wäre, hätte sie zwei Tage Wegzeit gespart.

Aber sie zog es vor, über Mula nach Samskara zu reisen. Die Grenze zwischen Samsaka und Akasha wurde schwer bewacht, seit es dort vor einigen Wochen zu einem Überfall gekommen war. Der Überfall war der Grund für Phenomas Reise und er war der Grund, warum sie es vorzog, heimlich nach Samskara zu gelangen.

Die Grenze zwischen Mula und Akasha war dagegen völlig frei. Und erst hier unten in den Niederungen traf sie vereinzelt auf Menschen.

Phenoma dachte mit gemischten Gefühlen an die kommenden Wochen. Sie wusste nicht, wie lange sie in Samskara bleiben musste, bis ihre Mission erfüllt war. Unter Umständen wird es sehr lange dauern.

Und sie durfte von den Samskarischen Wächtern und Häschern nicht entdeckt werden, denn sie reiste in feindlicher Absicht.

Mehr noch, sie war eine gefährliche Feindin des Samskarischen Reiches geworden. Und eine begehrte Gefangene, falls sie in die Hände des dort herrschenden Komitees fallen sollte.

Phenoma hatte die Berge und damit die Wildnis jetzt endgültig hinter sich gelassen. Vor ihr begannen sich endlose Felder zu erstrecken, angebaut mit unterschiedlichen Kulturpflanzen und Getreide. Mula war ein Agrarstaat. Hier wuchsen die Nahrungsmittel für zahlreiche weitere Länder.

Phenoma ritt nun auf Feldwegen weiter. Ab und zu sah sie Landarbeiter auf den Feldern, Männer und Frauen. Später kamen die ersten Gehöfte und vereinzelte Dörfer. Es wurde Zeit, sich ein unauffälligeres Fortbewegungsmittel zu suchen. Noch war sie keinen Offiziellen begegnet, aber Mula war ein besetztes Land, es stand unter Samskarischer Herrschaft. Irgendwann würden die ersten Posten kommen, die ersten Knotenpunkte der Fremdherrschaft. Und spätestens dann würde sie, als einsame Frau auf einem Pferd, auffallen und die Aufmerksamkeit der Offiziellen auf sich ziehen.

Phenoma ritt nun eine befestigte Straße entlang. Sie hatte sich die Karte der Gegend gut eingeprägt. Im nächsten Dorf gab es eine Kontaktperson. Sie würde ihr bei der Weiterreise helfen.

Ashoka hatte ein altes Netz aus Kontakten in allen Ländern. Die Samskarischen Kontakte sind inzwischen in den Untergrund gegangen, aber in den besetzten Ländern sind die Kontaktpersonen den Offiziellen meistens nicht bekannt.

Phenoma erreichte das Dorf wie geplant am Mittag, während kaum jemand auf der Straße war. Der Ort bestand aus 6 alten Bauernhäusern. Etwas Abseits hinter einen kleinen Weiher fand sie das gesuchte Gebäude. Sie stieg vor dem Haus ab und band ihr Pferd an einen Baum. Dann ging sie zur knorrigen alten Eingangstür und klopfte.

Lange Zeit geschah nichts, dann hörte sie ein Geräusch aus dem Innern des Hauses. Phenoma klopfte erneut, diesmal lauter.

Die Tür wurde mit einem Ruck aufgerissen, und vor ihr stand eine alte Frau. Sie sah sie zunächst mit einem mürrischen Gesichtsausdruck an, dann stutzte sie. „Wer bis du?“ fragte sie mir einer rauen Stimme.

„Ich bin eine Gesandte aus Ashoka und bitte um Unterstützung.“

Die alte Frau riss die Augen auf. Dann trat sie heraus und sah sich prüfend um. Schließlich zeigte sie zum Pferd und sagte: „Bring deinen Gaul in die Scheune, dort gibt es Heu. Und dann komme schnell herein, bevor dich jemand sieht.“

In dem Haus war es geräumig und gemütlich. Im Küchenherd brannte ein Feuer und es roch nach Frühlingskräutern. Die Frau wies auf eine Bank neben dem Herd, und setzte sich selber leicht keuchend auf einen Stuhl gegenüber.

„Lange Zeit war niemand mehr aus Ashoka hier“, sagte sie. „Seit die Samskarier gekommen sind nicht.“

Sie goss sich und Phenoma einen Tee ein, den diese dankend entgegen nahm. „Mein Sohn wird sich um dich kümmern, wenn er wieder da ist. Im Augenblick ist er auf den Feldern.“

Phenoma nickte. „Ich danke dir für deine Gastfreundschaft. Wie ist dein Name?“

„Mein Name, ach, wem interessiert das. Früher wurde ich Enna die Flinke genannt, als die Weisen noch die Länder regierten und jeder Mensch einen Platz hatte in der Welt.“ Plötzlich rollte ihr Tränen über die Wange. „Heute ist alles anders. Heute haben wir nur noch zu funktionieren.“

Phenoma stand auf und legten einen Arm um sie. Ihr fiel keine Antwort ein.

„Ihr habt uns allein gelassen!“ rief Enna und weinte in Phenomas Armen. „Ihr habt uns ausgeliefert.“

Phenoma wusste immer noch keine Antwort. Aber sie war nicht einverstanden mit den Worten der Alten. Was hätten sie den tun sollen? Ashoka hatte Einfluss, aber es war genau genommen kein Staat. Wie hätten sie die Armeen der Samskarier aufhalten sollen, nachdem die Offiziellen dort die Macht übernommen hatte?

Sie rechtfertigte sich nicht, obwohl es ihr auf der Zunge brannte. Sie lies Enna weinen. Nach einigen Minuten hatte diese sich gefangen und erhob sich. „Ich habe noch etwas Arbeit, bevor die Männer wieder nach Hause kommen. Du kannst dir oben ein Zimmer zurecht machen.“

„Ich plane möglichst bald, vielleicht schon heute Abend weiter zu reisen,“ bemerkte Phenoma. Die Alte winke ab. „Egal, ich will dich hier unten nicht sehen. Bitte gehe nach oben, bis die Männer nach Hause kommen.“

Phenoma sagte nichts weiter und ging die massive Holztreppe nach oben. Sie fragte sich, ob dieser erste Kontakt mit Menschen außerhalb von Ashoka stellvertretend war für die weitere Reise.

Als es dunkel wurde hörte Phenoma wie unten Menschen eintrafen. Sie hatte sich inzwischen damit abgefunden, die Nacht in den Haus zu verbringen und erst am nächsten Tag weiter zu reisen, und hatte sich oben ein Platz zum Schlafen zurecht gemacht. Nun ging sie nach unten.

Es waren zwei Personen gekommen, ein Mann im mittleren Alter und ein Junge von vielleicht 11 Jahren, offensichtlich sein Sohn. Beide trugen die grobe Kleidung der Landarbeiter und sahen erschöpft vom Tag aus. Als sie Phenoma sahen, wich der erschöpfte Gesichtsausdruck einen puren Staunen. Phenoma übernahm die Initiative „Hallo, die Hausherrin hat mich freundlicherweise eingelassen. Ich komme aus den Bergen und bin auf Durchreise.“

Der Mann reichte ihr die Hand wie in Mula üblich. Dann sagte er zu seinem Sohn. „Dies ist ein besonderer Augenblick Genson. Zum ersten Mal stehst du vor einer echten Drachenreiterin.“

Genson schaute etwas verängstigt. „Dann reichte er ihr ebenfalls die Hand. „Wo ist dein Drache?“ fragte er.

Phenoma lachte. „Meinen Drachen konnte ich nicht mitnehmen, da ich heimlich reise. Ich hoffte, das ich bei euch einen Tipp bekomme, wie ich unbemerkt nach Samskara komme.“

Der Mann nickte, sein Sohn zuckte bei dem Namen das Ziels ein wenig zusammen.

Dann rief Enna aus der Küche „So kommt endlich rein, was steht ihr da auf dem Flur herum? Das Essen ist fertig.“

Das Essen bestand aus einer reichhaltigen Gemüsesuppe mit Kartoffeln. Phenoma hatte großen Hunger und aß mehrere Teller. Sie aßen schweigend.

„Wie sieht es aus in Akasha?“ fragte der Mann als sie fertig waren. Er hatte sich ihr als Ronnert vorgestellt.

„Der Orden der Drachenreiterinnen hat beschlossen in den Krieg einzugreifen.“ antwortete Phenoma.

Alle drei sahen sie erstaunt an. „Das sind ja unglaubliche Neuigkeiten,“ Ronnert wirkte erleichtert.

„Darauf haben wir 6 Jahre gewartet,“ brummte Enna zustimmend.

Phenoma nickte: „Es war keine leichte Entscheidung. Wir Drachenreiterinnen waren immer politisch neutral. Dies war ein Teil unseres Selbstverständnisses. Aber wie sich die Dinge entwickelt haben, konnten wir nicht länger neutral bleiben.“

„Was ist denn passiert?“ fragte Ronnert.

„Samskara hat Shashastra angegriffen.“

„Das ist keine neue Nachricht. Der Angriff war seit Jahren im Gespräch und vor 6 Monaten habe ich gehört, dass die Gefechte beginnen.“

Phenoma nahm sich noch einen von den auf den Tisch liegenden Äpfeln. „Ja, aber jetzt sah es so aus, als wenn Samskara gewinnen würde. Sie haben in der letzten Zeit beträchtliche technische Fortschritte gemacht und setzen neuartige Maschinen ein.“

„Und was hat das mit Ashoka zu tun?“

„Wir haben ein besonderes Verhältnis zu Shashastra. Die dortige Gesellschaft ist uns sehr verbunden. Sie wird von Frauen dominiert. Eine Niederlage würde ein Ende dieser Kultur bedeuten.“

„Als Mula besetzt wurde war es euch egal,“ schnaubte Enna. „Und jetzt, wo die Grazien dran glauben sollen, überlegt ihr es euch plötzlich anders.“

„Es war uns nie egal,“ antwortete Phenoma. „Wir haben gehofft, dass sich die Situation von alleine klärt. Akasha war immer schon politisch neutral. Dies aufzugeben ist für uns ein schwerer und gefährlicher Schritt.“

„Den ihr nur geht, weil mit den Fall von Shashastra eure eigene Existenz in Frage gestellt werden würde,“ schloss Ronnert und sah sie spöttisch an.

„In der Tat ist es unser Anliegen, dass die weibliche Macht auch im weltlichen Bereich nicht verschwindet,“ Phenoma war der Verlauf des Gespräches unangenehm. Auf der anderen Seite konnte sie die Argumente ihrer Gastgeber gut verstehen.

Trotzdem war sie der Meinung, dass der Orden, der Akasha seit Anbeginn regierte, richtig gehandelt hatte. Es war nicht die Aufgabe der Drachenhüterinnen, politische Systeme zu beeinflussen. Erst als die eigene Existenz tatsächlich bedroht war, war ein Eingreifen gerechtfertigt.

„Ich hoffe, dass ihr von einer möglichen Wende im Krieg profitiert. Die Armee der Samskarier ist jedenfalls durch den Angriff der Drachen ins Stocken geraten.“

Diese Aussage sorgte für sichtbare Erleichterung am Tisch.

„Vielleicht kommt Mutter dann bald zurück,“ meinte Genson, der sich bisher nicht in das Gespräch eingemischt hatte. Phenoma sah ihn fragend an.

„Meine Frau wurde nach dem Einmarsch der Samskarier verschleppt“ erklärte Ronnert. „Wir haben seit acht Jahren nichts mehr von ihr gehört.“

„Oh, das tut mir leid.“ Damit erklärte sich auch die Verbitterung der Mutter. „Wo könnte sie sein?“

„Sie ist in Samkara. Wenn sie Glück hat muss sie nur arbeiten, aber wahrscheinlich wird sie als Prostituierte missbraucht.“ Enna beugte sich mit einem wilden Blick über den Tisch. „Ich habe die Männer gesehen, die Samskarischen Soldaten, als sie hier von Tür zur Tür gingen, ich habe ihre Blicke gesehen. Sie haben nur die schönsten Frauen mitgenommen. Und einige kräftige Männer für die Minen.“

Phenoma schluckte. Sie hatte davon gehört, dass zahlreiche Männer und Frauen aus den unterworfenen Ländern zum Arbeiten nach Samskara verschleppt worden waren. Aber es war etwas ganz anderes, den Betroffenen zu begegnen. „Das tut mir leid,“ wiederholte sie.

Alle schwiegen einen Augenblick. Dann sagte Phenoma: „Ich habe vor nach Samskara zu gehen, heimlich, um einen Auftrag für unsere Seite durchzuführen. Ich wünsche mir eure Unterstützung bei der Einreise.“

„Wir werden dir helfen,“ sagte Ronnert. „Wir haben uns zur Hilfe für die Drachenreiterinnen verpflichtet und dabei bleibt es. Ich hoffe, ihr werdet es uns nicht vergessen.“

„Wir können mit unseren Drachen das Voranschreiten der Samskarischen Armee aufhalten. Was wir nicht können, ist Samskara mit Waffengewalt zu unterwerfen. Das kann im Augenblick niemand.“

„Ich möchte irgendwann meine Frau wieder in den Armen halten.“ antwortete Ronnert. „Und mein Sohn hat verdient, dass er seine Mutter wieder sieht. Ich möchte, dass du darüber nachdenkst, wie du oder wie Akasha uns helfen kann.“

Phenoma biss sich auf die Lippe. Dann nickte sie. „Ich kann nichts versprechen, aber ich werde darüber nachdenken.“

Das musste ja so kommen, dachte sie bei sich. Zuerst treten wir in den Krieg ein, und dann sollen wir alle Sklaven befreien.

„Mit deinem Pferd kannst du nicht weiter reisen.“ unterbrach Ronnert ihre Gedanken. „Frauen reisen nicht mehr allein durch Mula und erst recht nicht durch Samskara. Du würdest sehr schnell Ärger bekommen.“

Phenoma nickte.

„In der Poststation in der Bezirksstadt geht jeden Morgen eine Kutsche nach Samskara. Ein guter Freund von mir ist für die Beladung zuständig. Er könnte dich dort einschleusen.“ Phenoma nickte erneut.

„Ich weiß nicht, wie die Kontrollen an der Grenze zwischen Mula und Samskara sind. Wenn du Glück hast, kommst du glatt durch bis Ashwini.“

„Das hört sich gut an.“ Phenoma verschwieg, dass sie einen gefälschten Passierschein für die Grenze dabei hatte.

„Ich bringe dich morgen früh in die Stadt und werde alles arrangieren. Danach bist du auf dich allein gestellt.“

„Gut. Ich danke dir.“

„Denke an unsere Vereinbarung.“

„Das werde ich.“

Königin der Sklavinnen

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