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Erstes Kapitel
ОглавлениеSteventon 1775–1801
I
Jane Austens Lebenszeit umfasst eine der ereignisreichsten und turbulentesten Epochen der europäischen Geschichte. Sie wurde am 16. Dezember 1775 geboren und starb mit nur 41 Jahren am 18. Juli 1817. In dieser Zeit wurde in Frankreich von 1789 bis 1799 durch die Revolution der Staat vollständig umgeformt und durch die Herrschaft Napoleons von 1799 bis 1815 Europa in Krieg und Chaos gestürzt. Die politische Ordnung des europäischen Kontinents wurde erschüttert, die soziale vorübergehend infrage gestellt. Fast ganz Europa wurde nach und nach in blutige und verlustreiche Kriege verwickelt, die in Deutschland zur Besetzung weiter Teile des Landes durch französische Truppen und zu einer tiefempfundenen nationalen Erniedrigung führten.
Jane Austen ist also eine Zeitgenossin von Ludwig van Beethoven (1770–1827), Heinrich von Kleist (1777–1811) und Madame de Staël (1766–1817), von Napoleon (1769–1821) und Königin Luise von Preußen (1776–1810). Aber von den inneren Erschütterungen und künstlerischen Krisen des Komponisten und des Dichters, von den plötzlichen äußeren Lebensumschwüngen des französischen Kaisers und der preußischen Königin ist in ihrem Leben nichts zu spüren, und das Wanderdasein im Rampenlicht der europäischen Öffentlichkeit, das das Lebenselixier der Französin war, die im gleichen Jahr wie sie starb, wäre ihr sicher ein Grauen gewesen. Madame de Staël, über die Rahel Varnhagen gesagt hat, »es ist nichts Stilles in ihr«, ist der genaue Gegentyp zu Jane Austen. Die Familienüberlieferung, nach der sie die Gelegenheit, der berühmten französischen Kollegin in London zu begegnen, ausgeschlagen hat, klingt durchaus glaubhaft.
Karte von Südengland
Zwar war England fast zwanzig Jahre lang in den Kampf gegen die Revolution und dann gegen Napoleons Empire verwickelt, aber die »splendid isolation« des Inselreiches verschonte es davor, den Krieg auf eigenem Boden führen zu müssen, und das funktionierende System der konstitutionellen Monarchie – damals trotz solider parlamentarischer Institutionen weit davon entfernt, eine Herrschaft für und durch das Volk zu sein – bewahrte das Land vor schwereren Krisen. Anders als auf dem europäischen Festland gab es deshalb hier keine Umstürze und staatlichen Notsituationen, und die Welt der englischen Provinz veränderte sich während dieser spannungsgeladenen Jahrzehnte nicht wesentlich – jedenfalls nicht in dem ausschließlich landwirtschaftlich bestimmten Süden. Dort verbrachte Jane Austen ihr ganzes Leben – abgesehen von kürzeren Aufenthalten in London – auf dem Land oder in kleinen Städtchen. Nie kam sie nach Norden weit über die Linie London–Bristol hinaus; nie setzte sie nach Süden auf das Festland über. Da es zu ihren künstlerischen Grundsätzen gehörte, in ihren Büchern nur das zu schildern, was sie aus eigener Anschauung kannte, sind der Umkreis Londons und die südenglische Landschaft zwischen Bath und Brighton, zwischen Lyme Regis und Canterbury, zwischen Somerset und Kent auch der Handlungsraum ihrer Romane. Verstand und Gefühl spielt in London und ganz im Südwesten, im Umkreis der Stadt Exeter. In Stolz und Vorurteil ist die Handlung in Hertfordshire, nördlich von London, und in Kent, südöstlich von London, angesiedelt. Das Herrenhaus Mansfield Park, der zentrale Handlungsort des gleichnamigen Romans, steht in Northamptonshire, nordwestlich von London; später zieht die Heldin nach Portsmouth, in die berühmte Hafen- und Marinestadt an der Südküste. Highbury, das Dorf der Woodhouse in Emma, das der Leser nie verlässt, muss man sich in Surrey, südwestlich von London denken. Catherine Morelands Abenteuer in Kloster Northanger finden in Bath und der näheren und weiteren Umgebung des Kurortes statt. Bath und Somersetshire, die Grafschaft südlich davon, sind die Schauplätze in Überredung, wobei der Ausflug nach Lyme Regis, das kleine Seebad an der Südküste, nicht vergessen werden darf. Und das aufstrebende Seebad Sanditon in dem gleichnamigen Fragment hat sich der Leser ebenfalls an der Küste, allerdings viel weiter östlich, zwischen Hastings und Eastbourne, vorzustellen.
Das Pfarrhaus von Steventon. Zeichnung von Jane Austens Nichte Anna
Jane Austens Elternhaus stand in Hampshire, in der Grafschaft mit den Hafenstädten Southampton und Portsmouth nördlich der Insel Wight. Steventon liegt in hügeliger, leicht bewaldeter Landschaft mit den breiten, hohen Hecken, die im zehnten Kapitel von Überredung ein Handlungselement bilden, und war mit seinem Herrenhaus, seiner Pfarre und seinen bäuerlichen Hütten ein typisches friedliches Dörfchen, in dem es zwar Armut, aber nicht Elend gab. Es hat sich bis heute fast nicht verändert und wirkt wie unberührt von der Zeit. Die Landstädtchen Basingstoke und Winchester waren in der Nähe. Hier war Jane Austens Vater seit 1764 Pastor und neben der Grundbesitzerfamilie der angesehenste Bewohner des Dorfes. Das Pfarrhaus, das in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts abgerissen wurde – nur die Pumpe der Waschküche steht noch heute –, lag ganz im Grünen, umgeben von Wiesen, Gebüsch und Ulmen. An der Rückseite hatte es einen üppigen Gemüse- und Blumengarten. Die zwei Stockwerke enthielten unten die Wohnräume der Familie und oben die zahlreichen Schlafzimmer. Für die beiden Töchter wurde oben zusätzlich ein kleines, an ihr gemeinsames Schlafzimmer angrenzendes »Ankleidezimmer« eingerichtet, wo sie viel Zeit mit Lesen und Handarbeiten verbrachten und wo Jane ihre frühen Manuskripte schrieb. Auch das Klavier – Jane musizierte, ihre Schwester malte in Aquarell – hatte hier seinen Platz.
Jane Austens Vater, Rev. George Austen
Janes Vater, George Austen, entstammte einer bürgerlichen Familie aus Kent und war schon mit sechs Jahren Waise. Glücklicherweise fand sich ein Onkel, Francis Austen, ein reicher Rechtsanwalt, bereit, seine Erziehung zu finanzieren. George durchlief seine Universitätsausbildung in Oxford, wo er 1761 als Geistlicher ordiniert wurde. Ein anderer reicher Verwandter, Thomas Knight auf Godmersham in Kent, übertrug ihm die Pfarre von Steventon. Die Kirche, nur einen kurzen Fußweg vom Pfarrhaus entfernt, hat noch ganz das Aussehen von Jane Austens Zeit. 1773 kaufte ihm Onkel Francis die Pfarre von Deane ganz in der Nähe dazu, um sein Einkommen aufzubessern. George hatte nur eine Schwester, deren einzige Tochter, Eliza Hancock, mit der Familie in Steventon eng verbunden war.
Silhouette von Jane Austens Mutter Cassandra geb. Leigh
Janes Mutter, Cassandra Leigh, war eine resolute und humorvolle Frau, die gern heitere Verse schrieb, aber mit zunehmendem Alter hypochondrische Züge bekam. Ihre schwache Gesundheit ist ein ständiges Thema in der Korrespondenz ihrer Töchter. Trotzdem wurde sie 88 Jahre alt und überlebte ihre jüngere Tochter um zehn Jahre. Sie entstammte einer angesehenen Familie aus Gloucestershire, die wohlhabend war und hocharistokratische Verbindungen hatte. Ihr Vorname Cassandra wurde in Erinnerung an eine Vorfahrin, die Herzogin von Chandos, in der Familie tradiert. Ihr kinderloser Bruder James lebte mit seiner Frau als reicher Gentleman abwechselnd in Bath und auf seinem Gut Scarletts in Berkshire, nicht weit von Steventon. Ihre einzige Schwester lebte als Frau des Pastors Dr. Edward Cooper dicht bei Bath; mit deren beiden Kindern Jane und Edward waren die Austen-Kinder befreundet.
Das Pfarrerehepaar von Steventon wurde in den ersten fünfzehn Jahren seiner Ehe mit sechs Söhnen und zwei Töchtern gesegnet: James (1765), George (1766), Edward (1768), Henry (1771), Cassandra (1773), Francis (1774), Jane (1775) und Charles (1779). Da fast alle Geschwister in Jane Austens Leben eine wichtige Rolle spielen, empfiehlt es sich, sie gleich etwas genauer vorzustellen. Was ist aus ihnen geworden? Dass sie alle überlebt haben, ist in einer Zeit hoher Geburtensterblichkeit wie dem 18. Jahrhundert erstaunlich.
James Austen
James wurde nach seinem Studium in Oxford Geistlicher und übernahm 1805 nach Vikarstellen in unmittelbarer Nähe die Nachfolge seines Vaters in Steventon, wo er 1819 starb. Er vermählte sich 1792 mit der sechs Jahre älteren Anne Mathew, einer Enkelin der Herzogs von Ancaster, und hatte eine Tochter mit ihr (Anna, geb. 1793). Seine Frau starb schon 1795, und James heiratete dann Cassandras und Janes Freundin Mary Lloyd, mit der er einen Sohn (James Edward, geb. 1798) und eine Tochter (Caroline, geb. 1805) hatte. Alle drei Kinder haben wichtige Aufzeichnungen über ihre Tante Jane hinterlassen; James Edward war ihr schon erwähnter erster Biograph. Mit James’ zweiter Frau, Mary Lloyd, verstanden sich die Austen-Schwestern, obwohl bereits lange mit ihr befreundet, nicht so gut (»Sie ist alles in allem keine sehr hochherzige Frau«), und James ist der einzige Bruder, den Jane in ihren Briefen wiederholt kritisiert. Sie schreibt über ihn im Februar 1807:
Es tut mir leid und macht mich wütend, dass seine Besuche einem nicht mehr Freude machen; die Gesellschaft eines so guten und klugen Mannes müsste einem wohltun, aber seine Unterhaltung ist forciert und seine Urteile sind in vieler Hinsicht nur von seiner Frau übernommen; und er bringt seine Zeit hier, scheint mir, nur damit zu, im Haus herumzulaufen und mit den Türen zu schlagen oder nach einem Glas Wasser zu klingeln.
James ging es finanziell nicht besonders gut, denn sein Schwiegervater war 1805 gestorben und das erwartete Erbe seiner Tochter fiel ohne sein Verschulden dem Staat zu. War James auch auf das literarische Talent seiner Schwester neidisch? Er schrieb Gedichte und hielt nicht viel von Romanen. Von früh an galt er als der Dichter der Familie und gab zusammen mit seinem Bruder Henry während ihrer gemeinsamen Studentenzeit in Oxford von Januar 1789 bis März 1790 eine Zeitschrift heraus, The Loiterer (Der Bummler), die es auf 60 Nummern brachte. James war auch die treibende Kraft bei den Theateraufführungen der Austen-Kinder in der väterlichen Scheune zwischen 1782 und 1788, bei denen manchmal auch Vettern, Cousinen und Freunde mitwirkten. Nach seinem Studium hatte er eine Europareise unternommen, aber sein wenig aufregendes späteres Leben als Landpfarrer erfüllte ihn offenbar nicht. Da er zehn Jahre älter und von ihren Brüdern der »akademischste« war, verdankte sie ihm nach Aussage seines Sohnes viel im Hinblick auf die Entwicklung ihrer Bildung und ihres literarischen Geschmacks.
George hatte als kleines Kind »Anfälle« (»fits«) und kehrte nach dem üblichen ersten Jahr, das alle Austen-Kinder bei einer Amme im Dorf verbrachten, nie mehr in sein Elternhaus zurück. Woran er litt, ist nicht bekannt, aber da auch ein Bruder von Mrs. Austen an einer ähnlichen Krankheit gelitten hat, scheint es sich um ein erbliches Leiden gehandelt zu haben. Er lebte bis 1838, wird aber von den Quellen nach dem vierten Lebensjahr kaum mehr erwähnt und in den Berichten über Jane Austen von den Nachkommen der Familie in typisch viktorianischer Manier einfach totgeschwiegen. Als Mrs. Austen 1827 starb, erbte jedes ihrer Kinder außer George 437 Pfund. Aber Edward überließ seinen Anteil »meinem Bruder George zu dessen Nutzen«. Einige Forscher vermuten, dass George taubstumm war, weil aus einer brieflichen Bemerkung Janes hervorzugehen scheint, dass sie die Taubstummensprache beherrschte. Aber der Hinweis ist keineswegs eindeutig. Hätte diese Behinderung genügt, um den Sohn von Anfang an aus dem Familienleben auszuschließen? Man hat auch auf eine erbliche Geisteskrankheit geschlossen, weil ein Onkel Mrs. Austens geisteskrank war.
Edward, nicht gerade lernbegierig, aber liebenswürdig und kinderlieb, war das Glückskind der Familie. Er wurde von dem kinderlosen Sohn des schon erwähnten Thomas Knight adoptiert und erbte sein Vermögen und seine beiden Herrensitze Godmersham (Kent) und Chawton (Hampshire), hielt aber zeit seines Lebens weiterhin engsten Kontakt mit seiner Familie. Als künftiger wohlhabender Gentleman wurde er nicht zum Studieren nach Oxford, sondern von 1786–1788 auf eine zweijährige europäische Bildungsreise, die »Grand Tour«, geschickt, um sich Weltkenntnis und gesellschaftlichen Schliff anzueignen. 1794 starb Mr. Knight, und da seine Witwe 1797 nach Canterbury zog, kam Edward in den Besitz seines reichen Erbes und lebte meist auf dem großzügigen Landsitz Godmersham, einem 1737 errichteten stattlichen Bau. Nach dem Tod seiner Adoptivmutter 1812 nahm er mit seiner unterdessen zahlreichen Familie den Namen Knight an. Er hatte 1791 die hübsche, reiche und liebenswürdige Elizabeth Bridges geheiratet, deren Eltern Jane und Cassandra öfter auf ihrem Landsitz Goodnestone (Kent) besuchten und dann auch abwechselnd einen Abstecher nach Godmersham machten. Elizabeth gebar in 17 Ehejahren elf Kinder und starb 1808 bei der Geburt des letzten. Vor allem Cassandra hielt sich nun noch öfter in seiner Familie auf, um ihrem Bruder und seinen Kindern behilflich zu sein. Auch ein Teil von Janes Briefen an Cassandra ist in Godmersham geschrieben. Edwards älteste Tochter Fanny (geb. 1793) war Janes Lieblingsnichte, »fast wie eine zweite Schwester«. Edward lebte bis 1852.
Henry, Janes Lieblingsbruder, dem sie angeblich am ähnlichsten sah, war der heiterste, aber auch unbeständigste der Brüder. Er ging nach seinem Studium – wie in der Familie Austen üblich in Oxford – als Offizier zur Militia, der Armee, die den Heimatdienst tat und aus der die reguläre Truppe im Kriegsfall verstärkt wurde. Er trat 1791 als Leutnant ein und brachte es bis zum Obersten. Ende 1797 heiratete er seine zehn Jahre ältere Cousine Eliza Hancock, die man wohl hinter seiner Entscheidung vermuten darf, den Soldatenberuf aufzugeben und sich in London niederzulassen. Dort gründete er mit einem Partner ein Bankhaus, das 1807 durch einen dritten Partner vergrößert wurde und ihm in den nächsten Jahren zur Freude seiner gesellschaftlich versierten Frau ein elegantes Leben in London erlaubte. Jane war öfter bei ihm zu Besuch und genoss das kulturelle Leben in der Hauptstadt. Als sie sich 1811 bei ihm aufhielt, fand in seinem Haus gerade eine große Abendgesellschaft mit fast 70 Gästen statt, die sogar in der Gesellschaftsspalte der Times erwähnt wurde. Mit seinen geschäftlichen Erfahrungen war er Jane bei der Publikation ihrer Romane behilflich. 1813 wurde er auf den ehrenvollen Posten des Steuereinnehmers der Grafschaft Oxfordshire berufen. Aber dieses Leben auf großem Fuß hörte unvermittelt auf, als das Bankhaus ohne eigenes Verschulden bankrott ging und auch einige Familienmitglieder Geld verloren. Sie scheinen es mit Gleichmut getragen zu haben, denn Verstimmungen hat es darum anscheinend nicht gegeben. Henry heiratete nach dem Tod seiner Frau (1813) 1820 noch einmal, hatte jedoch keine Kinder. Er zahlte nach und nach gewissenhaft seine Schulden ab und musste deshalb ein anspruchsloses Leben führen. Er lebte bis 1850.
Cassandra war zeit ihres Lebens Janes Vertraute. Die Schwestern wuchsen zusammen auf und teilten bis zu Janes Tod ein Schlafzimmer. Dass Cassandras Briefe an Jane nicht erhalten sind, ist ein großer Verlust, denn Jane hielt ihre Schwester für eine glänzende, witzige Korrespondentin. Cassandra verlobte sich 1795 mit dem Geistlichen Thomas Fowle, der eine Pfarrstelle in Aussicht hatte und die Zeit bis zu ihrem Freiwerden dadurch überbrückte, dass er mit seinem Gönner Lord Craven als Kaplan in dessen Regiment nach St. Domingo in die Karibik segelte. Dort bekam er Gelbfieber und starb 1797. Cassandra hat nie geheiratet. Sie lebte weiter mit Mutter und Schwester und starb als letzte der drei 1845.
Francis Austen
Francis machte von den Brüdern die steilste Karriere: Er starb hochbetagt 1865 als Flottenadmiral Sir Francis Austen. Wie damals bei der Ausbildung der Marineoffiziere üblich, ging er 1786 schon als Zwölfjähriger auf die Marineakademie in Portsmouth, diente als Vierzehnjähriger auf verschiedenen Schiffen im Orient und war mit achtzehn Leutnant. Mit kurzen Unterbrechungen an Land war er erst als Offizier und dann als Kapitän auf den Weltmeeren unterwegs, denn der Krieg gegen Napoleon erforderte den ständigen Einsatz der britischen Flotte im Mittelmeer, im Atlantik, im Indischen Ozean und in der Nord- und Ostsee. Nur knapp verpasste Francis mit seinem Schiff 1805 die Seeschlacht von Trafalgar, nahm aber an der siegreichen Seeschlacht von St. Domingo in der Karibik am 6. Februar 1806 teil, wohin die englische Flotte die französische verfolgt hatte – auch Kapitän Wentworth in Überredung kämpft 1806 in der Karibik. 1806 heiratete er Mary Gibson, die eine von den Austen-Schwestern besonders geschätzte Schwägerin wurde, und mietete ein Haus in Southampton, das für Jane wichtig werden sollte. Francis hatte elf Kinder, bevor seine erste Frau 1823 starb. Drei seiner sechs Söhne folgten ihm in die Marine. Später heiratete er noch einmal, und zwar eine alte Freundin der Austen-Mädchen, Martha Lloyd, die sie ihm schon Jahrzehnte früher zugedacht hatten und deren Schwester Mary in zweiter Ehe mit James Austen verheiratet war. In der Marine war Francis bekannt als »der Offizier, der in der Kirche kniet«. Seine Genauigkeit, Ordnungsliebe und Ernsthaftigkeit sind durch allerlei Familienanekdoten belegt, so durch die folgende: Als Francis nach fünfjähriger Abwesenheit zum Uhrmacher ging, sah dieser sich seine Taschenuhr an und sagte: »Sie ist in ausgezeichneter Verfassung. Sie geht anscheinend überhaupt noch nicht falsch.« »Doch«, antwortete Francis, »sie geht falsch – um zehn Sekunden.« Francis wurde von Admiral Nelson sehr geschätzt. Im Seekrieg gegen die französische Flotte war er äußerst erfolgreich. 1801 besiegte er ohne Verlust eines einzigen Matrosen innerhalb von zwölf Stunden drei feindliche Schiffe, so dass sein eigenes Schiff voller Kriegsgefangener war. Park Honan hat 1988 in seiner Jane-Austen-Biographie zum erstenmal enthüllt, dass Francis in etwas dubiose Geschäfte mit der East India Company verwickelt war. Er transportierte auf seinem Schiff Ladungen von Silber. Da die Company Einfluss innerhalb der Marineführung hatte, war das nicht nur finanziell, sondern auch karrieremäßig vorteilhaft für Francis.
Obwohl das von den Schwestern besonders geliebte Nesthäkchen Charles mit seinem spontanen, lebhaften Naturell das Gegenteil seines Bruders war, folgte er ihm in den Fußstapfen. Auch er ging früh zur Marineakademie und wurde 1797 Leutnant. Er diente dann vor allem im Mittelmeer und vor der amerikanischen Küste. 1807 heiratete er die siebzehnjährige Tochter Fanny des Justizministers der Bermudainseln, mit der er vier Töchter hatte. Als sie 1814 auf dem Schiff ihres Mannes starb, heiratete er ihre ältere Schwester Harriet, die bei den Austens als gewöhnlich galt und nicht beliebt war. Mit ihr hatte er vier Kinder. Zwei seiner drei Söhne folgten ihm in die Marine. 1816 war seine Karriere in Gefahr. Sein Schiff Phoenix war im östlichen Mittelmeer, wo er die Aktivität von Piraten bekämpfen sollte, in einem Sturm untergegangen, aber das eingesetzte Kriegsgericht sprach ihn von aller Schuld daran frei. Er starb 1852 als Konteradmiral ebenfalls auf seinem Schiff in Burma. Nach allen Berichten war er nicht nur in der Familie, sondern auch im Beruf ein außerordentlich fürsorglicher und beliebter Mann.
II
Die Austens waren eine ausgesprochen gut aussehende Familie. Der Vater wurde während seiner Universitätszeit »der schöne Proktor« genannt und galt noch im Alter mit seinem vollen grauen Haarschopf als anziehende Erscheinung. Nur Henry und Jane hatten von ihrem Vater die ausdrucksvollen braunen Augen geerbt. Die Mutter war besonders stolz auf ihre »aristokratische Nase«. Die Bilder der erwachsenen Kinder zeigen mit dem kleinen Mund, der schmalen, leicht gebogenen Nase, den braunen Augen und dem gelockten Haar eine auffällige Familienähnlichkeit. Obwohl es von Jane nur einen möglicherweise nicht einmal echten Schattenriss und das von ihrer Schwester gemalte Aquarell gibt, kann man von ihrem genaueren Aussehen durchaus einen Eindruck gewinnen, wenn man die Bilder ihrer Brüder betrachtet. Besonders aufschlussreich ist die späte Daguerreotypie von Francis – das einzige Foto von einem der Austen-Geschwister. Das Aquarell von Jane, das Cassandra etwa 1804 malte, ist leider nur eine Rückenansicht, auf der das Gesicht nicht zu sehen ist. Von Cassandra gibt es leider nur zwei Schattenrisse. Vor allem Henry und Charles galten als ausgesprochen attraktiv. Die beiden Mädchen waren schlank und von überdurchschnittlich großer, eleganter Erscheinung. Die wenigen überlieferten Urteile über das äußere Bild und den Charakter des Mädchens Jane lassen keine eindeutige Vorstellung zu; sie sind spontane oder spätere Eindrücke, die mehr über die Augenzeugen als über die Beurteilte aussagen. 1788 schrieb die Cousine Philadelphia Walter an die Cousine Eliza Hancock nach ihrer ersten Begegnung mit den Austen-Schwestern, die damals 16 und 13 waren, sie habe Cassandra lieber. Jane sei »durchaus nicht hübsch, aber geziert, gar nicht wie ein Mädchen von zwölf«; sie sei »launisch und affektiert«. Der heutige Leser spürt aus dieser Charakterisierung das Befremden, welches das geistig frühreife und offenbar befangene Mädchen hervorrief, das gerade angefangen hatte, literarische Parodien zu schreiben, und daher ihre Umwelt distanziert und kritisch betrachtete. Die angeschriebene Eliza berichtete ihrerseits drei Jahre später Philadelphia, was sie aus Steventon gehört hatte: Cassandra und Jane, nun 19 und 16, seien »vollkommene Schönheiten und erobern Herzen dutzendweise«; sie seien »zwei der hübschesten Mädchen in ganz England«. Bei diesem Urteil nun wieder ist die übersprudelnde Persönlichkeit Elizas zu berücksichtigen. Der Wahrheit näher kommt wohl die abgewogene spätere Erinnerung des Schriftstellers Sir Egerton Brydges, des Bruders ihrer mütterlichen Freundin Anne Lefroy, der von 1788 bis 1790 in der Nähe von Steventon wohnte und mit den Austens viel umging:
Als ich Jane Austen kannte, hatte ich keine Ahnung, dass sie schriftstellerisch tätig war, aber meine Augen sagten mir, dass sie ansprechend und hübsch, schmal und elegant war, aber etwas zu volle Wangen hatte.
Dieser letzte Zug, ein Erbteil ihres Vaters, wie dessen einziges existierendes Altersbildnis deutlich erkennen lässt, wird durch Cassandras Aquarell von Jane bestätigt. Eliza äußerte sich 1792 noch einmal brieflich über ihre Cousinen:
Cassandra und Jane sind beide sehr gewachsen (die letztere ist nun größer als ich) und haben sich in ihren Umgangsformen und ihrer Erscheinung sehr herausgemacht […]. Sie sind beide, glaube ich, gleich zartfühlend und beide in einem Grad, wie ich es selten erlebt habe, aber ich ziehe im Herzen Jane vor, deren freundliche Zuneigung zu mir ebenso erwidert zu werden verdient.
Beide Mädchen zeichneten sich durch ihr ausgeglichenes Temperament aus. Aber ihre Mutter machte einen Unterschied. Sie sagte, Cassandra habe »das Verdienst, ihr Temperament immer unter Kontrolle zu haben, aber Jane habe das Glück, dass sie ihr Temperament nie unter Kontrolle zu haben brauche«. Trotz diesem mütterlichen Urteil war Cassandra offenbar die kühlere, weniger emotionale der Schwestern.
Bei den Jungen nahm der Vater die schulische Erziehung ganz in die eigene Hand; die Mädchen schickte er auf eine private Schule, vielleicht vor allem, damit er im Haus mehr Platz für seine zusätzlichen Schüler hatte. Als Cassandra und die Cousine Jane Cooper 1783 zu Mrs. Crawleys Pen,sionat in Oxford geschickt wurden, durfte Jane, obwohl sie eigentlich noch zu klein war, auch mitgehen, da sie von ihrer Schwester unzertrennlich war. Wenn Cassandra sich hätte enthaupten lassen, sagte Mrs. Austen, hätte Jane darauf bestanden, ihr Schicksal zu teilen. Die Schule siedelte bald nach Southampton über, und mit ihr die drei Mädchen; doch als dort die Diphtherie ausbrach, holten ihre Mütter sie unverzüglich nach Hause. Die tragische Folge dieser Episode war, dass Mrs. Cooper sich ansteckte und starb. Trotzdem wurde ein zweiter Versuch gemacht, und zwar mit Mrs. Latournelles Pensionat in Reading. Das Haus war malerisch in den Resten eines alten Klosters gelegen, und die Leiterin hatte interessanterweise ein künstliches Bein aus Kork, aber sehr akademisch scheint es dort nicht zugegangen zu sein. Bei beiden Institutionen handelte es sich zweifellos nicht um Schulen im heutigen Sinn, die man für Mädchen ja gar nicht für nötig oder auch nur empfehlenswert hielt, sondern um den Typ von harmlosem Pensionat, in das Harriet Smith in Emma geht:
Mrs. Goddard war die Leiterin einer Schule – nicht etwa eines Seminars oder einer Anstalt, die sich in langen Sätzen voller gebildetem Unsinn dazu bekannte, reichliche Erkenntnisse mit einer gediegenen Moral auf der Basis neuer Prinzipien und neuer Systeme zu vereinigen, und in der den jungen Damen für enorme Summen Gesundheit ausgetrieben und Eitelkeit eingebleut wird – sondern es handelte sich um ein richtiges, solides, altmodisches Pensionat, wo eine angemessene Menge von Fertigkeiten für einen angemessenen Preis erworben wird und wohin man Mädchen schicken kann, damit sie aus dem Weg sind und sich ein bisschen Bildung zusammenkratzen können, ohne Gefahr zu laufen, als Genie zurückzukommen. (S. 25)
Höchstens aus einigen Schilderungen in den Romanen kann man auf Jane Austens Kindheit schließen, da das biographische Material so dürftig ist. Nimmt man Catherine Morlands Kindheit in Kloster Northanger als eine Art Selbstporträt, dann war Jane ein heiteres und wildes Kind:
Sie liebte alle Jungenspiele und zog Cricket bei weitem nicht nur Puppen, sondern auch den Kindheitsvergnügungen vor, mit denen sich Romanheldinnen im allgemeinen die Zeit vertreiben, wie der Pflege einer kleinen Hausmaus, dem Füttern eines Kanarienvogels oder dem Gießen eines Rosenstrauchs. Ohnehin hatte sie mit Gärten nichts im Sinn, und wenn sie überhaupt Blumen pflückte, dann hauptsächlich aus Schabernack – jedenfalls musste man das daraus schließen, dass sie immer gerade die aussuchte, die sie auf keinen Fall nehmen sollte. […] Schreiben und Rechnen lernte sie von ihrem Vater, Französisch von ihrer Mutter, aber in keinem waren ihre Kenntnisse überwältigend, und sie schwänzte die Stunden, wann immer sie konnte. Was für ein sonderbarer, unergründlicher Charakter! Denn trotz all dieser Anzeichen von Verworfenheit im zarten Alter von zehn Jahren hatte sie weder ein schlechtes Herz noch einen schlechten Charakter, war selten bockig, fast nie unverträglich […]; obendrein war sie laut und wild, hasste Stubenarrest und Sauberkeit und liebte es über alle Maßen, den grünen Abhang hinter dem Haus hinunterzurollen. (S. 6f.)
Wie es mit der Erziehung der Mädchen, die sicher nicht sehr systematisch war, im Haus Austen im allgemeinen stand, davon gibt vielleicht die Unterhaltung in Stolz und Vorurteil einen Eindruck, bei der die snobistische Lady Catherine de Bourgh sich über die Ausbildung Elizabeth Bennets und ihrer vier Schwestern ohne Gouvernante mokiert:
»Und wer hat Sie denn nun unterrichtet? Wer hat auf Sie aufgepasst? Ohne Gouvernante! Sie müssen vernachlässigt worden sein.«
»Im Vergleich mit anderen Familien war das sicher der Fall. Aber wer etwas lernen wollte, hatte immer Gelegenheit dazu. Wir wurden immer zum Lesen angehalten und hatten durch gute Bilder auch zum Malen Anregung genug. Aber wer nicht wollte, wurde nicht gezwungen.« (S. 188)
Dass Jane Austen wollte, ist keine Frage, und bei Eltern, die früh die Intelligenz ihrer Tochter bemerkten und förderten, und fünf Brüdern lebte sie in einer geistig intensiven häuslichen Atmosphäre, die auch das politische Gespräch einschloss, denn die Austens waren »Tories« und kultivierten Stuart-Sympathien. Maria Stuart war Janes Lieblingsmonarchin. Es ist überliefert, dass die junge Jane ausgeprägte politische Meinungen hatte. Ihr viel späteres Eingeständnis gegenüber dem Bibliothekar des Prinzregenten, sie spreche nur ihre Muttersprache, habe auch in ihr nur wenig gelesen und könne sich rühmen, die ungebildetste und unwissendste Frau zu sein, die es je gewagt habe, Schriftstellerin zu werden, ist eine bewusste, spitzbübische Irreführung, um Mr. Clarke davon zu überzeugen, dass sie nicht die Romane schreiben könne, die er ihr auf penetrante Art vorschlug. Jane Austen lernte Französisch und etwas Italienisch und hatte eine solide Grundlage auch auf anderen Wissensgebieten. Für die Historie wird das durch die komische Geschichte Englands, die sie als Sechzehnjährige schrieb, eindeutig belegt. Zudem lernte sie schon als Kind Klavier spielen und hatte außer zwischen 1801 und 1809 immer ein Instrument zur Verfügung, auf dem sie bis kurz vor ihrem Tod beinahe täglich übte. Vor allem aber war sie von früh auf eine leidenschaftliche Leserin, der der tolerante Vater auch Werke in die Hand gab, die man jungen Mädchen zu jener Zeit sonst lieber vorenthielt – wie etwa Henry Fieldings Tom Jones. Der Vater war selbst ein eifriger und vielseitiger Leser – auch von Romanen, auf die viele seiner Zeitgenossen mit Verachtung hinabsahen. 1798 erfahren wir aus einem Brief Janes, dass er gerade damit beschäftigt ist, The Midnight Bell (Die Mitternachtsglocke) zu lesen, das er aus der Leihbücherei entliehen hat. Das Buch war ein gerade erschienener Schauerroman, den Jane Austen auch in Kloster Northanger erwähnt. Das ist auch ein Anhaltspunkt für die Entstehungszeit des Romans. Nicht nur gegen derlei, sondern überhaupt gegen alle Romane gab es in dieser Periode noch starke Vorurteile, gegen die Jane Austen in ihren Romanen immer wieder zu Felde zieht. Der Leser kann sicher sein, dass eine Gestalt in ihren Büchern, die Romane verachtet, engstirnig und dumm ist. Im Jahr 1800 veröffentlichte die Zeitung der religiösen Sekte der »Evangelicals« ein »geistliches Barometer«, auf dem von +70 bis –70 die geistigen Tätigkeiten des Menschen bewertet werden. Darauf rangiert die »Liebe zu Romanen« noch hinter der fürs Theater (–30), lockeren Parties (–20) und Alkoholgenuss (–30) bei –40. Im Hause Austen wurden viele Abende mit Vorlesen verbracht, und wenn im Sommer und zu Weihnachten die Schüler George Austens in den Ferien nach Hause fuhren, ging man noch einen Schritt weiter. Dann führte man in der Scheune Theaterstücke auf, bei denen Cousine Eliza begeistert mittat. Auch die großartigen Theaterszenen in Mansfield Park verdanken den häuslichen Erlebnissen der Autorin wohl allerlei.
Jane Austens Briefe sprechen immer wieder von Lektüreeindrücken und spielen mit literarischen Gestalten und Zitaten. 1795 findet man den Namen der Zwanzigjährigen unter den Subskribenten von Fanny Burneys neuem Roman Camilla. Der Teenager Fanny Price in Mansfield Park verdankt den Stolz, zum erstenmal Abonnentin einer Leihbücherei zu sein, sicher den Erfahrungen ihrer Autorin. Aus einem Brief an Cassandra vom 18. Dezember 1798 kann man entnehmen, dass eine Mrs. Martin 1798 in Steventon oder Umgebung eine Leihbücherei eröffnete:
Ich habe eine sehr höfliche Einladung von Mrs. Martin erhalten, mich als Abonnentin ihrer Leihbücherei einzuschreiben, die am 14. Januar aufmacht, und habe dem entsprechend mein, oder vielmehr Dein, Einverständnis gegeben. Meine Mutter will das Geld dafür auftreiben. […] Als Anreiz zu abonnieren schreibt Mrs. Martin uns, dass ihre Sammlung nicht nur aus Romanen besteht, sondern aus jeder Art Literatur usw. usw. Diesen Anspruch hätte sie sich bei unserer Familie, die aus begeisterten Romanlesern besteht und sich dessen nicht schämt, sparen können. Aber ich nehme an, aus Rücksicht auf die Selbsteinschätzung der Hälfte ihrer Abonnenten war das nötig.
Aber auch diese Rücksichtnahme scheint nichts gefruchtet zu haben, denn in einem Brief vom Oktober 1800 heißt es dann:
Unsere ganze Nachbarschaft ist im Moment vollauf damit beschäftigt, die arme Mrs. Martin zu beklagen, die mit ihrem Geschäft ganz und gar gescheitert ist und deren Haus vor kurzem gepfändet wurde.
Immerhin sind diese Briefstellen ein Beleg dafür, wie gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Leihbüchereien auch das flache Land zu erobern versuchten.
Das Familienleben im Pfarrhaus in Steventon war, wie bei sieben Kindern nicht anders zu erwarten, lebhaft und nicht üppig. George Austen hatte zwar durch seine beiden Pfarren ein bequemes Auskommen, hatte aber finanzielle Sorgen, weil er früher gemachte Schulden an seinen Schwager Leigh-Perrot abzahlen musste. Deshalb besserte er sein Einkommen dadurch auf, dass er Schüler als Pensionsgäste ins Haus nahm, die er zusammen mit seinen Söhnen unterrichtete. Auch die Vettern und Cousinen vergrößerten die Familie durch ihre längeren und kürzeren Besuche noch weiter. Das austensche Haus war mit seiner harmonischen Atmosphäre und Gastlichkeit für Teile der Verwandtschaft eine Art Refugium, besonders in Krisenzeiten.
Jane Austens Cousine Eliza als spätere Comtesse de Feuillide
Unter den vorübergehenden Ergänzungen zur Familie darf Mitte der achtziger Jahre die schon mehrmals erwähnte Cousine Eliza Hancock nicht übergangen werden. Ihr fast romanhaftes Schicksal erregte die Phantasie der Austen-Kinder: Sie war in Indien geboren und wahrscheinlich nicht die Tochter ihres offiziellen Vaters, sondern des Gouverneurs von Indien, Warren Hastings. Dass ihre Mutter dessen Geliebte war, glaubte man in der englischen Gesellschaft in Indien zu wissen. Hastings sorgte finanziell für Eliza, und sie nannte ihren früh verstorbenen Sohn Hastings. Seit 1781 war sie mit dem französischen Grafen Jean-François Capot de Feuillide verheiratet, der dann 1794 unter der Guillotine starb; sie lebte mehrere Jahre in Frankreich und sprach fließend Französisch. 1792 besuchte ihr Mann sie in England, wurde aber nach Frankreich zurückgerufen, weil sein Besitz in Gefahr war, konfisziert zu werden. Eliza folgte ihm dorthin, musste allerdings nach seiner Hinrichtung 1794 in einer abenteuerlichen Flucht nach England zurückkehren – so jedenfalls wurde es in der Familie überliefert. Sie blieb zeit ihres Lebens flatterhaft und ein bisschen exaltiert. Ihre Briefe an ihre Cousine Philadelphia Walter enthalten zahlreiche Informationen über die Familie Austen. Mit ihrer kapriziösen Art trug sie wesentlich zur Stimmung und Unterhaltung im Haus bei, heiratete schließlich in zweiter Ehe ihren zehn Jahre jüngeren Vetter Henry und hat wohl mit einigen Zügen zu bestimmten Gestalten in Jane Austens Romanen Patin gestanden, vor allem zu Mary Crawford in Mansfield Park und zur Titelgestalt von Lady Susan. Als elegante Schwägerin war sie später öfter Janes Londoner Gastgeberin und Gefährtin und zog diese ihrer Schwester Cassandra vor.
Es ist verführerisch, aus dem Familienleben vergangener Jahrhunderte eine Idylle zu machen, aber im Falle der Austens entsprach dieses Bild wohl weitgehend der Wirklichkeit. Es wurde von einem Beobachter mit der Natürlichkeit »der wohlhabenden Familien in den reizvollen Tälern der Schweiz« verglichen. Nur darf das nicht zu völlig unangebrachten Vorstellungen von einer engstirnig-frömmelnden Atmosphäre in diesem Pfarrhaus führen. Die Eltern erzogen ihre Kinder verständnisvoll und liberal und förderten ihre Interessen. Zeit ihres Lebens scheint das Verhältnis zwischen allen Geschwistern weitgehend ungetrübt und herzlich gewesen zu sein. Das Lob auf die geschwisterliche Vertrautheit, das Jane Austen in Mansfield Park gesungen hat, beruht bestimmt auf eigenen Empfindungen.
Kindern derselben Familie, desselben Blutes mit denselben frühen Erlebnissen und Gewohnheiten ist eine Möglichkeit gegeben, sich gemeinsam zu freuen, wie keine spätere Verbindung im Leben sie herstellen kann; und es gehört schon eine lange und unnatürliche Entfremdung, eine Trennung dazu, die keine spätere Verbindung rechtfertigen kann, um diese kostbaren Reste früherer Zuneigung ganz auszulöschen. (S. 284)
Noch 1814 schrieb Jane in einem Brief an ihre Nichte Anna:
Ich möchte, dass Vettern und Cousinen sich wie Vettern und Cousinen benehmen und sich füreinander interessieren. Schließlich sind sie nur einen Verwandtschaftsgrad weiter voneinander entfernt als Geschwister.
Das Vorlesen und Theaterspielen aber, das bei den Geschwistern häusliche Unterhaltung blieb, setzte sich bei Jane in künstlerische Impulse um und bildete die stärkste Anregung dafür, dass sie zu schreiben begann, denn sie benutzte die Lektüre und die Theaterstücke, um Parodien der zeitgenössischen Literatur zu schreiben, die sie dann ihrerseits offenbar mit großem Erfolg im Kreis der Familie vorlas.
III
Während die Brüder nun nach und nach das Haus verließen, um sich ihrem Studium oder ihrem Beruf zu widmen, und zum Teil auch heirateten, knüpften die beiden Mädchen engere Beziehungen in der Nachbarschaft an. Auch mit den Familien der Umgebung von den Grundbesitzern bis zu den Kollegen des Vaters standen die Austens auf bestem Fuß. Vor allem mit drei Häusern gingen Cassandra und Jane freundschaftlich um.
(1) Auf dem Landsitz Manydown auf dem Weg nach Basingstoke lebten die Biggs, die drei Töchter und einen Sohn hatten. Hier blieben die austenschen Mädchen öfter über Nacht, wenn in Basingstoke Veranstaltungen stattfanden, die man gemeinsam besuchte. Der Sohn sollte, wie sich zeigen wird, 1801 eine kurze, aber wichtige Rolle in Jane Austens Leben spielen.
(2) In Ashe, gut eine Meile nördlich von Steventon, war Mr. Lefroy Pastor, dessen gebildete, gesellschaftlich gewandte Frau für Jane eine enge mütterliche Freundin war, die offenbar als frauliches Vorbild großen Einfluss auf sie ausübte. Ihr plötzlicher Tod durch einen Sturz vom Pferd 1804 ging Jane sehr nahe, obwohl sie zu dieser Zeit gar nicht mehr in Steventon wohnte. Der Unfall fand ausgerechnet an ihrem Geburtstag statt. Ihre Bestürzung lässt sich noch an dem Gedicht ablesen, dass sie vier Jahre später über das tragische Ereignis schrieb. Der jüngste Sohn der Lefroys heiratete 1814 Janes älteste Nichte Anna.
Tom Lefroy
1796 war Tom Lefroy aus Irland bei seiner Tante zu Besuch und verliebte sich in Jane Austen, die seine Gefühle erwiderte. Aber da der junge Mann noch kein Einkommen hatte und vielleicht auch weil die Austen-Töchter mit einer größeren Mitgift nicht rechnen konnten, wurde die Verbindung von den Lefroys nicht ermutigt. Auch gab es ein Gerücht, dass Tom schon vergeben sei. In ihren ersten überlieferten Briefen berichtet Jane ihrer Schwester in halb ironischen, halb ernsten Worten von dem Abschied von Tom:
Du schimpfst mich in Deinem schönen langen Brief […] so sehr aus, dass ich gar nicht zu erzählen wage, wie mein irischer Freund und ich uns benommen haben. Stell Dir alles Mögliche vor, was Du Dir an verworfenem und Aufsehen erregendem Tanzen und Zusammensitzen denken kannst. Ich kann mich allerdings nur noch einmal so skandalös benehmen, denn er reist bald nach Freitag ab […]. (9. Januar 1796)
Freitag. – Nun ist der Tag gekommen, an dem ich zum letztenmal mit Tom Lefroy flirten werde, und wenn Du diesen Brief erhältst, ist alles vorbei. Meine Tränen fließen bei diesem traurigen Gedanken, während ich schreibe. (14. Januar 1796)
Mrs. Lefroy kam letzten Mittwoch […]. Sie erwähnte mir gegenüber den Namen [ihres Neffen] nicht ein einziges Mal, und ich war zu stolz, nach ihm zu fragen; aber als mein Vater später fragte, wo er sei, erfuhr ich, dass er auf dem Weg nach Irland, wo er nun Rechtsanwalt wird und den Beruf auch ausüben will, zunächst zurück nach London gefahren ist. (17. November 1798)
Der junge Mann wurde schließlich oberster Richter Irlands und erinnerte sich im Alter: Ja, er sei einmal in die große Jane Austen verliebt gewesen, aber es habe sich um die Liebe eines Jungen gehandelt.
Noch eine zweite Liebelei, wenn nicht Liebe Jane Austens scheint sich bald darauf durch das Haus Lefroy angebahnt zu haben, wo ein »Freund« zu Gast war, der ohne Namensnennung ebenfalls in dem zuletzt zitierten Brief ausführlich bedacht wird. Mrs. Lefroy zeigte Jane bei ihrem Besuch, bei dem sie ihren Neffen totschwieg, einen Brief von ihrem Freund, in dem dieser schrieb:
Ich höre mit Bedauern von Mrs. Austens Krankheit. Es wäre mir eine große Freude, eine Gelegenheit zu haben, mit dieser Familie näher bekannt zu werden, um in eine engere Verbindung mit ihr zu treten. Aber vorläufig kann ich solche Absichten nicht verfolgen.
Solche Formulierungen bedeuteten im Sinn der Zeit, dass der junge Mann Jane Austen ganz gern geheiratet hätte, aber für eine Ehe noch keine finanzielle Basis hatte und daher von dem Plan wieder Abstand nahm. Jane war sich auch darüber im klaren, dass ihr Verehrer in solchen Worten »weniger Liebe und mehr Verstand zeigt, als er vorher manchmal zu zeigen schien«, und hatte sich auf ihre typisch ironische Art schon mit der Trennung abgefunden:
Es wird auf sehr vernünftige Weise langsam abklingen. Es ist nicht anzunehmen, dass er über Weihnachten nach Hampshire kommt und daher nur zu wahrscheinlich, dass unsere Gleichgültigkeit bald wechselseitig ist; es sei denn, dass seine Zuneigung, die anscheinend zustande kam, weil er nichts von mir wusste, sich nun davon nährt, dass er mich nie sieht.
Die Autoren von Jane Austen. Her Life and Letters haben 1913 diesen zögernden Ehekandidaten als den Geistlichen Samuel Blackall identifiziert, der erst gut fünfzehn Jahre später heiratete. Jane las die Anzeige in der Zeitung und schrieb an ihren Bruder Francis, der mit seiner Fregatte »Elephant« in der Ostsee kreuzte (sie erwähnte das Schiff dann mit seiner Erlaubnis in Mansfield Park):
Er hat in Clifton eine Miss Lewis geheiratet, deren verstorbener Vater aus Antigua stammt. Ich wüsste gern, was sie für eine Frau ist. Er war ein Bündel Vollkommenheit, geräuschvolle Vollkommenheit, an das ich mich mit Herzlichkeit erinnere. […] Ich wünschte, Miss Lewis wäre eher schweigsam veranlagt und ziemlich unbedarft, aber von natürlicher Intelligenz und mit dem Bedürfnis sich zu bilden; – sie müsste kalte Kalbspasteten, grünen Tee am Nachmittag und nachts grüne Jalousien gern haben. (3. Juli 1813)
Es hat wenig Sinn, aus diesen Liebeserlebnissen Jane Austens zur Erbauung des Lesers romantische Episoden zu spinnen, da wir außer diesen wenigen Andeutungen nichts wissen. Weder sind uns genügend Tatsachen überliefert, noch kennen wir über ihre eigenen knappen Bemerkungen hinaus Janes Gefühle. Nach den Konventionen der Zeit war es undenkbar, dass ein junger Mann und eine junge Frau länger miteinander flirteten, ohne dass ihre Umgebung auf ernste Absichten des Verehrers und seine Ermutigung durch die Dame schloss. Auch war es undenkbar, dass beide miteinander korrespondierten, ohne verlobt zu sein oder als verlobt betrachtet zu werden – daher ist es so skandalös, dass Marianne in Verstand und Gefühl an Willoughby schreibt. Solche Beziehungen endeten, falls der junge Mann sich nicht unmöglich machen und das Mädchen ihren Ruf nicht schwerwiegend schädigen wollte, unweigerlich in der Ehe, wenn der Kontakt nicht schnellstens abgebrochen wurde. Darum schickte Mrs. Lefroy ihren Neffen nach Irland zurück und zeigte Jane den ausweichenden Brief von Mr. Blackall.
Aber so wenig sinnvoll es ist, diese »Affären« auszumalen, so nützlich ist es, von ihnen zu wissen, weil aus ihnen hervorgeht, dass Jane Austens Schriftstellertum nicht etwa Kompensation für einen Mangel an weiblichen Reizen war. Sie war keineswegs eine »geborene alte Jungfer«, sondern lebte wie die meisten Teenager und jungen Frauen in der Erwartung, eines Tages zu heiraten. Die ersten erhaltenen Briefe der Einundzwanzigjährigen enthalten übermütige, ironisch gefärbte Bemerkungen über ihre Flirtereien, so am 14. Januar 1796:
Sag Mary, ich überlasse ihr Mr. Heartley und seinen gesamten Besitz zu ihrem ausschließlichen zukünftigen Nutzen und Gewinn, und nicht nur ihn, sondern obendrein all meine anderen Verehrer, wo immer sie sie auftreiben kann, sogar den Kuss, den C. Powlett mir geben wollte, da ich mich von jetzt an einzig auf Mr. Tom Lefroy beschränken will, an dem mir gar nichts liegt.
An der Charakterisierung, Jane sei »der hübscheste, albernste, affektierteste Backfisch auf der Jagd nach einem Mann gewesen«, ist vielleicht durchaus etwas daran, obwohl ihre viktorianischen Nachkommen, die diese Kennzeichnung nicht gerade als Kompliment werteten, nachzuweisen versucht haben, dass die Mutter der Schriftstellerin Mary Russell Mitford, die die Bemerkung gemacht hat, nicht glaubwürdig sei, weil sie in der Nähe Steventons nur gelebt habe, bis Jane zehn Jahre alt war. Ob Jane Austen nicht schließlich doch geheiratet hätte, wenn die Aussichten ihrer Schwester nicht durch den Tod ihres Verlobten plötzlich zunichte geworden wären und sie allein im Haus der Eltern zurückgeblieben wäre, und ob eine Heirat und Kinder – nahezu ständige Schwangerschaften waren damals bei dem Stand der Geburtenkontrolle eher die Regel – ihre literarischen Ambitionen nicht gehindert oder gar zerstört hätten, sind offene Fragen. Sicher ist, dass sie zunächst ledig blieb, weil eine Ehe trotz einiger aussichtsreicher Bewerber nicht zustande kam. Dass sie aber wohl nicht ohne Liebe geheiratet hätte, muss man ihren Romanen entnehmen, in denen die Heirat ohne echte Bindung der Partner immer wieder als eine schreckliche Aussicht dargestellt wird. Auch ihrer Nichte Fanny Knight, die ihre Tante in Liebesangelegenheiten um Rat fragte, gestand sie, dass nichts dem Elend gleiche, ohne Zuneigung an einen Mann gebunden zu sein (30. November 1814). Gerade aber weil es sich hier um einen Punkt handelt, an dem das Literarische und das Biographische in engster Beziehung zueinander stehen, ist es schade, dass der Mangel an sicheren Informationen uns nicht erlaubt, eine solche Verbindung weiter zu verfolgen und dadurch auch die Romane weiter zu erhellen. Es lässt sich aus Andeutungen in ihren Briefen entnehmen, dass Jane die Entscheidung, nicht geheiratet zu haben, später nicht bereut hat.
(3) Die engste Verbindung in der Nachbarschaft bestand zu den Töchtern des Pastors von Deane, Mr. Lloyd, der 1789 starb. Seine Witwe blieb noch einige Jahre im dortigen Pfarrhaus wohnen und zog dann mit ihren unverheirateten Töchtern Mary und Martha – Eliza war schon mit Fulwar Craven Fowle, dem Bruder von Cassandra Austens Verlobtem, verheiratet – nach Ibthrop, nur 18 Meilen von Steventon entfernt, so dass der freundschaftliche Verkehr aufrechterhalten werden konnte. Mrs. Lloyd war eine Tochter der schönen und berüchtigten Lady Craven, die bei ihrem eleganten Leben ihre Kinder auf skandalöse Weise vernachlässigt und misshandelt hatte und die manche Forscher für das Vorbild von Jane Austens Lady Susan in dem gleichnamigen Romanfragment halten. Mary Lloyd heiratete 1797 den verwitweten James Austen, aber Martha blieb noch Jahrzehnte unverheiratet und zog 1805 nach dem Tod ihrer Mutter zu den Austens.
Zu den großen Vergnügungen der Mädchen gehörten vor allem die Bälle, die in den stattlichen Privathäusern der Umgebung oder monatlich einmal öffentlich in Basingstoke stattfanden. Sie nehmen in den frühen Briefen Jane Austens viel Raum ein. Ausführlich wird diskutiert, wer anwesend war, mit wem man getanzt und was man getragen habe, und für die Freundinnen boten diese Feste immer wieder Anlass zu gegenseitigen Besuchen.
Der Bildungsgrad dieser gemischten ländlichen Gesellschaft war dabei wohl nicht durchweg so hoch wie im Haus Austen. Die Ungebildetheit des englischen »Country Squire« ist schließlich schon eine satirische Zielscheibe des Romans im 18. Jahrhundert. Einmal wurde Mr. Austen von einem Grundbesitzer gefragt, ob nun eigentlich Paris in Frankreich oder Frankreich in Paris liege, er habe sich mit seiner Frau darüber gestritten. Es lässt sich schon aus dieser einen kleinen Anekdote ablesen, welche Fundgrube für die kritisch ihre Umwelt taxierende Schriftstellerin Jane Austen, zu deren besonderem Talent die ironische Darstellung leicht grotesker Mitmenschen gehörte, solche Zusammenkünfte gewesen sein müssen. Irgendwo ist sie immer wieder einem betulichen Umstandskrämer wie Mr. Woodhouse, einer geschwätzignaiven alten Jungfer wie Miss Bates, einer gewöhnlichen Neureichen wie Mrs. Cole oder einer sich hochvornehm gebenden Pfarrersfrau wie Mrs. Elton (alle aus Emma) begegnet und hat schmunzelnd oder bitter ihre charakteristischen Züge und vor allem ihre Art, sich auszudrücken, beobachtet, analysiert und in der literarischen Vorratskammer ihres Gedächtnisses gespeichert.