Читать книгу Das Geheimnis der Inka - Christian Jägersberg - Страница 3
Das Gefängnis
ОглавлениеAls Pablo an diesem Morgen erwachte, schmerzte ihm der Rücken. „Die Gefängnisbetten sind auch nicht mehr das, was sie mal waren“, dachte er. Er ging zum Spiegel, sah hinein und ein fünfzehnjähriger Junge mit schwarzen Haaren, braunen Augen und stark gebräunter Haut erwiderte seinen Blick, während er sich die Haare richtete und den Schlaf aus den Augen rieb. Dann ging Pablo zum Fenster und sah durch die Gitterstäbe. Die Sonne schien über São Paulo und wärmte sein Gesicht. Doch Pablo verachtete die Stadt, denn er war obdachlos.
Schon vor seinem ersten Lebensjahr lebte er auf der Straße. Seine Eltern hatte er kaum gekannt. Sie waren an irgendeiner tropischen Krankheit gestorben. Pablo wusste nicht welche. Er kannte sich mit solchen Dingen nicht aus. Auch konnte er weder lesen noch schreiben, aber er konnte rechnen. Das war ganz nützlich, denn so wusste er, dass drei Jahre Haft wegen Kunstraub 1095 Tage hatte. 1094 Tage saß er schon. Morgen würde er wieder auf der Straße leben. Darauf freute er sich überhaupt nicht, denn das Gefängnis war wie ein zweites zu Hause für ihn. Aber auch das gute Essen konnte ihn nicht davon abhalten mit seinem Freund Marco zu leben. Marco war ein großer schlanker Junge mit ebenfalls schwarzen Haaren, hatte aber blaue Augen und war nicht ganz so gebräunt wie Pablo. Er war ebenfalls obdachlos und stammte aus Paraguay. Pablo dagegen war in Argentinien aufgewachsen bis er nach São Paulo ausgewandert war. Dort hatte er dann Marco kennen gelernt, der ebenfalls keine Eltern hatte.
Die beiden lebten vom Kunstraub. Sie stahlen Gemälde aus Museen und verkauften sie als angebliche Nachdrucke an Antiquitätenhändler. Doch bei ihrem letzten Diebstahl wurden sie von der Polizei überrascht. Marco konnte entkommen, doch Pablo schossen sie ins Bein und er musste ins Gefängnis. Pablo hielt nicht viel von der Polizei, was noch ein Grund war, warum er die Stadt verachtete. Es hatte nichts mit seinem Bein zu tun, das mittlerweile operiert worden war, sondern eher damit, dass die Polizei, wenn sie obdachlose Menschen sah, auf diese schießen durfte. Die Regierung wollte diese so genannten „Strolche“ vertreiben und hatte der Polizei jegliche Macht dafür gegeben, die sie für diese Angelegenheit brauchte.
So in Gedanken versunken erschrak er plötzlich, als jemand an die Tür hämmerte.
„Aufstehen!“, brüllte eine Stimme. „In den Speisesaal! Frühstücken!“
Pablo ging zum Waschbecken und erfrischte sich etwas. Dann fiel ihm etwas auf den Kopf, doch er kümmerte sich nicht darum. Er war es gewohnt, dass ihm Bruchstücke der Decke trafen, auch wenn es immer noch wehtat.
Pablo saß jetzt zum siebten Mal im Gefängnis, immer wegen Kunstraub. Wenn er wieder auf freiem Fuß war, würde er 7665 Tage hinter sich haben, womit er alle Rekorde gebrochen hätte. Doch seine Stammzelle sah nicht mehr so aus wie bei seiner ersten Haft. Der Putz bröckelte von den Wänden ab, das Bett war hart und die Gitter waren so rostig, dass er, wenn er noch fünf Jahre warten müsste, sie einschlagen und ausbrechen konnte. Die Tür öffnete sich und Wachtmeister Sanchez stand auf der Schwelle. „Beweg dich“, befahl er, während Pablo hinaus schlürfte. Draußen wartete schon Luigi.
Er war neben Pablos Zelle inhaftiert und 35 Jahre alt – sah aber aus wie 45. Er stammte aus Italien und kam nach Brasilien, um dort sein Glück zu suchen. Er saß wegen Bankraubs.
„Pablo“, sagte er, als er ihn sah und die beiden machten sich auf den Weg zum Frühstück. „Hast du die Nacht heil überstanden? Ich glaub meine Wirbelsäule ist hin. Die sollten mal die Zellen inspizieren. Die müssen mal renoviert werden, na ja. Du, ich hab gehört, dass wir heute wieder Steine klopfen müssen. Ich weiß auch nicht, warum sie auf diesen alten Schnickschnack zurückgreifen. Wir könnten doch lieber unsere Zeit mit pokern verspielen, als für die Stadtbewohner Pflastersteine zu hämmern.“
„Ich find es geht“, sagte Pablo. „Und morgen kümmert mich das alles eh nicht mehr.“
„Ach ja, du wirst ja morgen entlassen. Du wirst mir fehlen. Ich dagegen muss hier noch sechs Jahre verbringen.“
„Wundert es dich, wenn man mit einem Revolver eine Bankangestellte bedroht, zwei Millionen Reals verlangt, doch, als diese das Geld in einen Sack gesteckt hat, du aus Versehen abgedrückt und sie ermordet hast, dir dann den Sack geschnappt hast und geflohen bist, um dann zwei Minuten später von der Polizei erwischt zu werden, dass du nicht lebenslänglich sondern nur acht Jahre Haft bekommen hast?“
Doch Luigi antwortete nicht, da sie nun in einen Korridor kamen, in dem Polizisten standen, denen sie ihr vertrautes Gespräch nicht anvertrauen wollten.
Schließlich erreichten sie den Speisesaal. „Was gibt’s denn heute zu essen?“, fragte Pablo und nahm sich eine Schüssel.
„Das Übliche nehme ich an“, antwortete Luigi. „Ah, nein, sieh mal. Heute gibt’s zum Frühstück Haferschleim, Haferflocken und den Tagestipp Haferbrei. Na, das nenn ich mal einen Unterschied im Gegensatz zu der letzten Woche. Da gab es ja noch Hafermüsli, Cornflakes aus 100 Prozent Hafer und Haferpüree mit Bratwürstchen. Mann, das nenne ich Komfort.“
Er nahm sich ebenfalls eine Schüssel und die beiden gingen zum Tresen, um sich etwas zu bestellen. Während Pablo sich Haferflocken bestellte, dachte er daran, was es bei seiner ersten Haft zu essen gab.
Damals im Alter von acht Jahren genoss er noch ein normales Frühstück, wie es bei jedermann auf dem Tisch steht. Man hatte die Wahl zwischen Brötchen und Toast, verschiedenen Aufstrichen und ein oder zwei Eiern. Doch ihn wunderte damals etwas ganz anderes.
Er hatte sich gewundert, dass ein Junge in seinem Alter ins Gefängnis kommen konnte. Er war gerade in ein Museum eingebrochen und hatte unerfahren, wie er war, die Alarmanlage ausgelöst. Die Polizei stand keine zehn Sekunden später auf der Matte und führte ihn ab.
Im Gefängnis hatte er dann Marco kennen gelernt. Er saß damals wegen Taschendiebstahl für knapp ein Jahr und die beiden teilten sich ein Zelle. Als er wieder auf freiem Fuß war und Pablo zwei Jahre später auch entlassen wurde, gingen sie Pablos Plänen nach, um durch gestohlene Gemälde an Geld zu kommen. Doch es gab kaum einen Einbruch, an dem nicht einer von ihnen erwischt und erfasst wurde. Aber seit ihrem gemeinsamen Jahr im Gefängnis, in dem sie sich kennen lernten, waren sie nicht mehr zusammen eingesperrt.
Pablo und Luigi setzen sich an einen Tisch und begannen zu essen. Pablo dachte immer noch an die Zeit, die er mit Marco verbracht hatte, und hörte Luigi nur halb zu, der immer noch über das Essen fluchte. „Dieses verfluchte Essen. Ich kann schon gar keinen Hafer mehr sehen, geschweige denn schmecken. Bei der Auswahl, die sie uns geben, servieren sie uns demnächst noch Hafer am Stiel.“
Nach dem Frühstück schlurften sie wieder zurück zu ihren Zellen, gingen aber nicht hinein, um wieder eingeschlossen zu werden, sondern versammelten sich mit anderen Zellengenossen um einen Tisch in der Mitte und sahen zu, wie einige Leute beim Pokern zockten.
Eine halbe Stunde später aber wurden sie durch Wachtmeister Sanchez gestört, der sie nach draußen befahl. Zögernd schlurften alle hinter ihm her, der sie auf einen kleinen Hof geleitete, auf dem es keinen Schatten gab, um sich vor der starken Sonne zu schützen. Ein Haufen riesiger Steine wartete schon auf sie. „Ich hab es doch gesagt: Wir sollen wieder Steine klopfen.“, sagte Luigi, während alle Inhaftierten sich einen Hammer und einen Stein nahmen, um sich einen Platz zum Kleinschlagen zu suchen. Pablo und Luigi gingen in eine Ecke des Hofes, wo es zumindest etwas Schatten gab, und schlugen auf ihren Fels ein. Es war eine Schweißarbeit und Pablo kam sich vor wie im Mittelalter. Er wusste, dass diese Arbeit vor ein paar Jahrhunderten abgeschafft wurde, und, dass man in anderen Gefängnissen auf der Welt Tüten kleben oder andere leichtere Arbeiten erledigen musste.
Drei Stunden später konnten sie aufhören und ins Gefängnis zurückgehen, nachdem die vergitterte Tür aufgeschlossen wurde, die die Zellen von dem übrigen Gebäude abtrennte. Diese Pause wurde jeden Tag eingeführt, damit die Gefangenen nicht in der Mittagszeit unter der brütenden Sonne schuften mussten. Sie hatten nun zwei Stunden Zeit für sich selbst und Luigi ging auch gleich zurück zum Pokertisch. Pablo dagegen ging in seine Zelle, um aus dem Fenster zu sehen. Er hatte sich bereits einen neuen Coup ausgedacht für einen neuen Einbruch und wollte darüber nachdenken, wie er laufen sollte. Eventuell könnte er mit Marco schon morgen Abend dort einbrechen.
Nach knapp zwei Stunden kam Wachtmeister Sanchez zurück, um sie wieder nach draußen zu geleiten. Sie nahmen ihre vorigen Plätze ein und fuhren mit ihrer Arbeit fort.
„Ich hab beim Pokern einiges abgesahnt“, lachte Luigi. „Hättest du mal sehen sollen, wie ich alle geblufft habe.“
Pablo brummte nur zustimmend.
„Wo warst du eigentlich? Ich hab dich vermisst.“
„Ich hab ein bisschen gegrübelt, wegen morgen.“
„Was ist denn morgen?“
„Ich hab eine neue Idee für einen Coup.“
„Ein neuer Coup? Sei lieber vorsichtig. Mit Pech sehen wir uns bald wieder.“
„Nur für mich oder Marco, weil wir wieder drei Jahre getrennt und einer von uns eingesperrt sein wird. Aber Glück für dich, weil du dann nicht mehr alleine sein wirst.“
„Bist du sicher, dass ihr nicht beide ins Kittchen kommt.“
„Ganz sicher. Wenn vorher so etwas nicht passiert ist, wird es auch später nicht passieren.“
Luigi sah ihn schweigend an. Auf seiner Stirn hatte sich eine Sorgenfalte gebildet. Doch Pablo wischte sich den Schweiß von der Stirn und schlug weiter auf seinen Stein ein.