Читать книгу Das Geheimnis der Inka - Christian Jägersberg - Страница 4
Paulo
ОглавлениеAm nächsten Morgen ging Pablo gut gelaunt zum Frühstück. Luigi schlurfte hinter ihm her. Offenbar machte er sich auf das schlimmste gefasst. Doch Pablo kümmerte es nicht.
Selbst im Speisesaal ließ er sich auch nicht durch das üble Essen – Haferjogurt – schlecht stimmen.
Er dachte an die Freiheit, daran das schäbige Gefängnis zu verlassen und mit Marco in der Stadt herumzutollen, weil sie sich freuten, dass er wieder frei war.
Vor zwei Tagen hatte er Pablo einen Brief geschrieben. Sanchez hatte ihn gebracht, nicht ohne seine Bemerkungen dazu abzugeben. „Ich habe hier einen Brief für dich“, sagte er mit bemüht ruhiger Stimme an Pablo gewandt.
„Ja, und?“, hatte Pablo gefragt. „Kann ich ihn haben oder muss ich noch Formulare unterschreiben?“
„Nein, musst du nicht“, hatte Sanchez geantwortet und Pablo einen zusammengefalteten Zettel entgegengeschleudert, den er noch gerade davor gerettet hatte, nicht in seine Suppe zu fallen. „Aber er wurde wieder nicht frankiert, adressiert oder zumindest in einen Umschlag gesteckt. Das ist jetzt schon das dritte Mal in diesem Jahr. Wenn du morgen entlassen bist, sorge bitte dafür, dass der Absender in Zukunft seine Briefe per Post schickt.“ Sanchez hatte sich umgedreht und war aus der Tür geschritten.
Pablo hatte sich über Sanchez’ überflüssige Kommentare immer gewundert. Mit der Zeit hatte er sich zusammengereimt, dass Sanchez offenbar peinlich berührt war jede Kleinigkeit des Gesetzes, wie klein es auch war, zu befolgen.
Pablo hatte den Zettel entfaltet und ihn Luigi gegeben, damit er ihn vorlas. Er hatte schon gewusst, dass es eine Nachricht von Marco war. Immer wenn einer von ihnen im Gefängnis war, kommunizierten sie auf diese Weise miteinander. Der Nachteil war nur, dass derjenige, der im Gefängnis saß, nicht an seinen Freund in der Stadt zurück schreiben konnte. Es gab keine Adresse und man konnte keinen toten Briefkasten einführen, da der Gefangene nicht auf den Vorhof durfte, sondern eher im Hintergrund gehalten wurde.
Luigi hatte sich geräuspert und die Stimme erhoben. „Hi Pablo“, hatte er vorgelesen. „Ich hoffe dir geht es gut. Ich wollte dich nur wissen lassen, dass ich dich morgen um punkt neun Uhr vor dem Gefängnis abholen werde. Ich freue mich schon auf deine Entlassung und ich hoffe, dass du einen neuen Plan für einen Coup hast. Ich musste unsere Einbruchsutensilien verkaufen, um überhaupt über die Runden zu kommen. Wenn du einen Plan hast, dann setzten wir ihn sofort in die Tat um, da ich sonst meine Kleider verkaufen muss. Ich klaue mir zwar hin und wieder Brieftaschen, doch die Leute in der Stadt scheinen auf uns vorbereitet zu sein und stecken daher nicht mehr so viel Geld ein. Ich hoffe dir fällt was ein. Bis Morgen, Marco.“
Es hatte sich so angehört, als würde sein Freund schon am Hungertuch nagen, und Pablo hoffte inständig, dass der Schein trog.
Doch mit einem trüben Blick nahm er Luigi wahr, der niedergeschlagen in seinem Jogurt herumstocherte.
„Was ist mit dir?“; fragte Pablo, nachdem er sich aus seinen Gedanken losgerissen hatte.
„Nichts“, antwortete Luigi in einem nicht ganz glaubhaften Ton.
„Ach, komm. Ich weiß, dass mit dir etwas nicht stimmt. Du kannst mich nicht zum Narren halten.“
„Woher willst du wissen, dass etwas nicht mit mir stimmt?“
„Du meckerst nicht mehr über das Gefängnis.“
Darauf fiel Luigi keine Ausrede mehr ein. Stattdessen sagte er: „Ja, du hast Recht. Ich bin niedergeschlagen.“
„Und warum?“
„Weil du nach dem Frühstück entlassen wirst.“
„Ja, aber das macht doch nichts. Ich glaube, dass wir uns bald wieder sehen werden.“ Bei seinem letzten Satz war Pablo immer leiser geworden und er wies jetzt Luigi an sich zu ihn zu beugen. „Hör gut zu“, flüsterte er in sein Ohr. „Wenn du in den nächsten Monaten hin und wieder an das Gitter in deiner Zelle klopfst, wird es sich wohl bald aus der Wand lösen und du kannst hinausklettern und türmen.“ Pablo setzte sich wieder normal hin und sah in Luigis Gesicht, der nun etwas glücklicher schien.
Er wandte sich wieder seinen Jogurt zu und Pablo tat es ihm gleich. Doch ehe er weiter essen konnte, öffnete sich die Tür und Wachtmeister Sanchez trat von zwei weiteren Polizisten flankiert ein. Im Gleichschritt marschierten die drei auf den Tisch zu, an dem Pablo und Luigi saßen. Sie zeigten etwas Bedrohliches.
„Bist du bereit?“, sagte Sanchez mit erhobenem Haupt.
„J…ja“, antwortete Pablo vorsichtig. Ihm war nicht ganz wohl zumute, Ansicht dieser bedrohlich wirkenden Gestallten. „Mach’s gut Luigi.“
Luigi hob die Hand zum Abschied und Pablo stand auf.
Mit Sanchez vor ihm und den beiden Polizisten neben ihn wurde Pablo zu einem stählernen Tor geführt. Sanchez öffnete es und ließ Pablo und seine beiden Kollegen vorbei. „Führt ihn nach draußen“, sagte er und schloss das Tor von innen. Pablo wurde über einen breiten Sandweg zu einem weiteren stählernen Tor geführt. Das Tor war mitten in einem fünf Meter hohen Maschendrahtzaun eingelassen, der das gesamte Gelände umfasste. Der eine Polizist öffnete das Tor, während der andere Pablo hindurchführte und eine dahinter liegende Schranke hochklappen ließ. Pablo ging nach draußen und die Schranke wurde hinter ihm geschlossen. Der Polizist ging durch das Tor zurück, das sein Kollege für ihn aufhielt, um es dann wieder zu schließen.
Gedankenverloren sah Pablo ihnen zu, bis ihm plötzlich eine Hand auf die Schulter fasste.
„Schön dich zu sehen, Alter.“
Erschrocken drehte Pablo sich um.
Vor ihm stand Marco, so wie Pablo ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er war keinesfalls nur noch Haut und Knochen, wie Pablo nach seinem letzten Brief befürchtet hatte, sondern er war kerngesund. Nur schien er in den letzten Jahren gewachsen zu sein, denn er überragte ihn um fast einen halben Kopf.
„Wieder auf freiem Fuß ist es doch am schönsten, oder?“, fragte Marco und die beiden gingen die Straße entlang.
Pablo nickte nur. Er musste sich erst einmal wieder daran gewöhnen auf São Paulos Straßen spazieren zu gehen, weshalb er erstmal nichts sagte.
„Du, ich muss dir was zeigen“, sagte Marco und führte ihn über eine Kreuzung. „Komm mal mit.“
Er führte Pablo einige Straßen entlang und machte schließlich vor einem schäbigen Betonbau halt. Über der Tür hing ein Schild mit der Aufschrift „Tierheim“. Marco öffnete sie und ging hinein.
Pablo zögerte. Er hatte keine Ahnung, was Marco vorhatte. Er hatte ganz begeistert geklungen, als er gesagt hatte „Ich muss dir mal was zeigen“. Doch Pablo wusste überhaupt nicht, was in dem Tierheim so besonders sein sollte, damit Marco davon schwärmte. Doch er öffnete ebenfalls die Tür und folgte ihm hinein.
Das Tierheim war dunkel. Hinter dem Eingang standen verschiedene Reihen mit Käfigen. Sie waren gegliedert in verschiedene Tierarten, wie Katzen, Hunde oder Vögel. Vor den Käfigen stand ein Schreibpult, an dem ein Mann saß, der einige Karteikarten sortierte. Marco stand bereits an einer Käfigreihe, an der wie bei den anderen ein Schild befestigt war. „Katzen/Hunde“, stand auf dem Schild geschrieben. Pablo ging auf Marco zu und die beiden gingen zusammen durch die lange Reihe mit Käfigen. Sie enthielten allesamt Katzen, die entweder mit ihren Vorderpfoten an der Käfigtür kratzten, sich in einer Ecke zusammengerollt hatten oder flach auf dem Boden lagen. Doch eins hatten sie alle gemeinsam: Keines der Tiere machte auch nur einen Laut. Pablo konnte es ihnen nicht verdenken. Denn die Käfige waren nicht besonders groß und die Tiere hatten nur zwei Futternäpfe, von denen eins mit Wasser gefüllt war. Marco jedoch schenkte den Käfigen und ihren Inhalt keinen Blick. Zielstrebig eilte er die Reihe entlang, sodass Pablo kaum Zeit hatte, sich mit den offensichtlichen kranken oder gekränkten Tieren zu beschäftigen. Doch während er seinem Freund folgte, bemerkte er auf einmal, dass Hunde bellten, und, dass nach jedem Schritt das Bellen immer lauter wurde.
Marco machte schließlich vor einem Käfig Halt. Pablo, der es nicht bemerkt hatte, da er sich immer noch mit den Katzen beschäftigte, stieß beinahe mit ihm zusammen. „Hier“, sagte Marco, mit einer Begeisterung in der Stimme, als hätte es im Lotto gewonnen, und deutete auf einen besonders schäbigen Käfig, der Pablo an seine Zelle im Gefängnis erinnerte, da die Gitter genau so verrostet waren wie die am Fenster des Gefängnisses. In dem Käfig saß vor der Tür eine Katze, die mit einem flehenden Blick die beiden Jungen ansah. Pablo wunderte sich, dass die Katze in dieser Reihe untergebracht war. Sie hätte eigentlich in einer mit der Aufschrift „Tiger“ gehört. Sie hatte ein goldbraunes Fell mit Streifen, die aber nicht wie bei einem Tiger schwarz, sondern braun waren. Marco hockte sich hin und hielt einen Finger der Katze hin, die ihre Pfote dagegen drückte.
„Ist sie nicht süß?“, fragte Marco mit einem merkwürdigen Glitzern in den Augen. „Auf dem Schild steht, dass sie Michelle heißt. Man hat sie mit einer Hundeleine an einem Laternenpfahl in der Nähe des Tierheims ausgesetzt.“
„Wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, dir dieses Heim anzusehen?“, fragte Pablo, der sich immer noch über das Verhalten seines Freundes wunderte und nicht auf dessen Worte achtete. Er erinnerte ihn an ein kleines Mädchen. Zwar hatte Pablo selbst noch nie ein Mädchen kennen gelernt, aber nach dem, was er gehört hatte, ist es eine Eigenschaft von Mädchen zu Katzen „süß“ zu sagen.
„Also“, hob Marco die Stimme, um Pablos frage zu beantworten. „Ich wollte mir letzte Woche die Beine vertreten und ging diese Straße entlang. Natürlich zufällig, da ich mir nicht wirklich ein Ziel für meinen Spaziergang ausgewählt hatte. Ich bog also mal an dieser Kreuzung links und mal an jener Kreuzung rechts ab. Während ich so durch die Gegend schlenderte, hörte ich auf einmal ein lautes Gebell. Ich sah genau hin und bemerkte, dass ich vor dem Tierheim stand. Und, da ich nichts Besonderes vorhatte, beschloss ich einfach mal, es mir anzusehen…“
Pablos Aufmerksamkeit schwand allmählich. Während Marco sich weiter mit der getigerten Katze beschäftige, sah er sich die anderen Käfige an. Nur zwei weiter stand einer, der einen kleinen braunen Hund enthielt. Er lag flach an der Käfigwand und schlief. Doch hatte er etwas an sich, das sich an Pablos Gewissen zu schaffen machte. Pablo hatte auf einmal das Gefühl Verantwortung für das Tier zu haben.
„Marco!“, rief er. „Komm mal schnell her!“
„Was ist denn?“, rief Marco zurück und wandte sich von der Katze ab.
„Komm her!“, wiederholte Pablo. „Du musst mir das Schild von diesem Käfig vorlesen.“
Marco erhob sich widerwillig und ging langsam zu Pablo. Er sah in den Käfig, runzelte die Stirn, blickte schließlich auf das Schild und las vor was darauf geschrieben stand: „Border Collie. Name: Paulo. Abgegeben von den Besitzern, da sie eine Hundeallergie haben.“