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MAINZER URSPRUNGSSAGE(N)

Mittelalterliche Erzählungen über die Gründung von Mainz

Uta Goerlitz

„In Asien gab es einen König […], der hieß Pilis, der hatte einen Sohn, der Treverus genannt wurde. Treverus sprach, er wollte schauen, was jenseits des Meeres wäre. So fuhr er nach Europa, das ist: die Gegend, […] in der Trier liegt, und die Gegend gefiel dem König sehr. Er errichtete da eine Stadt, das war die erste Stadt, die seit der Sintflut jemals in Europa errichtet worden war; denn in Europa gab es niemanden als den König Treverus und sein Volk, das mit ihm gekommen war. Die Stadt, die da von ihm errichtet wurde, das ist das nach dem hochgeborenen König benannte Trier. Wie ich berechnet habe, wurde die Stadt Trier erstmalig 1603 Jahre vor Christi Geburt erbaut […].

560 Jahre später, am dritten Tag nach Sankt Georg, das ist im Monat April, da lebten 12 Gelehrte, darunter vier Rechtsgelehrte, die erbauten mit ihrem Wissen eine Stadt, die Menz genannt wurde. Wer bei ihnen lernen wollte, der konnte sich zur Unterweisung dorthin begeben. Wiederum 608 Jahre später wurde Rom erbaut […]. Da gelangte ein Kaiser an die Macht, der hieß Trusus […].“

Freie Übersetzung aus der Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ (Terminus post quem ca. 1335, um 1443/44?) in der sog. Windeck-Fassung in Eberhard Windecks „Buch von Kaiser Sigismund“.

Im Wortlaut der sog. Windeck-Fassung:

es was ein konig in Asia […], der hieß Pilis und der hette einen son, der was genant Treverus.a der selbe Treverus sprach, er wolte besehen, was über mer were, und für in E<u>ropam, daz ist dis lant, […] do Trier litb, und daz lant dem konige wol behaget. do macht er ein stat, daz was die erst stat, die sider der sinflůt in E<u>ropia ie wart gemacht; und in Europia waz niemant dannec der konig Treverus und sin volg, daz mit ime komen was. die stat, die do von ime wart ufgeleitd, daz ist Trier noch deme edelen konige genant. die stat Trier wart zü dem ersten gebuwen, als ich gerechnet han vor Cristus geburt 16hundert und dri jor […].

darnoch uber 500 jor und in dem 60. jor uf den dritten tag noch sant Gregorien tag, das ist in dem kalender aprilie, do worent 12 meisterf, der worent vier rehtmeisterg und die leitent ein stat ufh noch irer kunste, die hiez nu Menz; und wer von in lernen wolt, der solt dar farn zü schüleni darnoch über sehshundert jor und acht jor wart Rom ufgeleit […]. do wart ein keiser hieß Trusus […].

Zitat nach der Ausgabe von Eberhard Windecks „Buch von Kaiser Sigismund“ von Wilhelm Altmann von 1893 (Anmerkungen von der Verfasserin).

I. Terminologie und Gegenstand

Sagen gelten seit der Romantik als lange tradierte, mündliche Erzählungen von außergewöhnlichen Ereignissen, deren Kern von den Tradierenden für wahr gehalten wird; das unterscheidet sie vom Märchen. Den bekannten Sagensammlungen der Brüder Grimm aus dem frühen 19. Jahrhundert etwa liegt die für die Romantik kennzeichnende Auffassung zugrunde, Sagen verdankten sich der kollektiven Erinnerung des Volkes, seien „Volksdichtung“1. Dabei wurde übersehen, dass Sagen zwar, wie eine einschlägige literaturwissenschaftliche Definition lautet, „Ausdruck kollektiver Mentalitäten“ sind, die „vorgeblich wahre Begebenheiten mit dem Ziel der Orientierung in der Welt“ tradieren und „eine psychologische oder eine soziale“ Funktion haben, wie das prinzipiell auch für Herkunftssagen wie diejenigen von Mainz gilt.2 Doch müssen sie deshalb nicht auch einen mündlichen Ursprung haben – in den „für uns offenkundig sagenhaften Texten in mittelalterlichen oder frühneuzeitlichen Chroniken“ haben sie ihn sogar „in der Regel nicht“.3 Oft verdanken sich Sagen schriftsprachlicher Konstruktion, so dass mit Auftraggebern und Verfassern gerechnet werden muss, die sie mit variierender Zielsetzung in Umlauf brachten.

So gibt es auch in Mainz im Mittelalter nicht die eine Mainzer Ursprungssage, sondern mehrere Versionen und innerhalb von diesen demgegenüber weniger stark variierende Fassungen4, die zu unterschiedlichen Zeiten entstanden, teilweise miteinander konkurrierten und sich partiell überlagerten. Am Ende des Mittelalters, seit dem 15./16. Jahrhundert, begann man, diese Texte aus dem neuartigen historisch-kulturellen Interesse des Humanismus heraus zu sammeln, sie zu kompilieren und dabei teils auch mit neu gewonnener methodischer Kritik zu bewerten, bevor im 19. Jahrhundert im Gefolge der Romantik systematisch die großen nationalen und regional-heimatkundlichen Sagensammlungen entstanden. Seitdem wurden und werden die alten „Sagen“ vielfach wiedererzählt, was ausschmückende Erweiterungen ebenso beinhaltet wie Kürzungen oder die Neukombination traditioneller Motive.5

An den Anfang dieses Beitrags ist eine Version der Mainzer Ursprungssage gestellt, die drei Besonderheiten aufweist:

Erstens ist sie bereits im Mittelalter in deutscher Sprache überliefert, was keineswegs selbstverständlich ist, stammen etliche heute noch bekannte „Sagen“ doch aus der gelehrten lateinischen (chronikalischen) Überlieferung. Die Wahl der Volkssprache für die in Rede stehende Prosaerzählung über den Ursprung von Mainz impliziert dabei literaturgeschichtlich von vornherein eine vergleichsweise späte Überlieferung. Im konkreten Fall liegt das frühestmögliche Entstehungsdatum nach ca. 1335, ohne dass mit diesem Terminus post quem, der sich aus bestimmten politischen Anspielungen ergibt, auch schon etwas über das tatsächliche Abfassungsdatum gesagt wäre, das später liegen kann – im vorliegenden Fall ist zumindest eine spätere Bearbeitung sehr wahrscheinlich.6

Zweitens war die vorangestellte Version der Mainzer Stadtgründungssage nachweislich in Spätmittelalter und Früher Neuzeit verbreitet und soll angeblich sogar beim Kaiser auf Interesse gestoßen sein: Der keiser Sigismund (König 1410–1437, Kaiser seit 1433) habe wissen wollen, warumbe die stat Trier dreizenhundert jor elter wer wann7 Rom. Mit diesen Worten ist sie in das zeitgeschichtlich-politische „Buch von Kaiser Sigismund“ (Des keiser Sigesmundus buch) eingefügt, das von dem zum königlich-kaiserlichen Hof gehörenden Mainzer Bürger Eberhard Windeck (gest. 1440/41) abgefasst wurde.8 Die zitierte Frage nach den Anfängen von Trier führt darin unmittelbar zum Ursprung von Mainz hin, der in dieser Version der Mainzer Ursprungssage eng mit der Geschichte von Trier verbunden ist – wie es aus dem Textausschnitt zu Beginn dieses Beitrags hervorgeht.


Abb. 1: Der Anfang der Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ in der illustrierten Windeck-Handschrift V1 aus der Werkstatt des Diebold Lauber (Österreichische Nationalbibliothek Wien, cod. 13975, fol. 447r).

Die dritte Besonderheit dieser Version aber, die im Folgenden mit der neueren literaturgeschichtlichen Forschung mit „Ursprung der Stadt Mainz“9 betitelt sei (in Abgrenzung von anderen mittelalterlichen Erzählungen vom Ursprung von Mainz, denen kein Titel zugewiesen ist), liegt in ihrer guten Zugänglichkeit in älteren Drucken (und neuerdings auch online)10. Dadurch konnte sie schon früh den Weg in die regionalen Sagensammlungen des 19. und 20. Jahrhunderts finden, auch wenn die Quellen in solchen, dem „Volkspoesie“-Begriff verpflichteten Sammlungen oftmals nicht nachgewiesen sind.

Der Text des „Ursprungs der Stadt Mainz“ ist in leichter Fassungsvariation auch außerhalb der Windeck-Abschriften überliefert. Zu nennen ist hier insbesondere eine Sammelhandschrift des frühen 16. Jahrhunderts von dem Benediktiner Christian Gheverdis11, in der die Mainzer Ursprungsgeschichte noch etwas detailfreudiger erzählt ist („Gheverdis-Fassung“) als bei Windeck („Windeck-Fassung“)12. Bekannt war die Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ zu dieser Zeit aber namentlich auch dem benediktinischen Humanisten Hermannus Piscator aus dem Kloster St. Jakob bei Mainz, der sie ins Lateinische übertrug, mit seinem Korrespondenten Petrus Sorbillo aus dem Kloster Johannisberg im Rheingau diskutierte und mit älteren Mainzer Ursprungserzählungen verglich13, was im 17. Jahrhundert partiell in der vielrezipierten Geschichte des Mainzer Erzstifts von Nicolaus Serarius aufgegriffen wurde und zur Bewahrung der mittelalterlichen Überlieferung beitrug14.

Die Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ bildet daher einen prädestinierten Ausgangspunkt, um von da aus, sukzessive ins Hochmittelalter zurückgehend, anschließend auch ältere Stadtgründungserzählungen von Mainz zu betrachten, wodurch die ältesten vorgeblichen Gründungs‚daten‘ der Stadt zuerst in den Blick rücken.15 Teilweise knüpfen die älteren Erzähltraditionen ebenfalls, aber in anderer Weise als der „Ursprung der Stadt Mainz“, an die Trierer Herkunftssage an, teils arbeiten sie aber auch mit ganz anderen aitiologischen Erklärungsmustern. So kann sich die Frage nach der Herkunft von Mainz mit der Suche nach dem Ursprung uralter Monumente verbinden wie namentlich des „Eichel-“ oder „Drusussteins“ im heutigen Gebiet der Mainzer „Zitadelle“.16 Im Verlauf des Mittelalters bildete sich auf diese Weise ein Erzählkomplex über die Anfänge von Mainz heraus, in dem lateinische und volkssprachige Versionen nebeneinander stehen, in denen sich unterschiedliche Wahrnehmungsschemata und Aussageinteressen manifestieren, so dass die dem neuzeitlichen Leser gewohnte Grenze zwischen factum und fictum als verschoben erscheint.17 Das unterschiedliche Erzählinteresse verweist ebenso auf die Trägergruppen wie auf den jeweiligen situativen Kontext, aus dem die einzelnen Versionen hervorgingen, was deutlich wird, wenn die Texte im Folgenden, ausgehend vom „Ursprung der Stadt Mainz“, näher analysiert werden und nach ihren Funktionen gefragt wird.18

II. Gelehrte meister aus Trier in Europas Frühzeit: der volkssprachige „Ursprung der Stadt Mainz“ aus dem 14. /15 .Jahrhundert

Die eingangs zitierte, volkssprachige Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ setzt mit den Anfängen von Trier gemäß der seit dem Hochmittelalter verbreiteten Sage ein, mit der anschließend die Gründungsgeschichte von Mainz verbunden wird. Demzufolge lebte in Asien ein Königssohn namens Treverus oder Trebeta19, der in der Windeck-Fassung als Sohn des Königs Belus (Pilis)20 eingeführt wird, in der Gheverdis-Fassung dagegen in Übereinstimmung mit der vorherrschenden mittelalterlichen Überlieferung als Sohn des Königs Ninus in Babylon und damit implizit als Belus’ Enkel21. Eines Tages verkündete Treverus, er wolle zur See fahren, um zu sehen, was über mer were. Er gelangte nach Europa und kam dort schließlich an jenen Ort, an dem in der mittelalterlichen Gegenwart Trier lag. Dort gefiel es ihm so gut, dass er Trier gründete und damit, wie hervorgehoben wird, die erste Stadt in Europa nach der Sintflut, die seinen Namen tragen sollte (lat. Treveris).

Treverus war demnach der erste König in Europa, der betontermaßen lange vor der Gründung Roms lebte. In der Gheverdis-Fassung wird deshalb zur Beglaubigung eigens auf das bůch von den tryrschen geschichten22 verwiesen. Gemeint ist der bis in das 11. Jahrhundert zurückzuverfolgende, bekannte Überlieferungskomplex der „Gesta Treverorum“23, der mit der Gründerfigur des Trebeta den „während des späteren Mittelalters wohl bedeutendste[n] heros eponymos im Gebiet nördlich der Alpen“24 hervorbrachte. Dementsprechend groß war die Ausstrahlung, die die Herkunftssage von Trier auf andere mittelalterliche Städte hatte, die an sie anknüpften: Trebeta stammt aus Babylon, dem Prototyp der von profanem Machtwillen geprägten, hybriden Stadt; als Sohn des assyrischen Königs Ninus – mittelalterlicher Geschichtstheologie zufolge dem Begründer der ersten der vier Weltmonarchien vor dem Jüngsten Tag, während dessen Regierungszeit Abraham geboren wurde, – hat der Gründerheros von Trier und erste König in Europa Anteil am providentiellen Gang der Weltgeschichte. Machtgier und Herrschsucht prägen so das pagan-vorzeitliche, ursprüngliche Umfeld Trebetas. Gleichzeitig wird der junge Königssohn durch das für den Trierer Erzählkomplex konstitutive Motiv des Inzestbegehrens seiner Stiefmutter Semiramis, dem Trebeta sich tugendhaft durch die Flucht nach Europa entzieht, von diesem Umfeld abgerückt. Trier erscheint damit bereits in vorchristlicher Zeit als metropolis, und die pagane Frühzeit von Trier steht solchermaßen aus kirchenpolitischer Perspektive programmatisch in Kontrast zu dem glanzvollen Aufstieg des Bischofssitzes in christlicher Zeit.

Im Gefolge der spätmittelalterlichen Auseinandersetzungen zwischen Erzbischof und Bürgerschaft konnten sich die Akzente allerdings verschieben, im Besonderen durch die Betonung der ersten Komponente – der Bedeutung der Stadt als ältester Siedlung Europas. Auf diese Weise ließ sich die „literarische Ausprägung eines missionshagiographischen Topos: ‚metropolis‘ auch in vorchristlicher Zeit“, wie sie in der Sage vom Ursprung von Trier vorliegt, aus dem „zunächst zugeordneten Zusammenhang“ weitgehend lösen.25 Nicht zufällig fehlt daher auch in der spätmittelalterlichen Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ gerade das in dem Trierer Erzählkomplex so wichtige Inzestmotiv. Wie gesehen, bricht Trebeta/Treverus in ihr nicht als von der Stiefmutter bedrängter Flüchtling – Semiramis wird nicht genannt – zu seiner Seefahrt nach Europa auf, sondern aus Wissbegier. Entsprechend wird dem hohen Alter von Trier und in Verbindung damit der zeitlichen und räumlichen Verknüpfung mit Belus, dem sagenhaften Gründer von Babylon, bzw. mit dessen Sohn Ninus besonderes Gewicht beigemessen. Zugleich wird durch die Einfügung genauer Daten der große Abstand zur späteren Gründung von Rom hervorgehoben.

In Ansätzen zeichnet sich hier ein bürgerlich-antiepiskopaler Wahrnehmungshorizont ab. In den folgenden Abschnitten des „Ursprungs der Stadt Mainz“ wird er noch deutlicher greifbar, wenn sich der Blick von Trier auf die Treverer-Gründung Mainz wendet, die in das Zentrum rückt: 560 Jahre nach der Erbauung von Trier hätten 12 meister, laut Windeck-Fassung darunter vier Rechtsgelehrte, jene Stadt errichtet, die nů Menz heiße. In der Gheverdis-Fassung erfährt man dagegen in einer Variante, dass man diese zwölf Gelehrten, die aus Trier stammten, damals Magos genannt habe, dan sie waren grosz Astronomj vnd auch magici, vnd waren jn allen Natu rlichen ku nsten gar wol erfaren; der selbigen iglicher hatte xij andere meyster vnder Jme.26 Und auch der weit über Mainz hinausreichende Ruhm dieser meister oder magi, der prinzipiell in beiden Fassungen erwähnt ist, wird in der Gheverdis-Fassung unterstrichen: Die Gründer von Mainz hätten in der fernen, ursprünglichen Heimat des Königs Trebeta vber mer wie auch andernorts verkůnden lassen: Wer da wolte leren Jn Naturlichen, Jn Astronomia, Auch in magica, der solte sich da hin gen meincz fůgen, da fůnde er sollich lere nach synem beger.27

Mainz wurde der spätmittelalterlichen volkssprachigen Gründungserzählung der Stadt zufolge mithin in der Frühzeit Europas von einer Gruppe von teils rechtskundigen Magiern aus Trier errichtet, von gesellschaftlichen Funktionsträgern, die sich gemäß mittelalterlicher Magietheorie „religiöser Praktiken […] bzw. operativer Eingriffe“28 zur Aktivierung der Kräfte der Natur bedienten und deren Kenntnisse wie in der Gheverdis-Fassung näherhin im Sinne der Naturmetaphysik ausgedeutet werden konnten. Selbst im Orient mit seinem frühen Machtzentrum Babylon sollen die Mainzer magi der Gheverdis-Fassung zufolge Bekanntheit erlangt haben, und bei näherer Betrachtung sind bezeichnende strukturelle Parallelen des „Ursprungs der Stadt Mainz“ zur Gründungssage von Trier festzustellen. Der Trebeta-Sage zufolge verlässt der vom Begründer der ersten Weltmonarchie abstammende Königssohn Trebeta mit seinen Anhängern Babylon, um auf der Flucht vor Semiramis in Europa Neuland zu suchen; er siedelt sich in fruchtbarer Landschaft an der Mosel an und gründet dort die nach ihm benannte Stadt der Treverer, Trier. Analog dazu verlassen die aus Trier und damit aus der erst[en] stat […] in E<u>ropia nach der Sintflut stammenden, gelehrten Gründer von Mainz mit ihren Gefährten Trier und ziehen in die noch unbewohnten Lande aufwärts des Rheins; dort gründen sie die nach ihren Fähigkeiten benannte Stadt Mainz, lateinisch Maguntia, quasi Magicae […] scientia, wie eine explizite entsprechende etymologische Namendeutung lautete.29

Wie Trier tritt damit auch Mainz bereits in paganer Vorzeit als eine Stadt ersten Ranges in Erscheinung, und durch ihr besonders hervorgehobenes, hohes Alter stellen beide Gründungen Rom weit in den Schatten. Angesichts des politischen Aufstrebens der Mainzer Bürgerschaft im Spätmittelalter erscheint es dabei als bezeichnend, wenn der Ursprung von Mainz hier – anders als die Anfänge von Trier in der aus dem Hochmittelalter datierenden Trebeta-Sage – nicht auf einen Monarchen, sondern auf eine im Kern zwölfköpfige Personengruppe aus der städtischen Oberschicht hergeleitet wird: Seit die patrizischen Geschlechter 1244 von Erzbischof Siegfried III. weitreichende städtische Freiheitsrechte erhalten und einen politisch unabhängigen Stadtrat gebildet hatten, war Mainz de facto Freie Stadt. Damit war ein Anspruch begründet, den es in den folgenden zwei Jahrhunderten bis zum Verlust der Stadtfreiheit (1462) zu bewahren, gegebenenfalls konkret nachzuweisen galt. Die Emanzipation vom bischöflichen Stadtherrn musste verteidigt werden, die Beziehungen zum Königtum waren jeweils im Einzelnen zu gestalten, „und ständig mußten mögliche Neuerungen, die dem eigenen Anspruch abträglich sein konnten, bekämpft werden“.30 Hinzu kamen Konflikte zwischen Geschlechtern und Zünften: 1332 zogen die Zünfte in den Rat ein – ein Ereignis, auf das die fiktive Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ an anderer Stelle unmittelbar anspielt –, 1444 schließlich wurden die Geschlechter völlig aus der städtischen Selbstverwaltungskörperschaft verdrängt.31 Der doppelte Charakter des spätmittelalterlichen Gemeinwesens „Mainz“ als Erzbischofsmetropole und freie Bürgerstadt, das durch ein „kompliziertes und dynamisches Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander“32 der politischen Kräfte mit ihren vielfältigen Verflechtungen nach innen wie nach außen gekennzeichnet war, ist deshalb bezeichnend. Vor diesem Hintergrund kann auch der Prestige- und Machtanspruch gesehen werden, der sich in dem nach ca. 1335 abgefassten volkssprachigen Text manifestiert, wenn die für ihre magischen Künste berühmten Gründer von Mainz ihr Wissen und ihre Fertigkeiten an lernbegierige Schüler aus Orient und Okzident weitergeben. Dadurch wird das Gewicht der Stadt nicht nur im urzeitlich-heidnischen Europa, sondern in der gesamten vorchristlichen Welt unterstrichen.

Variabel erscheinen dabei im Vergleich von Windeck- und Gheverdis-Fassung der zeitliche Abstand der Gründung von Mainz einerseits zur vorangehenden Erbauung von Trier und andererseits zu der nachfolgenden von Rom und daneben in Grenzen auch die Abkunft des Heros eponymos der Mutterstadt von Mainz von Belus oder Ninus. Die zentralen Elemente sind hingegen konstant: Mainz wird von Trier aus gegründet, und die Gründer der Stadt sind weithin bekannte Gelehrte beziehungsweise Magier. Die für den heutigen Leser befremdliche, im Mittelalter aber einem verbreiteten, vorwissenschaftlichen etymologischen Verfahren entsprechende, erwähnte Herleitung des Namens von Mainz aus magiae scientia beziehungsweise magicae scientia bezieht sich dabei erkennbar nicht auf die volkssprachige Namensform Menz, sondern auf die lateinische, Maguntia.33 Sie verweist deshalb auf einen lateinischen Entstehungsrahmen zurück, was Rückschlüsse auf das politisch-soziale Bezugsfeld ermöglicht.

III. Meister der Schwarzkunst auf der Flucht: eine lateinische Version vom Ursprung von Mainz in der Hagiographie um 1300

Der zuletzt erwähnte Befund, mit dem zugleich die funktionale Differenz von lateinischem und volkssprachigem Diskurs angesprochen ist, weist auf eine ältere, lateinischklerikal geformte Schicht der Sage von der Gründung von Mainz durch Magier aus Trier hin, wie sie sich in der „Passio, inventio et translatio sanctorum Aurei et Justinae“ des sogenannten Sigehard von St. Alban aus dem späten 13. Jahrhundert findet.34 Diese Version der auf Magier aus Trier bezogenen Gründungsgeschichte erlangte besondere Verbreitung. Von Interesse ist sie aber auch, weil sie die Variabilität der Figurengestaltung der Erbauer von Mainz verdeutlicht und überdies gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen auf das komplexe Verhältnis von mündlicher und schriftlicher Überlieferung und deren spezifischen Status verweist.

Wie dargelegt, hatte die volkssprachige Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ unter Betonung des Alters der Stadt, durch das Mainz Rom übertrifft, den Charakter der Mainzer Magier als einer Gruppe hochrangiger Gelehrter aus Trierer Führungskreisen hervorgehoben, die von überallher Schüler anzogen. Der Gheverdis-Fassung zufolge waren es, modern ausgedrückt, naturwissenschaftlich bewanderte Astronomen. „Magie“ beinhaltete im Mittelalter neben einer magisch-naturphilosophischen, ihrem Wesen nach den mittelalterlichen Naturwissenschaften zuzurechnenden Komponente eine zauberisch-dämonologische. Dementsprechend stand weiße Magie neben schwarzer, wobei „die Grenzen zwischen beiden Bereichen […] stets umstritten [waren] und […] häufig ebenso subjektiven wie gesellschaftspolitisch umsetzbaren Ansprüchen“35 unterlagen. Die volkssprachige Version der Mainzer Ursprungssage zumal in der Gheverdis-Fassung gibt daher mit ihrer überaus positiven Zeichnung der Mainzer meyster beziehungsweise magici betont eine Deutungsperspektive vor, mit der sie sich von der lateinisch-klerikalen Überlieferung tendenziell abgrenzt. Diese nämlich hebt dezidiert und ausschließlich auf die dunklen Seiten der Magie ab.

Der in der spätmittelalterlichen Legende der Mainzer Märtyrer Aureus und Justina überlieferten, lateinischen Version zufolge handelt es sich bei den „Heroes eponymoi“ von Mainz um eine Gruppe schändlicher (scelerati) und frevlerischer (flagitiosi) Schwarzkünstler, um Meister der magiae scientia und damit, wie eigens ausgeführt wird, der durch „Böswilligkeit“ gekennzeichneten malitiae scientia.36 Begründet wird ihr Auszug aus Trier durch das Motiv der Flucht: Aus Furcht, vermutlich vor Bestrafung für ihre Untaten, seien jene Magier von Trier aufgebrochen und hätten sich in überaus annehmlicher Lage37 an den Ufern des Rheins niedergelassen. Dazu erzähle man sich in Mainz seit alters folgende Geschichte:38 An derjenigen Stelle, an der Mainz ursprünglich erbaut worden sei, habe man einen außerordentlich großen, tief in die Erde eingelassenen Stein aufgefunden. Auf der Oberfläche seien die Worte Verte et inuenies – „Drehe ihn herum und du kannst etwas finden“ – eingemeißelt gewesen. Dadurch neugierig geworden, habe man den Stein mit viel Mühe ausgegraben, in der Hoffnung, darunter einen Schatz zu finden. Als man den Stein anschließend herumgedreht habe, sei man jedoch auf nichts anderes gestoßen als auf eine weitere Inschrift auf der Unterseite des Steines: Maguntia ab antiquo nequam. Diese Worte konnten wegen des indeklinablen nequam unterschiedlich ausgedeutet werden. Entweder man bezog nequam auf Mainz, das auf diese Weise als seit alters „listenreiche Stadt“ charakterisiert wurde. Oder man erklärte die Gründer von Mainz in erneuter Doppeldeutigkeit mit dem Legendentext zu filii nequam und machte nequam zum Beinamen des Anführers der Mainzer Meister, der damit als Magier Nequam zum eigentlichen Gründer der Stadt in uralter Zeit wurde.39 So zumindest wird der zweifelhafte Ausspruch von dem Mainzer Humanisten Hermannus Piscator gedeutet, der mit Blick auf die polemische Verwendbarkeit des seinerzeit bekannten Spruches nur die zweite Lesart als grammatisch korrekt gelten lässt.40

Wie immer man den Spruch Maguntia ab antiquo nequam auch auslegen mochte, eines stand der lateinischen Version der mit Trier verbundenen Stadtgründungssage zufolge, wie sie beim sogenannten Sigehard von St. Alban überliefert ist, jedenfalls fest: dass Mainz von Übeltätern errichtet worden sei, die man aus Trier vertrieben habe.41 In ihrem Beginn erscheint Trier damit als überlegen, und es liegt nahe, in welchem Umfeld der ursprüngliche Nährboden für eine solche Gründungserzählung zu suchen ist, die zur unwiderlegbaren Beglaubigung eine uralte Inschrift anführt, wie sie, ohne allerdings gleichermaßen doppeldeutig zu sein, analog schon Trier laut den „Gesta Treverorum“ aufzuweisen hatte, denen zufolge die alten Treverer die rheinischen Städte von Basel bis Köln ihrer Herrschaft unterwarfen.42 Dabei konnte die Mainzer Inschrift als ein in älteste Zeiten zurückreichendes Schriftzeugnis bei entsprechender Interpretation zum sozusagen unumstößlichen Beweis für das hohe Alter der Stadt angeführt werden, wenngleich ihr Status ambivalent bleibt: Der Verweis auf eine vorgeblich mündliche Tradition stellt die Glaubwürdigkeit der Erzählung (narratio, relatio) distanzierend grundsätzlich in Frage, während gleichzeitig durch die Betonung einer angeblich seit ältesten Zeiten ununterbrochenen Erzählkette43 Gegenwart und Vergangenheit, mündliche Tradition und (in)schriftliches Objekt in eine direkte Verbindung miteinander gebracht werden – wobei die Verbindungslinie wiederum von einer unseriösen (ridiculus) und frei erfundenen (fabulosus) Geschichte zu einem zweiseitigen Stein mit einer doppeldeutigen Inschrift führt.44

In Analogie zur Trierer Überlieferung konnte die fiktive Gründung von Mainz durch frevlerische, aber weithin bekannte Magier aus Trier in biblischer Vorzeit heilsgeschichtlich-providentiell ausgedeutet werden. So ist die pagane Profangeschichte von Mainz in der „Passio, inventio et translatio sanctorum Aurei et Justinae“ des sogenannten Sigehard von St. Alban funktionell auf die Christianisierung von Mainz und den Aufstieg des Bistums mit den spätantiken Märtyrern Bischof Aureus und dessen Schwester Justina hin zugeordnet, um welche die Legende zentriert ist, und nicht zufällig baut Sigehard auf der „Passio sancti Albani“ des Mainzer Domscholasters Gozwin aus der Mitte des 11. Jahrhunderts auf, die dezidiert gegen Trierer Primatsansprüche gerichtet ist.45 In diesen programmatischen Rahmen fügt sich auch der in Sigehards Legendentext hervorgehobene Vergleich von Mainz, der „königlichen“46 Stadt, mit Rom, der „Herrscherin“ schlechthin47, an deren Anfang gar ein Brudermord gestanden habe. Gleichzeitig barg das Motiv der Gründung von Mainz durch eine Gruppe entsprechend negativ konturierter Stadtväter aus einer kirchenpolitischen, pro-bischöflichen Sicht – de iure war der Erzbischof auch nach der erstmaligen Konstituierung des Mainzer Stadtrates im Jahr 1244 weiterhin Stadtherr – die Möglichkeit einer gegen die Bürgerschaft gewendeten Interpretation. So kann es nicht verwundern, wenn die Akzente in der Legendenüberlieferung des 13. Jahrhunderts anders gesetzt sind als später in der bürgerlich-volkssprachigen Version des „Ursprungs der Stadt Mainz“ aus der Zeit nach ca. 1335. Innerhalb eines Geflechtes wechselseitig aufeinander wirkender, mündlicher und schriftlicher Überlieferungen zeichnet sich hier die Rolle gezielter, auf spezifische Trägergruppen und Adressatenkreise bezogener Konstrukte im Schnittpunkt unterschiedlicher Diskurse ab, die ebenso Traditionen aufgreifen und umformen wie auch begründen und dabei eine eigene Dynamik entfalten, welche neue, gegebenenfalls tendenziös gefärbte Varianten generiert.48

IV. Trier, Troja, Rom und Mainz: Rückblick und Ausblick

Entsprechend schwankte im spätmittelalterlichen Mainz die Akzeptanz der an die Trebeta-Sage anbindenden Mainzer Ursprungsfabel, wie immer sie im Einzelnen auch variiert wurde. Neben sie trat eine andere Überlieferung, welche die Anfänge von Mainz mit der ursprünglich als Stammessage der Franken verbreiteten, überaus einflussreichen Troja-Tradition in Verbindung brachte, wie das auch in der berühmten Weltchronik des Hartmann Schedel vom Ende des 15. Jahrhunderts der Fall ist.49 Demnach war Mainz eine Gründung des Trojaners Maguntius aus dem Gefolge des mit Aeneas dem Untergang Trojas entkommenen Anthenor. Während Aeneas nach Italien gelangte und dort zum Ahnherrn der Römer und ihres Imperiums wurde, kam Maguntius mit seinen Anhängern zunächst an die Maeotischen Sümpfe (i.e. das Asowsche Meer), an denen die Flüchtlinge aus Troja – darunter Francus, der Stammvater der Franken – die Stadt Sycambria erbauten. Von dort zog der Held auf der Suche nach fruchtbarem Land an den Rhein, wo er sich niederließ. In herausragender Lage errichtete Maguntius die überaus edle (valde nobilis, nobilissima) Stadt Mainz und taufte sie in Ableitung von seinem Namen Maguntia.

Ausgelöst wird das Geschehen durch die gängigen Motive der Flucht und der Landnahme, die zur Gründung der Stadt führen, und wieder werden die Vorzüge der Gründungsstätte gepriesen, verweist die herkömmlichen Prinzipien folgende etymologische Deutung des lateinischen Stadtnamens auf eine gelehrte Konstruktion. Vor allem aber erhält Mainz in dieser Version ein nicht weniger hohes Alter als Rom und kann durch die Berufung auf die hochberühmten Helden Trojas auf eine ebenso vornehme, antike Herkunft blicken.

Weniger Attraktivität besaßen in Mainz zur Zeit der Aufzeichnung der Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ bei Eberhard Windeck und anderen Geschichtsschreibern des 15. und frühen 16. Jahrhunderts solche Gründungsgeschichten, die keine Anlagerungsmöglichkeit an vorherrschende Traditionen wie an die europaweite Troja-Überlieferung oder die in Deutschland bekannte Trier-Sage boten. Deshalb hatten im ausgehenden Mittelalter in Mainz wie andernorts auch die im Hochmittelalter beliebten Caesar-Traditionen an Anziehungskraft verloren, wie sie Gozwin in der „Passio sancti Albani“ anführt und im Anschluss an ihn im 13. Jahrhundert noch der sogenannte Sigehard von St. Alban in der Legende der heiligen Aureus und Justina (in der sich daneben bereits die oben betrachtete jüngere, an die Trier-Sage anbindende Überlieferung über die Anfänge von Mainz findet).50 Führte man wie in den beiden Legendentexten die Erbauung der Stadt auf Cäsar zurück, der als erster römischer Kaiser galt und als Gründer weiterer Städte am Rhein wie etwa auch Kölns genannt wurde, war Mainz mit den Anfängen des römischen Kaisertums in Verbindung gebracht, das der mittelalterlichen Idee von der Translatio Imperii zufolge bis zum Ende der Welt fortbestand. Zugleich war es bei Ansetzung des Stadtgründungsaktes in der frühen Kaiserzeit von der Warte eines Bischofssitzes wie Mainz aus problemlos möglich, die kirchliche Traditionslinie in apostolische Zeit zurückzuführen und damit in die universalhistorisch-heilsgeschichtlich mit den Anfängen der römischen Weltherrschaft verbundene Frühzeit der Kirche als solcher.


Abb. 2: Der Drusus-Stein in Mainz, aus: Nicolaus Serarius, Moguntiacarum rerum … libri quinque. Mainz 1604, hier Bd. 1, S. 65 (Martinus-Bibliothek Mainz). Rechts: heutiger Zustand.

Wichtiger als Caesar erscheint in den an die Geschichte Roms anknüpfenden Ursprungsversionen von Mainz aus dem hohen Mittelalter aber der im gleichen Zug erwähnte Drusus, den die Überlieferung seit der Antike mit einem Grabmonument (Kenotaph) bei Mainz (Abb. 2) in Verbindung brachte.51 Bei Gozwin und dem sogenannten Sigehard ist Drusus der Stiefsohn des Augustus (i.e. Drusus d.Ä.), und unter der Herrschaft des Augustus begann gemäß der mittelalterlichen Lehre von den sechs Weltaltern mit Christus die letzte der universalgeschichtlichen aetates mundi. Drusus zählt in dem Legendenkomplex der Heiligen Alban, Aureus und Justina zu den ersten einer ganzen Reihe vornehmer (Gründer-)Gestalten (conditores et possessores) der römischen Kaiserzeit, die Mainz vorzuweisen habe.52 Er gilt als gleichsam zweiter Gründer der Stadt, der Mainz baulich erneuert habe.53 Demgegenüber wird im späteren, volkssprachigen Text vom „Ursprung der Stadt Mainz“ Wert darauf gelegt, dass keiser […] Trusus Mainz wertvolle Freiheitsprivilegien verliehen habe; zum Beweis wird neben Urkunden auf sein einstiges, hochaufragendes Grabdenkmal, das Trusenloch, hingewiesen, von dessen krönender, goldener Kugel die Stadt das Epitheton gulden Menz erhalten habe (vgl. Abb. 2).54 In jedem Fall vermehrte Drusus den verschiedenen Sagenüberlieferungen zufolge den Ruhm von Mainz, wie es am Ende des Mittelalters auch die bereits erwähnte, bekannte Schedel’sche Weltchronik zu vermelden weiß: Drusus […] hat das lob vnd den rům derselben stat clerlich gemeret55, und ein zeitgenössischer Historiograph fügte in Anbindung an die zitierte Legendenüberlieferung im oben erwähnten Sinn hinzu: „so dass man glauben konnte, die Stadt sei von Drusus sozusagen von Neuem errichtet“56.

In den zuletzt zitierten Beispielen deutet sich an, wie sich die diversen Mainzer Gründungsgeschichten gegebenenfalls auch miteinander kombinieren ließen. Auf dieselbe Weise konnten auch die beiden betrachteten Versionen von der Erbauung der Stadt durch den Trojaner Maguntius oder aber schon früher durch Magier aus dem vorzeitlichen Trier miteinander verbunden werden. Je nachdem, welche Motivkomplexe kombiniert und dabei gegebenenfalls variiert wurden, konnte Mainz dann als ein Gemeinwesen erscheinen, das von mehr oder weniger negativ gezeichneten und kürzere oder längere Zeit nach König Trebeta lebenden Magiern aus Trier gegründet wurde, während der Trojaner Maguntius Mainz zu einem späteren Zeitpunkt vergrößerte und verschönerte. Maguntius, so eine von Hermannus Piscator im frühen 16. Jahrhundert erörterte Variante, habe Mainz mit Mauern umgeben57: Erst durch ihn wurde Mainz recht eigentlich zur Stadt, erst jetzt erhielt die alte Siedlung, wie das Attribut des Mauerkranzes anzeigt, städtische Qualität – eine Konstruktion, die sich dem Versuch des im Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit stehenden Mainzer Gelehrten verdankt, das historisch inkompatible Neben- und Ineinander der diversen Stadtgründungsgeschichten zu entwirren, denn so wurde es erklärbar, wenn manche Zeitgenossen, wie Piscator bemerkt, sozusagen versehentlich Maguntius anstatt die alten Treverer für den Gründer der Stadt hielten.

Kombinierte man die einzelnen Versionen solcherart, blieb Mainz eine der allerersten Städte Europas, die über den Trierer Heros eponymos Trebeta und die berühmten, aus Trier stammenden Mainzer Magier mit der Frühzeit des assyrischen Weltreichs verbunden war und lange vor Rom erbaut wurde; gleichzeitig musste nicht auf eine vornehme, demgegenüber jüngere trojanische Vergangenheit verzichtet werden, mit der die Parallele zu den Anfängen Roms gezogen war. Durch die zusätzliche Integration der Figur des Drusus in den gesamten Erzählkomplex war darüber hinaus die Teilhabe von Mainz am Aufstieg des Imperium Romanum gesichert, wobei auch hier wieder einzelne, variable Elemente aus unterschiedlichen Deutungsperspektiven in verschiedener Weise determiniert werden konnten. Widersprüche und Verwerfungen sind durch das von veränderlichen Wertungshorizonten und Aussageinteressen bestimmte, sich über mehrere Generationen hin erstreckende Kombinations- und Amplifikationsverfahren daher vorprogrammiert und kaum überraschend. Sie kennzeichnen auch die zu Beginn und im Verlauf dieses Beitrags angesprochene nachmittelalterliche Überlieferung der verschiedenen Versionen vom Ursprung von Mainz und dauern bis in die Gegenwart an.58 Dabei sind die alten Herkunftserzählungen, vielfach „als Steinbruch“ benutzt, zu „eine[r] in hohem Maße literarischen Erscheinung“ mit anderer Funktion geworden.59 Diese jüngeren „Sagen“ haben mit der älteren Überlieferung oft nicht viel mehr gemeinsam als die zu Beginn dieses Beitrags problematisierte Begrifflichkeit, die eine „konsequente Historisierung“60 erfordert, will man durch die Sedimentschichten der neuzeitlichen „Sagen“-Bearbeitungen wieder zurück ad fontes gelangen.

a Der vorliegende Text stellt eine in der Forschung als Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ bekannte, spätmittelalterliche Version der Mainzer Ursprungssage in einer Fassung dar, die im „Buch von Kaiser Sigismund“ des Eberhard Windeck (ca. 1380–1440) überliefert ist, nach dem der Text hier zitiert wird (Auszeichnungen einzelner Wörter durch fette oder recte gesetzte Schrift sind aus der Ausgabe übernommen): Eberhard Windecke, Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Zeitalters Kaiser Sigmunds, hg. von Wilhelm Altmann. Berlin 1893, hier S. 456–458 (auch Online: URL <https://archive.org/details/altmanneberhartwindecke> [Permalink]); die Ausgabe gilt als unzulänglich, eine Neuedition ist durch Joachim Schneider (Mainz) in Vorbereitung, vgl. unten Anm. 8.

b lit] nhd. ‚liegt‘. Nachweise aus Wörterbüchern sind im Folgenden in Sonderfällen angegeben. c danne] nhd. ‚als‘.

c danne] nhd. ‚als‘.

d ufgeleit] nhd. ‚errichtet‘, ‚erbaut‘.

e Gemeint ist wohl der Gedenktag des Heiligen Georg am 23. April. Mainz soll also am 26. April des Jahres 560 nach der 1603 v. Chr. erfolgten Gründung von Trier erbaut worden sein, was wiederum 608 Jahre vor der Gründung Roms gewesen sei (vgl. weiter unten im zitierten Abschnitt).

f meister] nhd. ‚Gelehrte‘.

g rechtmeister] nhd. ‚Rechtsgelehrte‘, vgl. hier Deutsches Rechtswörterbuch online, URL <http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/> (Permalink), s. v. „rechtmeister“.

h leitent… uf] nhd. ‚errichteten‘, ‚erbauten‘.

i der solt dar farn zü schülen] „der konnte sich zur Unterweisung dorthin begeben“.

1 Vgl. z. B. die Vorrede der Brüder Grimm zu den sog. ‚historischen Sagen‘ ihrer Sammlung: Jacob GRIMM und Wilhelm GRIMM (Hg.), Deutsche Sagen, 2 Bde. Berlin 1816–1818, hier Bd. 2, S. VI.

2 Norbert VOORWINDEN, Art. Sage. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 3, hg. von Klaus Weimar gemeinsam mit Harald Fricke, Klaus Grubmüller und Jan-Dirk Müller. Berlin 2003, S. 347–350, hier S. 350 und 347f. Vgl. in diesem Kontext grundlegend Wolfgang SEIDENSPINNER, Sage und Geschichte. Zur Problematik Grimmscher Konzeptionen und was wir daraus lernen können. In: Fabula 33 (1992) S. 14–38.

3 Helge GERNDT, Sagen und Sagenforschung im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. In: Fabula 29 (1988) S. 1–20, hier S. 4. Vgl. zu den im Fließtext skizzierten Einschränkungen, unter denen der Sagenbegriff im Folgenden partiell beibehalten wird, grundsätzlich auch Klaus GRAF, Thesen zur Verabschiedung des Begriffs der ‚historischen Sage‘. In: Fabula 29 (1988) S. 21–47; DERS., Art. Sage. In: LMA Bd. 7, 2002, Sp. 1254f (hier zit. aus der Online-Ausgabe: Brepolis Medieval Encyclopaedias – Lexikon des Mittelalters Online); und vgl. in Bezug auf die chronikalische Sagenüberlieferung den Artikel von Wolfgang BRÜCKNER, Chronikliteratur, in der in diesem Zusammenhang generell wichtigen Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Bd. 3, begr. von Kurt Ranke, hg. von Rolf Wilhelm Brednich zus. mit Hermann Bausinger u.a. Berlin 1981, Sp. 2–15.

4 Vgl. zum Fassungsbegriff, der im Folgenden über größere sinnrelevante Abweichungen pragmatisch definiert ist, prinzipiell Peter STROHSCHNEIDER, Rezension zu: Joachim Bumke, Die vier Fassungen der ‚Nibelungenklage‘. Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte und Textkritik der höfischen Epik im 13. Jahrhundert (= Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 8). Berlin, New York 1996. In: Zeitschrift für Deutsche Philologie 127 (1998) S. 102–117.

5 Die in den Sammlungen seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert aufgezeichneten „Sagen“ sind daher, wie mit GRAF, Sage (wie Anm. 3), Sp. 1254f zu betonen ist, vor allem eines: „Zeugnisse aufklärerisch oder romantisch akzentuierter M[ittel]A[alter]-Rezeption“ in der Neuzeit. Vgl. die neuesten Sammlungen Mainzer Sagen, darunter auch zur Gründung der Stadt, z.B. von Wendelin DUDA, Die Sagen der Stadt Mainz (= Die Sagen vom Rhein 3). Stegen (bei Freiburg) 2009, hier S. 11ff, oder, unter Verbindung von unterhaltender Nacherzählung und historischer Wissensvermittlung, von Peter HAUPT, Sagen aus Rheinhessen – Archäologie und Geschichte. Worms 2013, hier S. 50ff. – Zu der mit dem Zeitalter des Humanismus einsetzenden (auch) gelehrten Tradierung der mittelalterlichen Ursprungserzählungen von Mainz siehe die im Folgenden jeweils an Ort und Stelle gegebenen Hinweise zu deren Überlieferung, darunter insbesondere auch den Fließtext mit Anm. 10ff, Anm. 34ff, Anm. 57f.

6 Vgl. den Beitrag von Joachim SCHNEIDER zur Dagobert-Sage in diesem Band, in dem eine Entstehung des Textes im Zusammenhang mit den Verfassungskrisen und Streitigkeiten zwischen Stadt und Erzbischof 1443/44 – die älteste Überlieferung setzt 1445 ein – erwogen wird (siehe den dortigen Fließtext nach Anm. 29 und 52); in jedem Fall spricht alles „zumindest“ für eine Überarbeitung zu dieser Zeit (ebd. im Fließtext vor Anm. 61). Vgl. auch Uta GOERLITZ, Facetten literarischen Lebens in Mainz zwischen 1250 und 1500. Mittelalterliche Erzählungen über das (ur)alte Mainz im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache, Mündlichkeit und Schriftlichkeit. In: Lebenswelten Gutenbergs, hg. von Michael Matheus (= Mainzer Vorträge 10). Stuttgart 2005, S. 59–87 [Text], 189–214 [Literaturverz. zum gesamten Bd.], hier S. 63f.

7 wann] nhd. ‚als‘.

8 WINDECKE, hg. ALTMANN (wie Anm. a), S. 456; der eingefügte Text, der nicht auf Windeck zurückgeht, findet sich erst in der nach Windecks Tod bis 1443 fortgeführten, zweiten Redaktion seines „Buches von Kaiser Sigismund“; „in der einzigen erhaltenen autornahen Handschrift der Windeck-Chronik“ fehlt er dagegen (Joachim SCHNEIDER im Beitrag über die Dagobert-Sage in diesem Band, Anm. 27). Zur Verbreitung von Windecks „Buch von Kaiser Sigismund“ und Texteingriffe durch die Lauber-Werkstatt vgl. Joachim SCHNEIDER, Vom persönlichen Memorandum zum kommerziellen Produkt: Das Buch von Kaiser Sigmund des Eberhard Windeck und die Werkstatt des Diebold Lauber. In: Geschichte schreiben. Ein Quellenhandbuch zur Historiographie (1350–1750), hg. von Susanne Rau und Birgit Studt. Berlin 2010, S. 234–244. Vgl. zu Windeck insgesamt kurz Norbert H. OTT und Joachim SCHNEIDER, Art. Windeck, Eberhard. In: Killy-Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums, Bd. 12, begr. von Walther Killy, Neuaufl. in 12 Bänden, hg. von Wilhelm Kühlmann. Berlin, New York 2011, S. 450f, online in der Verfasserdatenbank, Berlin, Boston 2011, unter URL <http://www.degruyter.com/view/VDBO/Vdbo.killy.7375> (letzter Zugriff: 3.9.2014), und zuletzt Joachim SCHNEIDER, Eberhard Windeck, König Sigismund und das Konstanzer Konzil. In: Das Konstanzer Konzil – Weltereignis des Mittelalters 1414–1418. Essays, hg. von Karl-Heinz Braun u.a. Darmstadt 2013, S. 52–57.

9 Der Titel geht auf den Vorschlag von Klaus Graf zurück: Klaus GRAF, Art. Ursprung der Stadt Mainz. In: VL Bd. 10, 1999, Sp. 130f. Er ist allerdings inhaltlich verkürzt, da die Erzählung bis ins 13. Jahrhundert hineinreicht, vgl. GOERLITZ, Facetten (wie Anm. 6), S. 63f mit Anm. 17.

10 Ausgaben liegen außer in WINDECKE, hg. ALTMANN (wie Anm. a) vor in: Scriptores rerum Germanicarum, praecipue Saxonicarum […], 3 Bde, hg. von Johann Burkard MENCKEN. Leipzig 1728– 1730, hier Bd. 1, Sp. 1073–1288, und in Übersetzung: Das Leben König Sigmunds von Eberhard Windecke. Nach Handschriften übers. von [Theodor] VON HAGEN, mit Nachträgen von O[swald] HOLDER-EGGER (= Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit. Zweite Gesammtausgabe. Fünfzehntes Jahrhundert 1). Leipzig 1899 (fehlerhaft). Zu den Windeck-Handschriften vgl. den Handschriftencensus unter URL <http://www.handschriftencensus.de/werke/1958> (Permalink).

11 Hessische Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt, Hs. 820, fol. 69r–78v; vgl. GOERLITZ, Facetten (wie Anm. 6), S. 63f und öfter. Abbreviaturen in Handschriften und alten Drucken sind im Folgenden gegebenenfalls ohne Kennzeichnung aufgelöst.

12 Vgl. zur handschriftlichen Überlieferung jetzt den Handschriftencensus unter URL <www.handschriftencensus.de/6105> (Permalink).

13 Hermannus PISCATOR, Chronicon urbis et ecclesiae Maguntinensis. Bayerische Staatsbibliothek München, Clm 28200, darin Piscators (für die Chronik leicht überarbeitete) Korrespondenz über den Ursprung von Mainz mit Petrus Sorbillo aus dem Jahr (wahrscheinlich) 1517 ebd., fol. 7r–11r (SORBILLO an Piscator) und fol. 11r–35r (PISCATOR an Sorbillo). Vgl. im vorliegenden Zusammenhang GOERLITZ, Facetten (wie Anm. 6), S. 67ff und 86f, und im Genaueren Uta GOERLITZ, Humanismus und Geschichtsschreibung am Mittelrhein. Das ‚Chronicon urbis et ecclesiae Maguntinensis‘ des Hermannus Piscator OSB (= Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur europäischen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 47). Tübingen 1999, S. 64–68, 185–192, 258–269 (bei der dort genannten „Historia Teutonica“ handelt es sich um die Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“), u. ö.; vgl. Uta GOERLITZ, Mainzer Antiquitas und deutsche Nation im Briefwechsel der Benediktinerhumanisten Hermannus Piscator und Petrus Sorbillo aus dem Jahr 1517. In: Städtische Geschichtsschreibung im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, hg. von Peter Johanek (= Städteforschung A 47). Köln, Weimar, Wien 2000, S. 157–180. Vgl. zuletzt Uta GOERLITZ, Art. Piscator, Hermannus. In: Deutscher Humanismus 1480–1520. Verfasserlexikon 2, Lieferung 2, hg. von Franz Josef Worstbrock. Berlin, New York 2011, Sp. 487–494, sowie DIES., Art. Sorbillo, Petrus, ebd., 2, Lieferung 3. Berlin, New York 2012, Sp. 927f.

14 Nicolaus SERARIUS, Moguntiacarum rerum […] libri quinque. Mainz 1604, erneut hg. von Georg Christian JOANNIS in: Rerum Moguntiacarum, vol. II. Frankfurt am Main 1722, S. 1–906. Vgl. zur Nachwirkung des Briefwechsels zwischen Piscator und Sorbillo über den Ursprung von Mainz (wie Anm. 13) bei Serarius GOERLITZ, Humanismus (wie Anm. 13), S. 154–157, S. 383ff und 401f.

15 Lückenlose Vollständigkeit ist dabei in diesem Rahmen angesichts der Vielfalt handschriftlicher und gedruckter Überlieferungsträger des Mittelalters und der Neuzeit und den oft fehlenden Quellennachweisen in den jüngeren Sagensammlungen nicht angestrebt, manche Sagenvariante ist im Folgenden von vornherein zugunsten der Konzentration auf die Prinzipien von Konstruktion und Funktion der überlieferten Ursprungserzählungen von Mainz bewusst ausgelassen. Hinweise auf die Forschungsliteratur werden jeweils an Ort und Stelle gegeben.

16 Vgl. zu diesem Aspekt prinzipiell Lukas CLEMENS, Tempore Romanorum constructa. Zur Nutzung und Wahrnehmung antiker Überreste nördlich der Alpen während des Mittelalters (= Monographien zur Geschichte des Mittelalters 50). Stuttgart 2003, in Bezug auf den Mainzer Eichelstein S. 337ff.

17 Vgl. grundsätzlich František GRAUS, Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter. Köln, Wien 1975, S. 1–28. Graus spricht dabei von „Traditionen“ („Überlieferungen“) und definiert diese grundsätzlich als Erzählungen, die „in die Vergangenheit projiziert werden als irgendwie (die Arten sind unterschiedlich) für die Gegenwart relevant“, die gleichzeitig „die Ereignisse räumlich und zeitlich fixieren“, außerdem „eine gewisse Zeit […] auf mündlichem oder auf schriftlichem Wege“ weitergegeben werden und deren „Einfluß die Grenzen rein gelehrter Forschung überschreitet“; dabei hält Graus fest, dass „der Ausgangspunkt der Traditionsbildung nicht notwendigerweise mit den Ereignissen, an die sie anknüpft,“ zusammenfallen muss, Traditionen vielmehr erst später entstehen können, „etwa indem ein bis dahin isoliertes, rein gelehrt überliefertes Faktum, allgemeinere Bedeutung erlangt“ (ebd., S. 6f).

18 Für den folgenden Fließtext greife ich auf meinen zum Thema grundlegenden Beitrag GOERLITZ, Facetten (wie Anm. 6), S. 63–78, zurück, vgl. Franz J. FELTEN, Mainz und das frühmittelalterliche Königtum. Spuren – Erinnerungen – Fiktionen – und ihre Nutzanwendung. In: Robert Folz (1910–1996) – Mittler zwischen Frankreich und Deutschland. Actes du colloque ‚Idée d’empire et royauté au Moyen Age: Un regard Franco-Allemand sur loeuvre de Robert Folz,’ Dijon 2001, hg. von Franz J. Felten, Pierre Monnet und Alain Saint-Denis (= Geschichtliche Landeskunde 60). Stuttgart 2007, S. 51–96, hier S. 80–90, und jetzt auch Britta HEDTKE und Christoph WINTERER, Mainz. In: Schreiborte des deutschen Mittelalters. Skriptorien – Werke – Mäzene, hg. von Martin Schubert. Berlin, Boston 2013, S. 347–371, bes. S. 364–366; vgl. Uta GOERLITZ, Art. Ursprung der Stadt Mainz. In: Killy-Literaturlexikon (wie Anm. 8), Bd. 11, S. 709f (auch online, vgl. Anm. 8). Wörtliche Übernahmen aus dem Beitrag (GOERLITZ, Facetten, wie Anm. 6) über größere Strecken erfolgen dabei ohne gesonderte Kennzeichnung (so auch schon bei den obigen Ausführungen zu dem in den unterschiedlichen Sagenversionen variierenden Erzählinteresse, vgl. ebd., S. 62); der Anmerkungsapparat ist demgegenüber im Folgenden auf die notwendigen Nachweise und Hinweise zu Überlieferung bzw. Nachwirkung der mittelalterlichen Ursprungssagen in der Neuzeit beschränkt und dabei gegebenenfalls aktualisiert.

19 Die bei WINDECKE, hg. ALTMANN (wie Anm. a) erfassten Windeck-Handschriften verwenden die Lesart Treverus, während in der Gheverdis-Fassung auch die verbreitete Namensvariante Trebeta benutzt wird, vgl., auch zum Folgenden, unten mit Anm. 23f.

20 Windeck-Fassung (wie Anm. 12), S. 456. Vgl. zur Lesart „Belus“ GOERLITZ, Facetten (wie Anm. 6), S. 69 mit Anm. 35f. – Soweit nicht anders angegeben, ist im Folgenden ohne erneuten Stellennachweis die zu Beginn dieses Beitrags abgedruckte Windeck-Fassung zitiert.

21 Gheverdis-Fassung (wie Anm. 11), fol. 69v.

22 Ebd.

23 Gesta Treverorum, ed. Georg WAITZ. In: MGH Scriptores, Bd. 8. Hannover 1848, S. 111–174.

24 Heinz THOMAS, Studien zur Trierer Geschichtsschreibung des 11. Jahrhunderts, insbesondere zu den Gesta Treverorum (= Rheinisches Archiv 68). Bonn 1968, S. 195; vgl. im Folgenden ebd., S. 190–205, und auch Ilse HAARI-OBERG, Die Wirkungsgeschichte der Trierer Gründungssage vom 10. bis 15. Jahrhundert (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 3, 607). Bern u.a. 1994. Zur Frage der frühesten Überlieferung der Trebeta-Sage vgl. jetzt in Modifikation der Studien von Heinz Thomas CLEMENS, Tempore Romanorum constructa (wie Anm. 16), S. 322–334.

25 THOMAS, Studien (wie Anm. 24), S. 201, mit nachfolgenden Beispielen aus Trier.

26 vnder Jme] nhd. ‚unter sich‘; Gheverdis-Fassung (wie Anm. 11), fol. 69v.

27 Ebd., fol. 69r. Vgl. die Windeck-Fassung (wie Anm. a), in der es lediglich heißt: und wer von in lernen wolt, der solt darfarn zü schülen.

28 Guido JÜTTNER, Art. Magia naturalis. In: LMA Bd. 6, 1993, Sp. 82.

29 PISCATOR, Brief an Petrus Sorbillo (wie Anm. 13), fol. 13r. Piscators Herleitung basiert auf der Überlieferung des 13. Jahrhunderts, vgl. unten mit Anm. 36.

30 Paul Joachim HEINIG, Reichsstädte, Freie Städte und Königtum 1389–1450. Ein Beitrag zur deutschen Verfassungsgeschichte (= Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte 108 / Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 3). Wiesbaden 1983, S. 53 (bezogen auf die Begriffe „Freie Stadt“ und „Reichsstadt“ im Ganzen).

31 Vgl. insbesondere Dieter DEMANDT, Stadtherrschaft und Stadtfreiheit im Spannungsfeld von Geistlichkeit und Bürgerschaft in Mainz (11.–15. Jahrhundert) (= Geschichtliche Landeskunde 15). Wiesbaden 1977; vgl. zum Datum 1332 hier GOERLITZ, Facetten (wie Anm. 6), S. 63 mit Anm. 17.

32 Ludwig FALCK, Das spätmittelalterliche Mainz – Erzbischofsmetropole und freie Bürgerstadt. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 112 (1976) S. 106–122, hier S. 107.

33 Das Verfahren galt durchaus als seriös, auch wenn das eine gezielte Indienstnahme etymologischen „Fabulierens“ nicht ausschließt, vgl. Uwe RUBERG, Art. Etymologisieren. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1, hg. von Klaus Weimar gemeinsam mit Harald Fricke, Klaus Grubmüller und Jan-Dirk Müller. Berlin, New York 1997, S. 526–528.

34 BHL Nr. 826, vgl. den Beitrag zum Legendenkomplex um die Heiligen Aureus und Justina in diesem Band. Vgl. im obigen Zusammenhang, auch im Folgenden, GOERLITZ, Humanismus (wie Anm. 13), S. 278–285 mit Anm. 417 und 421; zu der hier zugrunde gelegten Abschrift in der Handschrift der Universitätsbibliothek Würzburg M. ch. f. 67, fol. 5r–15v - hier lectio 5–8, fol. 6vf – vgl. ebd., S. 118–120, 132f mit Anm. 85 und S. 144ff; lediglich Auszüge hagiographisch relevanter Passagen aus einer verschollenen Handschrift der Kölner Kartause sind herausgegeben von Papebroch in: AA SS Juni Bd. 4. Paris, Rom 31887, Nr. 7, 11, 12, 15, 16, S. 38–40 sowie Nr. 1–15, S. 62–65, und danach in JOANNIS, Rerum Moguntiacarum, vol. II (wie Anm. 14), S. 7–11 und 15–22. Vgl. Uta GOERLITZ, Art. Sog. Sigehard von St. Alban (Mainzer Hagiograph, um 1297). In: VL Bd. 11, 2004, Sp. 1433–1435.

35 Christoph DAXELMÜLLER und Michael E. von MATUSCHKA, Art. Magie. In: LMA Bd. 6, 1993, Sp. 82–88.

36 Hier und im Folgenden: sog. Sigehard von St. Alban, Passio sanctorum Aurei et Justinae (wie Anm. 34), lectio 5–8, fol. 6vf, hier lectio 6, fol. 7r.

37 Ebd.: situs loci nobilissimus et amoenus valde.

38 Ebd.: quod […] ab antiquissimis traditum, hodieque narratur ab incolis.

39 Ebd., lectio 6, fol. 6v.

40 PISCATOR, Briefan Petrus Sorbillo (wie Anm. 13), fol. 15vf. Zur polemischen Verwendung des Spruches während des Spätmittelalters und der Reformation vgl. Wilhelm MÜLLER, Rheinhessisches Heimatbuch, 2 Bde. (= Hessische Volksbücher). Friedberg 1921–1924, hier Bd. 1, S. 17.

41 Vgl. die entsprechende Formulierung Petrus Sorbillos, der in diesem Zusammenhang ausdrücklich von quibusdam malefactoribus spricht: Sorbillo, Brief an Hermannus Piscator (wie Anm. 13), fol. 8v.

42 Gesta Treverorum (wie Anm. 23), 2, S. 131, und 5, S. 133; zur Datierung des fiktiven Epitaphs „im 11. Jahrhundert“ und dabei möglicherweise erst nach Entstehung der Trebeta-Sage vgl. jetzt CLEMENS, Tempore Romanorum constructa (wie Anm. 16), S. 322–334 (Zitat: S. 334).

43 id, quod ab antiquissimis traditum hodieque narratur ab incolis […] ab antiquis traditum et ad nos vsque successiua relatione deriuatum (sog. Sigehard von St. Alban, Passio sanctorum Aurei et Justinae, wie Anm. 34, lectio 7, fol. 7r).

44 Ebd.

45 Gozwinus, Ex passione S. Albani martyris, ed. HOLDER-EGGER. In: MGH Scriptores, Bd. 15/2. Hannover 1888, ND 1963, S. 985–990; vgl. THOMAS, Studien (wie Anm. 24), S. 39–63, und Franz Josef WORSTBROCK, Art. Gozwin von Mainz. In: VL Bd. 3, 1981, Sp. 205–207, und VL Bd. 11, 2004, Sp. 553.

46 Sog. Sigehard von St. Alban, Passio sanctorum Aurei et Justinae (wie Anm. 34), lectio 8, fol. 7r: haec regiae nobilitatis ciuitas.

47 Ebd.: omnium vrbium imperatrix.

48 Vgl. zur Terminologie GRAUS, Lebendige Vergangenheit (wie Anm. 17), S. 6f.

49 Hartmann SCHEDEL, Weltchronik 1493. Kolorierte Gesamtausgabe, ND, hg. und kommentiert von Stephan Füssel. Köln 2013, fol. XXXIXv. Im Folgenden liegen vor allem SORBILLO, Brief an Hermannus Piscator (wie Anm. 13), fol. 8v–9v, sowie auch PISCATOR, Brief an Petrus Sorbillo (wie Anm. 13), fol. 13v–14v, zugrunde. Vgl. generell auch František GRAUS, Troja und trojanische Herkunftssagen im Mittelalter. In: Kontinuität und Transformation der Antike im Mittelalter. Veröffentlichung der Kongreßakten zum Freiburger Symposion des Mediävistenverbandes, hg. von Willi Erzgräber. Sigmaringen 1989, S. 25–43, und Beate KELLNER, Ursprung und Kontinuität. Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter. München 2004, S. 131–296.

50 Gozwinus, Ex passione S. Albani (wie Anm. 45), cap. 24, S. 988; sog. Sigehard von St. Alban, Passio sanctorum Aurei et Justinae (wie Anm. 34), lectio 9f, fol. 7rf. Vgl. zu den mittelalterlichen Caesar-Traditionen kurzgefasst GRAUS, Lebendige Vergangenheit (wie Anm. 17), S. 218–224, sowie CLEMENS, Tempore Romanorum constructa (wie Anm. 16), S. 337ff, 342–356 u.ö.

51 Drusus (d.Ä.), der Stiefsohn des Augustus, starb 9 v. Chr. bei einem Feldzug zwischen Saale und Rhein an den Folgen eines Sturzes vom Pferd; ein Drususmonument apud Mogontiacum wird erstmals in der Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr. von Eutrop erwähnt. Vgl. im obigen Zusammenhang GOERLITZ, Humanismus (wie Anm. 13), S. 319–322 mit Anm. 600 und 603, und auch CLEMENS, Tempore Romanorum constructa (wie Anm. 16), S. 337ff sowie im Weiteren S. 356ff u.ö..

52 Drusum, Augusti privignum, aliosque Romanorum principes habuit [sc. Mainz] conditores et possessores (Gozwinus, Ex passione S. Albani, wie Anm. 45, cap. 24, S. 988).

53 So auch bei Gozwin (vgl. die vorhergehende Anmerkung); vgl. Sigehard von St. Alban, Passio sanctorum Aurei et Justinae (wie Anm. 34), lectio 10, fol. 7v.

54 Windeck-Fassung (wie Anm. a), S. 457f. Die Passage schließt unmittelbar an die Erzählung von der Gründung von Mainz an, vgl. den Schluss des diesem Beitrag vorangestellten Textabschnittes. Vgl. GOERLITZ, Facetten (wie Anm. 6), S. 81ff. Vgl. die Rekonstruktion des Drusus-Monumentes mit der Unterschrift „In Drusenloch olim“ bei Nicolaus SERARIUS oben in Abb. 2; sie geht auf den Mainzer Humanisten Hermannus PISCATOR OSB (wie Anm. 13) zurück und wird von diesem unter anderem aufgrund der Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ entstehungsgeschichtlich wie auch von Serarius vom erhaltenen „Eichelstein“ (bei Serarius: „Aichelstein“), in dem die Forschung das Kenotaph Drusus’ d. Ä. sieht, unterschieden (GOERLITZ, Humanismus, wie Anm. 13, S. 154f, 189f).

55 SCHEDEL, Weltchronik (wie Anm. 49), fol. XXXIXv.

56 Sorbillo, Brief an Hermannus Piscator (wie Anm. 13) fol. 9v: vrbemque Maguntinam licet antiquissimam adeo decorauit, vt quasi de nouo a Druso putaretur condita.

57 Hier und im Folgenden PISCATOR, Brief an Petrus Sorbillo (wie Anm. 13), fol. 13v–14v.

58 Vgl. oben mit Anm. 5.

59 Die Zitate sind dem grundlegenden Beitrag von SEIDENSPINNER, Sage und Geschichte (wie Anm. 2), S. 19 und 34 entnommen.

60 SEIDENSPINNER, Sage und Geschichte (wie Anm. 2), S. 34.

Es war eine berühmte Stadt ...

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