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1568 Giorgio Vasari Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten Die Erfindung der Renaissance

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Mit seinen Künstlerviten prägt der Maler, Architekt und Kunstfunktionär Giorgio Vasari das Bild von der italienischen Renaissancekunst bis heute. Spätere Generationen haben ihn darum als den Begründer der Kunstgeschichte bezeichnet. Schon Zeitgenossen ahnten, wie wirkmächtig das Werk werden würde, und versuchten, mit Autobiografien die Deutungshoheit über ihr eigenes Leben und Werk zu bewahren. So auch Vasaris Konkurrent Benvenuto Cellini, der in den Viten nur beiläufig erwähnt wird. Als Modell und Quelle sind Vasaris Künstlerviten trotz ihrer Parteilichkeit und Unzuverlässigkeit von bleibender Bedeutung für die Kunstgeschichte.

Er war ein Renaissancemensch: Giorgio Vasari, 1511 in Arezzo geboren, kam schon mit dreizehn Jahren nach Florenz, wo er neben der Malerlehre eine humanistische Ausbildung erhielt. Es folgten ausgedehnte Reisen durch ganz Italien. In Rom arbeitete er für den päpstlichen Hof und die mächtige Familie Farnese und freundete sich mit Michelangelo an. 1555 kehrte er nach Florenz zurück, an den Hof von Cosimo I. de’ Medici. Er wurde dessen allmächtiger Kunstintendant, schuf als Hofarchitekt die Uffizien und malte die Kuppel des Doms aus. 1574 starb der einflussreiche Maler, Architekt, Kunsttheoretiker, Schriftsteller, Unternehmer und Kulturfunktionär in seiner florentinischen Wahlheimat.

Dass wir überhaupt »Renaissancemenschen« kennen, verdanken wir Vasari selbst. Zwar wurde der Begriff »Renaissance« im deutschen Sprachraum erst 1860 durch den großen Schweizer Kunsthistoriker Jacob Burckhardt und seine Kultur der Renaissance in Italien popularisiert; Vasari aber lieferte die Vorlage, indem er von einer Wiedergeburt (italienisch: rinascita) der bildenden Künste in seiner Zeit sprach und sie von einem vorangegangenen Stil abgrenzte, den er »gotisch« nannte. In Vasaris italienischer Heimat hatten sich die Künstler vom vermeintlich barbarischen Einfluss der eingewanderten Goten befreit und der Kunst der griechisch-römischen Antike zu neuem Leben verholfen – so Vasari.

Als Architekt und Maler ist Vasari heute weitgehend vergessen. Sein Ruhm gründet sich auf eine Buchpublikation: Le Vite de’ più eccellenti pittori, scultori, e architettori (Lebensbeschreibungen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten), 1568 in definitiver Auflage veröffentlicht (eine erste Auflage stammt von 1550). Sie liefert Biografien und Werkanalysen von mehr als dreihundert Künstlern der italienischen Renaissance, von dem 1240 geborenen Cimabue bis zu Vasari selbst. Dieser legt seine Kunstgeschichte als Entwicklungsprozess an, der von der Zeit Giottos und des Trecento zur Frührenaissance führt und schließlich in der Hochrenaissance gipfelt, für die Genies wie Leonardo da Vinci und Michelangelo stehen. Vor allem die Anekdoten und Indiskretionen, mit denen Vasari seine Künstlerviten spickte, haben ihm eine aufmerksame Leserschaft gesichert.

Für die europäische Kunstgeschichte haben Vasaris Künstlerviten dreifach bleibende Bedeutung erlangt. Erstens schuf Vasari mit Le Vite ein neues Genre: die Künstlerbiografie. Erstmals wurden hier Künstler als Persönlichkeiten vorgestellt, deren Leben berichtenswert ist. Bis dahin waren Lebensbeschreibungen vor allem Heiligen und Herrschern gewidmet. Vasaris Künstler sind nicht mehr bloß namen- und ranglose Handwerker im Dienst eines Auftraggebers, sondern Schöpfer im Dienste der Kunst. Darin steckte eine gehörige Portion Utopie, denn auch in der Renaissance ging die Kunst meist nach Brot. Vasari aber kehrte die Verhältnisse programmatisch um: Der Künstler erhält Aufträge wegen seines besonderen Talents; auch Konkurrenz um Aufträge behindert nicht die freie Schöpferkraft, sondern setzt diese erst frei. Mit seinen Künstlerbiografien legte Vasari zugleich das Fundament der Kunstgeschichte, auf das viele aufbauten, unter ihnen der Nürnberger Joachim von Sandrart mit seiner Teutschen Academie der Edlen Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste von 1675 und 1679. Ohne sie etwa wüssten wir vermutlich nichts mehr über jenen deutschen Maler, dem Sandrart den Namen Matthias Grünewald gab.

Bedeutsam sind Vasaris Viten zudem, weil sie die italienische Renaissance zu einer Epoche zusammenfassen. Ohne diese ideologische Klammer blickten wir wohl auf eine Ansammlung von Gemälden, deren Schöpfer uns oftmals namentlich nicht bekannt wären. Vieles von dem, was noch heute als Allgemeinwissen über die Kunst der Renaissance gilt, geht auf Vasari zurück – und auf spätere Exegeten und Bewunderer wie Jacob Burckhardt. Dabei war Vasari alles andere als unparteiisch. Was seine eigene Person betraf, war er ein Meister der Selbststilisierung. Dem von ihm verehrten Michelangelo gab er fast übermenschliche Züge. Zudem waren für Vasari die Zentren der rinascita Florenz und Rom. Venedig spielt in seinen Viten keine nennenswerte Rolle. Der Venezianer Tizian erhielt überhaupt erst in der zweiten Auflage einen Eintrag. Eine herausragende kunsthistorische Bedeutung wird ihm darin nicht attestiert.

Schließlich liefern Vasaris Künstlerviten Informationen über die dort porträtierten Maler, Bildhauer und Architekten. Frühere unkritische Zitierungen sind großer Vorsicht gewichen, denn mit Daten ging Vasari recht freihändig um; manche Anekdoten erwiesen sich als Übernahmen antiker Legenden. Sogar ganze Künstlerpersönlichkeiten scheint Vasari erfunden zu haben, etwa den phantomhaften Morto da Feltro. Manche deuten daher Le Vite heute als literarisches Werk, als Novellensammlung im Stile Boccaccios, und bestreiten die Absicht Vasaris, ein Sachbuch zu verfassen. Andere wiederum sehen in dem Werk eine säkulare Heilsgeschichte nach dem Muster mittelalterlicher Universalchroniken – die noch dazu nicht von Vasari allein, sondern von einem ganzen Autorenkollektiv verfasst worden sei. Was auch immer zutreffen mag: Es ändert nichts an den Wirkungen jener Künstlerviten von 1568, Wirkungen, die bis in unsere Gegenwart reichen.

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