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3. Ambidextrie

Ursprünglich kommt der Begriff Ambidextrie aus der Medizin und steht für Beidhändigkeit. Im unternehmerischen Kontext steht er für Organisationsformen, die im übertragenen Sinne beidhändig arbeiten: Sie können sowohl Bestehendes optimieren und zugleich auch Neues erforschen. Im Englischen spricht man von »exploit« und »explore«.

Der gelegentlich vertretenen Auffassung, es ginge bei Ambidextrie um die Effizienz heute und die Anpassungsfähigkeit bei externen Veränderungen, schließe ich mich nicht an: Der Ausdruck der Anpassungsfähigkeit hat einen hohen passiven Anteil. Die Veränderung erfolgt von extern, und erst auf diesen Druck hin entstehen die Bereitschaft und die Einsicht in die Notwendigkeit, sich anzupassen. Daher meine Ablehnung.

Bestehendes zu optimieren, es optimal zu nutzen, ist aus ökonomischer Sicht unverzichtbar. Die Startinvestitionen sind geleistet, eventuell bereits amortisiert, die Projektergebnisse – ob Produkte oder Dienstleistungen – sind aktiv im Einsatz, Ressourcen sind nicht mehr über die Maßen gebunden, sodass Einnahmen die Kosten hierein übersteigen. Diese ökonomischen Vorteile möchte man gerne fortschreiben und maximieren. Selbst das Bewahren von Erfolgen ist jedoch keine Selbstverständlichkeit, auch wenn es so klingt. Märkte, Kunden, Erwartungen, Mitbewerber und noch vieles andere kann sich ändern, sodass es einer achtsamen Pflege und einer umsichtigen Außenschau bedarf. Die Optimierung benötigt absolute Experten mit komplettem Detail- und Hintergrundwissen, um sowohl den Status quo zu verstehen als auch mögliche Ansatzpunkte zu identifizieren. Derartige Verbesserungen sind oft so marginal, dass sie im ersten Moment nicht sonderlich relevant erscheinen. Ihre Wirkung sollte daher auch sauber mit dem unveränderten Stand verglichen werden. Verbesserungen sind nahezu immer möglich: Steht das Preisschild über oder unter der Ware, liegt der Rücksendezettel auf oder unter dem Lieferschein, werden bei der Erstellung eines Mining-Modells bestimmte Berufsgruppen vor oder nach der Modellerstellung abgezogen, liegen zwischen dem Beschwerdeeingang und der Eingangsbestätigung mehr oder weniger als 24 Stunden, führt ein Angebot mit komplexer Darstellung der Preisstruktur eher zur Akzeptanz oder zu Rückfragen? Diese Reihung ließe sich beliebig fortsetzen. Somit ist klar, für das Optimieren bedarf es ebenso gewisser Ressourcen wie für das Projektgeschäft, also für das Erforschen.

Die Optimierung ist eben mehr als das reine Bewahren und Fortführen des Status quo. Ohne dieses Verständnis würden Unternehmen ihre Ressourcen immer wieder nur in Neues investieren, ohne dem Geschaffenen ein ausreichendes Chancenfenster der Optimierung zu geben. Diese Gefahr sehe ich im produzierenden Gewerbe mit seinen hohen Forschungs- und Entwicklungskosten nicht. Dort ist der Optimierungsgedanke (ich erinnere an die Automobilindustrie) in Teilen eher zu ausgeprägt vorhanden. Im Dienstleistungssektor wird jedoch eine Schnelllebigkeit im Sinne einer Kurzatmigkeit gelebt, sodass sich Projekterfolge nur verkürzt niederschlagen können.

Und jetzt kommen wir zu der absoluten Herausforderung: Wer für Neues Ressourcen beanspruchen will und Aufmerksamkeit auf sein Vorhaben ziehen möchte, tut sich doch so leicht, wenn er nur ausreichend intensiv die bisherigen Verfahren und Projektergebnisse als unzureichend darstellt und alles Neue als strahlende Erlösung und als die Lösung für die Herausforderungen des Unternehmens anpreist. Gerade jedoch durch eine solche polarisierende Darstellung wird die Bedeutung des Optimierens in fahrlässiger Weise kleingeredet. Darauf sollte sich das Unternehmen nicht einlassen. Aufgeschlossenheit für Neues ist wunderbar, sofern sie sich nicht als Ablehnung des bisher Erreichten definiert.

Welche Einstellung tragen die Menschen in sich, die entweder für »exploit« oder für »explore« stehen? Ersteres ist mühselig und langwierig; es kennt kein Projektende, ist ein dauernder Prozess. Hier eingesetzte Menschen brauchen eine intrinsische Motivation, die nicht abhängig ist von der laufenden Anerkennung von außen. Gleichwohl lässt sich die Attraktivität und Bedeutung dieses Profils durch beständige Kommunikation auch kleiner Veränderungen und Optimierungserfolge steigern. Im Gegensatz dazu ist der »Explore«-Typus nicht an die Gegenwart gebunden; er ist häufig extrovertierter und überzeugt durch seine visionäre Art, Herausforderungen als Chance zur Gestaltung zu begreifen. Grenzen sollten ausgetestet oder überschritten werden, Bisheriges nicht als feststehender Denkrahmen gelten.

Gefährlich sind »Exploit«-Typen, die jede Veränderung ablehnen und ausschließlich bewahren wollen. Gefährlich sind »Explorer«, die sich nie einem substanziellen Erfolg verpflichtet fühlen. Wirklich dem Unternehmenserfolg verpflichtete Persönlichkeiten bringen ihre persönlichen Stärken in eine der beiden Facetten ein und sehen dabei beide Teile als erfolgskritisch für das Reüssieren des Unternehmens an. Sie ermöglichen dem Unternehmen durch ihre Einstellung, Haltung sowie Denk- und Arbeitsweise Ambidextrie.

Das Spannungsfeld zwischen »exploit« und »explore« haben wir nun aus dem Blickpunkt der Aktivitäten, aus der Sicht von »Gestaltern« betrachtet. Es gibt auch Stimmen, die fordern, ein Unternehmen müsse Resilienz aufbauen, um mit den Anforderungen der Digitalisierung umgehen zu können. Ein interessanter Gedanke. Die mit Resilienz beschriebene Widerstandsfähigkeit, Unbill und außergewöhnlichen Belastungen mit geeigneten Mitteln zu begegnen, klingt im ersten Moment nachvollziehbar. Schäden sollen vermieden werden. Durch souveränen Umgang und Ressourcenschonung, so heißt es, sei eine Wiederherstellung schneller und erfolgreicher abgeschlossen. Aus meiner Sicht wirkt dieser Vergleich nicht ausreichend überzeugend. Denn Resilienz beschreibt, vor einer Krisensituation etwas aufgebaut zu haben, das einem unmittelbar in der Krise hilft, besser mit ihr umzugehen und zum Status quo zurückzukehren. Jedoch steht eine Verbesserung aus dieser Krisensituation heraus, eine Stärkung und überlegene Entwicklung nach dem Durchstehen der Krise, nicht im Fokus dieser Betrachtung. Somit ist ein Unternehmen durch Resilienz mit Sicherheit widerstandsfähiger und souveräner im Umgang mit Krisen – über die Fähigkeit, Digitalisierungschancen erfolgreich zu ergreifen und dabei Bestehendes nicht zu negieren, sagt dies jedoch nichts aus.

Die Kunst besteht in der Gleichzeitigkeit und der Achtsamkeit, »exploit« nicht als reines »Bewahren« zu betreiben.

Entscheidend für eine erfolgreiche Organisation ist das Anerkennen, ja Fördern der Optimierung von Bestehendem UND des Erforschens von Unbekanntem.

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