Читать книгу Kundenfokus - It Depends on the Ands - Christian Lutkin Peter - Страница 13
Оглавление4. Analytik reicht nicht, um zu gewinnen
Analytik ist ein weites Feld. Es spannt sich auf von der regelbasierten Absprache über eventbasiertes Marketing hin zu Data-Mining-Methoden zur Optimierung der Vorhersage von Abschlusswahrscheinlichkeiten oder anderem Zielverhalten. Was all diesen Feldern gemein ist, ist die Verwendung von Daten als Treiber. Dass Daten das neue Gold sind, haben wir ja nun schon oft genug gehört. Packen wir zu den Daten und der Analytik noch die immer ausgefeiltere Technologie dazu, haben wir ein beeindruckendes Feld rund um Customer Intelligence. Keine Limits in der Menge, der Geschwindigkeit, den Verarbeitungszyklen. Die Quantität scheint uferlos steigerbar, die Qualität wird mit immer komplexeren Methoden optimiert, teils im Bereich von Nachkommastellen. Die Belege für den Erfolg dieser Arbeiten werden in unterschiedlichsten Kennziffern für die Prognosegüte von Data-Mining-Modellen gemessen, in Millisekunden oder in Uplifts teils nach einzelnen Kanälen.
Diese Optimierungen scheinen auch die Kunden zu (be)treffen, denn ihnen werden immer bessere »Next Best Offers« präsentiert und für sie werden immer individuellere »Customer Journeys« entwickelt – zumindest in der Theorie.
Doch kann Analytik ohne den Menschen ihre Wirkung zur Geltung bringen? Und wer ist in diesem Zusammenhang der Mensch?
Mitarbeiter in der zentralen Analytik
Wir verorten die Analytik hier einmal im Marketing. Weshalb, dazu mehr zwei Absätze weiter. Im bisherigen Marketing war Kreativität entscheidend für den Erfolg. Gleich ob die Leistungen über Positionierung, Werbemittel, Bildsprache, Ausgestaltung, Kundeninteraktion, Vorgaben für Printmedien etc. inhouse verantwortet und betreut wurden oder ob diese Leistungen im Wesentlichen extern eingekauft werden. Böse Zungen würden behaupten, das Marketing sei stets etwas entrückt, mit etwas weniger Bodenhaftung und leider auch mit weniger Substanz.
Das reicht heute nicht mehr. Sehen wir die enormen technischen Möglichkeiten, verbunden mit den Anforderungen, sich sachgerecht mit ihnen auseinanderzusetzen, fällt auf, dass die Technik alleine keinerlei Erfolge verzeichnen wird. Wer schlägt die Brücke zwischen Analytik und Marketing, zwischen Technik und Mensch, zwischen Bits und Bytes auf der einen Seite und Emotionen auf der anderen Seite? Es sind die Menschen, die man nur unzureichend als »Experten« beschreiben kann, denn sie müssen die menschenwirksame Umsetzung dieser enormen Möglichkeiten sicherstellen, bestmöglich ausgestalten und mit einem menschlichen Antlitz versehen. Sonst bleibt Datenmanagement eine Datenkrake, Analytik eine heiß laufende Maschine und Leads ein Feuerwerk an schnell verglühenden Impulsen.
Weshalb ordne ich diesen Block der zentralen Analytik überhaupt dem Marketing zu? Weil sie dort den höchsten Wertbeitrag liefert. Das kann sie nicht entfernt vom Businessproblem in einem Analyselabor, aber auch nicht mit Ausschnittswissen in einem Kanal – ebenso wenig wie in einzelnen Produktfeldern. Denn all das wäre nicht kundenzentriert.
Vertreter beteiligter Einheiten der Zentrale
Unter zentralen Einheiten der Zentrale – außerhalb der Analytik – verstehe ich alle Einheiten, deren Ergebnisse letztlich vertriebswirksam beim Kunden anlanden und die keine rein interne Funktion haben, wie z. B. Finance, Operation oder HR. Und in ausnahmslos all diesen Einheiten kann sich Digitalisierung positiv entfalten. Im Zielgruppenmanagement kann Digitalisierung Beratungsprozesse optimieren, im Onlinekanal lassen sich für Bestandskunden sowohl Vorbelegungen vorab individuell bereitstellen als auch Empfehlungen analytisch vorhalten, bei der Produktgestaltung können modulare Angebote auf Basis einzelner in der Vergangenheit vom Kunden gewählter Touchpoints unterbreitet werden. So weit die Vorteile. Digitalisierung kann jedoch auch Nachteile für solche Einheiten darstellen: Wurden bislang erhebliche Ressourcen für eine analytische Bewertung und Einordnung des Kundenbestands aufgewendet, z. B. für die Unterteilung in Kundensegmente oder auch für die Gruppierung der Kunden nach typischen Merkmalskombinationen in Abhängigkeit von Lebenssituation, Bedürfnislage und Einstellung zu sogenannten Personas, werden die Ressourcen in diesem Umfang nicht mehr benötigt, langwierige Vorausplanung und die Aggregation in Kampagnenplänen sind nicht mehr notwendig. Denkweisen müssen angepasst, ggf. ausgetauscht werden. Auch Planungssicherheit für das Management besteht zunehmend weniger. Sich wirklich um den Kunden zu kümmern, bedeutet, weniger seinen Bauch zu befragen, weniger »einfach« eine Roadmap an Aktivitäten für das Jahr planen zu können, sondern sich immer mehr auf die Analytik und die laufend wechselnden Kundenbedürfnisse einzustellen.
Überschlagen Sie für Ihr Unternehmen einmal den Ressourceneinsatz, der sich mit dem »Wer informiert wen wann über welche Vertriebsaktivität?« und »Wie werden Vertriebsaktivitäten geplant, kommuniziert und in Zeitscheiben vorausgeplant?« befasst. Ein enormer Aufwand, der deutlich reduziert wird, wenn alleine der erhobene, vermutete oder aufgenommene Kundenbedarf über die Aktivitäten entscheidet.
Die hier involvierten Führungskräfte und Mitarbeiter mitzunehmen zu einem sinnstiftenden, kundenzentrierten Arbeiten, ist eine große Herausforderung. Gelingt das nicht, besteht ein fortdauernder, nicht zu unterschätzender Widerstand, der sowohl die künftige Entwicklung bremst als auch dauerhaft Ressourcen für seine Reduktion bindet.
Vertriebsmitarbeiter im Kundenkontakt
Was macht ein echter Vertriebler am liebsten? Er ist im direkten Kontakt mit seinen Kunden. Alles andere sollte zweitrangig sein. Kennen Sie das meistgenannte Argument bei Vertriebserfolgen unterhalb der Erwartungen? Die Antwort lautet: »zu viel Administration und Abwicklungsarbeiten vor und nach dem Kundenkontakt«.
Zwischen diesen beiden Polen liegt die Auseinandersetzung mit folgenden Fragen:
■ Welchen meiner Kunden kontaktiere ich als nächsten?
■ Gibt es Themen, die mir vertrieblich leichtfallen?
■ Wie ist mein Portfolio strukturiert?
■ Kann ich mein Portfolio für mich strukturieren?
■ Welche Kunden haben sich in der Vergangenheit am besten entwickelt?
■ Kann ich vergleichbare Kunden mit vergleichbaren Bedürfnissen in meinem Portfolio finden?
So werden Manntage in die Auseinandersetzung mit dem eigenen Portfolio gesteckt. Je aufwendiger das operative CRM-System ausgestaltet ist, umso granularer und moderner lassen sich Segmente, Subsegmente, einzelne Stufen im Vertriebskanal und Share-of-Wallets einzelner Kunden oder Kundengruppen betrachten. Auch hier erfolgt also eine enorme Einbindung der Vertriebsmitarbeiter in die Auswahl, Ausgestaltung der Ansprache und Priorisierung der Aktivitäten. Die hier auf Basis von Expertenschätzungen und eigenen Erfahrungen getroffenen Entscheidungen sind hochindividuell und wären von anderen Personen am gleichen Einsatzort anders getroffen worden.
Und nun kommt die Digitalisierung, gibt den Takt im Vertrieb vor, priorisiert, kanalisiert, vervollständigt Touchpoints, fasst an Kontaktpunkten außerhalb des Gestaltungsbereichs der Vertriebsmitarbeiter in anderen Kanälen nach. Das muss fast zwangsläufig zu einer Gegenreaktion führen. Zumal das Digitalisierungsprojekt von Menschen weit entfernt erdacht und realisiert wurde, entweder räumlich bzw. geografisch entfernt oder gedanklich entfernt – meist in einer Kombination aus mehreren Faktoren.
Auch hier braucht es einen langen Atem. Nur durch das Aufzeigen von konkreten, nachweisbaren, greifbaren Vorteilen in einer für die betroffenen Mitarbeiter wirksamen »Währung«, z. B. einer gesteigerten Zahl von Abschlüssen, geringerer Vorbereitungszeit für Kundentermine etc., kann diese Ablehnung überwunden werden. Geben Sie sich dabei nicht der Illusion hin, diese Kommunikation könne zentral gesteuert werden. Es bieten sich eher Best-Practice-Sessions an, bei denen von Vertrieb zu Vertrieb gesprochen wird. Die Glaubwürdigkeit bereits selbst erfahrener Vorteile aus dem Mund anderer Vertriebler ist entscheidend dafür, die Vertriebsmannschaft tatsächlich für das Thema zu gewinnen. Im Idealfall ist die Nutzung Ihrer Projektergebnisse so selbstverständlich wie die Verwendung des Telefons.
Führungskräfte Vertrieb ohne Kundenkontakt
Hier gelten zunächst alle Ausführungen sinngemäß. Hinzu kommt jedoch eine weitere Komplexität. Die Führungskräfte im Vertrieb stehen genau zwischen der digitalisierenden Zentrale und ihren eigenen Mitarbeitern am Point of Sale.
■ Risiko 1:
In einer Fraternisierung und eventuell falsch gefühlten Verantwortung für die eigene Vertriebsmannschaft wird eine ablehnende Haltung, mindestens aber eine ausgeprägte Distanz durch die Hierarchien nach oben getragen.
■ Risiko 2:
In Roll-out- und Informationsveranstaltungen wird nach außen ein Interesse und eine Aufgeschlossenheit dargestellt, die sich im anschließenden Tagesgeschäft als zu optimistisch erweist.
■ Risiko 3:
Das fehlende Know-how dieses Personenkreises zu Digitalisierungsthemen entwickelt sich zu einer Kluft, die eine zentrale oder kaskadierende Information nicht überbrücken kann. Es soll ja Führungskräfte geben, die bei der Darstellung von Datenschichten in den Ebenen Datenbank, Extraktion, Layer, Business Rules, Reporting-Oberfläche fragen, »ob sie auch so eine schöne Datenbank für sich bekommen könnten …« Schade.
■ Risiko 4:
Gerade in dieser Funktion sind Äußerungen wie »Wir legen in unserem Vertriebsgebiet in den nächsten Wochen einen Fokus auf Y« oder »Das Thema X spielen wir im Mai nicht so stark« an der Tagesordnung. Solche Aussagen geben dem Geschehen im Vertrieb eine suggerierte Plan- und Steuerbarkeit. Feldherrenartig wird über Material- und Ressourceneinsatz entschieden. Vertrieb wird als taktischer Feldzug verstanden. Für mich ist Vertrieb im Kern ein Verstehen der Situation jedes einzelnen Kunden, und eben nicht ein groß angelegtes »Manöver«. Jedoch macht genau diese Sicht – verstärkt durch kundenzentrierte Digitalisierungsprojekte – die Funktion der Vertriebsführungskräfte zu weiten Teilen obsolet. Es braucht Coaches, die am »Spielfeldrand« der Kundenkontakte stehen und im kundenzentrierten Gespräch unterstützen, lehren und besseres Verstehen ermöglichen. Coaches, die den Mehrwert der Digitalisierung an die einzelnen Arbeitsplätze bringen, Transmissionsriemen für die effektive Nutzung von Digitalisierung bieten. Glücklich kann sich das Unternehmen schätzen, dessen Vertriebsführungskräfte genau das leisten.
Kunden
Tracking im Bereich von Millisekunden, zig Offerten, personalisierte Webseiten unmittelbar nach Anmeldung im Onlineshop – es ist eine unendliche Auswahl von Finessen, die dem Kunden durch Digitalisierung angeboten werden kann. Allgegenwärtig werden Angebote verfeinert und individualisiert. Der Trend dazu ist unumkehrbar. Fragen Sie sich bitte für Ihr Unternehmen: Spürt der Kunde dadurch einen Mehrwert? Ist die Botschaft im Moment der Aussendung/Anzeige für ihn wirklich relevant? Sie werden den Kunden bei diesem Wettbewerb mit technologisch professionalisierten Plattformunternehmen nur dann für Ihr Unternehmen gewinnen können, wenn er spezielle Vorzüge Ihres Unternehmens für sich als Vorteil wahrnimmt. Stärken Sie mit Digitalisierungsprojekten die individuellen Stärken Ihres Unternehmens. Reduzieren Sie mit Digitalisierungsprojekten die individuellen Schwachstellen Ihres Unternehmens.
Die Möglichkeiten der Analytik scheinen unbegrenzt weiterzuwachsen. Es besteht die Gefahr einer Abkopplung von Menschen – einer Analytik um ihrer selbst willen.
Entscheidend für den Erfolg ist die Anwendung professioneller Analytik UND die Einbeziehung von Menschen über alle Funktionen hinweg – von der Kreation über die Anwendung bis zur Nachbereitung eines jeden Kundenkontaktes.