Читать книгу 25 km/h - Christian Macharski - Страница 8
ОглавлениеVerkehrstechnisches
Die A 46 - Sinnbild der Zukunft
24.02.1996
Am 26. Februar ist es endlich so weit. Die Erweiterung der A46 wird eröffnet. Das bedeutet nicht nur, dass Verkehrsmeldungen im hiesigen Lokalfunk ab sofort einen Hauch von Sinn bekommen, sondern auch, dass in unserer Gegend ein neues Zeitalter anbricht. Ein wunderbares Gefühl. Unsere Region bekommt eine neue, eigene Identität. Ab dem 26. Februar können wir bis „Janses Mattes“ rasen, ohne uns um Radarfallen, Bodenwellen oder rote Ampeln - die natürlichen Feinde des einfachen Autofahrers - zu scheren. Ein Gefühl von Freiheit, jetzt auch im Kreis Heinsberg. Überhaupt Heinsberg. Sogar unsere Kreisstadt, diese wunderbare Provinz-Metropole inmitten üppiger Spargel- und Rübenfelder ist jetzt schon fast schnell zu erreichen. Zumindest muss man sich als Erkelenzer ab übermorgen nicht mehr zwei Tage Urlaub nehmen, wenn man beim Straßenverkehrsamt eine Bescheinigung abholen will. Ein halber Tag müsste knapp reichen. Dem Umstand der Anpassung unseres Autobahnstandards an absolutes Weltniveau wurde jedoch bereits vor einigen Monaten Rechnung getragen. Hießen die Autobahnausfahrten bis vor einem halben Jahr noch provinziell vertretbar „Granterath/Baal“ oder ähnlich, so heißt es seitdem völlig korrekt „Erkelenz Ost“, „Erkelenz Süd“, „Erkelenz Nord-Südwest“ oder so ähnlich. Schon daran merken wir: Diese Autobahn ist mehr als ein Stück grauer Asphalt. Diese Autobahn bedeutet: Der Kreis Heinsberg hat endgültig seinen Provinzstatus abgeschüttelt. Der Kreis Heinsberg gehört dazu. Dafür sind wir dankbar.
Bedarfsorientierte Betriebsformen
09.06.2001
Künftig wird es im Kreis Heinsberg deutlich weniger Verkehr geben. Das liegt aber nicht etwa daran, dass Pro7 „Liebe Sünde“ abgesetzt hat, sondern an der KWH. Die Kreiswerke Heinsberg streichen nämlich drastisch ihren Busfahrplan zusammen. Bei der Bekanntgabe dieser Maßnahme wurde aber nicht etwa mitgeteilt: „Wir fahren jetzt nicht mehr so oft mit den Bussen, weil sowieso keiner mitfährt.“ Das wäre zwar die korrekte Formulierung, hört sich aber irgendwie nicht gut an für ein Unternehmen mit Klasse. Deshalb bedient man sich bei der KWH so genannter Euphemismen. Euphemismen nennt man Beschönigungssätze, mit denen Berti Vogts seinerzeit - als er noch die deutsche Nationalmannschaft runterwirtschaften durfte - immer Gegner wie Liechtenstein oder die Färöer Inseln groß geredet hat. Im KWH-Deutsch heißt „Kürzung des Linienverkehrs“ nämlich „Das Angebot wird auf die Nachfrage zugeschnitten“. Das klingt nur noch halb so schlimm. Jetzt fragt man sich natürlich als Berufspendler, wie man sich denn künftig öffentlich fortbewegt. Auch dafür hat die KWH eine Lösung. Es werden nämlich ab sofort so genannte Anruf-Sammeltaxen eingerichtet, die man anrufen kann, wenn man mal weg muss. Ganz am Rande: Die Abkürzung lautet AST - kann man sich gut merken, weil man sich wahrscheinlich des öfteren einen Ast abfriert, wenn man drauf wartet. Diese Taxen kosten zwar einen AST-Zuschlag, bekommen aber dafür meinen persönlichen Lieblings-KWH-Euphemismus zugeteilt. Es handelt sich nämlich nicht um Bus-Ersatz-Abzocker-Taxen, sondern um - aufgepasst: „bedarfsorientierte Betriebsformen“. Jetzt hoffe ich nur, dass Ihnen meine Glossen auch in Zukunft gefallen, denn sonst wird mein Arbeitsplatz demnächst von der Redaktion auf die Nachfrage zugeschnitten und durch bedarfsorientierte Betriebsformen ersetzt.
Glückwunsch
10.04.1996
Was hat unsere klobige, historische Dampfeisenbahn mit der kleinen, süßen Maus aus der „Sendung mit der Maus“ gemeinsam? Richtig, sie macht nur Geräusche, alle Kinder haben sie lieb und sie feiert ihren 25. Geburtstag! Täräää. Wer hätte das gedacht? In einer Gegend wie dem Kreis Heinsberg, in der die Industriegebiete wie die Fliegenpilze aus dem Boden schießen, eine Gegend, durch die sich eine Autobahn der jüngsten Generation schlängelt, eine Gegend, in der man den schnellsten Zug der Neuzeit testet - kurz: in einer Gegend, in der eine eiskalte, seelenlose, Hightech-bestimmte Infrastruktur herrscht, da dampft Tag für Tag ruhig und gelassen mit 12 km/h unsere historische Dampfeisenbahn von Gillrath nach Schierwaldenrath und wieder zurück. Sie ist die Ruhe selbst. Und das seit 25 Jahren! Was hat diese Bahn in dieser Zeit nicht alles mitgemacht? Zum Beispiel 25 Nikolausfahrten. Aber es hat natürlich auch schlechte Zeiten gegeben; im letzten Jahr erst wurde unsere sympathische Dampfeisenbahn das Opfer eines heimtückischen Anschlages und musste entgleisen (übrigens ein Justizskandal; die Attentäter von damals laufen immer noch frei rum!). Oder: Vor gut einem Monat wurde die Bahn trotz ihres hohen Alters noch vom Heinsberger Touris tik-Service zu Werbezwecken missbraucht und nach einer strapa ziösen Reise in Berlin auf der Tourismus-Börse sensationsgierigen Schaulustigen vorgeführt. Doch das alles macht der bescheidenen Bummelbahn offenbar nichts aus. Ganz im Gegenteil, es scheint ihren Willen nur zu stählen. Selbst zu Ostern, an ihrem Geburtstag, stand sie ständig unter Hochdampf und ließ keinen Zweifel daran, dass sie noch viele Jahre qualmen und gegen die Zukunft anstinken wird. Meine Damen und Herren - hier kommt die Bahn.
Tage des Donners
19.08.2000
An diesem Wochenende dröhnen in der Ostzone des Kreises Heinsberg ganz gewaltig die Motoren. Sowohl Erkelenz als auch Holzweiler stehen ganz im Zeichen des Automobils. In Erkelenz steigt zum zweiten Mal nach dem ersten Mal die EAA. Hört sich an wie ein neu entwickelter Impfstoff, steht aber für die Erkelenzer Automobil Ausstellung. Nicht zu verwechseln übrigens mit der IAA, der Internationalen Automobil Ausstellung. Die Verwechslungsgefahr ist, ganz nebenbei, auch der Grund, warum die PS-Messe in Erkelenz und nicht in Isengraben stattfindet. Ansonsten bietet die Ausstellung aber alles, was der große Bruder in Frankfurt auch hat: Verlosungen, Sondermodelle und das angeblich erste Drei-Liter-Auto. Dazu muss ich sagen, dass ich so ein Auto schon seit zwei Jahren fahre. Meiner verbraucht mindestens drei Liter Motoröl auf 100 Kilometer. Mit solchen Verbrauchs-Peanuts gibt sich das zweite automobile Top-Event dieses Wochenendes überhaupt nicht ab. Wenn in Holzweiler der Zündschlüssel rumgedreht wird, dann werden dort allein zum Starten drei Liter verbraucht. Dort steigt nämlich die Deutsche Meisterschaft im Tractor-Pulling. Dabei geht’s um bis zu 12.000 PS pro Trecker - wobei es sich, glaube ich, nicht um Trecker im herkömmlichen Sinne handelt. Wäre ja auch zu schön, wenn die Trecker, die immer mit endlos langen Rüben-Anhängern vor einem hergurken, 12.000 PS hätten. Heute geht’s übrigens los mit den Wettbewerben und abends findet dann die so genannte Puller-Party statt. Meiner Meinung nach eine sehr interessante Wortschöpfung, dürfte doch spätestens nach dem zehnten Bier seine Doppeldeutigkeit zum Tragen kommen. In diesem Sinne - gebt Gummi, Jungs!
Die holländische Straße
02.03.2002
In der vergangenen Woche wurde Kreisheinsberger Vergangenheit bewältigt. Bislang waren wir zumindest teilweise gegen holländische Lkw-Fahrer geschützt, doch das ist seit Montagmittag aus und vorbei. Mit einem Festakt im Rathaus Selfkant wurde der deutsch-niederländische Grenzvertrag von 1960 aufgehoben und damit ein Treppenwitz der Geschichte endgültig ad acta gelegt. Die Rede ist von der berühmten „Transitstraße” - einer holländischen Straße, die auf deutschem Hoheitsgebiet durch den Selfkant führt, ohne Anbindung an das deutsche Straßennetz. Aus verkehrstechnischer Sicht irgendwo verständlich, eine Straße zu bauen, von der man nicht in den Selfkant abbiegen kann. Wozu auch? In den Selfkant fährt man doch meistens sowieso nur, wenn man sich verfahren hat. Gut, die Straße wurde gebaut, als der Selfkant noch zu Holland gehörte. Zu diesem Zeitpunkt konnte natürlich niemand ahnen, dass wir diesen Landstrich irgendwann wieder würden zurücknehmen müssen. Mit der Rückübereignung so schillernder Ortschaften wie Höngen, Süsterseel und Saeffelen nahm das Chaos dann jedoch seinen Lauf. Laut Vertrag waren nämlich die Holländer für die Verkehrssicherheit zuständig, die Deutschen aber für die anschließende Unfallbearbeitung. Und die ist natürlich nicht ohne, wenn ein zugekifftes Land, das mit Tineke Netelenbos sogar eine Frau zur Verkehrsministerin hat, für die Sicherheit auf der Straße zu sorgen hat. Doch seit vergangenem Montag gibt es das Kreisheinsberger Kuriosum nicht mehr. Bald schon werden Deutsche und Holländer im Reißverschlussverfahren zueinander finden. Dann findet der europäische Gedanke auch im Kreis Heinsberg seinen Niederschlag.
Spielball Heinsberg
08.03.2003
Bei der Fusion zwischen der WLK, dem Stromversorger im Kreis Heinsberg, und der KWH, den Verkehrsbetrieben, gab es Probleme mit holländischen Widerstandskämpfern.
Auf dem hart umkämpften Strommarkt im Kreis Heinsberg ist eine Entscheidung gefallen. Die Nuon AG hat sich aus dem Kartellverfahren zurückgezogen, wo sie die Fusion zwischen WLK und KWH entscheidend blockiert hatte. Man hat sich gütlich und außergerichtlich geeinigt. So etwas hat natürlich seinen Preis. Auch Holländer reichen einem nicht einfach einen Friedensjoint und der Ärger ist vergessen. Nuon wollte dafür Heinsberg haben. Ja, Sie haben richtig gelesen. Die ganze Aufregung nur, weil jemand Heinsberg haben will. Als würde man Heinsberg nicht auch freiwillig rausgeben! Es handelt sich also offensichtlich um einen cleveren Trick der jetzt neu gegründeten WestEnergie und Verkehr GmbH, kurz „west“: So lange an etwas hängen, dass der Konkurrent den Eindruck gewinnt, dass es sich um etwas sehr Wertvolles handeln muss. Genauso hat Bayern München das im letzten Jahr mit Carsten Jancker gemacht. Ein Spieler, der eigentlich sogar zu ungeschickt ist, auf einem Fußballfeld die Linien zu ziehen, wird pro forma Nationalspieler und der italienische Liga-Neuling Udinese Calcio fällt prompt drauf rein und kauft das Fußball-Vakuum. Und jetzt hat eben Nuon, der Neueinsteiger auf dem Kreisheinsberger Strommarkt, eine Stadt wie Heinsberg an der Backe. So ärgerlich das auch ist, ich würde mir anstelle der „west“ keine Gedanken machen. Zumal die Geschichte ja bereits ein ähnliches Beispiel bereithält. 1949 wurde der Selfkant an die Niederlande übereignet. Erst wollte Holland den Landstrich mit den größten Zuckerrübenreserven Westeuropas unbedingt haben, dann stellten sie etliche Liefermängel fest und schenkten uns 14 Jahre später alles wieder zurück. In diesem Sinne - go „west“.